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Blick in einen Besprechungsraum im Lagezentrum des BMI
Foto: © Henning Schacht

Der Berg kreißte…

Anmerkungen zur ersten gemeinsamen Terrorabwehrübung (GETEX) von Polizei und Streitkräften

Von Bernd Walter

Nach einer großen Übung im kaiserlichen Deutschland stellte ein hoher Militär gegenüber dem Oberbefehlshaber ohne schmückende Beiworte fest: „Die Erfahrungen, die Eure Exzellenz aus dieser Übung gewonnen haben, kann ein Spatz auf dem Schwanz davontragen.“ Dem Vernehmen nach hat sich bei der Auswertung von Großübungen im Verlauf der Zeiten nicht viel geändert. Nachfolgend soll geprüfte werden, ob die erste gemeinsame und in den Medien als Dammbruch gefeierte Terrorabwehrübung (GETEX) von Polizei und Streitkräften im März dieses Jahres die Tradition unergiebigen uniformierten Großübungen fortgesetzt hat oder vielmehr durchgreifend neue Erkenntnisse generiert hat.

Des Pudels Kern

Nicht zuletzt die Ereignisse in München und der Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt haben der Diskussion um Einsätze der Bundeswehr im Innern neue Brisanz verliehen. Auf der Suche nach dem Königsweg bei der Bewältigung terroristischer Lagen entschloss man sich nach zeitraubenden Erörterungen Anfang des Jahres zu einer gemeinsamen Übung von Polizei und Bundeswehr. Es war nicht die erste dieser Art, wie die Medien überschwänglich zu berichten wussten, denn in Zeiten des Kalten Krieges wurde eine derartige Konstellation im Rahmen der CIMEX/WINTEX-Übungen laufend exekutiert und ausgewertet.

Hintergrund der neuen Überlegungen war der Umstand, dass nach Art. 87a Abs. 2 GG die Streitkräfte außerhalb technischer Maßnahmen im Rahmen der Amtshilfe als Mittel der vollziehenden Gewalt nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn die Verfassung es ausdrücklich gestattet. Generationen schreibwütiger Jungjuristen haben in zahllosen Veröffentlichungen die an sich eindeutige Verfassungsformulierung breit getreten, ohne ein Jota zur Problemlösung beizutragen. Ein Teil der Veröffentlichungen kann ohnehin makuliert werden, da das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich in einem Plenarbeschluss viele Zweifelsfragen gerade gerückt hat und verkündete, dass unter engen Voraussetzungen die Bundeswehr bei der Bekämpfung besonders schwer Unglücksfälle, zu denen auch terroristische Lagen zählen können, hoheitliche Aufgaben zur Unterstützung der Polizei selbst mit militärischen Mitteln wahrnehmen kann. Damit hat das hohe Gericht seine Möglichkeiten fast bis an die Grenze der Verfassungsänderung ausgedehnt und erstmalig Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt, denen sich die Politik bisher verweigert. Aber trotz des Judikats bleibt im Grund vieles beim Status quo ante. Die Aufgabenbereiche von Polizei und Bundeswehr bleiben getrennt.

Wer sich der deutschen Haltung in Fragen der Trennung von Polizei und Streitkräfte nähert, mit der Deutschland selbst in Zeiten sich ständig potenzierender Gefahren in Europa ein Alleinstellungsmerkmal hat, wird in aller Regel mit zwei Argumenten konfrontiert. Entweder: Die Verfassung hat aus guten Gründen die beiden Organisationen Gemeinsame Anti-Terror-Übung Getex.
Foto: © Sven Hoppe/dpa
in der Aufgabenwahrnehmung getrennt, was bei Kenntnis der Materialien bezweifelt werden darf. Oder: Die deutsche Polizei ist gut aufgestellt und benötigt die Unterstützung der Bundeswehr nicht. Was wiederum nicht den Realitäten entspricht, denn die Polizei ist bereits jetzt von der personellen Stärke her nicht mehr in der Lage, alle übertragenen Aufgaben sachgerecht zu erfüllen. Die Personalabgänge der kommenden Jahre werden den Prozess noch verstärken.

Nachdem bereits alle Länderinnenminister in der Fortschreibung des Programms Innere Sicherheit von 2008/2009 übereinstimmend festgestellt haben, dass zur Bereinigung bestimmter Lagen die Möglichkeiten der Polizeien nicht ausreichen und über eine Verfassungsänderung nachgedacht werden muss, trat zunächst Stillstand der Rechtspflege ein. Im Grunde geht es bei der Diskussion um sogenannte Unikatfähigkeiten der Bundeswehr wie zum Beispiel der Einsatz besonderer Aufklärungsmittel, Maßnahmen bei radioaktiven, biologischen und chemischen Angriffen, Umgang mit Minen und Sprengfallen und beim Massenanfall von Verwundeten. Und letztlich auch um Personalreserven zum Einsatz im kräftezehrenden Objektschutz.

Ein entsprechender allerdings entschärfter Passus fand dann auch Eingang in die aktuelle Fassung des Weißbuches, der sich allerdings nur lapidar auf die Verbesserung der Zusammenarbeit von Polizei und Bundeswehr im Rahmen von Übungen beschränkte. In der ursprünglichen Fassung war noch von einer Weiterentwicklung des Grundgesetzes die Rede, um die Einsatz der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr auf eine eindeutige Rechtsgrundlage zu stellen. In der Koalition wurde er auf Intervention der SPD gestrichen. In der Folgezeit äußerte sich folglich nur Vertreter der CDU/CSU. Bereits in einer Erklärung des Bundesinnenministeriums vom 11.8.2016 wurden regelmäßige Übungen der Sicherheitsbehörden auch gemeinsam mit der Bundeswehr gefordert, um bei einem etwaigen Einsatz der Streitkräfte im Innern gewappnet zu sein. Die Forderung wird in eine Erklärung der CDU/CSU-Innenminister und -senatoren vom 19. August 2016 dahingehend ergänzt, dass die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern ausgeweitet werden müssen. Ähnlich positioniert sich auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in eine Erklärung vom 2. September 2016. Aus der CSU wurden Stimmen laut, auch den Einsatz der Bundeswehr zur Unterstützung der Bundespolizei in Ausnahmelagen an der Grenze zu prüfen. Die Fraktion der Befürworter stand weitgehend allein, da selbst eine reine Vorsichtsmaßnahme wie die Verhängung der Bereitschaft für eine Feldjägereinheit und Sanitätskräften durch die Bundesverteidigungsministerin aus Anlass der Münchener Vorkommnisse von Sprechern der SPD und der Grünen zum Anlass genommen, der Ministerin Profilierungssucht vorzuwerfen. Allein die Tatsache, dass dieser im Gesamtgeschehen eher marginale Vorgang sofort zum Anlass genommen, den politischen Gegner am Zeug zu flicken, beweist, dass bei der Lösung von Sicherheitsfragen politische vor pragmatischen Aspekten rangieren, ein Verhalten, das bei einem Sicherheits-GAU fatale Folgen haben kann.

Wie man juristische Minenfelder vermeidet

Die Übungsanlage erstellte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Vorgesehen waren Einsätze als Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG und bei einem besonders schweren Unglücksfall nach Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG. Für die Szenarien wählte man zwar die Maxime „Das Undenkbare denken“, gleichwohl waren die Polizisten kontrollieren am 09.03.2017 in der Werdenfels Kaserne in Murnau (Bayern) während der gemeinsamen Anti-Terror-Übung von Polizei und Bundeswehr ein Auto.
Foto: © Sven Hoppe/dpa
Lagen eher konventioneller Natur. Sie sahen, soweit sie bekannt wurden, einen Bombenanschlag am Münchner Hauptbahnhof mit 20 Todesopfern, eine Amoktat in einer Schule in Bremen, einen bevorstehender Sprengstoffanschlag auf eine Schule im Saarland, eine Explosion auf dem Düsseldorfer Flughafen und zeitgleich Geiselnahmen Attentate in Köln, Münster und Osnabrück vor.

Polizisten in Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und im Saarland sowie 360 Soldaten der Bundeswehr übten drei Tage lang in einer Stabsrahmenübung das Zusammenwirken von Polizei und Streitkräften. Die Geschäftsbereiche des Bundesinnenministeriums und des Bundesverteidigungsministeriums waren ebenfalls beteiligt. Das Vorhaben wurde virtuell am grünen Tisch und in Konferenzräumen und mit Hilfe moderner Medien abgewickelt. Die ursprüngliche Idee, ein realistisches Szenario praktisch zu üben, wurde bereits im Vorfeld schnell verworfen. Wie so häufig, behalf man sich mit einer Version light.

Die Übungsziele waren allein schon übungsbedingt eher theoretischer Natur: Gegenseitiges Kennenlernen, Vertraut machen mit den jeweiligen Meldewegen, Befehlsketten und Kapazitäten und Einlesen und Einhören in die jeweiligen Befehlssprachen sowie Abstimmen der Tätigkeiten der Führungsstäbe. Die bekannt gewordenen Anträge an die Bundeswehr waren auch eher Petitessen wie Entschärfung von Sprengfallen, Einsatz von Spürhunden, Dekontamination oder Transport von Verletzten mit geschützten Krankentransportwagen an Ereignisorten, wo scharf geschossen wurde. Aber auch der Einsatz der Bundeswehr zur Evakuierung von Gebäuden, Verkehrslenkung und zum Objektschutz stand in Rede. Insgesamt 46 Ersuchen der Polizei ergingen, wovon 30 Katastrophenhilfe und 16 hoheitliche Maßnahmen betrafen. Zwei Hilfeersuchen wurden abgelehnt, andere mit Auflage versehen.
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Immer wieder wurde betont, dass die Hoheit über den Einsatz und die Führungsverantwortung bei der Polizei verbleiben muss. Allerdings sollte auch die militärische Befehls- und Kommandogewalt unverändert bleiben Da nur länderweise geübt wurde, stellte sich die viel wesentlichere Frage nach einer Übernahme der Führungsverantwortung bei länderübergreifenden Einsätzen nicht. Dann wäre nämlich die Stunde des Bundesinnenministers gekommen und das Manko evident geworden, dass die Bundesrepublik über keinen übergeordneten Polizeiführungsstab z. B. im Bundesinnenministerium unter Führung des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien der Länder verfügt. Zur Erinnerung: Beim Oderhochwasser lag letztendlich die gesamte Koordination der Katastrophenabwehr bei der Bundeswehr.

Die Reaktionen – mehr Emotion als Profession

Auch wenn die Teilnehmer ein repräsentatives Bild des deutschen Föderalismus und unterschiedliche politischer Richtungen verkörperten, meldeten sich bereits im Vorfeld kritische Stimmen. Einige Länder hielten die Übung für überflüssig, die Polizeigewerkschaften die Ausgangsszenarien für überzogen. Und wenn die Irene Mihalic
Foto: © Babman/wikipedia
innenpolitische Sprecherin der Grünen Mihalic im übertriebenen Duktus behauptet, dass mit der gemeinsamen Übung auf unverantwortliche Weise der Grundsatz infrage gestellt wird, dass die innere Sicherheit Hoheitsaufgabe der Polizei ist, beweist sie damit allenfalls Unkenntnis der Verfassung, der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Paradigmenwechsels, wonach die Polizei zwar Garant der inneren Sicherheit, aber nicht deren Monopolist ist. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius sprach sich im Vorfeld gegen diese Übung aus, um dann bei der Frühjahrstagung der IMK in Dresden für Übung zur Abwehr von Cyberangriffen auf kritische Infrastrukturen zu plädieren. Der Übung kam zugute, dass zu diesem Zeitpunkt mit dem saarländischen Innenminister Klaus Bouillon ein engagierter Förderer gemeinsamer Übungen den Vorsitz der Innenministerkonferenz innehatte.

Ein höherer Offizier der Bundeswehr meinte trocken: „Wir reißen uns nicht darum.“ Offensichtlich war er sich nicht im Klaren darüber, dass ein Beitrag der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr im Innern nach Umfragen bei der Bevölkerung bedeutend größere Akzeptanz hat als kostenträchtige Auslandseinsätze mit umstrittenen Ergebnissen.

Der Berg kreißte…

Die Ergebnisse der Übung sind, gemessen am Aufwand und an den Medienauftritten der Beteiligten, eher dürftig. Was geübt wurde, bewegte sich dank der eher unterschwelligen Übungsszenarien wohl eher im Bereich der gesteigerten Amtshilfe, trug aber offensichtlich nicht zur Lösung der Probleme bei Vollzugsmaßnahmen bei. Ein eigentlich übungswürdiges Menetekel wäre der länderübergreifende terroristische Angriff auf Kritische Infrastrukturen gewesen. Denkbare Szenarien gibt es zuhauf. Die tatsächlichen Erkenntnisse sind überschaubar: Die Anforderungswege wurden als zu schwerfällig und zeitaufwändig moniert. Man habe Erkenntnisse über Kommandostrukturen, Alarmierungsketten und Entscheidungswege sowie über den Zeitaufwand gesammelt, die sich im Übrigen bei der Polizei in jedem Bundesland anders darstellen werden und sich beim Ausfüllen der Anträge bereits in den ersten Übungsstunden als Hemmnis herausstellte. Interessant wäre es gewesen, etwas über die Zeitabläufe zu erfahren, wenn bei hoheitlichen Eingriffs- und Zwangsbefugnissen das Bundesministerium der Verteidigung entscheiden muss.
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Von der 206. Sitzung der Innenministerkonferenz vom 12. Juni bis 14.Juni 2017 wurde auch nur bekannt, dass gemeinsame Auswertungen geplant sind, um Erkenntnisse für weiteres Vorgehen zu sammeln und die Möglichkeit einer praktischen Übung zu eruieren. Eine höfliche Umschreibung für den Umstand, dass man die eigentlichen Probleme wiederum auf eine (lange) Zeitschiene setzen wird.

Immerhin hat sich die CDU/CSU-Fraktion in ihrem aktuellen Programm für die Jahre 2017 bis 2021 festgelegt: „In besonderen Gefährdungslagen werden wir die Bundeswehr unter Führung der Polizei unterstützend zum Einsatz bringen. Dabei wollen wir zunächst den bestehenden Rechtsrahmen ausschöpfen. Bei der Abwehr eines besonders schweren Terrorangriffs kann die Polizei an die Grenzen ihrer Möglichkeiten kommen. Die Bundeswehr soll dann die Polizei unterstützen. Solche Einsätze unter Leitung der Polizei müssen regelmäßig geübt werden.“

Ansonsten ist von etwaigen erforderlichen gesetzlichen Änderungen an keiner Stelle die Rede. Das aktuelle Weißbuch hat sich ausdrücklich der Perspektive der „vernetzten Sicherheit und „der Verbesserung der zivil-militärischen Zusammenarbeit“ verschrieben. Auf fruchtbaren Boden scheint die Absicht nicht gefallen zu sein. Unverändert werden die Schlachten von gestern geschlagen. Es müsste eigentlich für jeden verantwortlichen Politiker eine Horrorvorstellung sein, dass bei einer größeren Terrorlage, die mögliche Hilfe durch die Bundeswehr an seit Jahren bekannten, aber nicht gelösten Rechtsfragen scheitert. Recht hat sich an den Realitäten zu orientieren, nicht umgekehrt. Die Aktualisierung des letzten Weißbuches dauerte Jahre. Auch darf man gespannt sein, ob eine derartige Übung überhaupt wiederholt wird. Zumindest hörte man bereits aus Bremen Einwände gegen eine praktische Übung, „um die Bevölkerung nicht zu verunsichern.“

 

Über den Autor
Bernd Walter
Bernd Walter
Bernd Walter, nach vierzigjähriger Dienstzeit in der Bundespolizei mit unterschiedlichen Verwendungen im Führungs-, Einsatz-, Ausbildungs- und Ministerialbereich als Präsident des Grenzschutzpräsidiums Ost in den Ruhestand getreten. Anschließend Vorbeitrittsberater* der EU bei unterschiedlichen Sicherheitsbehörden in Ungarn. Autor zahlreicher Fachbeiträge zu Fragen der inneren und äußeren Sicherheit.
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