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Hauptsitz des Bundesministeriums des Innern in Berlin.
Foto: © C. Müller, wikimedia/ CC BY-SA3.0

Die Effizienz der deutschen Polizeien auf dem Prüfstand

Zwischen föderaler Vielfalt und der Forderung nach einem Musterpolizeigesetz

Von Bernd Walter

Als der vormalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer das Amt des Bundesinnenministers antrat, erwartete die Fachwelt grundsätzlich Aussagen zur Migrationskrise und zum Grenzschutz. Doch es kam anders: Auf dem Spitzenplatz seiner Agenda stand die Absicht, ein Musterpolizeigesetz zu fördern, um tatsächliche oder vermeintliche Sicherheitslücken in der deutschen Polizeilandschaft zu schließen. Der nachfolgende Beitrag behandelt einige Aspekte dieser Entwicklung.

Eine unerwartete Wende

Die Polizeigesetze von Bund und Ländern verpflichten alle Beteiligte zur gegenseitigen Hilfeleistung. Dies ist unter anderem Ausdruck der Bundestreue und ein Bekenntnis zum ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz der gemeinsamen Gefahrenabwehr, der allerdings häufig genug mit der Verfassungswirklichkeit kollidiert. Bei Großeinsätzen kommen in aller Regel Polizeivollzugsbeamte aus mehreren Bundesländern und vom Bund zum Einsatz, die allesamt nach Polizeigesetzen ausgebildet wurden, die schon seit langem nicht mehr kompatibel sind. Für den Einsatz gilt jedoch ausnahmslos das Polizeigesetz des anfordernden Landes. Andererseits kann Markus Ulbig
Foto: © Steffen Prößdorf,, wikipedia/ CC BY-SA3.0 de
keinem Polizeivollzugsbeamten zugemutet werden, sich mit den Feinheiten von 16 verschiedenen Länderpolizeigesetzen und von zwei Bundespolizeien zu beschäftigen.

Das bunte Ensemble der unterschiedlichen legislativen Ansätze der Länderpolizeigesetze, das Fehlen bestimmter Befugnisse in einigen GdP-Bundesvorsitzender Oliver Malchow
Foto: © GdP
Polizeigesetzen und die Defizite bei der Verfolgung des islamistischen Terrorismus waren wohl der entscheidende Impetus, dass in der 206. Sitzung der Innenministerkonferenz im Herbst 2017 gesetzgeberischen Handlungsempfehlungen zur Erarbeitung eines Musterpolizeigesetzes verabschiedet wurden. Von ihm erwartet man einen hohen gemeinsamen gesetzlichen Standard sowie eine effektive Erhöhung der öffentlichen Sicherheit. Das Mustergesetz soll als verbindliche Folie deutschlandweit trotz grundsätzlicher Länderzuständigkeit für gleiche Standards sorgen, da „Befugnislücken Sicherheitslücken sind“, so der sächsische Innenminister Ulbig als damaliger IMK-Vorsitzender. Sekundiert wurde er vom damaligen Bundesinnenminister de Maizière: „Wir brauchen keinen Flickenteppich bei der Inneren Sicherheit.“ Auch der der GdP-Bundesvorsitzende Malchow begrüßte die Initiative als langjährige Forderung der Gewerkschaft, um sie dann um die Forderung nach Vereinheitlichung der Ausbildung, Ausstattung und Bezahlung der Polizeibediensteten zu erweitern. Und der Bund Deutscher Kriminalbeamter war von jeher für eine Vereinheitlichung der Instrumentenkästen in der Gefahrenabwehr, zumal den Kriminalisten durch die in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes liegende Strafprozessordnung ohnehin einheitliche Befugnisse zur Verfügung stehen.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Bei der nunmehr entfachten sicherheitspolitischen Diskussion unter Beteiligung des Bundesinnenministers verwundert der ihr zugrundeliegende Optimismus. Offensichtlich hat man jene quälenden Diskussionen auf dem Weg zum „Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder“ vergessen, der auf der Sitzung der Innenministerkonferenz am 10./11.6.1976 (!) verabschiedet wurde. Drei Jahre dauerten die Vorarbeiten, und trotz guter Ansätze blieben grundlegende Fragen offen. Da aufgrund der Verfassungslage weder Bund noch Länder zur Übernahme verpflichtet werden konnten, entwickelte sich in den Folgejahren vielmehr legislatorisches Patchwork, das bei jedem grundlegenden Regierungswechsel einer erneuten Kosmetik unterzogen wurde.

Die aktuellen Polizeigesetze sind ein Spiegelbild des bundesdeutschen Sicherheitsföderalismus, wobei es dem Bund zum Beispiel. bis heute nicht gelungen ist, seine Zwangsanwendungsmittel mit dem damaligen Entwurf kompatibel zu machen. Die Leidtragenden sind nicht nur die Polizisten, bei denen wohl bei länderübergreifenden Einsätzen die grundlegende Kenntnis von 16 unterschiedlichen Polizeigesetzen erwartet wird, sondern auch die in Sicherheitsfragen zunehmend sensibilisierte Holger Münch, BKA Präsident
Foto: © BKA
Öffentlichkeit, der in den aktuellen Untersuchungsberichten zum Beispiel zu den NSU-Ereignissen, den Vorkommnissen um den G-20-Gipfel und in der Al-Amri-Affäre deutliche Defizite in der föderalen Sicherheitsarchitektur aufgezeigt wurden. Der Präsident des Bundeskriminalamtes Münch wartete hierzu in einem Vortrag der BKA-Herbsttagung 2017 mit einem höchst instruktiven Beispiel auf: „Was passiert zum Beispiel, wenn ein Gefährder von Bayern nach Berlin ziehen möchte? Rechtlich kann ihn daran in der Regel keiner hindern. Das Maßnahmenkonzept in Bayern sieht in diesem Beispielsfall eine Überwachung mit elektronischer Fußfessel vor. Zur Gefahrenabwehr hat man ihn darüber hinaus möglicherweise einer Telekommunikationsüberwachung unterzogen. Die Berliner Polizei hingegen hat dafür nicht die notwendigen gesetzlichen Befugnisse.“ Der Präsident warnt als Konsequenz davor, dass Sicherheit nicht vom Wohnort abhängig sein darf und ergänzt, dass die Bevölkerung in einem einheitlichen Gefahrenraum den berechtigten Anspruch auf einen einheitlichen Schutzstandard hat.

Über die Roadmap zur Einführung des Musterpolizeigesetzentwurfs ist nur wenig bekannt geworden. In einer Pressemitteilung der Pressestelle des Landes Sachsen hieß es lediglich dürr: „Bei der geplanten Harmonisierung der Landespolizeigesetze einigten sich die Minister und Senatoren auf einen Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz.“ Verantwortlich wird eine durch den Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz eingerichtete länderoffene Arbeitsgruppe (AG-MPG) unter Beteiligung des Bundes sein, die sich zwischenzeitlich konstituierte. Sie soll die anstehenden Probleme priorisieren und paketweise abarbeiten. Federführend sind die jeweils zuständigen Referatsleiter in den Ländern; inwieweit diese auf weiteren Sachverstand aus Wissenschaft und Praxis zurückgreifen oder zivilgesellschaftliche Gruppierungen beteiligen, bleibt abzuwarten. Allerdings lässt sich bereits jetzt absehen, dass die Novellierungen des BKA-Gesetzes nicht ohne Einfluss auf die Meinungsbildung sein werden. Bei der Folgesitzung der IMK stand jedenfalls das Thema nicht auf der Tagesordnung.

Die ersten zaghaften Reaktionen in den Medien sind eher von Skepsis bestimmt. Weniger in Hinblick auf den zu erwartenden Zeitkorridor, sondern eher durch Befürchtungen über mögliche Verschärfungen des polizeilichen Eingriffsinstrumentariums bestimmt. Für die Polizeipraxis steht allerdings die Frage in den Vordergrund, wie das in der Vergangenheit festgestellte Auseinanderdriften der einzelnen Ländergesetze künftig verhindert werden soll bzw. wie Bund und Länder auf einheitliche Standards eingeschworen werden können, denn vertragliche Regelungen zum Beispiel durch Staatsverträge oder ähnliche bindende Mechanismen dürften kaum zu erwarten sein.

Die Schere klafft immer weiter auseinander

Bereits in der Vergangenheit war die Polizeigesetzgebung der Länder von divergierenden Entwicklungslinien bestimmt, zumal sie alle auf ein Oktroi der unterschiedlichen Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg zurückzuführen sind. Selbst bei der Wiedervereinigung wurde zumindest für die neuen Bundesländer die Möglichkeit einer Vereinheitlichung nicht am Schopf gepackt. Stattdessen imitierten die Beitrittsländer die Vorbilder ihrer Partnerländer. Protypisch für mangelnde Einheitlichkeit in der Vergangenheit war das Gezerre um die Einführung der Schleierfahndung, die eigentlich als Ausgleichsmaßnahme für die weggefallenen Binnengrenzkontrollen im Schengenraum gedacht war. Nordrhein-Westfalen will sie erst jetzt bei der anstehenden Novellierung des Polizeigesetzes als „Strategische Fahndung“ einführen, der rot-rote Senat der Bundeshauptstadt sperrt sich unverändert aus ideologischen Gründen gegen eine Einführung, obwohl Berlin am meisten von der grenzüberschreitenden Kriminalität betroffen ist. In anderen Befugnisbereichen ist die Situation ähnlich. Die Telekommunikationsüberwachung gibt es in 11 Bundesländern, die Quellen-TKÜ in vier Bundesländern, die Online-Durchsuchung in zwei Bundesländern und die Auskunft über Nutzerdaten gem. § 15 Abs. 1 TMG in acht Bundesländern.

Angesichts der derzeitigen Rechtslage erhebt sich die Frage nach den Chancen eines Musterpolizeigesetzes, denn ausgerechnet in der derzeitigen Phase schicken sich nahezu alle Bundesländer an, ihre Polizeigesetzes zu novellieren. Baden-Württemberg hat die Novellierung bereits 2017 abgeschlossen, wobei erstmalig bei den Zwangsmitteln der Einsatz von Explosivmitteln zugelassen wird, wenn der Einsatz von Schusswaffen gegen Personen untunlich ist oder keinen Erfolg verspricht.

Die weitreichendsten Neuerungen plant der Freistaat Bayern. Hiergegen regt sich zwar massiver Protest, es ist aber nicht anzunehmen, dass – wie in vergleichbaren Fällen auch – Sachverstand statt Emotion die Beweggründe sind. Bayern erschein es aufgrund der leidvollen Ereignisse der jüngsten Zeit sinnvoll, als besonders gefährlich eingestufte Personen effektiver zu überwachen und bereits im Vorfeld einer konkreten Gefahr tätig zu werden, um Kausalverläufe zu unterbinden, bevor diese sich zu einer potenziellen Gefahr auswachsen. Dazu bemüht der Freistaat den Begriff der drohenden Gefahr, der sofort von den Gegnern der Novellierung in einen allgemeinen Generalverdacht umgedeutet wurde und der Polizei angeblich ermöglich, gegen jeden unbescholtenen Bürger vorzugehen. Dabei handelt es sich lediglich um eine Erweiterung des klassischen Gefahrenbegriffes, der dem derzeitigen Sicherheitsszenario angepasst wird. Im Gegensatz zur klassischen konkreten Gefahr, bei der ein Einschreiten erst bei Verletzung eines polizeilichen Schutzgutes im Vordergrund steht, reicht bereits die Wahrscheinlichkeit einer Schutzgutverletzung. Aber auch die muss erst einmal begründet werden.

Bundesweites Fahndungsplakat nach Anis Amri.
Foto: © C wikipedia gemeinfrei
Die Regelung ist lediglich Folge der jüngsten Defizite beim Umgang mit terroristischen Gewalttätern – von den NSU-Mordbrennern bis zum Fall Amri, der sich jahrelang illegal mit 16 Alias-Identitäten in Deutschland aufhielt und dessen Gefährlichkeit offensichtlich noch nicht einmal im GTAZ erkannt wurde. Für derartige Modi operandi müssen adäquate Gegenstrategien entwickelt werden, will der Staat nicht bereits in der Aufwärmrunde kapitulieren. Immerhin hat bereits das Bundesverfassungsgericht in der Verfassungsbeschwerde gegen die Novellierung des BKA-Gesetzes festgestellt, dass der Gesetzgeber von Verfassung wegen nicht von vornherein bei der Gefahrenabwehr auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt ist, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen für bestimmte Bereiche mit dem Ziel schon der Straftatenverhütung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an den Kausalverlauf reduziert. Allerdings müssen bestimmte Tatsachen festgestellt sein, die im Einzelfall die Prognose eines Geschehens tragen, das zu einer zurechenbaren Verletzung relevanter Schutzgüter führt.

Die Botschaft hör‘ ich wohl

Dr. Günter Krings
Foto © Henning Schacht/BMI
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenminister, Dr. Günter Krings, betonte in einem Interview, dass der Föderalismus kein Vorteil für Verbrecher sein darf. Terroristen und Kriminelle dürfen nicht von unterschiedlichen Zuständigkeiten in Deutschland profitieren. Vielmehr müsse sich die Sicherheitsarchitektur an den aktuellen Bedrohungen orientieren.

Wie so häufig, sind die Kriminalbeamten in ihren Innovationsbestrebungen weiter. Jenseits aller nationalen Eifersüchteleien fordern sie bereits eine Europäische Strafprozessordnung und ein Europäisches Strafrecht für schwerwiegende Delikte sowie für Straftaten zum Nachteil der Europäischen.

Hans-Georg Maaßen
Foto © BfV/Katja-Julia Fischer
Gleichwohl bleiben Zweifel am Gelingen des Projektes. Der Bund ist trotz der Ankündigungen des Bundesinnenministers gar nicht zuständig, da die Gefahrenabwehr zuvörderst Angelegenheit der Länder ist. Ob dort ein entsprechender politischer Wille vorhanden ist, muss angesichts der heftigen Widerstände in Zweifel gezogen werden, die bereits bei den ersten zaghaften Versuchen des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, aufbrandeten, als dieser die Zentralstellenfunktion seines Amtes stärken und ein länderübergreifendes Direktionsrecht etablieren wollte. Vestigia terrent – die Spuren schrecken. Vom Entwurf eines Musterpolizeigesetzes aus den siebziger Jahren des vorigen Millenniums ist nur eine Hülle übrig geblieben, da föderale Vorbehalte, innenpolitische Profilierung und parteitaktische Profitmaximierung eine üble Mitgift für die Umsetzung der ursprünglichen Idee waren. Warum sollte es dem neuen Entwurf besser ergehen?

 

Über den Autor
Bernd Walter
Bernd Walter
Bernd Walter, nach vierzigjähriger Dienstzeit in der Bundespolizei mit unterschiedlichen Verwendungen im Führungs-, Einsatz-, Ausbildungs- und Ministerialbereich als Präsident des Grenzschutzpräsidiums Ost in den Ruhestand getreten. Anschließend Vorbeitrittsberater* der EU bei unterschiedlichen Sicherheitsbehörden in Ungarn. Autor zahlreicher Fachbeiträge zu Fragen der inneren und äußeren Sicherheit.
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