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Demonstranten gegen Frontex vor dem Hauptsitz in Warschau.
Foto: ©Naborder Network/wikipedia, CC BY 2.0

Grenzen ohne Wert

Die Migrationskrise und kein Ende

Von Bernd Walter

Auf Seite 2 der Bundestagsdrucksache 18/7311 kann man das Eingestehen einer Fehlentscheidung nachlesen: „Die Bundesregierung hat auf Grund des bis dahin ungesteuerten und unkontrollierten immensen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in das Bundesgebiet am 13. September 2015 Grenzkontrollen an den deutschen Binnengrenzen mit dem Schwerpunkt an der deutsch-österreichischen Landesgrenze vorübergehend wieder eingeführt. Dieses Vorgehen war erforderlich, um wieder zu einem geordneten Verfahren an der Binnengrenze bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms zu gelangen und Aspekten der öffentlichen Ordnung und innere Sicherheit Rechnung zu tragen.

Einige Rechtstatsachen

Die temporäre Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen ist ein wichtiges Instrumentarium, damit die Mitgliedstaaten nach Maßgabe der schengenrechtlichen Bestimmungen in eigener Souveränität rasch reagieren können.“ Vorangegangen war unter dem Rubrum „Wir schaffen das“ eine längere Phase allgemein verbreiteter Willkommenseuphorie, die schleichend in eine Diskussion vom Staatsversagen und vom Kontrollverlust überging. Das endgültige Schuldbekenntnis erfolgte dann auf S. 103 des Entwurfes des aktuellen Koalitionsvertrages der GroKo 2018: „Deswegen setzen wir unsere Anstrengungen fort, die Migrationsbewegungen nach Deutschland und Europa mit Blick auf die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft zu steuern und zu begrenzen, damit sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholt.“

Ob denn nun tatsächlich seitdem ein geordnetes Verfahren herrscht, wird kontrovers diskutiert, denn der Wiedereinführung der Grenzkontrollen lag lediglich eine mündliche und zu keinem Zeitpunkt schriftlich nachgereichte Weisung des Bundesinnenministeriums zugrunde, dass Drittstaatenangehörigen ohne aufenthaltslegitimierende Dokumente und mit Vorbringen eines Asylbegehens die Einreise zu gestatten ist. Selbst einer Expertise der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages gelang nicht der Nachweis, wie die Entscheidung zur ursprünglichen Grenzöffnung eigentlich zustande gekommen ist und wer letztendlich die Verantwortung dafür trug. In der gleichen Expertise wird auch thematisiert, ob für eine derart weitreichende und das Gemeinwesen erschütternde Entscheidung nicht Unterzeichnungsort des Schengener Übereinkommens von Schengen, Luxemburg, Gemeinde an der Mosel im Dreiländereck Deutschland–Frankreich–Luxemburg
Foto: © Denise Hastert /wikipedra CC BY SA 4.0
zumindest eine normative Absicherung oder eine Beteiligung des Parlaments erforderlich gewesen wäre.

So kommen seitdem monatlich rund 15.000 Asylbewerber nach Deutschland, denen –würden die geltenden Bestimmungen angewendet werden- eigentlich nach § 18 Abs. 2 Asylgesetz die Einreise zu verwehren ist, auch wenn das Gemeinschaftsrecht die nationale Regelung überlagert und Ausnahmen zulässt. Wer aus einem Mitgliedstaat der EU einreist, kann sich grundsätzlich nach Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG, § 26a Abs. 1 S. 1 Asylgesetz nicht auf das Asylgrundrecht berufen. Bei den eigentlich auf Rechtsstaatlichkeit eingeschworenen Bundespolizisten herrschen wegen dieses zu keiner Zeit begründeten „grenzenlosen“ Verfahrens erhebliche Frustrationen, zumal sie täglich zwischen 100 und 200 illegal eingereiste Personen aufgreifen.

Einige Fakten

Im Jahre 2017 wurden in Deutschland 186 644 Asylsuchende registriert, wobei auf den ersten drei Plätzen Syrien mit 47.434, Irak mit 21.043 und Afghanistan mit 12.346 Personen vertreten waren. Auch wenn diese Zahl im Vergleich zum Ausnahmevorjahr offiziös als Erfolg gefeiert wurde, bleibt die Tatsache bestehen, dass es sich um eine Größenordnung der Bevölkerungszahl einer Stadt wie Mainz handelt. Deutschland hat zwischenzeitlich rund 70 Prozent aller Flüchtlinge Richtung Europa aufgenommen hat. Die restlichen Prozente verteilen sich auf 27 EU-Staaten. Überlagert wird diese Schieflage durch einen Riss durch Europa bei der Bewertung der Übernahme fester Quoten, gegen diese sich nicht nur die osteuropäischen EU-Partner wehren. Ohnehin spricht Europa bei der Handhabung der Asylregelungen eine höchst unterschiedliche Sprache. So werden bei gleichen Voraussetzungen und gleichem Herkunftsland Asylbewerber in Deutschland zu 50 Prozent, in Ungarn nur zu 15 Prozent anerkannt.

Die Probleme sind unterdessen bei der Bevölkerung und in der Politik angekommen. So registriert man mit Erstaunen, dass der Attentäter Amri jahrelang die Behörden mit unterschiedlichen Identitäten an der Nase herumführte, dass rund 80 Prozent der Migranten keine Personalpapiere, aber ein Handy haben, dass ein Oberleutnant der Bundeswehr, obwohl der arabischen Sprache nicht mächtig, bei einem offensichtlich überforderten Befragen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als syrischer Flüchtling durchging. Die Willkommenseuphorie weicht immer mehr der nüchternen Realität, zumal zumindest ansatzweise die Kosten deutlich werden. Ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling belastet die Kommunen monatlich mit im Schnitt 5.000 Euro. Allein für die Beschulung von Flüchtlingskindern wurde ein Bedarf von 30.000 bis 40.000 Lehrer errechnet. Hierfür entstehen allein Kosten von zwei Milliarden pro Jahr. Verlässliche Kosten für die Bereitstellung von Sozialpädagogen, Psychologen, Therapeuten und Dolmetscher fehlen völlig. Und alles bezieht sich auf den Status quo, weil die Konsequenzen künftiger Entwicklungen in der Diskussion weitgehend ausgeklammert werden.

Ein besonders sensibles Thema ist die mögliche Zunahme der Kriminalitätsbelastung durch Zuwanderer. Bei Fachleuten besteht Konsens, dass alle Meldungen über die Kriminalität von Ausländern mit Vorsicht zu genießen sind, da sie oft interessengesteuert sind und flächendeckende Untersuchungen, wie viel Kriminalität tatsächlich importiert wird und ob irreparable Sicherheitsprobleme eingetreten sind, noch ausstehen. Die Sozialwissenschaften, stets auf der Suche nach einem medienträchtigen Nischenthema, gehen an diese Bereiche nur mit spitzen Fingern heran. So gibt es zum Beispiel auch über das Bestehen und die Auswirkungen von Parallelgesellschaften viel Spekulatives, aber wenige handfeste valide Untersuchungen.

Auch die Diskussion, warum gerade Deutschland unter Flüchtlingen als Hort der Seligen angesehen ist, wird weitgehend vermieden. Es sind dies neben den Benefizien der deutschen Sozialsysteme die weitgehenden durch eine Heerschar interessierter Rechtsbeistände geförderten Rechtsschutzmöglichkeiten und das Wirken einer vielfältigen Allianz von Unterstützern und Aktivisten mit durchaus unterschiedlichen Motiven. Fast jeder zweite Migrant klagt gegen seinen Bescheid. Die Gerichte geben fast jeder vierten Klage Recht. Die Kosten betrugen 2017 mehr als 20 Millionen Euro und werden durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getragen. Allein in Sachsen entstanden Kosten von über 6 Millionen für Dolmetscher.

Wie eingehend die Schwachstellen des deutschen Asylsystems bei Schleuserorganisationen und Aktivisten ausgenutzt werden, beweisen die Verfahrensweisen bei den unbegleiteten Minderjährigen. Minderjährige sind strafrechtlich bei der Betreuung und beim Schutz vor Abschiebungen privilegiert. Zwischenzeitlich sind in den vergangenen Jahren rund 56.000 echte oder vorgetäuschte unbegleitete Angehörige dieser Gruppierung nach Deutschland gelangt. Bei einer erkennungsdienstlichen Nachbehandlung von 1.000 Minderjährigen in Baden-Württemberg wurde festgestellt, dass über 500 bereits über die Fingerabdruckdatei Eurodac in anderen europäischen Ländern registriert waren, bei 50 falsche Angaben über Alter oder strafrechtliche Ermittlungen vorlagen. Bei einem Test im Saarland wurde ermittelt, dass über 30 Prozent ihre Minderjährigkeit nur vorgetäuscht hatten. Immer deutlicher werden sie zu Problemen der rund 300 Landkreisverwaltungen, deren Jugendämter zurzeit rund 44.000 Minderjährige betreuen. Gleichwohl betrachten interessierte Kreise eine verpflichtende Röntgenkontrolle der Handknochen zur Feststellung des Alters als gravierenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und beschwören etwaige Gesundheitsgefahren, die allerdings von Fachleuten schon mehrmals ad absurdum geführt wurden. Einen besonders pragmatischen Weg geht Hamburg: Die Untersuchung erfolgt auf freiwilliger Basis. Im Falle einer Weigerung wird Volljährigkeit angenommen.

Die aktuelle Migrationslage – zugleich eine Analyse der Schwachstellen

Auch wenn grundsätzlich bei der irregulären Migration über die Außengrenzen der EU und der Sekundärmigration innerhalb EU von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist, steht fest, dass nicht nur nicht die Migration auf den bisherigen Routen wirksam unterbunden wurde, sondern dass die Schleuserorganisationen fortlaufend und flexibel neue Modi operandi der Einschleusung entwickeln. Zu den aktuell praktizierten Verfahren gehören neben den klassischen Methoden die Nutzung der Luftwege oder Behältnisschleusungen zum Beispiel in Lastkraftwagen. Zunehmend dreister nutzen die Schleusergruppierungen die sozialen Medien; auf Facebook ist ein Sonderangebot von 9.000 € für die Schleusung einer vierköpfigen Familie von der Türkei nach Deutschland eingestellt. Eine bei Europol geführte Datei verzeichnet 1.150 Accounts in sozialen Medien, über die Migranten Unterstützung bei der Einreise in die EU angeboten wird.

Die Masse der Zuwanderer kommt einerseits über die klassischen Routen, aber zunehmend werden auch neue Wege bekannt. Nach der Vereinbarung mit der Türkei ist der Zugang über die Ägäis zwar deutlich gesunken, bewegt sich aber immer noch auf einem hohen Niveau. Die so genannte Balkanroute ist keineswegs dicht, zum Teil wird sie auf neuen Routen aus der Türkei über das Schwarze Meer nach Rumänien umgangen. Allerdings dürften weder Bulgarien noch Rumänien imstande sein, ihre Küstenregion wirksam zu kontrollieren, so dass Rumänien zunehmend zum Dreh- und Angelpunkt von Schleusungen auf der Balkanroute wird. Aktuell verstärkt sich der Zustrom Illegaler insbesondere aus den Armutsstaaten südlich der Sahara über die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta oder die Straße von Gibraltar nach Spanien. Waren es 2016 noch 8.000, wurden 2017 schon 22.000 Migranten in Spanien registriert.

Die Balkanhalbinsel
Foto: © Captain Blood, wikipedia CC BY SA 3.0
Die Schwachstelle der irregulären Migration im Mittelraum ist Libyen, ein gescheiterter Staat mit unterschiedlich rivalisierenden Gruppen, bei der die Einheitsregierung unter al-Farradsch nahezu keinen nennenswerten politischen Einfluss hat. Fachleute vermuten zwischen 400.000 und 1.000 000 Migranten in Libyen und den angrenzenden Gebieten, die auf eine Chance auf eine Überquerung des Mittelmeeres warten. Neben Syrern, Afghanen und Iraker handelt es sich um Personen vornehmlich aus Nigeria, Eritrea, Guinea, Gambia, Kamerun, Burkina Faso und Mauretanien sowie zunehmend aber auch um Südostasiaten aus Bangladesch und Pakistan.

Die finanziellen Angebote der EU an die Übergangsregierung al-Farradsch zum Aufbau einer effizienten Küstenwache, zur Verstärkung des Grenzschutzes an der südlichen Grenze zum Tschad und Niger und zur Verbesserung der Situation in den Auffanglagern waren bisher nicht vom Erfolg gekrönt, denn zwischenzeitlich haben die unterschiedlichsten Gruppierungen den Menschenhandel als einträgliches Geschäft erkannt. Skrupellose Schleuserorganisationen pressen 100 Menschen auf Boote, die allenfalls für 20 Passagiere gedacht sind und starten die Boote mit einem geringen Benzinvorrat aus, der lediglich dazu dient, die libyschen Hoheitsgewässer zu verlassen. Den Rest überlässt man dann den vor den libyschen Hoheitsgewässern kreuzenden staatlichen und privaten Rettungsorganisationen, die damit indirekt dem Schleppergeschäft Vorschub leisten.

Der nationale Grenzschutz – zwischen Dürfen und Können

Entgegen den immer wieder sporadisch auftauchenden Anmerkungen interessierter Kreise, dass Bundespolizei nicht in der Lage wäre, größere Migrationsbewegungen an der Grenze zu kontrollieren, ist die Bundespolizei grundsätzlich für eine verdichtete Grenzüberwachung gerüstet. Bereits beim Massenansturm illegaler Einreisender nach der Implosion der Ostblockstaaten in den neunziger Jahre hat der damalige Bundesgrenzschutz unter bedeutend schlechteren Vorzeichen seine Professionalität bei der Kontrolle der illegalen Einreisen an der deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Grenze bewiesen. Nach Insiderberichten wäre er auch in der Lage gewesen, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise die Lage an der deutsch-österreichischen Grenze in den Griff zu bekommen statt taten- und fassungslos die Öffnung der Schleusen und damit den unkontrollierten Zustrom von Drittstaatenangehörigen beobachten zu müssen. Alle operativen und logistischen Vorbereitungen waren getroffen, aber das politische „Go“ blieb aus. Über die Gründe darf spekuliert werden. Nicht ohne Zufall ist der Jahresbericht 2016 der Bundespolizei erst mit gehöriger Verzögerung nach den Landtagswahlen in Niedersachsen und der Bundestagswahl vorgelegt worden.

Einen bezeichnenden Blick auf die derzeitige Sicherheitslage werfen die Ergebnisse der vorübergehenden Wiedereinführung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen beim G 20-Gipfel vom 12.6. bis 10.7. 2016. Obwohl nur ein Bruchteil der Reisenden kontrolliert wurde, wurden 6.125 Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz, 4.546 unerlaubte Einreisen, 812 Verstöße gegen das BtMG sowie 187 Urkundendelikte festgestellt. Ferner wurden 4.404 Fahndungstreffer erzielt und 782 Haftbefehle vollstreckt.

Allerdings zahlt die Bundespolizei jetzt die Zeche dafür, dass beim Wegfall der Binnengrenzkontrollen im Rahmen des Schengenprozesses die Rechnung ohne den Wirt gemacht wurde. Geschäftsgrundlage war nämlich ein funktionierender Außengrenzschutz, der allerdings selbst heute noch eine löchrige Fassade ist und bei seriöser Betrachtung auch á la longue nicht funktionieren wird. Auf der IMK-Konferenz am 12./14.6.17 in Dresden wurde festgestellt, dass EU-Außengrenzschutz unverändert nicht gewährleistet und Fortführung der Binnengrenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze erforderlich ist. Gleichzeit wurde eine lageabhängige Verstärkung der Bundespolizei durch die Zollverwaltung und die Länderpolizeien gefordert, denn illegale Einreisen gibt es auch an den anderen Grenzen. So hat die Verschärfung der Asylpolitik in den skandinavischen Staaten zur Folge, dass vermehrt dort abgewiesene Asylbewerber illegal auf dem Landweg oder mit der Fähre nach Deutschland einreisen, um dort erneut Asylanträge zu stellen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind zwischen Januar und Oktober 2017 allein 1.455 Personen aus diesem Personenkreis auf dem Landweg, 814 Personen mit der Fähre nach Deutschland gelangt. Eine Verschärfung der Lage ist zu erwarten, da zum Asylzeichen am Liebfrauendom zu München (Kreuz in einem Schild, unten), unter einer Darstellung der Ölbergszene, die außen an Kirchen Hinweis auf ein Kirchenasyl ist.
Foto: ©Aleister Crowley, gemeinfrei, wikipedia
Beispiel das liberale Schweden die Rückführung von bis zu 80.000 abgelehnten Asylbewerbern, notfalls auch mit Zwang, plant.

Ein beliebtes Stammtischthema sind Abschiebungen, wobei die damit verbundenen Probleme kaum bekannt sind. Im Jahre 2017 wurden lediglich 26.654 Personen abgeschoben, obwohl rund 230.000 ausreisepflichtig waren. Entweder verweigern die Herkunftsstaaten, wenn sie überhaupt feststellbar sind, die Rücknahme oder die Ausreisepflichtigen legen ärztliche Atteste vor, sind untergetaucht, haben geheiratet, haben Kinder im schulpflichtigen Alter oder nehmen Kirchenasyl in Anspruch. Das deutsche redundante Rechtsschutzsystem ermöglicht selbst bei einem ablehnenden Bescheid eine Chance auf ein Bleiberecht. Ende Januar 2018 sollte von Düsseldorf ein Sammelflug mit 80 abgelehnten Asylbewerbern nach Afghanistan erfolgen, tatsächlich flogen nur 17. Die Masse machte Krankheit gelten oder hatte Einsprüche eingelegt. Kostenpunkt für den Charterflug: über 300.000 €. Teilweise unterbinden Verwaltungsgericht Abschiebungen selbst innerhalb der EU, falls nicht ein Mindeststandard in den Zielstaaten sichergestellt ist. Wer im Grunde in Deutschland als Flüchtling anerkannt ist, bleibt in der Regel für immer, denn die vorgeschriebene Widerrufsprüfungen nach spätestens drei Jahren werden vom BAMF kaum eingehalten. Bei der Bundespolizei melden sich immer wenige Beamte für die Rückführungen, die ein besonderes Know-how verlangen und physisch und psychisch besonders belastend sind. Die Reaktion der Beamten ist nicht weiter verwunderlich, stehen sie doch stets im Fokus von Menschenrechtsaktivisten und einer nicht immer informierten Öffentlichkeit. Auch erste Bedrohungen durch Islamisten wurden bekannt.

Die zwischenzeitlich bekannt gewordenen neuen Planungen – Verlängerung von Abschiebegewahrsam oder Abschiebehaft, Einrichtung von Ausreisezentren, in denen sich die Abzuschiebende aufhalten müssen, Sammelabschiebungen von Bund und Ländern koordiniert durch Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr – halten Fachleute für Nebelkerzen. Dieses System kann selbst bei den derzeitigen 15.000 Zuwanderern monatlich nicht funktionieren. Zurzeit stehen überhaupt nur rund 400 Haftplätze zur Sicherung der Abschiebung zur Verfügung, einige Länder haben überhaupt keine Haftplätze. Der designierte bayerische Ministerpräsident Söder hat sich bereits zu einem Alleingang entschlossen. Er kündigte weitergehende Rückführungen aus Erstaufnahmeeinrichtungen, die Einrichtung eines Landesamtes für Asyl und Abschiebung sowie die Revitalisierung der Bayerischen Grenzpolizei in Stärke von 500 Beamten an.

Was sonst noch geschieht

Richtet man den Blick auf die europäische Ebene, wird immer wieder zur Lösung der Migrationskrise in einer Endlosschleife der Dreiklang von Verbesserung des Außengrenzschutzes, der Intensivierung der Rückführung und des Beseitigen der Fluchtursachen beschworen. Die Beseitigung der Fluchtursachen ist ein langwieriger und bezüglich der Erfolgschancen höchst umstrittener Prozess, der an dieser Stelle ausgeklammert werden soll. Für die Rückführungen gelten international die gleichen Schwierigkeiten, mit denen die deutschen Behörden zu kämpfen haben.

Verbleibt also die Hoffnung auf eine Optimierung des Außengrenzschutzes. Dazu gibt es einige chancenreiche Ansätze. So die Einrichtung einer Europäischen Grenz- und Küstenwache als Nachfolgerin der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex, mit deren Einrichtung sich allerdings die Hoffnung auf die Einrichtung eines gemeinsamen echten europäischen Grenzschutzes wohl vollends erledigt hat. Andererseits gibt es bemerkenswerte Formen der Kooperation. So wurden Angehörige der niederländischen Königlichen Marechaussee, eigentlich Militärpolizisten, bei der Bundespolizei See ausgebildet und werden zurzeit auf einem Patrouillenboot dieser Einheit im Rahmen der europäischen Küstenwache in der Ägäis vor Samos eingesetzt. Zu den Verbesserungsmöglichkeiten zählt auch die Vernetzung der Datenbanken der nationalen Sicherheitsbehörden, um den Zugriff der Grenzbehörden, der Polizei und der Visa-Stellen effektiver zu gestalten.

Die restlichen Maßnahmen folgen keiner konsistenten Gesamtstrategie. So gibt es die übliche Geldbeuteltaktik in Bezug auf die Herkunftsstaaten und Transitländer. So unterstützt die EU Libyen mit 200 Millionen Euro bei der Ausbildung der libyschen Polizei und Küstenwache, für die ein Bedarf an hochseetauglichen Patrouillenbooten angemeldet wurde. Die Bundeswehr wird im Rahmen der EU-Mission Sophia seit Sommer 2015 zur Unterbindung des Menschenschmuggels im zentralen Mittelmeer eingesetzt; tatsächlich ist sie jedoch mit Rettungsaktionen beschäftigt, denn die Schleuseraktionen kennen die Hilfsaktionen und spekulieren auf Rettungsmaßnahmen bei provozierten Seenotfällen. Ohnehin scheint das Geschäft der Schleuser unverändert zu florieren, denn chinesische Internethändler bieten ein umfangreiches Sortiment an Flüchtlingsschlauchbooten an, die über Malta nach Libyen geliefert werden.

Frankreich hat im Tschad und in Niger Hotspots eingerichtet, um vorgelagert Asylgesuche prüfen zu können. Noch-Innenminister de Maizière und sein italienischer Kollege wollen Flüchtlingsauffanglager in Tunesien und Marokko einrichten, die über Asylanträge entscheiden sollen. Deutschland hat zwischenzeitlich Migrationszentren in Tunesien, Marokko, Ghana und Senegal eröffnet, in denen vorrangig Aufklärungsarbeit über die Illegalität der Einreise nach Deutschland und die Asylchancen geleistet wird, in der Hoffnung, den Schleusern die Geschäftsgrundlage zu entziehen.

Grundsätzlich sind sich die Akteure einig, dass einerseits alle Maßnahmen ein Tropfen auf dem heißen Stein sind, andererseits ein längeres Zuwarten die Situation weiter verschlechtert. National hat man jedoch nicht den Eindruck konsequenten Handelns, verfolgt man die Debatten über die Zulässigkeit des Auslesens der Handydaten bei unterdrückten oder gefälschten Personalpapieren oder die scheinheilige Diskussion über die angebliche Gefährlichkeit der Röntgenuntersuchungen der Handwurzelknochen bei Personen, die eine Minderjährigkeit vortäuschen.

Verbleibt die Frage, welche Lösungsmöglichkeiten zurzeit überhaupt zur Kontrolle der irregulären Migration verbleiben. Die Antwort gibt der Entwurf des Koalitionsvertrages der GroKo 2018 auf Seite 104: „Bis der Schutz der EU-Außengrenzen effektiv funktioniert, sind Binnengrenzkontrollen vertretbar.“ Die Formulierung „unverzichtbar“ hätte die Situation besser getroffen.

 

Über den Autor
Bernd Walter
Bernd Walter
Bernd Walter, nach vierzigjähriger Dienstzeit in der Bundespolizei mit unterschiedlichen Verwendungen im Führungs-, Einsatz-, Ausbildungs- und Ministerialbereich als Präsident des Grenzschutzpräsidiums Ost in den Ruhestand getreten. Anschließend Vorbeitrittsberater* der EU bei unterschiedlichen Sicherheitsbehörden in Ungarn. Autor zahlreicher Fachbeiträge zu Fragen der inneren und äußeren Sicherheit.
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