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Foto: © Dr. Avishai Teicher, wikimedia

Kommunikation ist Droge und Waffe zugleich

Von Prof. Dr. Michael Schreckenberg

Standbild des Neandertalers von 1928
Foto. ©Heiko Tomaszewski (Darkstar)1970) wikimedia
Es ist kaum vorstellbar, wie der Mensch über die Jahrtausende seiner Existenz bis vor ein paar Jahren ohne Smartphones überhaupt überleben konnte. Der mühsam erarbeitete aufrechte Gang entwickelt sich langsam zurück, der Kopf neigt sich wieder wie zu Neandertaler-Zeiten. Der aufrechte Gang entwickelte sich übrigens früher als die Vergrößerung des Gehirns. Im Umkehrschluss warten wir also jetzt auf die Verkleinerung desselben…

Die Zeichen dafür stehen gut. Kein anderes Organ des Menschen frisst mehr Energie als das Gehirn, und darum hat die Evolution die kluge Strategie entwickelt, dieses so oft wie möglich auszuschalten. Das würde jeder „Energieberater“ sofort unterschreiben. Die Glühlampe im Gehirn hat ausgedient, wir warten auf die mentale LED!

Darauf warten anscheinend schon viele, allerdings umsonst. Die Zyklen, in denen sich die Biologie des Menschen neuen Gegebenheiten anpasst, werden mit bis zu 100.000 Jahren veranschlagt. Keine Chance für Smartphone und Co., kurzfristig geistig integriert zu werden. Ganz im Gegenteil, es ist ein starkes Ungleichgewicht entstanden, der Mensch kapituliert „postfaktisch“ vor den medialen Angeboten, auf die er evolutionär nicht eingestellt war. Das Projekt „Mensch“ scheint sowieso nicht so gut geplant worden zu sein, wer immer den Plan entworfen hat.

Das Internet ermöglicht die rasante Verbreitung von was auch immer, teilweise geistigen Höhenflügen, meistens aber mentalem Sondermüll. Nur letzterer wird nicht sachgerecht entsorgt, sondern überlebt als digitale Mülldeponie sogar schlimmste virtuelle Beben. Jeder kann hier anonym absondern, was eigentlich keiner hören oder lesen will. Kontrolle ist fast nicht mehr möglich. Und den bitgesteuerten Metastasen dieses weltweit vernetzten Krebsgeschwürs können wir mit keiner noch so ausgefuchsten Digi-Chemotherapie beikommen.

Smartphone wird immer öfter auch zum Fotografieren benutzt.
Foto:© Marc Müller, wikimedia
Es gibt dafür auch durchaus positive Beispiele, die die Phantasien beflügeln können. Dabei stellen wir kaum geistreichere Überlegungen als die der Verschwörungstheorien fest. Diese sind in der Tat das faktische Ergebnis der geistigen Welt von vielen. Schauen wir uns beispielsweise die Diskussion um die Existenz von Bielefeld an, so sind wir geneigt, jedem Argument ungefiltert sofort zuzustimmen. Wie gesagt, Energie sparen im Großhirn ist oberste Maxime.

Und da landen wir dann auch schon beim Kern des Problems. Der Mensch ist nur in der Lage, eine gewisse Menge an Informationen pro Zeiteinheit aufzunehmen. Das „menschliche Integrationsvermögen“ erstreckt sich über schlappe 3 bis 4,5 Sekunden, länger bekommt man inhaltliche Zusammenhänge gar nicht hin. Das Gehirn braucht eine kurze Pause und schaltet einfach ab, teilweise mit fatalen Folgen.

Es scheint so, als ob der Mensch geradezu auf das Smartphone gewartet hat. Als ob die Evolution genau darauf ausgerichtet war! Und das Ziel aller Bestrebungen ist damit anscheinend erreicht. Was kann danach überhaupt noch kommen? Die Erfindung des Buchs war klasse, doch die zeitnahe Übermittlung aller Nachrichten beamt uns in ein anderes Universum.

Schade nur, dass sich der Umgang mit diesen „neuen Medien“ nicht im gleichen Maße entwickelt wie diese selbst. Gerne sind junge Menschen bereit, die deutlich verminderte Tonqualität eines Smartphones in Anbetracht der mobilen Verfügbarkeit in Kauf zu nehmen, nur um ständig „on the line“ zu sein. Die Plattenspieler-Generation wirkt dagegen wie eine Kuh in einer Ameisenpopulation, da ist nicht viel Raum für Bewegung.

Die Auswirkungen der Kommunikationslust bekommen wir heute erst ansatzweise zu spüren. Wir stehen am Anfang, haben keine Ahnung, wie das weiter gehen soll. Damit soll die Entwicklung nicht schlecht geredet werden, nein, es soll nur daran erinnert werden, dass wir eigentlich andere Aufgaben haben als ständig „aktuelle“ Nachrichten abzurufen. Und was eine Nachricht überhaupt ist, legt jeder für sich selbst fest. Dabei sind selbst nichtigste Aussagen („Ich kaufe gerade ein“) mitteilenswert.

Es kommt aus psychologischer Sicht häufig schon der Ansatz der Kommunikation als Droge. Selbst Personen, die beim Fahren durch Smartphone-Nutzung zu schwerem Schaden gekommen sind, kehren nach dem Krankenhausaufenthalt genau dazu zurück. Ein Großteil der Verkehrstoten auf Autobahnen lässt sich mittlerweile auf die mediale Abhängigkeit zurückführen. Die aktuellen Studien belegen das.

Junge Frau bedient ein elektronisches Gerät beim Radfahren.
Foto: © Alfedo Borba, wikimedia
Woher kommt eigentlich dieser ungebändigte Drang zur Kommunikation? Verkehrstaus entstehen dadurch, dass auf der Gegenfahrbahn Unfälle gefilmt werden. Danach sofort auf Twitter oder Facebook oder sonst wie raus in die Welt, und möglichst viele „likes“. Jeder wird damit zum Journalisten. Es scheint tatsächlich das „Ego“ zu befeuern, auf diese Art in Erscheinung zu treten.

Bei der Kommunikation muss man allerdings deutlich zwischen zwei Arten unterscheiden: der internen und der externen. Dient die interne Kommunikation der Abstimmung untereinander, so soll die externe die Bevölkerung in Kenntnis setzen und/oder beruhigen. Leider funktioniert häufig weder das eine noch das andere. Beispiel Loveparade in Duisburg: keine Kommunikation zu den Teilnehmern, diese wurde aus finanziellen Gründen eingespart. Die beantragte Vorrangschaltung für die Polizei konnte aus „technischen Gründen“ nicht realisiert werden. War vorher schon klar, an der Durchführung der Veranstaltung hat das nichts geändert, mit letztendlich katastrophalen Folgen.

Die interne Kommunikation ist in bekannten Schadensfällen nicht schnell und genau genug. Innerhalb von Minuten entwickeln sich kritische Situationen, und dabei auch noch räumlich stark eingeschränkt. Fünf Meter sind da tatsächlich schon genug, hier herrscht eine lockere Atmosphäre, dort entwickelt sich ein Todesgedrängel. Und da reichen zwei Minuten, in denen sich die Situation verschärft. Keine Leitstelle der Welt kann da zeitnah reagieren.

Es gibt noch mehr Schattenseiten der Kommunikation. Die Öffnung nach außen scheint den Zeitgeist widerzuspiegeln. Wer etwas darstellen will, muss online sein, mit welchen unwichtigen Aussagen auch immer. Vielleicht wird der neue Präsident Donald Trump der USA alles Wichtige über Twitter verkünden. Das ist eigentlich auch ganz logisch: wer guckt schon ständig Fernsehen? Radio ist da aktueller, aber eben ohne Bilder.

Was über die Internet-Medien verbreitet ist, existiert erst einmal. Es kursiert als Meldung, ob wahr oder falsch. Und hier beschreiten wir die zweite Zone des verminten Nach dem Attentat in München: Flagge mit Trauerflor,
Foto: © Maximilian Dörrbecher (Chumwa), wikimedia
medialen Areals. Beispiel München: Bei dem Attentat im Juli 2016 mit neun Toten wurde kurzfristig von weiteren Attentätern berichtet. Meldungen von Anwohnern wurden von der Polizei ungeprüft weiter verbreitet. Am Ende stellte sich das Ganze als Falschmeldung heraus.

Es gibt dabei aber auch noch drastischere Fälle der Fehlinformation. Das (nicht zutreffende) Gerücht eines Selbstmordattentäters hat schon zu vielen Toten geführt, ein Beispiel dafür ist Unglück auf einer Brücke in Bagdad im Jahre 2008. Die Meldungen verbreiten sich also nicht nur über das Internet, die klassische Mund-zu-Mund Methode gibt es natürlich auch noch.

Über Köln ist viel geschrieben und diskutiert worden. Die Silvesterveranstaltungen gelten in der kommunikativen Verarbeitung als Negativbeispiel schlechthin. Waren es zuerst die „Nafris“, die für Zoff gesorgt haben, so kam dann irgendwann später heraus, dass die Nordafrikaner gar kein bestimmendes Element in der Silvester-Hektik waren, eher Iraker, Syrer und Afghanen.

Leider beteiligt sich die Polizei, natürlich mit positivem Grundgedanken, an der Verbreitung von (teilweise) nicht verifizierten Meldungen. Auch die Polizei experimentiert Kamerateams und Journalisten am Tatort Breitscheidplatz Berlin.
Foto:© EuroBill, wikimedia
im Umgang mit den neuen Medien. Das Attentat von Berlin am 19. Dezember 2016 zeigt aber nun eine ganz neue Dimension, die wir uns eigentlich nicht erträumen lassen. Bei aller Vernetzung ist am Ende keiner zuständig. In der politischen Zuständigkeit ein Desaster, keiner übernimmt Verantwortung.

Wir müssen die Nutzung der vernetzten Medien tatsächlich erst noch lernen. Dafür haben wir keine 100.000 Jahre mehr Zeit. Denn Information kann auch eine Waffe sein. Man kann damit Menschen zerstören oder sogar ganze politische Systeme ins Ungleichgewicht bringen. Das hatte die Natur bei ihrem durchaus klugen Konzept letztendlich leider nicht auf dem evolutionären Plan.

Über den Autor
Prof. Dr. Michael Schreckenberg
Prof. Dr. Michael Schreckenberg
Prof. Dr. Michael Schreckenberg, Universität Duisburg-Essen, war der erste deutsche Professor für Physik von Transport und Verkehr. Er ist im Redaktionsbeirat von Veko-online.
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