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Der Mann, die Frau und das Auto

Von Prof. Dr. Michael Schreckenberg

Es gibt wohl keinen Bereich im privaten Leben in der sozialen Auseinandersetzung von Mann und Frau, der stärker von Emotionen beherrscht wird wie der des Verkehrs, wohlgemerkt des Straßenverkehrs. An den Theken nicht nur unserer Republik wird trefflich über das Sujet diskutiert und lamentiert, meistens auf der Grundlage von lieb gewonnenen Vorurteilen, pseudowissenschaftlichen Studien oder einfach nur „gefühlten“ Wahrheiten.

Eigentlich ist im Laufe der Zeit zu diesem Thema schon alles gesagt oder geschrieben worden. Trotzdem lohnt sich sozusagen als Momentaufnahme ein Blick auf den Stand der Dinge, oder besser: der Fakten. Doch genau dabei muss man sehr vorsichtig sein, um nicht selbst in den Strudel der vermeintlich gesicherten Erkenntnisse zu geraten. So hat sich gerade in der Vergangenheit häufig die Lage in Bezug auf die Argumentation aufgrund neuerer Studien grundlegend geändert. Vielleicht haben sich aber auch „nur“ die Menschen selbst geändert …

Jedenfalls haben sich die Randbedingungen gehörig „verschoben“, insbesondere was die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft angeht. Mit größter Vorsicht muss man heutzutage alleine schon die Formulierungen wählen, wenn man über Mann und Frau schreibt. Ein kleiner Fehler und unverzüglich steht die (!) Gleichstellungsbeauftragte mit einem herben Rüffel vor der Tür. Die „Neutralisierung“ in der Sprachwelt geht jetzt sogar soweit, dass fast überall das männlich geprägte „Studentenwerk“ in „Studierendenwerk“ umbenannt werden muss. Die Kosten im teilweise sechsstelligen Bereich sollen gefälligst von den studentischen Werken selbst getragen werden. Zum Glück ist „das Auto“ schon immer ein Neutrum gewesen …

Bertha Benz (um 1871)
Foto: © wikimedi
Bei der Beschäftigung mit dieser hochbrisanten Materie ist auch ein Rückblick in die Historie recht hilfreich, wenn nicht unabdingbar. So war es doch Bertha Benz, die 1888 die Tür für Fernfahrten mit dem Automobil ganz weit aufstieß. Zwar war das Gefährt nicht von Ihr, sondern Ihrem Mann Carl gebaut worden, doch zeigte sie damit schon früh, was die Frauen damals unternehmerisch und technisch drauf hatten. Zehn Jahre später war die französische Herzogin Anne d’Uzès der (die?) erste Mensch mit einer (erfolgreich) abgelegten Führerscheinprüfung (in Deutschland gab es diese Prüfungen erst ab 1909). Dieselbe Herzogin war es dann auch, die das erste Strafmandat überhaupt bekam: sie fuhr am Bois de Boulogne bei Paris 13 anstatt der erlaubten 12 km/h. Wie das allerdings gemessen wurde, Herzogin Anne d’Uzès kasssierte das erste Strafmandat in der Geschichte des Automobils
Foto: © wikipedia
bleibt (mir) weitgehend unklar.

In wie weit die Verquickung des weiblichen Geschlechts mit der Motorfahrzeuggeschichte bis heute einwirkt, sieht man an der Namensgebung einer bekannten deutschen Automobilmarke. Der österreichische Geschäftsmann Emil Jellinek bestellte schon vor 1900 Fahrzeuge bei der Daimler-Motoren-Gesellschaft. Und irgendwann auch mal einen Rennwagen, mit dem er 1899 an einem Rennen in Nizza teilnahm und mit der erstaunlichen Schnittgeschwindigkeit von fast 35 km/h siegte. Den Wagen hatte er zuvor namentlich seiner Tochter Mercédès gewidmet. 1902 wurde der Name dann gesetzlich geschützt und ab 1910 gab es dann den bekannten Stern.

Diese frühen Erfolgsgeschichten dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das „schwache“ Geschlecht es insgesamt nicht einfach hatte, auf der Straße Fuß zu fassen. So war es in Deutschland (!) bis 1958 (!) für Frauen mit Führerscheinambitionen vorgeschrieben, die Zustimmung des Ehemannes oder Vaters einzuholen. So lange ist das gar nicht her. Aber dies hat sich ja dann zum Guten gewendet, anders als in Saudi-Arabien, wo es seit 1990 ein komplettes Fahrverbot für Frauen gibt. Es gibt aber auch großen Widerstand dagegen und, wie es heißt, halten sich viele Frauen schlicht nicht daran.

Die geschlechts- und altersspezifische Aufschlüsselung der Fahrerlaubnisse spiegelt die deutsche Entwicklung beeindruckend wieder. Selbst 2008 noch hatten bei den über 75-Jährigen in der Tat über 57 Prozent der Frauen keinen Führerschein, während dies bei den Männern bei 12 Prozent der Fall war. Interessant ist, dass sich dieser Trend ganz offensichtlich umgekehrt hat, denn bei den 18-19/20-23Jährigen hatten schon 2008 mehr Frauen (73,8/88,4) als Männer (70,0/87,6 Prozent) eine Fahrerlaubnis. Die Erst-Erteilungen lagen im Jahr 2010 prozentual mit je etwas über einem Prozent (bezogen auf die Gesamtbevölkerung) praktisch gleichauf.

Das statistische Datenmaterial gibt aber noch einiges mehr an Informationen her. Und da interessiert vor allem die Unfallhäufigkeit und die Verkehrsdisziplin in Form von Punkten in Flensburg. Was Letzteres angeht, so kann man konstatieren, das rund 3,5 mal so viele Männer in Flensburg gemeldet sind wie Frauen. Insgesamt sind bei den Verkehrstoten rund dreimal so viele männliche wie weibliche Verkehrsteilnehmer zu beklagen. Frauen verunglücken häufiger (65) in Pkw als Männer (knapp 48 Prozent), allerdings sind Frauen dabei anderthalbmal so häufig Beifahrer.

Entscheidend aber ist die Frage der Unfallverursacher, und dabei zeigt sich ein interessantes Detail. Tragen bei den an Unfällen beteiligten Männern 57,5 Prozent die Schuld, sind es bei den Frauen mit 54,1 also 3,4 Prozent weniger. Insbesondere sterben bei von Männern verursachten Unfällen im Schnitt doppelt so viele Menschen wie bei den von Frauen. Aber jetzt kommt’s: bis 54 Jahre sind Männer häufiger Hauptverursacher als Frauen, ab 55 sind es dann die Frauen!

Da könnte man jetzt trefflich drüber philosophieren, ob es an dem höheren Alter der Frauen liegt, das sie erreichen, oder an der fehlenden Praxis aufgrund späten Führerschein-Erwerbs. Sei’s drum, hier beginnen wir, jenseits der harten Fakten endlich den Bereich der gefühlten Wahrheiten zu betreten. Und dort begegnen einem die wunderbaren Dinge, auf die Sie hier bestimmt schon gewartet haben.

Schon in den ersten Folgen der legendären, ab 1966 ausgestrahlten „Mutter aller Verkehrserziehungssendungen“ für Erwachsene, „Der 7. Sinn“, mit der bis heute unverwechselbaren Stimme von Egon Hoegen, widmete man sich der Thematik sehr ausgiebig. Fast unglaublich, was man da damals zu sehen und vor allem durch die sonore Stimme von Herrn Hoegen zu hören bekam. Die gesendeten Sentenzen spotten jeder Beschreibung, daher hier nur der Hinweis auf zwei besonders schöne Bespiele bei youtube („7. Sinn - Frau am Steuer“ und „Der 7. Sinn - Achtung Frauen am Steuer“). Ohne viel zu suchen findet man jede Menge weitere Filmchen. Ich selbst habe übrigens mit Herrn Hoegen, der am gleichen Tag (28.9.) und wie ich in Düsseldorf geboren ist, nur eben 28 Jahre früher (1928!)) in 1999 eine Verkehrs-CD produziert zum Thema Stauentstehung und Verkehrsforschung (einige wenige Exemplare gibt es noch …). Das Thema Frau am Steuer spielte dabei allerdings keine Rolle.

Im 7. Sinn wurde eigentlich so jedes Klischee bedient, das man sich vorstellen konnte (oder kann). Im Grunde ist alledem Nichts weiter hinzuzufügen. Doch die Geschichte geht ja trotzdem immer weiter. Jenseits aller Klischees wird dann gerne nach charakteristischen biologischen und psychologischen Unterschieden zwischen Mann und Frau und deren Auswirkungen auf das Verhalten, insbesondere auf der Straße, geforscht. Über den simpelsten Ansatz mit Bezug auf die Differenzen beim reinen Gewicht des Gehirns (das männliche (knapp 1400) ist rund 100 Gramm schwerer als das weibliche) ist man mittlerweile weit hinaus gekommen.

Denn genau ab hier beginnt die Diskussion, sich in Teilaspekten zu verlieren. Dabei kommt sofort das Gegenargument, das Gehirn der Frau sei relativ gesehen, also bezogen auf das Gesamtkörpergewicht, doch klar größer. Zudem, und das haben gerade Studien aus vergangenen Jahren gezeigt, ist das Gehirn der Frau wesentlich besser verdrahtet (gemeint sind die beiden Gehirnhälften miteinander). Bei Männern dagegen ist Vernetzung innerhalb der beiden Gehirnteile besser.

Was das allerdings für Folgen hat, ist letztendlich wieder ein weites Feld für Vermutungen und Scheinargumente. Selbst Verhaltensforscher führen dann Ergebnisse an, nach denen sich Frauen Dinge besser merken können, aufmerksamer sind und sowieso ein besseres soziales Erkenntnisvermögen haben, während Männer besser räumlich denken und koordinieren können.

Damit kommen wir zu einer der am meisten diskutierten Frage in diesem Umfeld, nämlich der des besseren Einparkens. Über viele Jahre hielt sich auf der Grundlage Dieses Verkehrszeichen hat sich übrigens keine Frau ausgedacht
Foto: © wikipedia
der besseren räumlichen Vorstellungskraft die Mär, Männer könnten tatsächlich besser einparken. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich vor vielen Jahren mit RTL diese These auf dem Parkplatz unserer Uni zu verifizieren versuchte. Es war schwer, Probandinnen vor die laufende Kamera zu bekommen. Schließlich fanden wir eine, sie parkte auch ein, aber der Kameramann hatte kein Band eingelegt. Als die zweite dann bemerkte, worum es ging, rauschte sie entgegen der Einbahnstraßenrichtung davon.

Ja man kann mit dem Thema sogar Bestseller landen. So geschehen mit dem Kultbuch „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ von Alan & Barbara Pease. Dieses Werk aus dem Jahre 2010 ist mittlerweile sogar als Film erschienen. Damals wollte eine Untersuchung der Uni Bochum dies auch bestätigt haben. Doch dann der Schock. Im Jahre 2012 streute eine englische Studie auf der Grundlage von Videoaufnahmen von 2.500 Einparkvorgängen erste Zweifel, wobei dort die Männer immer noch schneller, aber weit weniger akkurat vorgingen. Schließlich in 2014 der Knockout für die männliche Domäne, denn Studenten von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim fanden eindeutige Zeitvorteile für die weiblichen Fahrer. Interessanterweise fanden sie auch heraus, dass die 55 bis 65Jährigen deutlich schneller als die jungen Fahrer waren.

© Coverfoto: Ullstein VerlagInteressant sind auch Studien der Selbsteinschätzung von männlichen/weiblichen Fahrern bzw. von geschlechtsspezifischen Eigenschaften. Diese Studien kommen alle Jahre wieder von wem auch immer auf den Tisch und werden dann heiß diskutiert. Die Medien stürzen sich dann häufig vollkommen unreflektiert auf stromlinienförmige „Scheinergebnisse“ und werten diese als Bestätigung davon, was wir schon immer wussten.

Dabei werden dann schnell mal diese Meinungsäußerungen zu Wahrheiten und Fakten umetikettiert und als solche medial verkauft. Jedenfalls gibt es bei den entsprechenden Ergebnissen eine Tendenz, dass sich Frauen untereinander deutlich mehr für bessere Autofahrer halten als Männer, die sich aber trotzdem selbst für besser halten als Frauen. Dass man dabei gedankliche Verwindungen verkraften muss, zeigt die Tatsache, dass viele Frauen dann aber doch mehr Schwierigkeiten bei widrigen Wetterbedingungen haben oder einfach dem souveränen Umgang mit dem Fahrzeug einräumen.

Auch was die grundsätzliche Einstellung gegenüber der automobilen Fortbewegung angeht, gibt es spezifische Unterschiede. Dies schlägt sich insbesondere bei der ökonomischen Bewertung von individuellen Transporten nieder: Frauen sehen mehr den elementaren Nutzen darin, (bequem) von A nach B gelangt zu sein, bei Männern schwingt da doch noch mehr Emotion und Außendarstellung mit. Für sie ist der Transportvorgang an sich auch ein Erlebnis. Trotzdem tendieren Frauen dann doch zu mehr Farbe im Verkehr: eher weiß und rot, ja gelb und orange bevorzugen sie für die „Außenhaut“, schwarz und silber sind dagegen die Männerdomäne.

Wir konnten diesen Umstand sehr schon anhand von Untersuchungen zur Akzeptanz einer möglichen Maut belegen. Dabei konnten die Probenden, in dem Falle Studierende(!), zwischen einer Strecke mit einer Flatrate-Maut und einer zweiten mit verkehrsabhängiger Maut wählen. Diese zweite Route kostete bei wenig Verkehr nichts, bei viel Verkehr deutlich mehr als die Flatrate. Die Ergebnisse zeigten letztendlich, dass die weiblichen Fahrer eindeutig lieber die Flatrate wollten, während die männlichen lieber zum „Zocken“ neigten und die stauabhängige Maut bevorzugten.

So bleibt trotzdem aber noch die Vorstellung von Jäger (Mann) und Sammler (Frau), was gerade in der verhaltensorientierten Literatur immer wieder Niederschlag findet. Neuroforscher haben tatsächlich herausgefunden, dass Männer sich mehr am gesamten Straßenlabyrinth orientieren, während Frauen eher einzelne Wegpunkte im Auge haben.

Seit hunderttausend Jahren nichts verändert?
Foto: © Stefan Scheer/Wilkipedia
Dabei wird Männern häufig eine größere Aggressivität zugesprochen, brauchten sie diese doch auf der Jagd. Das gilt heute noch (man nimmt an, dass sich unser Erbmaterial seit 100.000 Jahren nicht sonderlich verändert hat!), aber Männer scheinen sich am Ende dann doch schneller einigen zu können, bei Frauen (wie von vielen selbst bestätigt) sieht das häufig anders aus, von „Stutenbissigkeit“ ist dann schon mal die Rede.

Das scheint eine vom Bonner Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Brisbane, Australien, durchgeführte Studie zu bestätigen. An einer Kreuzung wurde beobachtet, wer, obwohl vorfahrtberechtigt, anderen die Vorfahrt gewährt. Insgesamt taten das 40 Prozent. Ältere tun dies eher als Jüngere, Männer eher als Frauen. Dabei waren Männer den Frauen gegenüber besonders zuvorkommend, Frauen gaben gegenüber Männern die Vorfahrt auch gerne ab. Aber wehe, Frau traf auf Frau, da ging es deutlich unfreundlicher zu als bei Mann auf Mann. Am Rande sei bemerkt, dass sich die Autoklassen untereinander eher verbündeten und die jeweils anderen ausschlossen. Da wurde dann auch gerne der Vordermann als Vorbild genommen. Und ist ein Beifahrer an Bord, wird der Fahrer sowieso viel netter (60 Prozent Vorfahrtverzicht).
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Und es kann auch noch netter zugehen. Sage und schreibe zehn Prozent der Deutschen bevorzugen sexuelle Praktiken auf der Rückbank des (nicht unbedingt eigenen) Autos. Aber wiederum davon nur zehn Prozent davon stellen das Fahrzeug auf einem Parkplatz ab. Der Phantasie für die verbleibenden 90 Prozent sind keine Grenzen gesetzt. Insgesamt hatte wohl ein Drittel aller deutschen Autofahrer schon mal Sex im Auto und würde dies auch wieder machen, bei den Frauen ist nur gut die Hälfte davon, 18 Prozent, dazu bereit.

Allerdings scheint, jenseits erotischer Ablenkungen, insbesondere bei der am meisten gefährdeten Gruppe der männlichen 18 bis 24-Jährigen Autofahrer eine Beifahrerin sogar risikomindernd zu wirken. Bei der älteren Generation sind allerdings die Fronten dann eher verhärtet und die Vorwürfe überwiegen, was risikofördernd wirkt. Wie dem auch sei, es bleibt die Vision vom friedlichen Miteinander der Geschlechter im Auto und auf der Straße. Aber, wie Helmut Schmidt schon sagte: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!

 

Über den Autor
Prof. Dr. Michael Schreckenberg
Prof. Dr. Michael Schreckenberg
Prof. Dr. Michael Schreckenberg, Universität Duisburg-Essen, war der erste deutsche Professor für Physik von Transport und Verkehr. Er ist im Redaktionsbeirat von Veko-online.
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