Skip to main content

 Bundeskanzlerin Dr. Angele Merkel bei der Festansprache anlässlich des BND-Jubiläums.
Foto: © BND

Dem BND zum 60.

Von Klaus Henning Glitza

Sechs Jahrzehnte ist es her, dass aus der „Organisation Gehlen“, einem deutschen Aufklärungsapparat unter USA-Regie, der Bundesnachrichtendienst (BND) wurde. Dem ehemaligen Wehrmachtsgeneral Reinhard Gehlen gelang damals ein Kunststück, das seinesgleichen sucht. Unter anderem aus Personal der ehemaligen 12. Abteilung des Generalstabs der Heeres „Fremde Heere Ost“, deren Chef er war, aber auch belasteten Nachrichtendienstlern mit dubioser Vergangenheit bildete er die so genannte „Org“. Eine CIA-nahe Organisation, die er dann auch noch in den Staatsdienst beförderte – als Bundesoberbehörde, als Institution der noch jungen Bundesrepublik Deutschland.

Am 28. November diesen Jahres feierte der BND sein 60jähriges Bestehen. Doch hinter diesen sechs Jahrzehnten steht keine durchgehende Tradition. Mehrfach musste Beim Festakt zum 60-jährigen Bestehen des BND: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und BND-Präsident Dr. Bruno Kahl.
Foto: © Bundesnachrichtendienst
sich Deutschlands einziger Auslandsnachrichtendienst neu erfinden, wenn sich die weltpolitische Lage radikal änderte, wie beim Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende der bipolaren Machtkonstellation mit zwei waffenstarrenden Supermächten.

Damals, Ende der 1990er Jahren, wurde nicht nur einmal die Frage laut: Brauchen wir überhaupt noch einen Auslandsnachrichtendienst? Eine Frage, die heute kaum noch jemand stellt. „Die Arbeit der Nachrichtendienste ist für die Bundesrepublik Deutschland unverzichtbar", hob Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel beim Festakt zum 60jährigen Bestehen des BND hervor. Und „Mit 60 Jahren ist der BND noch lange nicht an das Ende seiner Entwicklung gelangt, und so wie sich die Welt entwickelt, sieht es da auch wirklich nicht danach aus".

Solche Worte der Anerkennung haben den BND durchaus nicht immer in seiner nunmehr 60jährigen Geschichte begleitet. Bundeskanzler Konrad Adenauer bezeichnete zwar Reinhard Gehlen als seinen liebsten General, hielt aber trotzdem kühle Distanz. Der unvergessene Regierungschef und Weltökonom Helmut Schmidt hatte für den Dienst nicht viel mehr als Spott und Häme übrig. Außenminister Klaus Kinkel, obwohl selbst einmal BND-Präsident, soll die Lageberichte des Dienstes nur selten beachtet haben. Der Bundesnachrichtendienst und die Politik – zwei Seiten, die sich in Unverständnis gegenüberstehen und einfach nicht zusammenpassen?

Ja, wozu braucht Deutschland eigentlich einen Auslandsnachrichtendienst? Diese nimmermüde gestellte Frage könnte ausgerechnet eine Persönlichkeit beantworten, die dem Bundesnachrichtendienst (BND) niemals mit besonderer Sympathie gegenüberstand: Alt-Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl. Noch im Herbst 1990 hatte er über den Dienst gespottet: „Etwas steht in der Bild-Zeitung. Dann wird es in die Wochenpresse aufgenommen. Und dann berichtet der BND darüber“.

„Wozu braucht Deutschland einen Auslandsnachrichtendienst?“

So lautete die Kardinalfrage, die Veko-online an Dr. Rudolf Georg Adam richtete. Der gelernte Diplomat und spätere Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik Dr. Rudolf Georg Adam.
Foto: © Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS)
war zwischen 2001 und 2004 Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes. In diese Zeit fiel mit 9/11 der wohl folgenreichste Terroranschlag der Weltgeschichte, der auf einen Schlag zwei „Essentials“ verdeutlichte. Nämlich welchen Bedrohungen die westliche Welt real ausgesetzt ist und welche Bedeutung funktionierende Nachrichtendienste im Kampf gegen die dominierende Kriegsform des 21. Jahrhunderts, den transnationalen Terrorismus, haben.
Dr. Adam, der inzwischen seinen Ruhestand im oberbayerischen Prien am Chiemsee genießt, verfolgt als Mitglied des Gesprächskreises Nachrichtendienste in Deutschland e.V. (GKND) und externer Dozent auch heute noch aufmerksam die Entwicklung des Bundesnachrichtendienstes. Für Veko-online war er deshalb der ideale Gesprächspartner.

Veko-online: Herr Dr. Adam, ein Deutscher spioniert nicht, hieß es schon zu Kaisers Zeiten. Fehlt den Deutschen das Verständnis für die offensichtlich immer wichtiger werdende Rolle von Nachrichtendiensten?

Dr. Rudolf Georg Adam: In Deutschland gibt es besondere Vorbehalte gegenüber Nachrichten- beziehungsweise Aufklärungsdiensten. Dies ist historisch verständlich. Nach zwei totalitären Regimen und deren geheimen Überwachungsdiensten, nach Gestapo, Reichssicherheitshauptamt und Stasi, herrscht tiefsitzendes Misstrauen. Figuren wie Heydrich, Kaltenbrunner, Schellenberg, Mielke haben unsere Vorstellungen von Geheimdienstlern geprägt. Eine Ein Super-GAU für den BND: Heinz Felfe, einst SS-Obersturmführer, war ausgerechnet als Referatsleiter III F (Gegenspionage Sowjetunion) ein Agent im Solde des sowjetischen Geheimdienstes. Nicht nur Operationen des BND, sondern auch die der CIA wurden dadurch in Moskau bekannt.
Foto: Archiv G
Figur wie James Bond hat es in Deutschland nicht gegeben und wird es kaum geben. Eine Reihe von Pannen und unentschuldbaren Fehlleistungen hat das Bild von Nachrichtendiensten in Deutschland zusätzlich belastet: Die blamablen Geschichten von Otto John, Heinz Felfe, Hansjoachim Tiedge und Holger Pfahls haben das Bild vom Personal deutscher Nachrichtendienste nachhaltig negativ beeinflusst.

Regierungsdirektor auf Abwegen: Hansjoachim Tiedge, einer der prominentesten Flüchtlinge in die DDR.
Foto; Burgstaller/Archiv G
Der Ankauf und Transport von Plutonium war ein in jeder Hinsicht unentschuldbarer Skandal. Die Personalrekrutierung des BND war in den Anfangsjahren unglücklich und hat weder Effizienz noch Akzeptanz gefördert. Mitarbeiter eines Nachrichtendienstes brauchen neben überdurchschnittlichen intellektuellen Qualifikationen vor allem hohe Motivation und noch höhere Loyalität. Sie sind einem Auftrag unterworfen, der von ihnen fordert, eigenverantwortlich zu entscheiden und zu beurteilen. Es sind ganz normale Soldaten, Beamte und Angestellte, bis auf die eigenartigen Arbeitsbedingungen, Menschen wie Du und ich. Sie pauschal unter Verdacht zu stellen, schadet sowohl den Diensten wie auch dem Gemeinwesen, zu dessen Sicherheit sie zu arbeiten berufen sind.

Vom Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zum verurteilten Straftäter: Holger Pfahls. Dem jahrelang flüchtigen CSU-Mitglied wurde vorgeworfen, mehrere Millionen D-Mark angenommen zu haben, um politische Entscheidungen zum Vorteil von Lobbyisten zu manipulieren.
Foto: Archiv G
Geheimoperationen passen nicht in ein Umfeld, das Demokratie mit Transparenz gleichsetzt. Geheimdienste können nicht transparent sein. Sie müssen sich allerdings verantworten und Rechenschaft ablegen. Nachrichtendienste stehen generell unter Verdacht, weil sie vom Auftrag her mit Mitteln operieren, die im Normalfall ungesetzlich und unmoralisch sind. Nachrichtendienste unterstehen gesetzlichen Ausnahmevorschriften. Das macht sie suspekt. Den deutschen Nachrichtendiensten fehlt etwas Wichtiges: Tradition. Nicht zu Unrecht gilt Großbritannien als Hochburg individueller Freiheitsrechte. Wenige Länder haben ein so starkes liberales Ethos. Die Nachrichtendienste Großbritanniens genießen jedoch wesentlich größere Freiräume vor allem deshalb, weil sie sich bewährt haben und weil sie breites Vertrauen genießen. Ohne die Aufklärungsleistungen des MI6 wäre der Zweite Weltkrieg anders verlaufen. Nachrichtendienstliche Tätigkeit gilt dort nicht als anrüchig, sondern als Auszeichnung und Ausweis außergewöhnlicher intellektueller, charakterlicher und physischer Fähigkeiten.

Bei uns ist schon der Sprachgebrauch diskriminierend: Spione „schnüffeln“ – das tun Hunde und Schweine. Ein „Lauschangriff“ suggeriert Aggression. Und aus „Aufklärung“ wird schnell „Überwachung“. Joseph Nye, einer der klügsten Köpfe in Harvard, hat gesagt, ein Gentleman lese zwar keine fremden Briefe, ein Staat könne jedoch darauf nicht verzichten. Im zivilen Leben ist Mord ein schlimmes Verbrechen. Der Staat aber unterhält bewaffnete Sicherheitskräfte, die im Ernstfall absichtlich und gezielt töten müssen. Der Staat muss zur Sicherheit seiner Bürger Dinge tun beziehungsweise tun können, die dem einzelnen Bürger untersagt sind. Darin liegt das Gewaltmonopol des Staates. Friedrich der Große hat einmal gesagt: „Im Feld brauche ich einen Koch, aber hunderte von Spähern.“ Wer strategisch denkt, braucht Information, vor allem Information über aktuelle oder potenzielle Bedrohungen. Je mehr zuverlässige Informationen verfügbar sind, umso eher lassen sich Fehleinschätzungen vermeiden.
94HEKATRON 600x400px
Hätten Europas Politikern 1914 bessere Informationen übereinander vorgelegen, wären sie vermutlich weniger leichtfertig „wie Schlafwandler“ in den Ersten Weltkrieg getaumelt. Er wäre jedenfalls nicht so zerstörerisch und blutig verlaufen.

Nach den schlimmen Erfahrungen in zwei Diktaturen denken viele Menschen in Deutschland in erster Linie an Repression, wenn es um Nachrichtendienste geht, Aber ist das nicht aus heutiger Sicht eine Fehleinschätzung?

Diese Assoziation ist nach den Exzessen der Nazi- und SED-Herrschaft verständlich. Wir sollten allerdings viel stärker beleuchten, dass BND, BfV und MAD im heutigen Deutschland eine feste gesetzliche Grundlage, völlig andere Funktionen und ein diametral entgegengesetztes Selbstverständnis haben: Gestapo, RSHA und Stasi dienten der herrschenden Partei und standen nicht unter parlamentarischer Kontrolle. Sie hatten exekutive Befugnisse. Heute sind Polizei und Nachrichtendienste in Deutschland strikt getrennt. Dies ist eine Grundvoraussetzung für gute Aufklärungsarbeit: Der Aufklärer darf nicht gleichzeitig Akteur sein. Wer ein Bild beschreiben will, darf nicht selbst Teil des Bildes sein. Ich halte es für eine der verhängnisvollsten Traditionen in den USA, dass die CIA nicht nur Aufklärung, sondern gleichzeitig verdeckte Operationen betreibt. Beides sollte nicht in einer Hand liegen. Das Schweinebuchtdesaster wäre vermutlich nicht passiert, hätten die Hasardeure nicht den Analytikern eingeheizt und diese umgekehrt die Hasardeure angefeuert.

Der BND blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück und musste sich mehrfach neu erfinden. Wo steht aus Ihrer Sicht der Dienst heute und in welche Richtung sollte er sich weiterentwickeln?

Die Bundesrepublik Deutschland wird international stärker gefordert. Heute stehen deutsche Soldaten in Afghanistan, im Irak, in Mali; deutsche Schiffe operieren vor den Küsten des Libanon und Somalias, deutsche Soldaten fliegen Tornados über Syrien. Terroristische Bedrohungen haben längst unser Land erreicht. Globalisierung bedeutet, dass nicht nur unsere Güter in alle Welt gelangen, sondern dass Bedrohungen auch von dort leichter zu uns kommen. Migrationswellen sollten frühzeitig erkannt, die Auslösefaktoren dafür präzise und umfassend identifiziert werden. Heute ist eine weltweite, zuverlässige Aufklärung in hinreichender Breite und Detailtiefe vordringlicher als je, und die Anforderungen werden in den kommenden Jahren nochmals ansteigen. Eines der Hautprobleme liegt darin, dass der BND so lange räumlich und institutionell ein Eigenleben gelebt hat. Der Auslandsnachrichtendienst muss aber engstens mit dem diplomatischen Dienst und der militärischen Auslandsaufklärung zusammenwirken. Dies war einer der Gründe, das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr mit dem BND zu verschmelzen und den BND insgesamt in die Nähe von Bundesregierung und wissenschaftlichen Forschungsinstituten wie SWP und DGAP zu bringen. Der BND ist weltweit einer der ganz wenigen Dienste, die umfassende Aufklärung betreiben und militärische, politische, wirtschaftliche und soziale Aspekte zusammenfassend für ein integriertes Lagebild benutzen. Dies ist seine große Stärke. Seine Schwäche ist, dass die Zusammenführung zu einem einheitlichen Lagebild der Bundesregierung immer noch zu wünschen übrig lässt. Das Lagebild von BND und Auswärtigem Amt sollte ebenso wenig auseinanderklaffen wie das von BND und Verteidigungsministerium. Angesichts der komplexen Risiken einer globalisierten Welt braucht die Bundesregierung eine einheitliche Lagebewertung, in der die Einschätzungen des BND mit denen der zuständigen Bundesministerien, wissenschaftlicher Forschungsinstitute und möglicherweise der deutschen Wirtschaft zusammenfließen.

Nur ein derart mehrdimensionales Gesamtlagebild kann strategische Entscheidungen tragen. In Großbritannien existiert hierfür das Joint Intelligence Committee. In keinem Fall darf ein Nachrichtendienst seine Erkenntnisse oder Einschätzungen an der Regierung vorbei in die Öffentlichkeit bringen. Insofern waren die Indiskretionen des BND über die Einschätzung zu Saudi Arabien und zu Russland unentschuldbar. Grundsätzlich gilt: Nachrichtendienste arbeiten für die Regierung und können nur dann in die Öffentlichkeit hineinwirken, wie sie hierfür von der Regierung ausdrücklich ermächtigt werden. Der BND hat keine eigene Lageeinschätzung, sondern er wirkt an dem Lagebild der Regierung mit. Diskretion ist und bleibt Grundlage des Geschäfts. Umgekehrt muss die Regierung die letzte Verantwortung für Leistungen und Fehlleistungen ihrer Dienste tragen – wobei die Fehlschläge sofort publik und ausgeschlachtet werden, wohingegen die Erfolge meist unbekannt bleiben. Neben den genannten Blamagen und den legendären englischen und amerikanischen Verrätern gab es ja aber auch einige spektakuläre Erfolge, für die die Namen Stiller, Gordiewski, Penkowski stehen – und viele vielleicht auf immer unbekannte andere.

Die internationale Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten wird oft kritisiert. Die NSA-Affäre ist das jüngste Beispiel. Aber kommen Nachrichtendienste heute ohne internationale Kooperationen aus?

Ein Geheimnis ist nur so lange ein Geheimnis, wie es nicht (mit-)geteilt wird. Nachrichtendienste kooperieren nur ungern. Wer geheime Informationen teilt, erlaubt damit Rückschlüsse auf Aufklärungsprofile, Operationsschwerpunkte, Methoden, Techniken, vielleicht sogar Quellen und Agenten. Der Grad internationaler Kooperation hängt deshalb immer davon ab, wie weit politische Interessen der betroffenen Staaten sich überschneiden. Wo gemeinsame Bedrohungen gesehen werden, wächst die Bereitschaft zur Kooperation. Zu Zeiten des Kalten Krieges hat man über die Sowjetunion Erkenntnisse ausgetauscht. Jetzt ist dies beim islamistischen Terrorismus der Fall. Im Schengenraum gibt es keine Grenzkontrollen mehr. Hier ist man schon deshalb auf weitreichende Kooperation angewiesen, weil terroristische Aktivitäten leicht grenzüberschreitend geplant und ausgeführt werden können. Die jüngsten Attentate von Paris und Brüssel haben dies gezeigt. Aufklärung internationaler Terrornetzwerke lässt sich mit der Arbeit von Archäologen vergleichen, die aus einem gigantischen Scherbenhaufen Vasen zusammensetzen müssen: Je Mehr simultan an verschiedenen Stellen graben und ihre Ergebnisse abgleichen, um so größer wird die Wahrscheinlichkeit, passende Stücke zusammensetzen zu können. Eine andere Metapher für den islamistischen Terror ist eine Wolkenformation: Diffus, ständig Form und Farbe wechselnd, Fetzen reißen sich los, andere verschmelzen, das ganze Gebilde driftet mit unvorhersehbaren Winden. Ebenso wie hier zuverlässige Analysen eine enge Kooperation vieler verschiedener meteorologischer Stationen erfordern, so sind Nachrichtendienste auf Informationsaustausch angewiesen. Bei der Aufklärung islamistischer Netzwerke müssen wir mit Diensten zusammenarbeiten, deren Ethos, Struktur und Auftrag weit jenseits der Vorschriften des BND-Gesetzes liegt. So wie ein Diplomat muss auch ein Nachrichtendienstler Hände schütteln, an denen Blut klebt. Hier in moralischem Rigorismus jegliche Berührung zu verbieten, ist ebenso abwegig wie leichtfertige Zusammenarbeit, die unter der Hand schnell zu konspirativer Kollaboration verkommt. Solange deutsche Soldaten in Afghanistan stehen, werden wir mit afghanischen und pakistanischen Diensten zusammenarbeiten müssen. Wir werden auch weiterhin mit der CIA und der NSA zusammenarbeiten müssen, auch wenn Guantanamo und Abu Ghraib Verbrechen waren, oder, wie Talleyrand gesagt hätte: Schlimmer noch als Verbrechen: Fehler! Hier wird immer eine Güterabwägung erforderlich sein, sehr oft sogar in jedem Einzelfall. Unbestreitbar ist, dass viele der jüngsten Warnungen, die uns erlaubt haben, Terroranschläge rechtzeitig aufzudecken und zu verhindern, von befreundeten Diensten gekommen sind.

Die Abteilung Technische Aufklärung (TA), früher Abteilung 2, gilt als unkontrollierbar. War das auch schon zu Ihrer Zeit so?

Technische Aufklärung erfordert einen hohen technischen Aufwand. Leistungsfähige technische Aufklärung muss an der Spitze moderner IT-Technologie mithalten, im Idealfall ihr sogar ein paar Schritte voraus sein. Das macht eine Kontrolle durch Leitungspersonal, dass nicht über ingenieurwissenschaftliche Kenntnisse verfügt, besonders schwer. In vielen Fällen gibt es weltweit nur eine Handvoll von Spezialisten, die tatsächlich verstehen, was dort abläuft. Technische Aufklärung arbeitet heute an Quantencomputern. Was die rätselhaften Maschinen mit welchen Algorithmen eigentlich leisten, auf welche Ziele sie angesetzt sind, lässt sich für einen außenstehenden Blick auf die Baustelle der neuen BND-Zentrale in Berlin.
Foto ©Euroluftbild.de / Grahe, Wikimedia, commons
Laien nicht erkennen. Das A und O einer Kontrolle technischer Aufklärung ist persönliches Vertrauen und enger, ständiger direkter Kontakt. Die genaueste Außenkontrolle nützt nichts, wenn die Innenkontrolle versagt. Durch die nunmehr festgeschriebene räumliche Abtrennung der technischen Aufklärung in Süddeutschland, während der übrige Dienst in Berlin nach Berlin zieht, wird diese Binnenkontrolle erschwert. Die Entscheidung, diesen Teil des BND in Pullach zu belassen, ist damals aus regionalpolitischen Erwägungen getroffen worden. Sie hat zur Folge, dass der Umzug erheblich teurer wird: Besonders wertvolle Grundstücke am Isarufer können nicht veräußert werden; es wird erhebliche Duplizierungen geben Der Gewinn für die Region wäre viel höher, wenn auf dem BND-Gelände hochprofitable neue mittelständische Gewerbe angesiedelt worden wären, wie sie derzeit überall im Münchner Umland emporsprießen. Zugleich wächst die Gefahr einer Verselbstständigung der technischen Aufklärung. Aus meiner Sicht eine falsche Entscheidung aus den falschen Gründen. 

Der ehemalige Präsident Schindler hat zum Entsetzen der Betroffenen angeordnet, die Technische Aufklärung von der Unternehmensberatung Roland Berger durchleuchten zu lassen. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

Externe Berater sind für einen Nachrichtendienst nicht das, was Weihwasser für den Teufel ist. Das Problem liegt auf zwei Ebenen: Erstens finden sich wenige Berater, die Der einstige BND-Präsident Gerhard Schindler. Er half unter anderem entscheidend, die zum Teil überbordende Bürokratie des Dienstes, beispielsweise bei Dienstreiseanträgen, zu verschlanken.
Foto: © BND
das ganz spezifische Umfeld eines Nachrichtendienstes richtig einzuschätzen wissen. Hier gelten ganz andere Effizienz- und Leistungskriterien als in einem Industriebetrieb. Motivation, Intuition, Empathie, strategisches und taktisches Denken in hochkomplexen, oft ideologisch aufgeladenen Zusammenhängen spielen hier eine entscheidende Rolle. Oft sind Einzelpersonen in der Kombination ihrer spezifischen Fähigkeiten und Kenntnisse unersetzlich. Andererseits muss die strikte Abschirmung bzw. Geheimhaltung gewahrt bleiben. Je mehr Außenseiter tiefere Einblicke in den Dienst gewinnen und dabei nicht durch die gleiche Loyalität und Motivation an den Dienst gebunden sind, umso größer wird die Gefahr eines beabsichtigten oder auch nur unbeabsichtigten Informationsabflusses. Jeder fremde Dienst, der den BND ausspionieren will, wird hier ansetzen.

Dem BND wurde auch schon vor der NSA-Affäre eine Komplizenschaft mit NSA und dem britischen Pendant GCHQ vorgeworfen. Was ist davon zu halten?

Es ist schlichtweg widersinnig, dem BND eine Komplizenschaft mit der NSA oder dem GCHQ vorzuwerfen. Schließlich handelt es sich um Partnerdienste, um Nachrichtendienste von Staaten, mit denen wir militärisch verbündet sind. Ein Auslandsnachrichtendienst kann gar nicht umhin, mit Verbündeten Erkenntnisse auszutauschen, vor allem wenn wir mit ihnen in gemeinsamen militärischen Operationen buchstäblich auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind.– Dabei stellt sich unweigerlich das Problem, dass diese Erkenntnisse zum Teil auch auf Wegen gewonnen worden sind, die nach unseren nationalen Gesetzen nicht erlaubt wären und mit der im BND verfügbaren Technologie auch gar nicht so hätten gewonnen werden können. Grundsätzlich gilt: Wie soll denn ein gemeinsamer militärischer Einsatz wie in Afghanistan sinnvoll koordiniert werden, wenn schon das Lagebild der Allianzpartner nicht zusammenpasst, weil Erkenntnisse nicht ausgetauscht werden? Blick über das Camp Mazar-i Sharif.
Foto: © Erebino Wikimedia Commons
Würde PRISM (Prisma) etwa klare Hinweise auf einen Anschlag auf das Bundeswehrlager in Mazar-i Sharif liefern – wer würde dann diese Warnung nicht zur Kenntnis nehmen wollen mit dem Hinweis, Prisma verstoße gegen deutsche Gesetze? Deutsche Wert- und Normenvorstellungen über die Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre und den Erfordernissen öffentlicher Sicherheit lassen sich nicht unreflektiert auf andere Gesellschaften übertragen. Die Kooperation mit den Diensten solcher Verbündeten wird nur dann möglich sein, wenn wir uns an das Legalitätsprinzip halten – aber eben auch respektieren, dass die Legalität selbst bei engen Verbündeten anders aussehen kann als bei uns. Internationale Vereinbarungen über strengeren Datenschutz mögen wünschenswert sein. Sie wären aber nur dann sinnvoll, wenn sie wirklich universal gelten; sonst laufen sie auf einen strategischen Informationsvorteil für diejenigen Staaten hinaus, die sich diesen Normen verweigern – und die wir in der Regel nicht zu unseren Verbündeten zählen.

So genannte Schnüffel-Programme verunsichern die Öffentlichkeit. Wie beurteilen die die reale Lage?

Wie gesagt: Ich weise schon das Wort „schnüffeln“ entschieden zurück: Es stammt aus dem Tierreich und ist eine rein emotionale Abwertung einer hochkomplexen und unverzichtbaren Tätigkeit. Jeder Journalist würde zu Recht entschieden protestieren, wenn man ihm Gekläffe oder Gegrunze unterstellen würde. Es gibt in Deutschland eine unreflektierte Empörung, wenn es um Programme wie xkeyscore, Prism, Tempora, Operation Eikonal oder die unseligen Selektoren geht. Und eine kaum zu überbietende Naivität. Selbstverständlich sammeln geheime Nachrichtendienste Daten, um ihr Land zu schützen. Man stelle sich einmal die Bedrohung durch Cyber-Warfare vor, die sich gegen kritische Infrastrukturen wie Kraftwerke, Verteiler, lebenswichtige Datenbestände oder Kommunikationsnetze richten könnte. Wer solche Angriffe nicht vorausschauend abwehren kann, riskiert Schäden, die die Explosion einer Atombombe in den Schatten stellen. Zur Überwachungsangst: Es ist ein Leichtes, Computer zu bauen, die automatisch Sprache erkennen, Suchbegriffe herausfiltern und dann nahezu unbegrenzt speichern. Es muss also andere Beschränkungen geben, wenn man das Sammeln sämtlicher verfügbarer Daten im Internet verhindern will. Diese Beschränkungen können organisatorischer und rechtlicher Art sein. Um den Daten einen Sinn zu geben, müssen sie von einem Menschen bewertet werden. Geht man davon aus, dass eine Fachkraft pro Tag vielleicht 50 Kommunikationen lesen, auswerten und zu Empfehlungen verarbeiten kann, dann ergibt sich ein Schlüssel für das, was die NSA kann: Selbst wenn man extrem hoch gegriffen von 50 000 angestellten Auswertern ausgeht, dann können etwa 2,5 Millionen Kommunikationen am Tag ausgewertet werden. Bei einem geschätzten Gesamtvolumen elektronischer Kommunikation von etwa zwei Milliarden pro Tag werden also nur 0,1 Prozent ausgewertet. Hier von einer lückenlosen, universalen Überwachung zu sprechen, geht an den Tatsachen vorbei. Mich wundert, dass häufig die gleichen Leute, die sich über staatliche Überwachung ereifern, auf Facebook tiefste Einblicke in ihr Privatleben öffnen und sich nicht wundern, wenn auf dem Bildschirm immer wieder offenbar genau auf ihre privaten Vorlieben zugeschnittene Werbung auftaucht. Vom gläsernen Bürger sind wir noch weit entfernt. Der gläserne Konsument ist in vielen Bereichen bereits Tatsache.

Die zweite Hürde setzt das Recht. Das ist in Deutschland relativ restriktiv – begründet mit dem historisch bedingten Misstrauen, das gegenüber nachrichtendienstlichen Strukturen herrscht. In anderen Ländern bestehen entsprechende Sensibilitäten nicht in gleichem Umfang. Auch wird die Güterabwägung zwischen öffentlicher Sicherheit und Schutz der Privatsphäre dort oft anders gewichtet. Es ist leicht, die USA oder Großbritannien an den Pranger zu stellen. Viel wird öffentliches Geschrei nicht bewirken. Denn für die Mehrheit in diesen Ländern geht es um den Kernbereich der eigenen Sicherheit. Proteste werden nur dazu führen, dass diese Länder in ihrer Zusammenarbeit mit deutschen Partnerdiensten noch zurückhaltender werden. Erst der enge Austausch von Daten erlaubt, eine halbwegs realistische Einschätzung globaler Terrorstrukturen und der daraus erwachsenden Risiken. Das gilt auch für organisierte Kriminalität, Drogenhandel, Kreditkarten- und Internetbetrug und natürlich klassische militärische Potenziale. Wer jetzt versucht, den USA und Großbritannien dieses Instrumentarium aus der Hand zu winden oder es zumindest abzustumpfen, muss sich darüber klar sein, dass er damit in eine globale Balance eingreift. Denn sowohl Russland wie China haben ähnliche Kapazitäten. Wer also der NSA das Handwerk legen will, muss eine Antwort auch auf das Potenzial dieser Mitspäher finden. Die werden aber noch weniger bereit sein, aus Rücksicht auf deutsche Bedenken ihre Praktiken zu ändern. Die Aufregung um Edward Snowden darf nicht den Blick dafür verstellen, dass die demokratisch legitimierte Kontrolle der Sicherheitsorgane in den USA und in Großbritannien unvergleichlich viel besser und zuverlässiger funktioniert als in anderen Staaten – selbst wenn wir Deutsche gerne andere Maßstäbe anlegen würden.

Herr Dr. Adam, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Zum Gesprächspartner:

Dr. Rudolf Georg Adam, Jahrgang 1948, ist im Laufe seines Arbeitslebens für vier Regierungsstellen (Auswärtiges Amt, Bundespräsidialamt, Bundeskanzleramt und Bundesverteidigungsministerium) tätig gewesen. Nach dem Studium in Tübingen, Oxford und München trat er in den Auswärtigen Dienst ein. Als Diplomat wirkte er unter anderem in Singapur, Peking und Moskau (politischer Referent), Ferner machte sich Dr. Adam als Redenschreiber von Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Leiter des Grundsatzreferates in der Abrüstungsabteilung und 1998 Europäischer Korrespondent (1999 erweitert um Sicherheits- und Verteidigungspolitik) einen Namen.
Nach den Jahren als Vizepräsident des Bundesnachrichtendienst (2001 bis 2004) stand er bis 2008 an der Spitze der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Im Anschluss vertrat er als Gesandter in Moskau und London sowie als Geschäftsträger der Deutschen Botschaft London wieder die außenpolitischen Interessen unseres Landes. 2014 trat er in den Ruhestand. Es ist ein Unruhestand, denn er fungiert auch heute noch als externer Dozent am Zentralinstitut studium plus der Hochschule der Bundeswehr in München und leitet ein Beratungsunternehmen.

Das Interview führte unser
Redaktionsmitglied Klaus Henning Glitza.

Über den Autor
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza, Jahrgang 1951, ist Chefreporter dieser Online-Publikation. Der Fachjournalist Sicherheit erhielt 2007 den Förderpreis Kriminalprävention; seit vielen Jahren ist er Mitarbeiter im Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Norddeutschland und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik. Vormals war er Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und dort u. a. zuständig für Polizeiangelegenheiten.
Weitere Artikel des Autoren