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 Haupteingang zum Gelände des Bundesnachrichtendienstes in Pullach
© bjs wikimedia

„Ein Hund an der Leine kann seine Aufgaben nicht erfüllen.

Von Klaus Henning Glitza

Immer, wenn sich bei Nachrichtendiensten etwas tut, brodelt es in der Gerüchteküche. So war es auch, als der damalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler „überraschend“, wie es hieß, Ende Juni dieses Jahres in den vorläufigen Ruhestand geschickt wurde. „Überraschend“ war die Demission aber nur für Ahnungslose. Bereits am 7. April dieses Jahres hatte Kanzleramtsminister Peter Altmaier den Koalitionspartner SPD von der geplanten Abberufung in Kenntnis gesetzt.

Der Chef des Bundeskanzleramtes selbst hatte mindestens 14 Tage vorher Gerhard Schindler einen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen nahegelegt. Eine goldene BND-Präsident Gerhard Schindler (2014) bei der Vorstellung des Buches „Geheimobjekt Pullach“
Foto: © BND
Brücke, denn gerade war der damalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes wegen eines Hörsturzes für mehrere Wochen ausgefallen. Doch der inzwischen genesene Ausdauersportler Schindler lehnte ab. „Gesundheitliche Gründe“ – das klang ihm offenbar zu bemüht. Wer ist nicht schon alles mit dieser Ansage zurückgetreten, obwohl es ein offenes Geheimnis war, dass die tatsächlichen Gründe ganz woanders lagen.

Vieles wurde in den Medien als Erklärungsmuster für das vorzeitige Altenteil bemüht. Am häufigsten wurde die NSA-Affäre genannt. Doch das war ganz offensichtlich nicht der Fall. Die Affäre um die so genannten Selektoren besonders solche, die die NSA dem BND übermittelte, hatte der ehemalige BND-Chef bereits überstanden. Und nicht nur das: Er hatte vor dem Untersuchungsausschuss eine gute Figur gemacht. Die skandalträchtigen Praktiken waren außerdem bereits seit spätestens 2008 intern bekannt – weit vor Schindlers Amtseinführung.

Es darf aber auch nicht verschwiegen werden, dass Gerhard Schindler in der Beliebtheitsskala des politischen Berlin alles andere als einen der oberen Ränge einnahm. Er gilt als ein Mann, der sich nicht gerne etwas sagen lässt und immer für eine sehr persönliche Meinung gut ist, unabhängig davon, ob sie in die jeweils herrschende politische Großwetterlage passt.

Das brachte ihm nicht nur Freunde ein. Ein paar Beispiele, die der Nachrichtendienstexperte Erich Schmidt-Eenboom, Direktor des Instituts für Friedenspolitik im oberbayerischen Weilheim, Veko-online nannte.

  • Als der BND-Präsident im Dezember zu der nachrichtendienstlichen Einschätzung kam, dass der neue saudi-arabische Verteidigungsminister ein Mann mit sehr aggressiven militärpolitischen Vorstellungen ist, saß zeitgleich Außenminister Frank-Walter Steinmeier während der Syrien-Konferenz mit den Saudis an einem Tisch. Weder der Außenminister noch seine Partner von der Arabischen Halbinsel waren „amused“.
  • Im Blick auf die „Lupenreinheit“ der Russischen Föderation und anderer Staaten kam der BND oft zu gänzlich anderen Bewertungen des Aggressionspotenzials als das Auswärtige Amt. Dadurch wurde der Präsident nicht nur einmal zum Überbringer unwillkommener Nachrichten, was schon in der Antike extrem risikoreich war.
  • Auch mit der Bundeskanzlerin geriet Schindler über Kreuz. Als der BND-Chef öffentlich machte, dass nach Erkenntnissen des Dienstes als Flüchtlinge getarnte „Schläfer“ auch über die Balkanroute nach Deutschland kommen, sah dies die mächtigste Frau der Welt als Torpedierung ihrer auf Willkommenskultur ausgerichteten Politik.
  • Ebenso hakte es zwischen Schindler und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

Der entscheidende Grund für den vorzeitigen Abschied scheint aber trivialer zu sein. Dem Bundesnachrichtendienst steht, so ließ es Kanzleramtsminister Altmaier Kanzleramtsminister Peter Altmeier
Foto: © Rudolf Simon/Wikimedia Commons
verlauten, die umfassendste und tiefgreifendste Reform seiner Geschichte bevor. Der Dienst soll effizienter und fit gemacht werden für veränderte sicherheitspolitische Herausforderungen. Dafür braucht der Dienst vor allem Ruhe und Kontinuität, sprich eine Phase der Konsolidierung. Und vor allem: So etwas wie die NSA-Affäre, die das Bundeskanzleramt für organisatorische Defizite verantwortlich machte, soll sich niemals wiederholen dürfen. Dazu wird die parlamentarische Kontrolle und die Aufsicht durch ein „Richtergremium“ erweitert“, ohne den BND an die Leine zu legen“, wie betonte. Denn ein „Hund an der Leine kann seine Aufgaben nicht erfüllen."

Doch Gerhard Schindler wurde nicht etwa für die Defizite verantwortlich gemacht, die im Zuge der NSA-Affäre deutlich wurden. Sie Libertas et Securitas, Freiheit (aber auch Freimut) und Sicherheit – das Motto des BND.
Foto: Archiv G
bestanden schließlich auch schon bei seinen Vorgängern. Hauptmotiv war vielmehr, dass die Reform von Anfang an in einer Hand bleiben sollte. Der damalige BND-Präsident wäre aber nach zwei Jahren, 2017, aus dem Amt geschieden. Ohne die erheblichen Verdienste Schindlers zu schmälern, muss gesagt werden, dass er ein Präsident auf Abruf war. Zumindest personell hätte das eine Bruchlinie für die Reform bedeutet. Auf Wechsel in der obersten Führung reagiert der Dienst – wie wohl alle Behörden – sehr empfindlich. Es ist das erklärte Ziel der Bundesregierung, der Zeit der Pannen und Affären eine Ära der Stabilisierung folgen zu lassen.

Nicht zu verkennen ist aber, dass der Wachwechsel inmitten einer sensiblen Periode stattgefunden hätte. 2017 ist bekanntermaßen Wahljahr. Eine vakante Stelle in einem so wichtigen Bereich hätte in diesem zeitlichen Zusammenhang zum Thema von Koalitionsverhandlungen werden können. Beispielsweise hätte ein grüner Juniorpartner den BND-Chefsessel für sich reklamieren können.

Im Übrigen ist es quasi Normalität, dass ein politischer Beamter in den einstweiligen Ruhestand geschickt wird, ohne dass dafür öffentlich Gründe angegeben werden. So steht es, für jedermann nachlesbar, in Paragraf 54 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes. Gerhard Schindler selbst sah es eher gelassen. „Die Wege des Herrn sind unergründlich“, sagte er, als er nach der Abberufung das Bundeskanzleramt verließ.

Dr. Bruno Kahl, BND-PräsidentDer neue BND-Präsident Bruno Kahl, Jahrgang 1962, kann jedoch getrost den nächsten fünf bis zehn Jahren, die für die Reform veranschlagt werden, entgegensehen, ohne die Altersgrenze fürchten zu müssen. Offenbar war auch dies ein schlagendes Argument.

Anders als sein betont forsch auftretender Vorgänger ist Bruno Kahl ein sorgsam abwägender, nachgerade bedächtiger Mann. Keiner, der schon in seinen ersten Tagen „no risk, no fun“ verlautbaren lässt. wie sein Vorgänger, der damit allerdings nur sagen wollte, dass die operativen Fähigkeiten des BND verbessert und häufiger gut kalkulierte Risiken eingegangen werden sollten. Das war eine Kampfansage an eine übervorsichtige, karrierebewusst jegliche Risiken scheuende mittlere Führungsgarde und eine überbordende Bürokratie, die weder von der Öffentlichkeit noch von sämtlichen Nachrichtendienstlern verstanden wurde.

Kahl, der Neue auf dem Präsidentensessel, vermeidet solche rustikalen Aussagen. Er wolle nicht über den BND, sondern mit dem BND sprechen, lautet eines seiner ersten Statements. Bei der Amtseinführung am 6. Juli dieses Jahres sagt er, es sei sein Ziel, „erst einmal zu lernen, zu verstehen und zu arbeiten“. Und er merkte gleich am Anfang: „Es geht heute nicht um mich, es geht um den Bundesnachrichtendienst, um dessen gedeihliche und gute Zukunft, und damit auch um die Sicherheit und die gedeihliche Zukunft unseres Landes“.

Im Dienst pflegt er einen neuen Stil. Dem hanseatisch-distinguierten Ernst Uhrlau und dem eher unkonventionellen Gerhard Schindler mit dem unverkennbaren Fallschirmjäger-Habitus folgt ein Präsident, der ganz anders ist als seine Altvorderen. Im Dienst lässt er seine Gesprächspartner in Vier-Augen-Gesprächen vortragen, ohne sie vorzeitig zu unterbrechen. Er kommentiert auch nicht unbedingt sogleich das Gehörte. Ein Stil, an den sich manche BNDler nicht ad hoc gewöhnen konnten.

Der neue Präsident ist zweifelsohne ein Mann, der nicht den Drang verspürt, sich in der Öffentlichkeit zu produzieren. Er wirkt zurückhaltend, fast schon ein bisschen scheu. Doch Menschenkenner sagen, er sei eine Persönlichkeit, die genau wisse, was sie wolle, ohne viel Aufhebens von der eigenen Person zu machen. Im Grunde ist das ja der Stoff, aus dem Nachrichtendienstler sein sollten. Je unauffälliger, desto besser. Zurückhaltend, aber effektiv und im Hintergrund alle Fäden ziehend. Im Bundesfinanzministerium wusste man Kahls Eigenschaften jedenfalls auch auf der Mitarbeiterebene zu schätzen. Schon jetzt werde der ehemalige Abteilungsleiter vermisst, ist zu hören.

Ohne Zweifel: Einer aus der so genannten Sicherheits-Community ist Bruno Kahl nicht. Aber auch niemand, der vom Geschäft der Nachrichtengewinnung und Aufklärung rein gar nichts versteht. Als Oberstleutnant der Reserve ist der BND-Chef bei regelmäßigen Wehrübungen für die Beurteilung der Feindlage zuständig. Und als ehemaliger Büroleiter des damaligen Bundesinnenministers Schäuble hat er persönlich an Konzepten nachrichtendienstlichen Charakters mitgewirkt, wie man hört.

Schäuble selbst gilt als Dirigent der deutschen Sicherheitspolitik, der selbst in der vordergründig Nachrichtendienst-fernen Position als Bundesfinanzminister den Taktstock schwingt und entsprechend Einfluss nimmt. Bereits seit geraumer Zeit sind aus dem engsten Umfeld des CDU-Bundespolitikers kritische Töne über eine allzu große Transparenz zu hören, die die Arbeitsfähigkeit des Dienstes beeinträchtigen könnte. Jemand, der Schäubles Vertrauter war und ist, muss viel, sehr viel über innere und äußere Gefährdungslagen wissen.

In seiner Antrittsrede bekennt Bruno Kahl, dass im Dienst Fehler gemacht wurden. Wörtlich sagte er: „Fehler passieren, sie gehören zur Unvollkommenheit der menschlichen Existenz. Aber der entscheidende Vorteil freiheitlicher, offener Systeme wie unserer rechtsstaatlichen Demokratie ist die Fähigkeit, Fehler zu erkennen, sie einzugestehen und vor allem, sie zu korrigieren. Dies ist von Regierung, Parlament und auch vom BND mit vereinten Kräften angegangen worden, und Teile der Lösungen liegen bereits auf dem Tisch. Andere Teile bleiben noch als Hausaufgaben zu tun, und es wird insbesondere meine Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass die im BND bereits von meinem Vorgänger mit Verve und Nachdruck begonnenen Prozesse und Reformen konsequent weitergeführt werden.“

Öffentlich gesagt hat Bruno Kahl aber bislang wenig, außer dass sich totale Transparenz und ein geheim agierender Nachrichtendienst ausschließen. Aber das war auch schon seinem Vorgänger Schindler bewusst. Trotz „Transparenzoffensive“.

An der Pressefront ist es seit Kahls Amtsantritt ruhiger geworden. Hintergrundgespräche mit Journalisten, wie sie von Gerhard Schindler geradezu kultiviert worden waren, haben bislang offensichtlich nicht stattgefunden. Interviewwünsche an den Präsidenten, selbst solche von bedeutenden Medien, wurden bislang negativ beschieden. Erst Ende November dieses Jahres bekam als erster Journalist Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und ein bekennender Kritiker der Nachrichtendienste, einen Interviewtermin bei Bruno Kahl.

Mancher Beobachter setzt die zurückhaltende Öffentlichkeitsarbeit mit einem einschneidenden Kurswechsel gleich. Das kann durchaus sein. Es hat in der Geschichte des BND keinen Präsidenten gegeben, der nicht entscheidende Änderungen umgesetzt hätte. Bruno Kahl selbst betonte allerdings in vertrautem Kreise, er wolle sich erst in einen so komplexen Apparat wie den Bundesnachrichtendienst einarbeiten. Also thematisch sattelfest werden, bevor er öffentlich Stellung nimmt.

„Den von meinen Vorgängern mit beachtlichen Erfolgen eingeschlagenen Weg“, wieder verlassen oder gar umkehren, werde er nicht, erklärte er bei seiner Amtseinführung. Auch künftig wolle er auf Dialog und Offenheit setzen.

„Die Dinge ins Helle zu drehen, wo immer es geht“, das ist das erklärte Motto des Dr. Kahl. Die Zukunft wird zeigen, wie und auf welche Weise dieser einprägsame Leitspruch umgesetzt werden kann.

Öffnung nach außen

Mehrfach erklärte der ehemalige Präsident Gerhard Schindler, er wünsche sich einen „BND zum Anfassen“. Mehr Transparenz wagen, auch und gerade in nachrichtendienstlichen Belangen, das war sein Motto. Das Ziel: „das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes weiter zu stärken“. Der BND erfülle schließlich eine wichtige Aufgabe. Dafür müsse er sich nicht verstecken. Geheimnistuerei aber erzeuge Misstrauen statt Vertrauen. „Die Öffentlichkeit ist nicht hinreichend darüber informiert, wie wir genau arbeiten, unter welchen Voraussetzungen wir das tun“.

Die Risiken einer Öffnung nach außen waren dem Präsidenten durchaus bewusst. Es sei eine Gratwanderung, erklärte er erst kürzlich. „Aber sie ist in unserer freiheitlichen Demokratie unabdingbar. Diesen schwierigen Spagat zwischen dem nachrichtendienstlichen Methoden- und Quellenschutz und dem wachsenden gesellschaftlichen Informationsbedürfnis müssen wir einfach hinkriegen“.

Der BND-Präsident beließ es keinesfalls bei Worten. Eine der spektakulärsten Aktionen war die Offenlegung von sechs zuvor „abgetarnten“ Außenstellen. Eine „Selbstenttarnung, kritisierten Gegner der neuen Transparenzoffensive. Eine Enthüllung von ohnehin offenen Geheimnissen, bilanzierten die Befürworter. Denn betroffen von der neuen Transparenz waren nur solche Dependancen, die zwar geheimnisvoll-phantasievolle Namen trugen, aber längst nicht mehr wirklich geheim waren. Hier wurde Geheimniskrämerei statt tatsächlicher Geheimhaltung betrieben, betonen Insider. Doch: „Geheimnistuerei erzeugt Misstrauen statt Vertrauen“, verdeutlichte der BND-Präsident die neue Transparenz. Als die Selbstenttarnung erfolgte, war kaum jemand wirklich überrascht.

In der Tat hatte die Geheimnistuerei gerade in der Frühzeit des BND sonderbare Blüten getrieben. Wenn der erste Präsident des Dienstes, der ehemalige Generalmajor a. D. Reinhard Gehlen (vorn im Bild), der Gründer des Bundesnachrichtendienstes, mit seinen engsten Mitarbeitern. Eine Szene wie aus einem klischeehaften Hollywood-Spionagethriller.
Foto: Archiv G
Wehrmachtsgeneral Reinhard Gehlen, mit der Bahn von Pullach in den damaligen Regierungssitz Bonn fuhr, tarnte er sich sommers wie winters mit einer Sonnenbrille und hatte Ausweispapiere dabei, die auf einen Dr. Schneider lauteten. BND-intern wurde er deshalb „der Doktor“ genannt. Heute wäre eine solche „Tarnung“ selbst für den Präsidenten gar nicht mehr möglich, denn nach BND-Richtlinien kann der Name zwar „variiert“ werden, der Doktortitel hingegen muss echt sein.

Die nun wirklich nicht zu übersehende BND-Zentrale in Pullach wurde nichtsdestotrotz lange Jahre als „Bundesvermögensamt, Abteilung Sondervermögen, Außenstelle Pullach“ „getarnt“. Am Haupttor der Hinweis „Behördenunterkunft“. „Legendierungen“, mit denen im Grunde nur völlig Ahnungslose getäuscht werden konnten.

Dass sich hinter der „Fernmeldeweitverkehrsstelle der Bundeswehr“, Abkürzung FmWvStBw, in der Mangfall-Kaserne in Bad Aibling das „Objekt ORION“ beziehungsweise „SEELAND-TORFSTICH“ des BND verbarg, konnte jedermann in Radome der ehemaligen Echelon Field Station 81 in Bad Aibling, Bayern.
Foto © Christian M./Wikimedia
offenen Quellen wie Wikipedia nachlesen. Auch vor Ort war die Tarnung längst aufgeflogen. „Für uns hier war das ganze Zeit eh schon der BND“, erklärte Bad Aiblings Bürgermeister Felix Schwaller der Lokalzeitung „OVB“. „Die Golfbälle“, wie der Antennenpark von Bad Aibling wegen seiner vielen weißen Kuppeln, so genannten Radomen, auch genannt wird, waren bereits ein offenes Geheimnis, als hier noch die US-Amerikaner mit ihrer Bad Aibling Station, der Field Station 81, residierten.

Daran, dass auf einem Gelände Dinge vorgehen, die für ein größeres Publikum nicht geeignet erscheinen, hatten sich auch die Einwohner von Gablingen längst gewöhnt. Schon seit 1904, als dort noch unter dem letzten bayerischen König ein Flugfeld errichtet wurde, ist das Areal eine sorgsam abgeschirmte Sperrzone. Die Anlage, die auch im Dritten Reich als gut getarnter Flugplatz genutzt wurde, wurde nach der Kapitulation von der U.S. Army übernommen. 1971 wurde mit der Errichtung des „Iron Horse“, später auch „Elefantenkäfig“ genannt, begonnen. Ein „eisernes Pferd“, das aus einer riesigen Kreisantennenanlage mit circa 365 Metern Durchmesser und mehr als 30 Metern Höhe besteht. Seit Mai 1977 trug die Anlage die Namen „USASAFS“ (U.S. Army Security Agency Field Station“, interne Bezeichnung „Site 300“).

Die Kreisantenne, eine AN/FLR-9-Wullenweber-Anlage, machte sogar grafische Karriere. Zur Feier des zehnjährigen Bestandsjubiläums der Field Station Augsburg legte Unübersehbar, aller Tarnungsbemühungen zum Trotz: der so genannte Elefantenkäfig von Gablingen. Mit dieser riesigen Antennenanlage kann weltweit ausländischer Kurzwellenfunk empfangen werden.
Foto: Archiv G
die Augsburger Brauerei Thorbräu ein spezielles Bier für die amerikanischen Freunde des Gerstensaftes auf. Auf dem Etikett ist unter düsteren Wolken der „Elefantenkäfig“ abgebildet.

„Amt für Fernmelde- und Informationssysteme der Bundeswehr -Fernmeldestelle Süd“ stand etliche Jahre am Tor einer weithin sichtbaren Einrichtung in Gablingen-Gersthofen. Bis zum 7. Dezember 1998 war das „große Ohr von Gablingen“ eine US-amerikanische Einrichtung, Tarnbezeichnung „U.S. Army Field Station“. Letzter Nutzer war die 66th Military Intelligence Group.

Als „Amt für Fernmelde- und Informationssysteme der Bundeswehr -Fernmeldestelle Süd“ war die BND-Station in Gablingen-Gersthofen lange Jahre „getarnt". Doch dass Deutschlands Auslandsnachrichtendienst der wahre Hausherr war, pfiffen die Spatzen längst von den Dächern.
Foto: © BND
Bis Dezember 1998 war das „große Ohr von Gablingen“ eine US-amerikanische Einrichtung, offizielle Bezeichnung „U.S. Army Field Station Augsburg“. Belastbare Angaben über die Mannstärke der dort eingesetzten Soldaten liegen nur aus dem Jahr 1985 vor. Seinerzeit waren 1.914 Mitarbeiter unter der Fachaufsicht der NSA im Einsatz. Keith Alexander, der spätere Direktor der NSA, leistete in der kurz „Gab“ genannten Einrichtung als junger Offizier seinen Militärdienst ab. Als die US- Spezialisten abrückten, wurden die „Firmenschilder“ ausgewechselt. „Amt für Fernmelde- und Informationssysteme der Bundeswehr – Fernmeldestelle Süd“ stand seitdem am Tor der weithin sichtbaren Einrichtung in Gablingen-Gersthofen.

„In der Fernmeldestelle Süd wird militärischer Kurzwellenfunk außerhalb von Deutschland aufgeklärt“, teilte Dienststellenleiter „Alois Nöbauer“ (Dienstname), ein Diplomingenieur, im August 2013 laut „Süddeutscher Zeitung“ mit. Das „große Ohr“ hat eine Reichweite von rund 7.400 Kilometern. Auf diese Entfernung können nicht nur Funksprüche aufgefangen werden, sondern auch die Standorte der jeweiligen Sendegeräte exakt bestimmt werden. Afghanistan, Luftlinie rund 4.00 Kilometer, passt locker in den Erfassungsbereich. Damit diente und dient Rheinhausen in der Tat der Bundeswehr beziehungsweise der Sicherheit der deutschen Soldaten am Hindukusch. So völlig falsch war also die Bezeichnung nicht.

Dass aber nicht die Truppe, sondern der Dienst in Gablingen Regie führte, ist schon länger bekannt. Die erste Enttarnung ist dem bayerischen Landtagsfraktionschef Franz Maget zuzuschreiben. Der Sozialdemokrat erklärte 2003 in öffentlicher Sitzung: „Ich habe die Zusicherung erhalten, dass die beiden anderen BND-Standorte in Bayern, Bad Aibling (Oberbayern) und Gablingen, erhalten und ausgebaut werden“.
Wenig Illusionen machten sich Lokalpolitiker und Bevölkerung auch über das „Ionosphären-Institut“ im idyllischen Taubergießen-Gebiet, ganz in der Nähe des 3.500-Einwohner-Örtchens Rheinhausen. Es liegt im südbadischen Landkreis Emmendingen, in Sichtweite des Europaparks Rust und gut einen Kilometer von der deutsch-französischen Grenze entfernt.

Dass dort, im Objekt mit dem Decknamen „TAMBURIN“, in besonderer Weise geforscht wird, war vielen in Rheinhausen schon seit dem Gründungsjahr 1972 bewusst. Es gab zu viele Indizien, die sich im Laufe der Jahrzehnte ansammelten. Allein die großen Parabolantennen sprachen ihre eigene Sprache. Ionosphäre ist im Übrigen jener Bereich der Atmosphäre, der Kurzwellen reflektiert und deren weltweite Verbreitung ermöglicht.

Zunächst wurde die Einrichtung als „hochschulfreies Forschungsinstitut mit ressortübergreifender Aufgabenstellung“ bezeichnet, doch das glaubte keiner der Anrainer wirklich. Allein die gelbfarbigen Warnschilder „Achtung Militärischer Schutzbereich“ machten jedem deutlich, dass hier kein gewöhnliches ziviles Institut am Werke war. Eine Früher residierte hier, ganz in der Nähe des Ortes Rheinhausen, das „Ionosphären-Institut“, BND-Deckname „TAMBURIN". Seit Juli 2014 ist diese Tarnliegenschaft enttarnt. Vom BND selbst, im Rahmen der Transparenzoffensive.
Foto: © BND
deutlichere Sprache wurde in der Bundestagsdrucksache 11/7669 vom 13. August 1990 angeschlagen. Dort wird das Institut als „Einrichtung des Bundes“ bezeichnet, die „Zwecken der Landesverteidigung dient“. „Auskünfte über Einzelheiten der Organisation und der Tätigkeit dieser Stelle dürfen nur der Parlamentarischen Kontrollkommission nach dem Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit (…) gegeben werden“, heißt es weiter lakonisch. Damit war im Grunde alles klar.

Und: In Rheinhausen kennt fast jeder mindestens eine Person, die dort arbeitet. Wurden die bekannten Mitarbeiter gefragt, was sie im „Ionosphäreninstitut“ so treiben, bekamen sie schmale Lippen. Aber auch das pflichtgemäße Schweigen über die wahren Hintergründe der Einrichtung kann vielsagend sein.

Als „Bundesstelle für Fernmeldestatistik-Versuchsstation“, früher auch „Funktechnische Versuchsanstalt“, war eine Lauscheinrichtung der damaligen Abteilung 2 ganz in der Nähe eines Steinbruchs im niedersächsischen Schöningen getarnt. Wie ein früherer Leiter dieser Einrichtung vor dem NSA-Untersuchungsausschuss aussagte, werden dort im Zuge der „Ausland-Fernmeldeaufklärung“ täglich 300.000 bis 400.000 Telefonate und Mails „bearbeitet“ und mehrere Millionen Megadaten gespeichert. Auch die NSA weiß den Schöninger Horchposten zu schätzen und billigt ihm „eine entscheidende Rolle bei den Bemühungen des BND im Antiterrorkampf und bei der Force Protection", (Schutz deutscher Einsatzkontingente im Ausland) zu.

Entlarvender Interneteintrag: Das „Amt für Schadensabwehr“, ein Tarndienstposten des Bundesnachrichtendienstes in Berlin, konnte beim Googeln unter der Adresse der Interims-Zentrale des BND aufgespürt werden.
Repro: K H Glitza
Auch der wahre Hintergrund eines Amtes für Schadensentwicklung an der Taubenstraße 1 in Berlin-Mitte war schon seit längerem nicht nur Insidern bewusst. Es bedurfte keiner raffinierten Spionagetechnik, um diese Dienststelle zu enttarnen. Wer das Amt googelte, stellte schnell fest, dass dergleichen nicht existiert. Noch aussagekräftiger war ein schlichter Blick ins öffentliche Telefonbuch. Dort war ein Amt für Schadensabwicklung eingetragen, aber unter der Adresse Gardeschützenweg 71, Berlin. Die Anschrift der Interims-Zentrale des BND im Berliner Stadtteil Lichterfelde.

Wie schon anfangs gesagt: Gelüftet wurden Geheimnisse, die keine mehr waren. Transparent wurde, was eh schon durchsichtig war.

 

Über den Autor
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza, Jahrgang 1951, ist Chefreporter dieser Online-Publikation. Der Fachjournalist Sicherheit erhielt 2007 den Förderpreis Kriminalprävention; seit vielen Jahren ist er Mitarbeiter im Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Norddeutschland und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik. Vormals war er Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und dort u. a. zuständig für Polizeiangelegenheiten.
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