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 Der idyllische Rathausplatz von Tönisvorst lässt nicht auf Probleme mit Salafisten schließen.
Foto:© Palikap, wikimedia Commons

Salafisten

Von Klaus Henning Glitza

Eigentlich, so sagen seine deutschen Nachbarn im niederrheinischen Tönisvorst, sei er doch ganz nett und freundlich. Ahmad Abdulaziz Abdullah A.- ein treusorgender Familienvater mit einer allzeit tiefverschleierten Ehefrau und vier munteren Kindern. Dass er ein Wolf im Schafspelz ist, davon wollen die Hausgenossen nichts wissen. Einer der Arges im Schilde führt? „Nein, der doch nicht. Gott bewahre“.

Auch in Bad Salzdetfurth, einem Soleheilbad in der Nähe von Hildesheim, bringen die Nachbarn nichts Negatives über die Lippen. Ahmad Abdulaziz Abdullah A., ein 32-jähriger Iraker lebt dort in einem Zweitwohnsitz. Mitsamt Zweitfrau nach altem islamischen Brauch. Unauffällig, stets freundlich grüßend, ein muslimischer Mitbürger zum Anfassen.

Abu Walaa
Foto: © Archiv G
Dass der Mann, der sich selbst „Scheikh Abu Walaa“ nennt, so nett und harmlos gar nicht ist, war dem Verfassungsschutz schon seit Jahren bekannt. Es bedurfte keiner nachrichtendienstlichen Mittel, um das wahre Gesicht des Irakers zu enthüllen. Auf Facebook offenbarte Ahmad Abdulaziz Abdullah A., ganz offen, welch Geistes Kind er ist. Es sei die Pflicht jedes wahrhaft Gläubigen, das Land der „Kufr“, sprich Ungläubigen, zu verlassen und zum Land des Islam zu gehen. Mit dem „Land des Islam“ meinte der Iraker natürlich nichts anderes als den berüchtigten so genannten Islamischen Staat, Abkürzung IS.

„Scheikh Abu Walaa“ war einer der Hauptprediger des „Deutschsprachigen Islamkreis Hildesheim e.V.“, der eine Moschee in einem Verhängte Schaufenster, wo früher Drogerieartikel feilgeboten wurden: Die Hildesheimer Problem-Moschee residiert in einem ehemaligen Schlecker-Markt.
Foto: © Archiv G
ehemaligen Schlecker-Markt an der Martin-Luther-Straße 41A in der niedersächsischen Domstadt betreibt. Bis zu 250 Gläubige versammelten sich dort, hinter verhängten Schaufenstern, zum Freitagsgebet. Die Problem-Moschee, wie sie in Hildesheim genannt wird, ist so unauffällig wie der selbsternannte Scheikh selbst. Untergebracht in einem trist-unscheinbaren Gebäude fällt sie nur ins Auge, wenn Gläubige in arabisch anmutenden Gewändern herbeiströmen, um am Freitagsgebet teilzunehmen. Oder um gemeinsam in einer nach Eigendarstellung „schönen Atmosphäre“ die „schönsten Tage“ des Fastenmonats Ramadan zu erleben.

Dass mit der Moschee etwas nicht so ganz in Ordnung ist, fiel vor Zeiten bereits dem Stadtteilbürgermeister Ekkehard Domning auf. Ein weltoffener toleranter Mann, Mitglied der Grünen, dessen erklärtes Ziel die gute Zusammenarbeit der vielen Religionsgemeinschaften ist. Als Domning mehrfach versuchte, Kontakt zur Moschee aufzunehmen, bekam er noch nicht einmal eine Antwort. „Die sind zur Integration absolut unfähig", so sein Urteil. Die gutmeinend entgegengestreckte Hand, sie war nicht erwünscht.

Weshalb die nach Eigenangaben „freie Moschee ohne Dachverband“ in dieser harschen Art reagierte, darüber könnte der niedersächsische Verfassungsschutz viel sagen. Die religiös verbrämte Einrichtung im ehemaligen Drogeriemarkt ist ein Hotspot der salafistischen Szene, sind sich die Inlandsnachrichtendienstler sicher. In einem solchen Zentrum der extremsten Form des Islamismus lässt sich selbstredend niemand gern in die Karten schauen.

„Reinen Herzens" sind nach radikal-salafistischer Denkweise auch all jene, die mit der Waffe in der Hand für ihren Glauben eintreten. Aber das wird eher hinter der vorgehaltenen Hand propagiert.
Repro: K H Glitza
Nicht nur Salafisten aus dem norddeutschen Bundesland, sondern aus der gesamten Bundesrepublik fanden sich nach behördlichen Erkenntnissen in Hildesheim ein, um die hasserfüllten Botschaften Scheikh Abu Walaa und anderen Einpeitschern zu hören. Unter ihnen auch mehrere „Gefährder“.

Die Salafisten liebten die unverblümte Art des Irakers, der auch zum Hass gegen alle Ungläubigen aufstachelte. Der Mann spreche Klartext, so ein Beobachter aus dem radikal-muslimischen Spektrum. Was er von sich gab, sei kein verbaler „Weichspülgang“, sondern Hardcore-Rhetorik gewesen. Während andere „Prediger“ nur sehr allgemein von der Pflicht eines Muslimen sprächen, auszuwandern, wenn sie sich ihrer selbst und ihrer Religion nicht sicher fühlten, soll der Scheikh offen von der „Hijrah“ (Auswanderung) in das so genannte Kalifat gesprochen habe. Eine, wenn auch vielleicht nur taktische Distanzierung vom „IS“, wie sie selbst der berüchtigte Pierre Vogel übt, habe es bei Ahmad Abdulaziz Abdullah A. nie gegeben.

Dass sich der Verfassungsschutz seiner angenommen hatte, muss der Iraker wohl geahnt haben. Vorsorglich gab er deshalb möglichen „Spionen“ unter den Gläubigen mit auf den Weg, sie würden niemals das Paradies mit all seinen Segnungen und Verheißungen erreichen, sondern ihre postmortale Existenz unter schrecklichsten Bedingungen im Reich der Finsternis verbringen.

Diese massiven Drohungen verfehlten zwar ihre Wirkung nicht, aber dennoch drangen einzelne Details durch. Beim niedersächsischen Verfassungsschutz, der die am 14. Juli 2012 gegründete Nordstadt-Mosche seit 2013 beobachtete, Muslime beim Freitagsgebete in Niedersachsen.
Foto: N. N
häuften sich die Hinweise auf mehr oder minder offene Aufrufe, sich dem „IS“ anzuschließen. Derweil sprachen aber auch die Fakten ihre eigene Sprache. 22 Besucher des Deutschsprachigen Islamkreis Hildesheim e.V., darunter mindestens 15 eingeschriebene Mitglieder, verließen nach behördlichen Feststellungen Deutschland, um sich Terrormilizen anzuschließen. Auch der ehemalige Vorsitzende des eingetragenen Vereins und ein Schriftführer gehörten dazu. Fast ein Drittel der insgesamt 74 radikalisierten Muslime aus Niedersachsen, die sich dem „IS“ und ähnlichen Terrorformationen zuwandten, standen somit in Verbindung mit der „freien Moschee“ aus Hildesheim. Nur Naive konnten glauben, dass das ein Zufall war.

Doch auch bei den anderen Ausreisenden führt die Spur immer wieder zu extremistischen Salafismus. Unter den „Pilgerern“ in Richtung „IS“ gibt es niemanden, der nicht Kontakt zu salafistischen Organisationen hatte. Zentren wie in Hildesheim, wenn auch kleiner, gibt es unter anderem auch in Göttingen, Wolfsburg und Braunschweig. Salafisten propagieren nicht automatisch Gewalt, aber islamistische Gewalttäter sind in der Regel Salafisten", so umschreibt es Andreas Schwegel, Leiter der Präventionsstelle politisch motiviere Gewalt beim Landeskriminalamt Niedersachsen.

Doch der „Deutschsprachige Islamkreis“ in Hildesheim beließ es augenscheinlich nicht bei Aufrufen zum Dschihad. Verfassungsschützer gewannen Erkenntnisse, dass die überwiegend nach Syrien ausgereisten Personen in Hildesheim nicht nur den Marschbefehl erhielten, sondern auch die logistisch-finanzielle Unterstützung um das Ziel Vom Gebet in die Kampfgebiete in Syrien und Irak – das war der Weg von 74 Muslimen aus Niedersachsen . Insbesondere der „Deutschsprachige Islamkreis" in Hildesheim erwies sich als Rekrutierungsbecken.
Repro: K H Glitza
ihrer Sehnsüchte zu erreichen. Wer sich dem „IS“ anschließen wollte, brauchte die Reise in den Dschihad, den „Heiligen Krieg“ keinesfalls vorzubereiten oder gar aus eigener Tasche zu bezahlen. „Es wurde alles für ihn und seine eventuell mitreisenden Angehörigen erledigt“, so ein Insider. „Fast so wie bei einem Reisebüro“.

Dieser „Service“ beinhaltete offenbar auch Reisedokumente“. Im Februar diesen Jahres wurden in Ungarn zwei Salafisten aus Hildesheim mit gefälschten Papieren aufgegriffen. „Gute Arbeiten, die bei einer bloßen optischen Kontrolle nicht aufgefallen wären“, weiß ein Insider. Die beiden Männer aus der niedersächsischen Großstadt sind bis heute in Ungarn inhaftiert.

Alarmierend ist, dass nicht nur Ausreisende in Richtung „Kalifat“, sondern auch Terrorverdächtige Kontakte zu Hardcore-Islamisten haben und hatten. Ein Beispiel dafür ist Dschaber Al-Bakr, der als syrischer Kriegsflüchtling im Februar 2015 nach Deutschland kam und eine dreijährige befristete Aufenthaltsgenehmigung erhielt. Radikalisiert sei er zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewesen, sagen zumindest Personen seines nahen Umfeldes. Das änderte sich umfassend, als Syrer von seinem Aufenthaltsort in Nordsachsen aus regelmäßig nach Berlin fuhr. Dabei ist er offenbar von salafistisch orientierten Imanen während der Freitagsgebete gedrängt worden, sich dem „IS“ anzuschließen. Seit September 2015 hielt er sich mehrere Monate in den „IS“-Gebieten auf. Und auf Facebook bekannte sich der Syrer im Januar 2016 öffentlich zum Dschihad.

Da war der einstige Kriegsflüchtling, den es nichtsdestotrotz wieder in den Krieg zog, schon längst im Visier des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Über einen US-Dienst, vermutlich die NSA, hatten die Kölner erfahren, dass der inzwischen nach Deutschland zurückgekehrte Al-Bakr mit einem Kontaktmann in Syrien telefoniert Der Hassprediger Pierre Vogel. Er, der Ultra des salafistischen Spektrums, ist den IS-Anhängern nicht radikal genug. Der Konvertit wurde deshalb mehrfach mit dem Tode bedroht. Wer hätte sich dies vor ein paar Jahren träumen lassen.
Foto: © Archiv G
hatte. Mitgehört wurden Passagen wie „Zwei Kilo sind fertig“ und „Ein großer Berliner Flughafen ist besser als Züge“. Observationsmaßnahmen erhärteten, dass es dem Syrer ernst war. Er wurde bei der professionell realisierten Auskundschaftung eines Airports beobachtet. Es lässt sich nur sagen, der Großflughafen BER war es nicht, denn der war und ist auch ohne Al-Bakrs Zutun lahmgelegt. Mit letzter Sicherheit lassen sich Motive und eventuelle weitere Planungen des Syrers nicht erhellen, da er sich bekanntlich nach seiner Festnahme in seiner Zelle erhängte.

Mit Al-Bakr wird eine Herausforderung deutlich, mit dem die Sicherheitsbehörden künftig noch deutlicher konfrontiert werden könnten. Der Weg nach Syrien oder den Irak ist beileibe keine Einbahnstraße. Muslime, die für den „IS“ gecastet werden, kehren oftmals als potenzielle Terroristen, als noch extremer radikalisierte und verrohte „Kampfmaschinen“ nach Deutschland zurück. Dirigiert und instruiert von Netzwerken in Deutschland, aber auch von ausländischen Funktionären des „IS“, die aus den Kampfgebieten heraus agieren. Eine „Doppelverwertung“, wie sie einst Al-Qaida meisterhaft beherrschte. Aus Heimkehrern des Kampfes gegen die Rote Armee in Afghanistan wurde eine globale Armee des Terrors gebildet.

Die prägende Rolle des selbsternannten Scheikh im großen Spiel der Dschihadisten wurde noch deutlicher, als sich ein 22-jähriger IS-Rückkehrer gegenüber den Behörden offenbarte. Statt sich freudig dem Märtyrertod hinzugeben, war der Mann aus dem Kalifat in die Türkei geflohen. Das Schreckensregime der Glaubenseiferer und die blutrauschartigen Gewaltexzesse hatten selbst diesen islamistischen Extremisten abgestoßen. Was der Aussteiger aussagte, elektrisierte einen Ermittler. „Abu Walaa“, der stets freundlich lächelnde Mann von nebenan, sei in Wahrheit die „Nummer 1 des IS in Deutschland“, gab der Aussteiger zu Protokoll. Der „Scheikh“- ein General Manager des Terrors. In seiner Entscheidungsgewalt hätte die Genehmigung und die konspirative Organisation von Ausreisen in die IS-Gebiete gelegen, so der 22-Jährige.

Die Beweise gegen A. und die „freie Moschee“ in Hildesheim wurden immer erdrückender. Bereits Ende Juli dieses Jahres führte die Polizei deshalb eine groß angelegte Aktion gegen den „Deutschsprachigen Islamkreis“ durch. 400 Beamte, darunter SEK-Angehörige, durchsuchten die Moschee und acht Privatwohnungen. Eine „akribisch vorbereitete Aktion“, wie es hieß. Das mag wohl stimmen, doch die Maßnahme stand unter einem denkbar schlechten Stern. Denn die Salafisten konnten sich in aller Gemütsruhe auf die „Hausbesuche“ einstellen. Kurz vor den Durchsuchungsmaßnahmen war in der in Hannover erscheinenden „Neuen Presse“ die Passage: „Nach Einschätzungen von Insidern könnten die Ermittler in wenigen Tagen zum entscheidenden Schlag gegen den Verein ausholen" zu lesen gewesen. Offenbar hatte sich ein Behördenmitarbeiter zu einer schlimmen Indiskretion hinreißen lassen. Die Polizei kam nicht umhin, vorzeitig, Insider sagen übereilt, loszuschlagen. Das ungemein wichtige Überraschungsmoment aber war dahin.

Dem „Scheikh“ aber hat dieser ungewollte Vorteil letzten Endes nichts genützt. Am 8. November diesen Jahres wird er, der als Kopf eines überregionalen salafistisch-dschihadistisches Netzwerk gilt, in Bad Salzdetfurth festgenommen. Sein Schicksal teilten vier weitere Männer: der Türke Hasan C (Betreiber eines Reisebüros in Boris Pistorius, Innenminister von Niedersachsen
Foto: © AG Gymnasium Melle, CC-BY-SA
Duisburg), der deutsche und serbische Staatsangehörige Boban S., der Deutsche Mahmoud O. und der kamerunische Staatsangehörige Ahmed F. Y. „Die Männer sind dringend verdächtig, die ausländische terroristische Vereinigung Islamischer Staat (IS) unterstützt zu haben“, teilt die Bundesanwaltschaft mit.

Diese und weitere Maßnahmen sind ein wichtiges Signal an die gewaltbereiten Salafisten, betont Niedersachsen Innenminister Boris Pistorius (SPD): „Wir tun alles dagegen, dass sie den friedlichen Glauben des Islam für ihre Zwecke missbrauchen und Zwietracht säen – bis hin zu Hass und Gewalt“, kommentiert er.

Dennoch gibt es Anzeichen, dass allenfalls ein Kopf der Hydra abgeschlagen ist. In salafistischen Kreisen werde bereits über Nachfolgeorganisationen und neue Aktionsformen nachgedacht, wissen Insider. Zweifellos: Das Sicherheitsniveau hat sich deutlich verbessert, doch die Gefährdungslage bleibt.

Über den Autor
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza, Jahrgang 1951, ist Chefreporter dieser Online-Publikation. Der Fachjournalist Sicherheit erhielt 2007 den Förderpreis Kriminalprävention; seit vielen Jahren ist er Mitarbeiter im Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Norddeutschland und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik. Vormals war er Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und dort u. a. zuständig für Polizeiangelegenheiten.
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