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Ob Freund, ob Feind: Nicht-öffentliche Informationen interessieren alle Späher dieser Welt. Gleich, welcher Couleur.
Foto: © Günther Gumhold/pixelio.de

Die Causa des Daniel M.

Ein Nachtrag zur Titelstory der vorigen Ausgabe

Von Klaus Henning Glitza

Der Fall Daniel M. ist und bleibt ein Mysterium. Denn der Mann, der besser als der Schweizer Spion bekannt ist, hat sich auf eine spezielle Verteidigungsstrategie verlegt. Er sagt in Deutschland so ziemlich das Gegenteil von dem aus, was er in einem anderen Verfahren in der Schweiz seinen eigenen Landsleuten erzählt hat. „Daniel M. (neu) gegen Daniel M (alt)“, so formulierte es die Süddeutsche Zeitung. Ob allerdings die Aussage-Pirouette eine schlaue Verteidigungsstrategie ist, bleibt abzuwarten.

Klar ist, dass es etwas anderes ist, wenn jemand in der Schweiz erzählt, er würde für den Nachrichtendienst der Eidgenossenschaft arbeiten, als in Deutschland, wo es ein Straftatbestand wäre. „Es ist nachvollziehbar, dass er das aussagt, was für ihn am besten ist“, bilanziert ein Insider. Das müsse aber keinesfalls die Wahrheit sein. Nachzuvollziehen sei ein solches Aussageverhalten schon, „denn wer belastet sich schon gerne selbst“. Namentlich dann, wenn es um „Nachrichtendienstliche Agententätigkeit“ geht. Ein Straftatbestand, der bis zu zehn Jahre Freiheitsentzug nach sich ziehen kann.

Auffällig ist, dass nicht nur der tatverdächtige ehemalige Beamte der Stadtpolizei Zürich und einstige Sicherheitschef der Großbank UBS seine nachrichtendienstliche Rolle herunterspielt, sondern auch große Teile der Schweizer Presse und einige deutsche Medien. Zunehmend taucht die Frage auf, ob sich die Tatvorwürfe der Generalbundesanwaltschaft überhaupt aufrechterhalten ließen. „Vom Kaliber eines James Bond war Daniel M. sicherlich nie, aber er war auch nicht das Gegenteil“, sagt dagegen ein Mann, der sich mit dem Fall auskennt.

Zu seiner Amtszeit sollte der Maulwurf mutmaßlich in der Steuerverwaltung des Landes implementiert werden: Der ehemalige nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans.
Foto: © Land NRW
Folgt man den Verteidigern des 54-jährigen Schweizers, war der Mann aus dem Raum Zürich eher eine kleine Nummer im Spionagegeschäft. Er habe „gelegentlich kleinere Aufträge […] von eher untergeordneter Bedeutung“ vom Schweizer Nachrichtendienst des Bundes (NDB) erhalten, heißt es in einem Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls. Für diese Light-Spionageakte sei er mit gelegentlichen „Geldsummen in vierstelliger Höhe“ honoriert worden. „Erhebliche“ Erkenntnisse, die den Interessen der Bundesrepublik zuwiderlaufen, seien dabei nicht gewonnen worden. Insbesondere habe es nie einen expliziten Auftrag gegeben, einen Maulwurf in die Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen einzuschleusen.

Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes war von solchen Bagatellisierungen alles andere als überzeugt. „Der Haftbefehl wird aufrechterhalten und in Vollzug belassen“, wurde beim Haftprüfungstermin am 21. Juli dieses Jahr verkündet. Ganz so geringfügig wie es der 54-Jährige und seine Verteidiger darstellen, kann die strafrechtliche Relevanz seiner Handlungen somit nicht sein. Allerdings gab der BGH-Jurist den Ermittlungsbehörden mit auf den Weg, sie mögen den Tatvorwurf weiter erhärten.

In einem Ermittlungsverfahren, das die Schweizer Behörden wegen „Verdachts auf wirtschaftlichem Nachrichtendienst“ angestrengt hatten, hatte der 54-Jährige 2015 noch ganz anders gesprochen. (Siehe dazu auch die vorige Ausgabe von Veko-online.) Seine Aussage zur Anwerbung eines Maulwurfs: „Für den Auftrag zur Implementierung des Spitzels in der Steuerfahndung Nordrhein Westfahlen hatten wir ursprünglich ein Aufwandhonorar (...) in der Höhe von CHF 90.000 Franken vereinbart. Insgesamt 60.000 wurden mir bereits ausbezahlt.“

Dies alles soll nun laut M. alles nicht mehr wahr sein. Der einstige OK-Fachmann der Zürcher Stadtpolizei bestritt gegenüber dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes, überhaupt gegen deutsche Steuerfahnder ermittelt zu haben. Er sei bei der Vernehmung durch die Schweizer Bundeskriminalpolizei durcheinander gewesen. Die Geheimdienst-Story habe er schlicht erfunden, um sich bei einem völlig anderen Verfahren in ein besseres Licht zu rücken, sagte M. in Deutschland sinngemäß aus. Und: Er habe „Konfitüre auf das Brot“ schmieren wollen. Diesmal nicht Rosen, sondern Marmelade für den Staatsanwalt?

Es ist schwierig, sich in diesem Wust von Unwahrheiten, Halbwahrheiten und einem Hauch von Fakten zurechtfinden. Sicher ist dagegen, dass Daniel M. spätestens seit 2011 für den Schweizer Nachrichtendienst des Bundes (NDB) gearbeitet hat. Die NDBler hatten den Ex-Polizisten angeworben, weil er ihnen vielversprechend erschien.

Wie es dann weiterging, erschließt sich aus der Aussage von Daniel M. gegenüber der Schweizer Bundeskriminalpolizei. M.s Verbindungsführer wird ein Andy Burri, wobei es sich selbstverständlich um einen „Arbeitsnamen“ handelt. „Burri“ kommt im Jahre 2011 nach Aussagen von Daniel M. schnell zur Sache. Er übergibt M. in einer Konspirativen Wohnung des NDB eine „Wunschliste“. Darauf stehen die Namen eines deutschen Notars, der einem Datendieb bei der Credit Suisse 2,5 Millionen Euro überwiesen haben soll, und die von drei deutschen Steuerfahndern. Unter ihnen der inzwischen pensionierte Peter Beckhoff, Leiter des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung in Wuppertal und wohl Deutschlands erfolgreichster Steuerfahnder. Von seinen beiden Kollegen haben die NDBler dagegen noch nicht einmal die Vornamen.

M. wird beauftragt, die offenen Felder des intern „Sudoko“ oder „Kreuzworträtsel“ genannten Wunschliste zu füllen. Die Schweizer Nachrichtendienstler wollen ziemlich alle personenbezogenen Daten der Zielpersonen haben. Wohnort, Telefonnummer Geburtsdatum, Name der Ehefrau oder Freundin.
M. wird sofort tätig. Nach seinen eigenen Aussagen gegenüber der Schweizer Bundesanwaltschaft will er sein deutsches Partnerbüro kontaktiert haben. Nach Berichten der gewöhnlich gut informierten Schweizer Zeitung „Der Bund“ soll M. in einer unverschlüsselten Mail nach Frankfurt mitgeteilt haben, „dass für die Komplettierung des `Kreuzworträtsels´ ein Kostendach von 8000 bis 10'000 Euro bewilligt worden sei“. Ein in Frankfurt tätiger ehemaliger Hauptkommissar der Polizei, angeblich aus dem Staatsschutz, habe sich dann der Sache angenommen. Wie M. war der Ex-Polizist jetzt als Privatdetektiv tätig. Anders als der Schweizer war er allerdings nicht freiwillig aus dem Dienst ausgeschieden. 2004 wurde der Mann in Frankfurt verurteilt, weil er Dienstgeheimnisse verkauft hatte. Nach der Entlassung heuerte der Ex-Beamte bei jener Frankfurter Detektei an, der er früher sein dienstliches Wissen illegaler Weise zur Verfügung gestellt hatte.
Im August 2011 lagen die gewünschten Ergebnisse vor. Wenige Tage später kam aus Frankfurt die Rechnung. „pauschal 9800 Euro „, wie die in Bern erscheinende Tageszeitung „der Bund“ berichtete.

Bei Peter Beckhoff sind auch die personenbezogenen Daten der Ehefrau aufgeführt. Allerdings mit einem auffälligen Schreibfehler. Seltsamer Weise taucht just dieser Fehler im Haftbefehl auf, den die Schweizer Bundesanwaltschaft gegen die drei Steuerfahnder erließ. Auch die anderen Personenangaben stimmten 1:1 überein. Auf die Behauptung der Schweizer, der NDB sei nicht an den Ermittlungen beteiligt gewesen, man habe selbst ermittelt, wirft dies ein fragwürdiges Licht.

Im Mai 2014 endet vorläufig die NDB-Karriere des Daniel M., er wird abgeschaltet. Wie ein Kenner der Szenerie berichtet, solle seine „ausgeprägte Redseligkeit“ und ein nicht eben wacher Sinn für die Geheimhaltungsbedürfnisse nachrichtendienstlicher Maßnahmen zu den Gründen gehören, weshalb sich die Wege trennten. Die allzu offene Schweizer Art soll bei den Oberen des Mini-Dienstes (zirka 280 Mitarbeiter) alles andere als gut angekommen sein. M. war nicht mehr zu halten. Trotz angeblicher verwandtschaftlicher Beziehungen mit einem hochrangigen Nachrichtendienstler, der mutmaßlich in der Beschaffung Verantwortung tragen soll.

In der Tat hatte der 54-jährige Schweizer wohl nie ein Hehl aus seinen Verbindungen zum NDB gemacht. Insider sagen, er habe auf seiner Referenzenliste offen damit geworben, dass er auch für den Schweizer Nachrichtendienst Aufträge ausführe. Explizit danach befragt, soll Daniel B. freimütig über seine Verbindungen der besonderen Art gesprochen haben. „In der Art, als würde er über seine Mitgliedschaft in einem Kleingartenverein reden“, erinnert sich ein zeitweiliger Wegbegleiter.

Vielleicht war aber alles ganz anders, wie ein Geheimdienstexperte vermutet. Es sei durchaus üblich, einen Mitarbeiter zum Schein abzuschalten, wenn eine riskante Operation mit hohem Entdeckungsrisiko ins Haus steht. Dadurch besteht die Möglichkeit des sogenannten glaubwürdigen Abstreitens.

Gewiss ist jedenfalls, dass der NDB nach der Verhaftung von Daniel M. jede noch bestehende Beziehung zu dem Ex-Polizisten abstritt und sich ansonsten in Grabesruhe hüllte. Dabei gilt es aus deutscher Behördensicht als nahezu nachgewiesen, dass der 55-Jährige bereits 2015 mit dem NDB wieder ins Geschäft kam. Beweis sind wiederum die Aussagen von M. höchstselbst.

Folgt man den Protokollen der Schweizer „Einvernehmungen“, kam der Ex-Polizist 2015 auf die Nachrichtendienstler zu. Er verkündete, dass er mit Hilfe deutscher Partner und eines eingeschleusten Maulwurfs ganz exklusive Informationen beschaffen könne. Gewissermaßen mitten aus der Höhle des Löwen.
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Wenn sich das tatsächlich so abgespielt hat, standen die NDBler in dieser Situation vor einem schwierigen Abwägungsprozess: Welches Risiko wiegt schwerer, einen einst „Abgehalfterten“ erneut einzusetzen oder den Zugang zu bedeutsamen Informationen aufs Spiel zu setzen. Kaum ein Dienst der Welt, dessen Job es ist, gerade diese Informationen zu beschaffen, pflegt in solchen Fällen Nein zu sagen. Und der NDB, der im Blick auf seine personellen Ressourcen nicht eben aus dem Vollen schöpfen kann, schon gar nicht. Daniel M., der einst Abgeschaltete, wurde offenbar auf „Mandatsbasis“ reaktiviert. Sein Kontaktmann wurde laut deutschem Haftbefehl einer von ganz oben: Paul Zinniker, stellvertretender Chef des NDB. Außer der Nummer 2 des Schweizer Dienstes haben sich offenbar drei weitere NDBler um M. gekümmert, wie aus dem deutschen Haftbefehl hervorgeht. Neben Vizedirektor Zinniker sind zwei weitere Nachrichtendienstler mit Klarnamen aufgeführt. M. muss die Agentenführer folglich sehr gut gekannt haben. Die Frage stellt sich, ob ein solcher, höchst ungewöhnlicher Personalaufwand und die offenbare Vertrautheit mit den Agentenführern mit der Behauptung zusammenpasst, M. habe lediglich geringfüge Informationen beschafft.

Doch es sind nicht nur die eigenen Aussagen gegenüber der Bundeskriminalpolizei der Schweiz, die M. belasten. Der Generalbundesanwaltschaft liegen offenbar auch die Protokolle abgehörter Telefonate und andere Beweise vor. Darunter Mails, die von Daniel M. unverschlüsselt durch das Internet geschickt wurden, dass bekanntermaßen offen wie ein Scheunentor ist.

Ob es den Maulwurf tatsächlich gibt oder ob er eine Erfindung von Daniel M. oder anderen Beteiligten ist, um hohe Ausgaben zu rechtfertigen, ist dagegen offen. Die Nachrichtedienste sind oft genug von Mitarbeitern genarrt worden, die Quellen vortäuschten, um in die eigene Tasche zu wirtschaften.

Die Frage stellt sich allerdings, welcher Staatsbedienstete bereit sein sollte, für ein paar zehntausend Euro seine Zukunft aufs Spiel zu setzen. Es sei denn, der mutmaßliche Agentenlohn wäre nur eine Art Begrüßungsgeld gewesen. Ein Betrag zum Anfüttern sozusagen.

In den Medien war in der zurückliegenden viel davon zu lesen, der Fall Daniel M. sei eine Petitesse und absolut kein Politikum. Ein Politikum ist die Schweizer Spionagestory aber sehr wohl. Eigentlich ist der Spion, der aus der Eidgenossenschaft kam, zum „Stimmungskiller“ der bilateralen deutsch-schweizerischen Party geworden

Daniel M. ist quasi ein Relikt vergangener Zeiten. Der Steuerstreit zwischen Deutschland und der Schweiz ist inzwischen beigelegt. Auch die von Peer Steinbrück vollmundig avisierte Kavallerie ist nicht in Richtung Bundesbern ausgeritten. Schon hat der Außenminister der Eidgenossenschaft signalisiert, man solle doch die „alte Geschichte“ einfach vergessen. Auch Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel hat betont, die Causa M. könne das gute Verhältnis zwischen den beiden Nachbarländern nicht belasten. Eigentlich ist der Herr aus der Schweiz zum „Stimmungskiller“ der bilateralen Party geworden.

Was tun also mit M.? Man wird sehen, ob Recht oder Räson triumphieren. Oder vielleicht, was zweifelsohne ein Kunststück wäre, sogar beides. Doch ein Lehrbeispiel, dass Spionageapparate weder Freund noch Feind, sondern nur lohnende Ziele kennen, ist die Causa Daniel M. allemal.

Über den Autor
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza, Jahrgang 1951, ist Chefreporter dieser Online-Publikation. Der Fachjournalist Sicherheit erhielt 2007 den Förderpreis Kriminalprävention; seit vielen Jahren ist er Mitarbeiter im Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Norddeutschland und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik. Vormals war er Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und dort u. a. zuständig für Polizeiangelegenheiten.
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