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Angst

Überlebensstrategie oder Dämonenkrieg?

Von Niels Stokholm

Menschen, die nie Angst empfinden, leben gefährlich. Hat man jedoch zu viel Angst, ist es auf Dauer auch nicht von Vorteil. Angst ist ein Grundgefühl, wie Traurigkeit, Freude oder Überraschung. Zu Beginn der Menschheit war die Angst überlebenswichtig. In der modernen Gesellschaft ist dies nicht mehr unbedingt so, ausser für die Kinder. Bei den Erwachsenen ist die Angst in vielen Bereichen eher zu einem Geschäft geworden – sei es in der Politik oder in der Unterhaltungsbranche.

«Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann?» – Das politisch nicht gerade korrekte Kinderspiel gehört zu unserer Kindheit wie die nächtlichen Besuche der Monster im Schlafzimmer. Ängste sind bei Kindern meistens viel ausgeprägter als bei Erwachsenen. Kinder, die Angst haben, sind normal. Wenn jedoch ein Erwachsener ständig Ängste mit sich rumträgt, dann wird es schnell zu einer Krankheit, zu einer Psychose.

Was ist Angst?

Wenn man sich in die Enge getrieben fühlt, wenn man in Situationen gerät, die gefährlich scheinen, wenn im Dunkeln plötzlich undefinierbare Geräusche zu hören sind oder wenn im Film der Weisse Hai direkt auf die Schwimmerin zu schwimmt, dann geschieht mit unserem Körper etwas: die Pupillen erweitern sich, man ist höchst empfindlich, die Muskeln spannen sich an, das Herz schlägt schneller, der Atem wird auch schneller, Schweisstropfen können auf die Stirn treten und am liebsten würde man alles laut rausschreien. In diesen Situationen manifestiert sich die Angst und die Reaktionen können je nach Grösse der Angst unterschiedlich heftig ausfallen.

Die körperlichen Symptome bei Angst haben ganz wichtige Funktionen. In der Entwicklungsgeschichte des Menschen hat die Angst sogar dazu beigetragen, dass die Menschheit überlebt hat. Dank der Sinne schärfenden und Körperkraft aktivierenden Faktoren haben unsere Vorfahren sich den Situationen entsprechend geschützt und damit überlebt. Wichtig war jedoch, dass diese Ängste nicht zu gross wurden und so ein notwendiges Handeln verhinderten oder im Gegenteil, dass zu wenig Angst tatsächliche Gefahren und Risiken ausblendeten und so ins Verderben führten.

Angst gehört also zu unserer Gefühlsgrundausstattung. Sie soll uns helfen, in gefährlichen Situationen schnell zu reagieren. Dafür wird der Körper in einen Alarmzustand versetzt, egal, ob die Bedrohung echt ist oder eingebildet. Die Reaktion kann jedoch von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein. Verfallen die einen in eine Angststarre und können sich wie durch eine Lähmung nicht mehr bewegen oder klar denken, mobilisiert Angst bei anderen genau das Gegenteil: So gibt es Menschen, die bei einer drohenden Gefahr zu Leistungen fähig sind, die ihnen unter normalen Umständen nicht möglich gewesen wären. Dies geschieht, weil bei diesen Menschen die höhere Herzfrequenz dazu führt, dass das Blut mehr Sauerstoff bindet. Die Nebennieren schütten zudem Adrenalin und Noradrenalin aus und so ist der Körper besser in der Lage, sich zu verteidigen oder zu fliehen. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort, wonach Angst Flügel verleiht. Und diejenigen, die in Gefahrensituationen eher paralysiert sind, müssen sich damit abfinden, dass sie als Angsthasen bezeichnet werden.

Die Angst der Kinder

Oft braucht es nicht viele Effekte; ein gruseliger Clown genügt, um schlaflose Nächte zu bescheren.Sei es die Hexe, ein Monster oder das gruselige Gespenst – Kinder erleben oft nachts grosse Angst. Die unheimlichen Figuren sorgen dann in den Träumen für Schrecken und Gruseln. Für die Kinder sind die Albträume so real, dass sie sich auch nach dem Aufwachen häufig nur schwer beruhigen lassen. Albträume sind für Kinder der Inbegriff von Angst. Man geht davon aus, dass der Mensch im Schlaf die Tageserlebnisse verarbeitet. Mit den Albträumen werden also die vielen Ereignisse und Geschehnisse des Tages bewältigt oder auch grössere Veränderungen wie beispielsweise ein Umzug oder der Beginn des Kindergartens. So gesehen haben Albträume durchaus positive Seiten: Kinder lernen, mit unangenehmen Gefühlen umzugehen und diese auch auszuhalten.

Typische Inhalte von Albträumen bei Kindern und Jugendlichen sind gemäss deutschen Schlafforschern Verfolgung, eigener Tod oder Verletzung, Tod oder Verletzung anderer und das Fallen ins Bodenlose. Und: Kinderträume sind anders als Erwachsenenträume, einfacher aufgebaut. Manche Kinder lässt die Angst auch tagsüber nicht mehr los, so dass sie sich abends weigern, schlafen zu gehen, damit das Monster nicht wiederkommt. Albträume sind jedoch normal bei Kindern, sollten sie jedoch sehr häufig auftreten, dann ist dies ein Hinweis darauf, dass ein Kind bei einem Konflikt nicht weiterkommt.

Angst als Krankheit

Der Zustand der Angst kann sich sowohl bewusst als auch unbewusst äussern. Ist die Angstreaktion in Bezug auf die tatsächliche Bedrohungslage nicht angepasst, spricht man von einer Angststörung. Ist diese Angst an ein bestimmtes Objekt (z.B. Spinne) oder eine bestimmte Situation (z.B. Flugzeugstart) gebunden, spricht man von einer Phobie. Zu viel Angst, ständige und übertriebene Angst – das macht krank. Wer unter einer Phobie leidet, fürchtet sich zum Beispiel Angst kann einen Menschen von Innen auffressen.vor dem Fliegen, vor Krankheiten oder gar dem Kontakt mit anderen Menschen. Dies kann zu Panikattacken führen, die plötzlich und ohne jeden ersichtlichen Anlass auftreten können. Weil sie so unberechenbar sind, haben die betroffenen Patienten panische Angst vor ihrer Angst. Dese generalisierte Angststörung ist ein ständiger Begleiter, in Extremfällen wird sie mit anxiolytischen Medikamenten, also Beruhigungsmitteln wie Valium oder Psychopharmaka behandelt. Die Betroffenen sorgen sich dauernd, dass ihnen oder ihren Angehörigen etwas zustossen könnte.

Kollektive Angst

Wenn eine Angststörung nicht einen einzelnen Menschen, sondern gleich eine Gruppe gleichzeitig übermannt, nimmt es teilweise groteske Formen an. Wenn eine Angst kollektiv ausgetragen wird, ist die Reaktion meistens etwas übertrieben. Fürchteten wir gestern BSE, Borkenkäfer oder die Sowjetunion, haben wir heute Angst vor Klimawandel, Massenpsychose und psychologische Kriegsführung: Wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen, kann aus einem Fest eine Tragödie werden. Angst wird jedoch auch gezielt eingesetzt, um Massen zu bewegen.Migration oder Terrorismus, morgen vielleicht vor einer Seuche oder einem Atomkrieg. Zwar haben diese Ängste oft einen konkreten Anlass, aber die Reaktion ist meist überspannt; die Besorgnis verselbstständigt sich und wendet sich immer neuen Schrecken zu. Solche Angstwellen schaukeln sich hoch und erfassen immer mehr Menschen, bis man den Eindruck hat, alle redeten nur noch über das eine. Angst kann also zu einem sozialen Phänomen werden, bei dem man sich wechselseitig hineinsteigert. Forscher vermuten, dass man nicht nur von eigenen Befürchtungen Angst kriegt, sondern auch, wenn man merkt wie andere sich fürchten.

Manchmal erleben viele Menschen zur selben Zeit die gleiche Angst, zum Beispiel nach einer Katastrophe wie einem Erdbeben. Die Bewohner der betroffenen Region fürchten dann, dass die Gefahr noch nicht vorüber ist und neuerliche Beben folgen. Auch kann eine Panik viele Menschen auf einmal erfassen, oft wird sie von einer realen Gefahr ausgelöst, zum Beispiel einem Feuer oder aggressiven Hooligans im Stadion. Manchmal stellt aber auch die Masse selbst die Gefahr dar, wie bei den Katastrophen im Hillsborough-Stadion 1989 in Sheffield oder der Loveparade 2010 in Duisburg.

Die Politisierung der Angst

Der Umgang mit Ängsten hat sich im Laufe der Zeit verändert. Mussten vor langer Zeit die Menschen täglich ums Überleben kämpfen und Angst vor wilden Tieren oder blutrünstigen Kriegern haben, bildeten sich in der Wohlstandsgesellschaft neue Ängste heraus. Es zeigt sich oft, dass die modernen Ängste auch zu einem politischen Faktor geworden sind. Liest man heute die Zeitung oder schaut die Tagesschau, gewinnt man schnell den Eindruck, die Angst sei auf allen Kanälen. Forscher haben ausgerechnet, dass in britischen Qualitätszeitungen Begriffe wie «Risiko», «Stress», «Trauma» oder «verletzlich» in den neunziger Jahren um ein Zehnfaches zugenommen haben. Sind wir hierzulande also besorgter als früher oder berichten die Medien nur mehr darüber? Darauf gibt es nicht wirklich eine zufriedenstellende Antwort, aber laut einigen Wissenschaftlern ist dies tatsächlich so: Die Gesellschaft befindet sich derzeit in einem gewaltigen Umbruch, der Ost-West-Konflikt mit seinen «klaren» Feindbildern ist vorbei und derzeit bietet sich kollektiv kein neues an, auch wenn einige schon in den Startlöchern stehen: Terroristen, Migranten, Nordkorea, Trump oder Anti-Trump. Aber deswegen ganze Armeen gleich in Alarmbereitschaft zu setzen liegt nicht mehr drin.

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Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 macht sich eine neue Art Politik der Angst bemerkbar. Politische Entscheidungen, von der Verschärfung der Sicherheitsmassnahmen bis hin zu Kriegen (Irak, Syrien), werden auch mit der Angst vor Terrorismus gerechtfertigt. Angst ist eine politische Ressource, mit der Politiker ihre Legitimität und Autorität erhöhen können. Indem Politiker solche Ängste schüren, erhoffen sie eine Steigerung ihrer Wähleranteile – oft mit Erfolg. Interessant ist die Tatsache, dass im politischen Diskurs von heute das Geständnis, man habe Angst, gezielt eingesetzt wird. Vor sechzig Jahren wäre dies undenkbar gewesen, es galt als feige, neurotisch oder gar minderwertig. Heute gilt als mutig, wer Angst äussert. Das wird längt taktisch genutzt. Dass man keine Angst mehr haben muss, über seine Angst zu reden, trägt aber gleichzeitig zum Eindruck bei, die Menschen seien allgemein ängstlicher geworden. Empirisch konnte die These der Angstzunahme und eines hohen Niveaus von Angst allerdings bis ins Jahr 2010 nicht bestätigt werden.

Die Angst als Kick

Angst lässt sich nicht grundsätzlich als unangenehme, negative Gefühlsregung festlegen. Wesentlich abhängig vom Grad der individuellen Risikoerfahrung und der Ein Freeclimber darf keine Höhenangst haben, sonst wird’s gefährlich. Eine gesunde Portion Respekt genügt.persönlichen Kompetenzeinschätzung, kann Angst auch als in hohem Masse lustvolle Erfahrung gesucht und erlebt werden, etwa in Form des sogenannten Nervenkitzels, oder wie dies heutzutage international bezeichnet wird: Thrill. Die Kontrasterfahrung von aufregender Gefahrensituation und deren Bewältigung führt zu einer gewünschten Steigerung des Lebensgefühls. Der sogenannte Kick kann dabei als Wendepunkt zwischen der Anspannung und Befreiung aus der Angstphase gesehen werden.

Besondere Phänomene der Angst sind die Angstlosigkeit und die Angstlust. Der als pathologische Angstlosigkeit bezeichnete Zustand hat zur Folge, dass das Individuum aus unterschwelliger Aggressivität jede Gefahr ignoriert. Angstlust hingegen ist das berühmte Spiel mit dem Feuer, bei dem die Gefahr belebende Wirkung auf den Betroffenen hat. Sobald jedoch Angst pathologische, also krankhaft-besessene Formen annimmt, sollte sie therapiert werden.

Angst heilen

Haben Sie Angst? Vor Spinnen? Vor Blitz und Donner? Keine Angst, das ist völlig normal. Sollten Ängste jedoch Ihren Alltag bestimmen, suchen Sie Hilfe.
alle Fotos (8): © Fotolia
In dem Moment, in dem eine Angst pathologisch wird, sind Spezialisten gefragt, also Psychologen. Zu viel Angst kann zu emotionalen Dauerschäden führen, sei es zu chronischer Panik oder einer dauerhaften pessimistischen Erwartungshaltung. Angst ist deshalb in den vergangenen Jahren zu einem viel diskutierten Thema der sogenannten Emotionspsychologie geworden. Die Spezialisten raten ihren Patienten zunächst, häufiger einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: Ist das überhaupt realistisch? Das sei überhaupt auch ein gutes Gegenmittel gegen kollektive Angstwellen. Um Risiken besser einschätzen zu können, sollte man sich ein bisschen mit Statistik auskennen. Das tun jedoch die wenigsten – die breite Bevölkerung leide unter einem weitverbreiteten statistischen Analphabetentum, so ein anerkannter Psychologe. Besonders schwer falle es vielen, relative und absolute Risiken zu unterscheiden.

Ein heute oft gewählter Weg zur Überwindung von Phobien ist die Konfrontationstherapie, bei welcher der Patient immer wieder der ihn ängstigenden Situation ausgesetzt wird. Konkret: Wer Angst vor Spinnen hat, wird behutsam daran gewöhnt, mit Spinnen halbwegs angstfrei umzugehen. Die Angst wird quasi wegtrainiert, wenngleich das Angstgedächtnis bestehen bleibt.

Krankhafte Angst kann laut Schweizer Psychologen sehr gut behandelt werden, da die Erfolgsaussichten bei 70 bis 80 Prozent liegen. Falsch oder gar nicht behandelt, führt krankhafte Angst zu Abhängigkeiten (Medikamente, Alkohol) oder Depressionen. Schwierig wird es, wenn jemand unter Phobophobie leidet, der Angst vor der Angst, auch Angstsensitivität genannt. Diese objektlose Angst vor den eigenen Angstsymptomen kann jedoch auch therapiert werden, sei es mit Konfrontations-, Hypnose- oder anderen Angsttherapien.

 

Über den Autor
Niels Stokholm
Niels Stokholm
  • 1969 geboren in Zürich, verheiratet, zwei Kinder.
  • 1988: Abitur in Roskilde, Dänemark.
  • 1988-1995: Studium der Geschichte und Politikwissenschaften an der Universität Konstanz.
  • 1995-2002: Moderation und Redaktion in diversen Schweizer Radios.
  • 2003: PR/Medien Blaues Kreuz der deutschen Schweiz.
  • 2004: Chefredaktion Radio Freiburg, Schweiz.
  • Ab 2005: 4-monatiger uniformierter Einsatz als Sicherheitsspezialist bei der Securitas AG, danach und seither Fachredaktor der Securitas Gruppe Schweiz.
  • Als Hobby betätigt sich Niels Stokholm als Sprecher für das Radio Swiss Classic.
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