Drei Ermordete
Immer wieder „Bewährung“
Von Steffen Meltzer
Das musste ja so kommen. Jan G., psychisch labil und drogenabhängig, ermordete am Ende einer langen kriminellen Karriere drei Menschen. Das erste Opfer war seine Oma, vielleicht der einzige Mensch, der sich seiner noch angenommen hatte. Die beiden anderen Opfer wurden zwei Brandenburger Polizisten, die er tötete, als diese seine PKW-Flucht stoppen wollten. Den Familienvätern sollen durch die Wucht des Aufpralls Körperteile vom Rumpf abgetrennt worden sein. Nach der ersten Erschütterung über den Fall wurde erstaunlich schnell wieder zum Alltag übergegangen. Die Folgen müssen jedoch nachhaltig sein und dürfen im Aktionismus des Alltags nicht in Vergessenheit geraten.
Immer wieder war Jan G, dessen Strafregister bereits 61 Einträge bei der Polizei betragen haben sollen, von den Verantwortlichen laufen gelassen. Immer wieder wurde er durch Gutachter und Richter vor der Einweisung in eine Psychiatrie oder einer Verurteilung zu einer Haftstrafe bewahrt. So in einem vorhergehenden Prozess vor dem Landgericht Frankfurt/Oder. Angeklagt im November 2016 wegen Raubes, Diebstahls und Fahrens ohne Führerschein verhinderte das Gericht eine Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie. Der Gewohnheitsverbrecher wurde wegen einer angeblichen psychischen Erkrankung und Drogenkonsums für „schuldunfähig“ erklärt und freigesprochen und die zwangsweise Unterbringung in der forensischen Psychiatrie auf „Bewährung“ ausgesetzt.
Selbst der Verstoß gegen Bewährungsauflagen verpuffte schnell ins Nirwana, obwohl die Staatsanwaltschaft von einer tickenden Zeitbombe ausgegangen sei. Die Bewährung wurde auch nicht widerrufen, als die bayerische Polizei Jan G. bei einer Verkehrskontrolle aggressiv und erneut ohne Führerschein und unter Drogeneinfluss antraf. Nur ein paar Wochen Psychiatrie, abgehakt, weitermachen!
Ein Gerichtsgutachter hielt ihn zwar für „eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit“ aber gleichzeitig für „nicht schuldfähig“. Eine Therapie sollte dagegen wegen “offensichtlich bestehender guten therapeutischen Beeinflussbarkeit des Angeklagten“ auch „ambulant in der Freizeit machbar sein“. Was ihn freilich nicht interessierte.
Wer schützt uns vor solchen „Experten“?
Während sich Gutachter nach ihrer Arbeit gütlich in den Sessel zurücklehnen können, müssen Polizisten u.a. Menschen im wahrsten Sinne des Wortes ihren Kopf hinhalten, um die gar nicht so guten Gutachten zu korrigieren. Wie in diesem tragischen Fall.
Bereits 2008 hatte der Täter einem ehemaligen Freund ein Messer in den Hals gestochen; nur durch Zufall und eine Notoperation konnte das Opfer überleben. Das Urteil: Zwei Jahre Haft, raten Sie bitte…: richtig: es gab Bewährung!
Es ist eine kriminologische Binsenweisheit: Jedes ungeahndete antisoziale Verhalten muss zeitnah konsequent geahndet werden. Es kann nicht sein, dass kalte Täter in einem Menschenmeer der Anonymität verschwinden und sich hinter einer angeblichen psychischen Erkrankung oder Drogenmissbrauch feige verstecken können. Ansonsten begehen sie in immer kürzeren Abständen immer tatintensivere Verbrechen.
Drei Gutachter, drei verschiedene Meinungen, die Fehlerquelle ist programmiert. Der Fall Gustl Mollath lässt grüßen.
Ich halte es auch für ein Fehlkonstrukt, dass ein Einzelgutachter zu einer derartigen bedeutungsschweren Persönlichkeit in einem Verfahren aufsteigt, in dem es um Verbrechenstatbestände geht.Die Psychologie kann nur Prognosen stellen und über Wahrscheinlichkeiten befinden. Die Fehlerquellen sind enorm, nicht selten werden keinerlei wissenschaftliche Standards eingehalten. Da bin ich mir selbst mit einigen Experten dieses Fachgebiets einig. Gutachter sind auch keine Hellseher, auch wenn die Polizei immer mal wieder mit Personen zu tun hat, die dieses von sich behaupten. Selbst Hochstaplern gelingt es, in das Fachgebiet problemlos einzudringen. Gutachter können sich lediglich der „Wahrheit“ mehr oder minder annähern.
Auch das Gericht ist nicht aus der Verantwortung, es ist nicht verpflichtet, sich der Meinung eines Einzelgutachters anzuschließen.
Am Ende der kriminellen Fahnenstange geht der neue Gutachter bei dem Mord an den zwei Polizeibeamten von einer uneingeschränkten Schuldfähigkeit aus. Im Gegensatz zu einem vorangegangenen Gutachten, befindet der Professor, dass keine schizophrene Erkrankung vorliegt. Selbst der Verteidiger plädiert noch auf eine „eingeschränkte Schuldfähigkeit“ und beantragt 12 Jahre Haft. Welche wundersame Wendung und welch schnelle Gesundung eines Serienverbrechers.
Das Urteil des Gerichts: Lebenslang mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Damit wir es dem Täter fast unmöglich, bereits nach 15 Jahren das Gefängnis als freier Mann zu verlassen.
Eine ähnlich konsequente Herangehensweise bei den vorangegangenen Straftaten hätte unter Umständen drei Menschenleben retten können. Auch die höchstmögliche Strafe ist nunmehr nicht in der Lage, den Kindern der Polizisten ihre Väter wieder zu geben und seiner Oma einen geruhsamen Lebensabend zu ermöglichen.
Der Vertreter der Nebenkläger, Rechtsanwalt Peter Michael Diestel spracht von einem „bizarren Versagen“ der Behörden. „Zwei Aktenordner voll mit Beschwerden und Hinweisen habe die Mutter an Behörden geschickt, um auf die Gefährlichkeit des Sohnes aufmerksam zu machen – sie ist ausgelacht worden“. Ich lasse das unkommentiert stehen, möchte aber wertfrei anmerken, dass die Prägungsphase zur zukünftigen Persönlichkeitsstruktur eines Menschen nun einmal in der frühesten Kindheit stattfindet. Eine letzte Chance ergibt sich in der Pubertät, danach ist der Zug abgefahren.
Aber auch für die Brandenburger Polizei sollte es Konsequenzen geben. Diese treten allerdings schon jetzt viel zu spät ein.
Auch in Brandenburg gibt es seit 2015 eine bundesweit beachtete Ausarbeitung zu genau diesem Thema: in „Deutsche Polizei“, Bundesausgabe Januar/2015 Seiten 4-9: „Die Gefahr aus dem – Nichts. Der Umgang mit auffälligen oder instabilen Personen im polizeilichen Einsatz“ Diese hat mir zwar bundesweit bei Psychologen, Dozenten und Trainerkollegen der verschiedenen Landespolizeien viel Anerkennung eingebracht, selbst der BGH hatte meine Ausarbeitung archiviert, aus Brandenburg „erhielt“ ich lediglich ein Schweigen.
Nach einer kleinen Anfrage an die brandenburgische Landesregierung (Drucksache 6/6288):
„Wurden unabhängig von den Fortbildungsmaßnahmen zu Amoklagen, Fahrzeugkontrollen usw. spezielle Seminare zum Umgang mit psychisch gestörten oder erkrankten Tätern angeboten, die auch unter Drogeneinfluss stehen?“
…musste die Landesregierung in ihrer Antwort vom 02.05.2017 einräumen, dass solche Seminare in den vier externen Weiterbildungszentren der Erwachsenenfortbildung und Trainings für ausgebildete Polizeibeamte nicht angeboten werden. Erst 2018 werden solche Seminare aufgelegt.
Aus meiner Sicht um Jahre zu spät; es ist nach wie vor unglaublich schwer, ja fast unmöglich, sich in Brandenburg sachlich-fachlich konstruktiv einzubringen. Das ist leider kein Einzelfall.
Das Urteil gegen Jan G. ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung hat Revision angekündigt.