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Der bisher schwerste Angriff in der Geschichte des Terrorismus galt dem wohl sinnfälligsten Symbol der wirtschaftlichen Macht der westlichen Welt, dem World Trade Center in New York City. Ein plastisches Beispiel dafür, dass die Wirtschaft immer im Fokus der terroristischen Täter steht.
Foto: © NIST SIPA/wikipedia

Bedrohung von Unternehmen durch Terrorismus

Von Klaus-Henning Glitza

Es ist ein unerklärter Krieg. Die derzeit gefährlichste Ausprägung des Terrors, der global agierende islamistisch motivierte Terrorismus, hat immer auch die Unternehmen im Visier, ohne dies ausdrücklich zu propagieren. Zum einen, weil die Wirtschaft ein integraler Teil jener westlichen Gesellschaftssysteme ist, die die selbsternannten Gotteskrieger erklärtermaßen beseitigen wollen. Zum anderen aber auch, weil die nachhaltige Beschädigung der ökonomischen Grundlagen der sicherste Weg ist, eine ungeliebte Sozialstruktur zu zerstören. Wenn es um Terrorismus geht, sind die Unternehmen eher stärker gefährdet als andere Bereiche, und das unabhängig von ihrer Größe, Wirtschaftskraft und Ausrichtung.

Ein Blick auf die Mordtaten von Paris zeigt, worum es geht. Denn die verheerenden Anschläge hatten eine Seite, die wenig bekannt wurde. Die ursprünglichen Mächtige Bürohochhäuser prägen die Geschäftsstadt La Defénse, die ursprünglich von den Attentätern von Paris gleichfalls angegriffen werden sollte.
Foto: © Katharina Wieland Müller/pixelio.de
Planungen der islamistisch motivierten Terroristen umfassten auch einen Angriff auf das westlich der französischen Hauptstadt gelegene Arrondissement La Défense, der glücklicherweise verhindert werden konnte.

La Defénse, das als größte Bürostadt Europas gilt, ist ein Menetekel. Das Hochhausviertel ist ein Ort der Superlative. 13 der 50 weltweit größten Konzerne, darunter Schlüsselunternehmen der Rüstung und der Kernkrafttechnik, haben dort ihren Sitz. Praktisch alles, was im Bereich der Airlines, Banken, Versicherungen Rang und Namen hat, ist in diesem Arrondissement vertreten. Auf rund drei Millionen Quadratmetern Bürofläche gehen gut 150.000 Beschäftigte ihrer Arbeit nach – dreimal mehr als in dem WTC-Gebäudekomplex rund um die Zwillingstürme von Manhattan. Terroristische Akte in diesem ökonomisch hochsensiblen Umfeld wären ein schwerer Schlag gegen die Weltwirtschaft gewesen.

Jeder Anschlag hat bekanntermaßen nicht nur direkte oder indirekte Wirkungen auf die Ökonomie des Ziellandes. Der inzwischen erreichte Grad der Globalisierung verleiht jeder Art von ökonomischen Schädigungen eine internationale Tragweite. So sind die psychologischen Wirkungen von Anschlägen nicht nur für die Tourismusbranche der Zielregion, sondern auch für Reiseveranstalter und Fluggesellschaften anderer Länder verheerend. Die Airline Air France-KLM wurde nach den November-Anschlägen von Paris mit einem Umsatzeinbruch von rund 120 Millionen Euro belastet. Ungleich höher ist nach drei Terrorakten innerhalb eines halben Jahres der wirtschaftliche Schaden für die Türkei. Der Tourismus ist einer der wichtigsten Die Terroranschläge in der Türkei sind ein schwerer Schlag gegen die türkische Tourismusindustrie, die immerhin für zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes steht. Zwölf Millionen Fremdengäste besuchten bisher jährlich die pulsierende Metropole Istanbul und eines der bedeutendsten Bauwerke der Stadt, die Hagia Sophia (Bild). Nach den jüngsten Anschlägen ist der Reiseverkehr drastisch zurückgegangen
Foto: © Michael Löffler/pixelio.de
Wirtschaftszweige des Landes am Bosporus. Allein in Istanbul wurden bislang jährlich gut zwölf Millionen Touristen aus aller Welt registriert. Die Küstenregion im Süden des Landes und die türkische Riviera zählen zu den Lieblingsreisezielen der Deutschen.

Ein plastisches Beispiel ist auch der weltweit bislang schwerste Anschlag auf die Twin Tower von New York City vom 11. September 2011 (s. Foto oben). Die unmittelbaren wirtschaftlichen Schäden werden auf etwa 60 Milliarden US-Dollar geschätzt. Doch die Folgekosten betrugen ein Vielfaches dessen. Der weltweite Handel ist vor allem durch sprunghaft gestiegene Versicherungskosten sowie weitaus aufwendigere Sicherheitsvorkehrungen merklich teurer geworden. Das trifft naturgemäß insbesondere Exportländer wie Deutschland. Fachautoren wie Rolf Wenkel (Deutsche Welle) berufen sich auf Expertenkreise, „die überzeugt sind, der Terrorismus habe die westlichen Industrienationen mindestens drei- bis vierstellige Der als "Mann mit Hut" bekannte Terrorist von Brüssel wurde am 9. April gefasst. Er wurde als Mohamed Abrini identifiziert und gestand am 10. April, der Gesuchte zu sein.
Foto: © Polizei Brüssel
Milliardenbeträge gekostet – und zwar jede einzelne Regierung“. Selbst weltweite Rezessionserscheinungen sowie bis die heute negativ wirkenden Wirtschafts- und Finanzmarktkrisen könnten ihren eigentlichen Ursprung in 9/11 gehabt haben.

Die größte Gefahr für Unternehmen jeder Größenordnung besteht aber in der Unkalkulierbarkeit und „Diversifizierung“ der terroristischen Strukturen und Aktionsformen. Denn der islamistisch motivierte Terrorismus kämpft auf ganz unterschiedlichen Ebenen, über die vermutlich selbst Führungsfiguren des IS keinen vollständigen Überblick haben. Neben den aus Syrien gesteuerten Hit-Teams, die im Übrigen nach dem Muster von Spezialeinheiten ausgebildet werden, sind in Deutschland extrem fanatisierte „Kriegsheimkehrer“ sowie autonome Zellen und Einzelpersonen aktiv, die aufgerufen sind, nach eigenem Gutdünken Anschläge durchzuführen. Daraus ergibt sich eine brisante Gemengelage, von der unterschiedslos jeder betroffen sein kann und der mit präventivpolizeilichen oder nachrichtendienstlichen Mitteln systematisch kaum zu begegnen ist. Der Eigenschutz von Personen und Unternehmen, gleich ob groß oder klein, wird deshalb zum unverzichtbaren Instrument.

Mit geringstem Aufwand können die Terroristen bereits beträchtliche „Erfolge“ erzielen. Die am einfachsten durchführbare und im Vorfeld am wenigsten auffällige Form des Anschlages ist die Messerattacke, wie sie von einer 15-jährigen Deutsch-Marokkanerin gegen einen Bundespolizisten im Hauptbahnhof von Hannover ausgeführt wurde. Diese bereits mehrfach als „Djihad für Jedermann“ praktizierte Angriffsoption ist nach Aussagen des Terrorismusexperten Thamm auch als „Messer-Intifada“ bekannt. Der erkennbare Tatmodus, mit einem Messerstich durch Drehbewegungen größtmögliche Verletzungen anzurichten, legt den Schluss nahe, dass diese Art der Attacke vorher trainiert wird. Im Internet kursiert eine „IS“-Anleitung, in der demonstriert wird, an welchen Körperstellen ein Mensch mit tödlicher Wirkung attackiert werden kann.

Welche Unternehmen sind konkret bedroht? Nur die großen und weniger die kleinen? Es hat aus Tätersicht eine gewisse Logik, dass ein Anschlag auf einen Konzern Ein Projektil neben dem USB-Stick. Das Titelblatt der Onlinezeitschrift „kybernetiq“, einer detaillierten Anleitung für den konspirativen Gebrauch von PCs und Mobiltelefonen.
Repro: khg
bedeutend mehr Aufsehen erregt als ein Attentat auf eine kleine Firma. Andererseits sind Großunternehmen weitaus professioneller gesichert als ­kleine oder mittelständische Betriebe, die in vielen Fällen außer einem Maschendrahtzaun überhaupt nichts an Sicherheit aufzubieten haben. Konzerne sind auch in das Global-Player-Netzwerk des Bundeskriminalamtes eingebunden, das heißt, sie werden aus berufenen Mündern ständig und zuverlässig über aktuelle Sicherheitsbedrohungen informiert. Nach dem Kalkül der Terroristen könnten somit Gewaltakte gegen kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) lohnend werden, weil weniger Sicherheit auch größere Erfolgschancen für einen Anschlag bedeutet. Die geringeren Schäden, die bei KMU zu erwarten sind, wären durch die Häufigkeit der Anschläge zu kompensieren.

Der Ausbildungsstand des terroristischen Gegenübers sollte nicht unterschätzt werden. Die „Fernuniversität“ der Terroristen ist das Internet. Es finden sich auf speziellen Seiten webbasierte Lehrgänge zum „Geheimagenten“ in Sachen Terror, die durchaus diese selbstgewählte Bezeichnung verdienen. Für großes Aufsehen sorgte Anfang dieses Jahres die Online-Zeitschrift „kybernetiq“, in der in deutscher Sprache und in professioneller Aufmachung Insidertipps für die konspirative Handhabung von PCs und Mobiltelefonen vermittelt werden. Überschriften wie „Der Feind liest mit. Bleibe wachsam und unterschätze ihn nicht“ und „Werde zum Albtraum der Geheimdienste und des Militärs“ offenbaren die Stoßrichtung des Magazins.  „Es ist uns sehr wichtig, dass unsere Glaubensgeschwister den richtigen Umgang mit Software und Hardware erlernen“, heißt es im Vorwort der Publikation. Bemerkenswert ist, dass „Kybernetiq“ ausschließlich in deutscher Sprache erschien und bislang in keine andere Sprache übersetzt wurde. Dies weist definitiv dem terroristischen Untergrundwirken in Deutschland eine besondere Bedeutung zu.

Für einige Terrorismusexperten ist die Publikation eine weitere Gefahr für deutsche Unternehmen. Insider erkennen Anzeichen eines intensivierten islamistisch motivierten Cyber-Terrorismus „virtueller Kämpfer“, der auch Unternehmen jeder Größenordnung treffen könnte.

Eine erhebliche Gefahr besteht auch für Geschäftsreisende. Die Größe des Unternehmens spielt dabei überhaupt keine Rolle, sondern nur der Umstand, dass Firmenrepräsentanten irgendwo im Ausland als potenzielle Opfer von Anschlägen und Entführungen in das Visier von Terroristen zu geraten. In dieser Hinsicht kann es durchaus zur komplexen Haftungsfrage werden, wenn Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht genügend auf die erhöhten Risiken vorbereiten. Ob es sich dabei um ein großes oder kleineres Unternehmen handelt, wird dabei zur nachrangigen Frage.

Die Zeit der Sorglosigkeit ist endgültig vorbei.

Die aktuelle Sicherheitslage

Gäbe es in Deutschland Terrorwarnstufen wie in den USA, wäre derzeit die zweithöchste Stufe „Orange“ (hohes Risiko) ausgerufen. Es liegen zwar keine Erkenntnisse über konkrete Planungen vor, dennoch muss jederzeit mit Anschlägen gerechnet werden. Die Sicherheitsbehörden bewerten die aktuelle Gefahr islamistisch motivierter Terrorakte als „hoch bis sehr hoch“.

„Der IS hat uns, Deutschland und dem Westen, den Krieg erklärt, und er will Terroranschläge durchführen", erklärte dazu der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Dr. Hans Georg Maaßen. Bereits im Januar dieses Jahres hatte BKA-Präsident Holger Münch deutlich gemacht: „Die Sicherheitslage ist aufgrund der Bezeichnende Überschrift in „kybernetiq“: „Werde zum Albtraum der Geheimdienste und des Militärs“.
Repro: khg
terroristischen Bedrohung sehr angespannt und wird es über Jahre bleiben.“

Deutschland, Europa und die Welt erleben gegenwärtig die Vorzeichen einer sich dramatisch verändernden Sicherheitslage. Terrorexperten wie der Politikwissenschaftler Peter Neumann, der Leiter des International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) in London, warnten bereits im August 2015, dass die damaligen Anschläge von Paris und Kopenhagen „keine Einzelfälle waren, sondern erste, sehr dramatische Hinweise darauf, was sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf den Straßen Europas abspielen wird.

Ambitioniert sind die Zukunftspläne der Terroristen. In einem 2015 verfassten englischsprachigen „Handbuch für Glaubenskämpfer“, werden in bildhafter Darstellung Roß und Reiter genannt. „Das globale islamische Kalifat“, so beschreibt es IS will Europa von allen Seiten umzingeln, warnt Berndt Georg Thamm, ausgewiesener Terrorismusexperte und Verfasser mehrerer wegweisender Fachbücher.
Foto: © RB
der renommierte deutsche Terrorismusexperte Berndt Georg Thamm, „wird Europa von allen Seiten umzingeln und einnehmen – im Westen Spanien, im Zentrum Italien und im Osten die Türkei (…) Madrid soll 2020 fallen. In einem halben Jahrzehnt, so zitiert der Experte die IS-Propagandisten, „wird in Europa nur ein Gesetz herrschen. Die Scharia.“

Das sind mehr als bloße Allmachtphantasien. Weltweit kann der „IS“ nicht nur über mehr als 30.000 „Foreign Fighters“  aus 115 der insgesamt rund 200 Länder zurückgreifen, sondern auch auf einen seit dem Afghanistan-Krieg gewissermaßen organisch gewachsenen islamistischen Untergrund in den westlichen Ländern.

Die „Kreuzfahrernation“ Deutschland ist erklärtes Anschlagsziel, wie aus diversen IS-Veröffentlichungen hervorgeht. Der geplante Terroranschlag auf das Länderspiel im Stade de France am 13. November 2015 war explizit auch gegen die deutsche Fußballmannschaft und deren Fans sowie den seinerzeit in Paris anwesenden deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier gerichtet. Bei dem Selbstmordanschlag gegen eine deutsche Touristengruppe in Istanbul (12.Januar 2016) besteht nach wie vor der Verdacht, dass die Opfer nicht zufällig, sondern wegen ihrer Nationalität ausgewählt wurden.

Wie konkret die Gefahr in Deutschland ist, belegen auch die Vorgänge im Zusammenhang mit dem abgesagten Länderspiel Deutschland-Niederlande in Hannover (17. November 2015). Sowohl der israelische als auch der irakische Nachrichtendienst hatten Hinweise auf einen bevorstehenden Terrorakt nach Pariser Vorbild gewonnen und den deutschen Behörden mitgeteilt. Eine verdächtige Person, die ausgerechnet als Ordner im hannoverschen Stadion fungierte, stellte kurz nach der Länderspiel-Absage ein Kurzvideo in den Online-Dienst Instagram. In Ordner-Aufmachung sagt er „ pray for Rakka" (Bete für Rakka) und "al-Daula al-Islamija", die arabische Bezeichnung für die Terrormiliz IS. Ein brandgefährliches Sicherheitsrisiko in unmittelbarer Spielfeldnähe.

Eine Sprecherin des Bundeskriminalamtes (BKA) macht gegenüber Veko-online die derzeitige Lageeinschätzung deutlich. „Nach wie vor steht Deutschland im Fokus des internationalen Terrorismus. Insbesondere die jüngsten Anschläge in Belgien zeigen, dass die Gefährdung durch den Terrorismus hoch ist und auch in Deutschland eine ernstzunehmende Bedrohungslage besteht. Konkrete Hinweise auf Anschlagsplanungen liegen uns derzeit jedoch nicht vor. Die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern in Deutschland stehen in ständigem Kontakt untereinander. Aber auch mit den ausländischen Partnern erfolgt eine enge Zusammenarbeit. Die Lage wird auf Basis aktueller Informationen und Entwicklungen fortlaufend neu bewertet. Es wird alles daran gesetzt, dass derartige Anschläge nicht geschehen.“

Oberstes Ziel der Sicherheitsbehörden sei es nach Angaben der BKA-Sprecherin, „terroristische Handlungen möglichst früh aufzuklären und abzuwehren“. Es gehe darum, terroristische Strukturen zu erkennen und zu zerstören. „Informationen sind hier der Schlüssel zum Erfolg. Zum Schutz der Bürger und ihrer Grundrechte müssen die Sicherheitsbehörden in der Lage sein, Informationen möglichst frühzeitig zu gewinnen und umfassend auszuwerten“. Das gelinge nur durch enge Vernetzung der Sicherheitsbehörden untereinander und mit den internationalen Partnern.“

Der gesamtgesellschaftliche Ansatz der Kriminalitätsbekämpfung finde seinen Niederschlag auch in dem Dialog der Sicherheitsbehörden mit Wirtschaftsunternehmen. „Das geschieht etwa durch die Benennung fester Ansprechpartner und durch Vortrags- und Informationsveranstaltungen. Darüber hinaus findet ein Informationsaustausch über die sogenannte Global-Player-Initiative statt. Zu dem Kreis der Global Player zählen führende Wirtschaftsunternehmen in Deutschland mit Arbeitsfeldern im Ausland. Ergänzend führt das Bundeskriminalamt auch bilaterale Konsultationen anlassbezogen mit im Einzelfall betroffenen Unternehmen durch.“

Das Bundeskriminalamt stehe aufgrund seiner Zentralstellenfunktion der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW e.V.) sowie der Vereinigung für Sicherheit in der Wirtschaft (VSW e. V.) als Ansprechpartner der Polizei u. a. in Bezug auf staatsschutzrelevante Gefährdungsaspekte von bundesweiter Bedeutung zur Verfügung. „Beratungen und eine Bewertung der Gefährdungslage erfolgen sowohl einzelfall- wie auch anlassbezogen und werden der ASW, der VSW sowie den Teilnehmern der Global-Player-Initiative des BKA übermittelt“, so die Sprecherin.

Was konkret gegen den Terrorismus getan werden kann.

Terroristen entwickeln sich nicht in einem Vakuum, sondern vor unserer aller Augen. Viel zu oft aber wird einfach weggeschaut, wenn sich Anzeichen einer beginnenden Radikalisierung offenbaren. Allzu oft treibt Augenzeugen einer bedenklichen Persönlichkeitsentwicklung die Angst um, als Denunzianten oder „Oberverdachtsschöpfer“ angesehen zu werden, wenn sie mit anderen über ihre Beobachtungen sprechen. Aber das heißt, aus mehr oder minder kleinlichen Bedenken die Augen vor dem Faktischen zu verschließen.

Eine denkbare falsche Grundhaltung sagt Jan Wolter, Geschäftsführer des ASW Bundesverbandes, der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft e.V. Auch in Unternehmen sei das Augen-auf-Prinzip von hoher Relevanz. Neben dem Blick nach außen, nämlich auf externe Bedrohungen, müsse der Blick immer auch nach innen, auf kritische Entwicklungen innerhalb der Mitarbeiterschaft des Unternehmens gerichtet sein. Das gebiete nicht nur die Verantwortung gegenüber dem Beschäftigungsunternehmen, sondern auch der Gesellschaft und letztlich auch dem Mitmenschen gegenüber.

„Ihr Kollege verändert sich plötzlich und lebt seinen islamischen Glauben verstärkt aus. Gemeinsame Ansichten und Unternehmungen lehnt er plötzlich ab, Sie fühlen sich ratlos, wie Sie diese Veränderungen bewerten sollen. Radikalisiert er sich?“, heißt es in einer noch unveröffentlichten Vorversion eines ASW-Leitblattes zum Thema „Radikalisierung“.

Nach dieser Publikation könne ein gehäuftes Auftreten folgender Anzeichen ein Hinweis darauf sein, dass eine Person möglicherweise in Richtung Extremismus/Terrorismus abdriftet:

  • „Der Kontakt mit dem bisherigen sozialen und beruflichen Umfeld wurde einschränkt oder komplett aufgegeben. Stattdessen findet eine Zuwendung zu neuen Freundschaften, Internetseiten oder Predigern statt, die erkennbar islamistische/salafistische Ansichten vertreten.
  • Es wird keine Kritik an der eigenen religiösen Überzeugung („Die wahre Religion“) zugelassen und es wird verstärkt in Schwarz/weiß gedacht.
  • Die Lebensweise (z. B. Ess- und Schlafgewohnheiten, Hobbys, Kleidungsstil etc.) wurde deutlich geändert und das Vorherige als verwerflich, unislamisch oder als Gotteslästerung dargestellt.
  • Es werden aggressive Worte und Formulierungen verwendet, wenn es um die Verteidigung der Religion geht. Es wird sich teilweise politisierter, ursprünglich religiöser Begrifflichkeiten zur Ablehnung von Demokratie/Rechtsstaat sowie zur Ausgrenzung und Stigmatisierung Anderer bedient.
  • Es wird davon geträumt, für die islamistischen/salafistischen Ziele zu kämpfen und zu sterben oder in diesem Kontext für jihadistische (terroristische) Organisationen geworben.
  • Das berufliche und soziale Umfeld wird versucht durch intensive Missionierung von der islamistisch-salafistischen Sichtweise zu überzeugen und ggf. wird an salafistischen Missionierungsaktivitäten teilgenommen, wie z.B. LIES! Koranverteilungen.“

Jan Wolter mahnt, mit diesen Präventionshinweisen verantwortungsvoll und sensibel umzugehen. Ein einziges Indiz bedeute für sich gesehen noch nichts. Wer sich in Den Blick nach außen und nach innen richten, empfiehlt Jan Wolter, Geschäftsführer des ASW Bundesverbandes, der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft e.V.
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sehr entschiedener Weise dem islamischen Glauben zuwende, sei deshalb noch lange nicht zwangsläufig jemand, der sich und andere in die Luft sprenge. Es wäre ein denkbar falsches Signal, Muslime unter Generalverdacht zu stellen. Wertvolle Hilfestellungen kann in Zweifelsfällen die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geben. Laut ASW Bundesverband ist die Beratungsstelle dann der richtige Ansprechpartner, wenn „Sie unsicher sind, ob die neue oder stärkere Religiosität Ihres Kollegen tiefer Glaube oder Extremismus ist“ beziehungsweise „Sie fürchten, dass sich Ihr Kollege einer islamistischen Gruppierung angeschlossen hat“. Ziel der Beratungsstelle (Telefon 0911/943 - 43 43) sei es, „Ihnen dabei zu helfen, die Situation richtig einzuschätzen“.

Einen Schutz gegen Terrorismus, aber auch gegen jegliche Bedrohungen anderer Art, stellt nach Auffassung des Geschäftsführers des ASW-Bundesverbandes eine gute Unternehmensführung dar, die ein gutes Betriebsklima im Blick hat. Wer sich seinem Unternehmen verbunden fühlt, achte aus innerer Überzeugung intensiver auf Sachverhalte, die für den Betrieb Unternehmen ein Risiko darstellen könnten. Solche Sensibilität ohne wirkliche Akzeptanz in der Mitarbeiterschaft einfach nur anzuordnen, sei ein weitaus weniger Erfolg versprechender Schritt.

Unverzichtbar, so Jan Wolter, sei in diesem Zusammenhang ein funktionierendes Krisenmanagement. Gerade für Extremsituationen, wie sie Anschläge in besonderem Maße darstellen, müssten Geschäftsfortführungspläne entworfen werden, die die Existenz der Unternehmen sichere und den Schaden begrenze.

„Achten Sie auf das räumliche Umfeld Ihres Unternehmens“, rät Holger Köster, Vorsitzender des Arbeitskreises Wirtschaftsschutz des Bundesverbandes der Auf das betriebliche Umfeld achten, rät Holger Köster, Vorsitzender des BDSW-Arbeitskreises „Wirtschaftsschutz“.
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Sicherheitswirtschaft (BDSW). Nach seinen Feststellungen wird nahezu jeder Anschlag vorbereitet. So werde es auch in den einschlägigen Internetanweisungen der Islamisten ausdrücklich empfohlen. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf Beobachtungspositionen gerichtet werden, die eine optimale Sicht auf sicherheitsrelevante Punkte wie Ein- und Ausgänge, Tore, Verwaltungsgebäude, Produktionsanlagen, Rechenzentren etc. ermöglichen.

Holger Köster: „ Stellen Sie als Erstes fest, wo sich diese auch ‚red zones‘ genannten Beobachtungspunkte befinden. Veranlassen Sie, dass Feststellungen in diesen Zonen generell gemeldet werden, egal ob der Einzelne sie für relevant hält oder nicht. Erst aus der Zusammenführung und Vernetzung vieler Beobachtungsergebnisse, und zwar auch solcher, die vordergründig unwichtig erscheinen, ergibt sich häufig ein zutreffendes Lagebild.“

Es sei damit zu rechnen, dass sich die „Observanten“ vielfältig legendieren, so der Arbeitskreisvorsitzende weiter. Im einfachsten Fall könnten sich zwei Personen miteinander unterhalten, wobei einer über die Schulter des anderen beobachtet. Klassiker seien auch Personen, die aus Fahrzeugen heraus observieren. „Achten Sie darauf, ob diese einen nachvollziehbaren Grund für ihr Verbleiben im Fahrzeug haben“, rät der Vorsitzende.

Holger Köster empfiehlt: „Parken häufig Vans, Transporter. Klein-Lkw etc., aus denen heraus unbemerkt observiert werden kann, in günstigen Beobachtungspositionen, behalten Sie diese aufmerksam im Auge. Befinden sich Firmenaufschriften auf den Fahrzeugen, prüfen Sie nach, ob die Unternehmen überhaupt existieren. Seien Sie generell misstrauisch bei Firmen, bei denen als Telefonkontakt lediglich Mobilfunknummern angegeben sind. Achten Sie auf Auffälligkeiten: Wenn Personen aussteigen, gehen diese in Hauseingänge in Ihrem Blickfeld oder verschwinden sie um die nächste Ecke?

„Behalten Sie auch Wohnhäuser im unmittelbaren Umfeld Ihres Unternehmens im Blick“, so Köster weiter. „Gibt es auffällige Veränderungen, die nicht ad hoc erklärbar scheinen? Sind an bestimmten Fenstern entgegen bisherigen Gewohnheiten ständig die Jalousien zugezogen? Bewegen sich die Gardinen? Gibt es eine unübliche Besucherfrequenz? Betreten beispielsweise mehrere Personen ein Haus, während wenig später eine in etwa gleich starke Gruppe anderer Personen das Objekt verlässt?“

Holger Köster: „Gehen Sie niemals davon aus, dass die eventuellen Späher deutlich anhand äußerer Merkmale erkennbar sind. Terroristen, die etwas auskundschaften, sind gehalten, sich von ihrem Aussehen her betont westlich zu geben. Glattrasiert statt üppiger Barttracht, modische Kleidung statt orthodoxer Gewänder.“ Als Beispiel nennt der Arbeitskreisvorsitzende einen der Attentäter von Brüssel, der auch als „Mann mit Hut“ bekannt geworden ist. Mit seiner Kopfbedeckung, der hellen Jacke und der stylischen Brille habe er sich ein betont europäisches Aussehen gegeben. Es hätte eines zweiten, kritischen Blicks bedurft, um seine vermutlich nahöstliche Herkunft zu erkennen.

Die beschriebene Sensibilität sollte aber auch für das erweiterte Umfeld gelten, ergänzt Köster. Werde ein benachbartes Unternehmen von einem Anschlag betroffen, sei auch im eigenen Bereich mit einschneidenden Folgen zu rechnen. Allein die Unterbrechung der Stromversorgung, eine sich weiträumig ausbreitende Detonation oder ein übergreifender Brand könne neben dem eigentlichen Ziel mehrere andere Betriebe treffen. Es sei überaus sinnvoll, eine wie auch immer geartete Kooperation mit den weiteren Unternehmen in der Nachbarschaft aufzubauen und sich bei suspekten Feststellungen gegenseitig zu warnen.

Professionelle Wachsamkeit empfiehlt auch das Bundesministerium des Innern in seiner Publikation „Was können insbesondere Gewerbetreibende, die viel Publikumsverkehr haben, tun, wenn die Lage angespannt ist?“

„Personen, die mit einem Ort näher vertraut sind, insbesondere Personal von Örtlichkeiten, die für den Publikumsverkehr geöffnet sind, sollten verstärkt auf Aktivitäten achten, die wie Ausspähungen oder verstärkte Beobachtungen wirken.

Zum Beispiel

  • kleine Personengruppen, die sich nur kurz und scheinbar beiläufig treffen, um dann immer wieder in verschiedene Richtungen "auszuschwärmen" oder sich sonst offenbar koordiniert bewegen, dabei evtl. Sichtkontakt bei bewusst beibehaltenem Abstand halten und ständig (etwa per Handy) kommunizieren,
  • bislang unbekannte Menschen, die unter einem Vorwand auftauchen (zur Ausspähung, wobei sie einen anderen Grund vortäuschen), Kontakt mit den Verantwortlichen suchen, für einige Tage abtauchen und dann wieder auftauchen, ohne dass dies so recht schlüssige Gründe hat,
  • der Intuition folgen und etwa Leute ansprechen oder den Sicherheitskräften melden, bei denen das Gefühl entsteht, dass sie sich für Dinge (vor allem in Örtlichkeiten) interessieren, die sonst niemanden interessieren, wie Nischen oder Leitungen, und dabei nicht bemerkt werden möchten oder an der Örtlichkeit nichts zu suchen haben.“

„Ein Staat ist immer nur so stark und so wehrhaft, wie es das Gesamtgebilde ist“. Mit diesen Worten weist ein Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) darauf hin, dass Terrorismusbekämpfung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Herausforderung ist. Nur wenn alle gesellschaftlichen Gruppen engagiert ihren Beitrag leisten, ließen sich Anti-Terror-Konzepte effektiv und mit Breitenwirkung umsetzen. Die Unternehmen als Bezugspunkt vieler Menschen und wichtiger Teil der Gesellschaft ständen dabei in einer besonderen Verantwortung.
 Das BfV biete dabei seine tatkräftige Hilfe an. Wer hinsichtlich einer Verdachtslage unsicher sei, könne sich vertrauensvoll an den Wirtschaftsschutz des Bundesamtes oder der Verfassungsschutzbehörden in den Ländern wenden, um gemeinsam den Sachverhalt zu prüfen. Niemand müsse Angst haben, dass ein Fall zu klein sei, um ihn in dieser Weise zu thematisieren.

Wie der ASW-Bundesverband in seinem bereits zitierten Leitblatt hervorhebt, stehe das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) „den Sicherheitsverantwortlichen oder Personalverantwortlichen in Ihrem Unternehmen mit dem Referat Wirtschaftsschutz in allen Sicherheitsfragen – so auch bei Radikalisierung – als erster Ansprechpartner zur Verfügung“. Das BfV nehme Anfragen aus der Wirtschaft stets vertraulich auf. Das Referat Wirtschaftsschutz (Telefon 0221.793-3322) vermittele einen Kontakt zum Fachbereich Islamismus/Islamistischer Terrorismus im BfV. „Im Dialog zwischen Verfassungsschutz und Unternehmen werden die sicherheitsrelevanten Dimensionen eines Fallkomplexes erörtert“, heißt es im Leitblatt.

Über den Autor
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza, Jahrgang 1951, ist Chefreporter dieser Online-Publikation. Der Fachjournalist Sicherheit erhielt 2007 den Förderpreis Kriminalprävention; seit vielen Jahren ist er Mitarbeiter im Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Norddeutschland und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik. Vormals war er Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und dort u. a. zuständig für Polizeiangelegenheiten.
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