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Interview

Jörg ZierckeDr. Harald Olschok

 

mit

 

Jörg Ziercke

 

 

 

 

 

 

Im Februar 2004 wurde Jörg Ziercke, vom damaligen Innenminister Otto Schily, zum Präsidenten des Bundeskriminalamtes ernannt. Nach einer über 10-jährigen Amtszeit wurde er am 19. November 2014 bei der BKA-Tagung in Mainz verabschiedet.

Ziercke hat eine beispiellose Karriere als Polizist hinter sich. Nach dem Abitur in Lübeck ging er 1967 als Polizeianwärter zur Bereitschaftspolizei des Landes Schleswig-Holstein. Recht schnell erklomm er die Karriereleiter und absolvierte eine Ausbildung für den höheren Polizeivollzugsdienst an der damaligen Polizeiführungsakademie in Münster-Hiltrup (heutige Deutsche Hochschule der Polizei). 1985 wechselte er ins Kieler Innenministerium und wurde dort, nach einer zweijährigen Unterbrechung als Leiter der Landespolizeischule Schleswig-Holstein, Leiter der Polizeiabteilung. Ziercke blickt somit auf eine fast 30jährige Tätigkeit in Führungsfunktion der Polizei zurück.

In Berlin traf sich der Hauptgeschäftsführer des BDSW, Dr. Harald Olschok, mit Jörg Ziercke zu einem Interview, welches in der Mitgliederzeitschrift DSD und bei VeKo-online veröffentlicht wird; Dr. Harald Olschok ist als Mitbegründer im Beirat unserer digitalen Fachzeitschrift.

 

 

Dr. Harald Olschok: Wenn Sie auf Ihre fast unvorstellbare Zeit von 47 Jahren bei der Polizei, davon 30 Jahre in Führungsfunktion, zurückblicken, welche Entwicklung hat nach Ihrer Auffassung die private Sicherheitswirtschaft gemacht?

Jörg Ziercke: Früher gab es das Zerrbild des „Schwarzen Sheriffs“. Heute sind die meisten professionelle Sicherheitsdienstleister, die Anerkennung und Respekt verdienen. Auch das Management ist professioneller geworden. Dadurch haben auch die verschiedenen Studiengänge an Verwaltungsfachhochschulen beigetragen. Ein Meilenstein war auch der dreijährige Ausbildungsberuf zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit im Jahre 2002.

Olschok: In Ihrer Amtszeit als Leiter der Polizeiabteilung im schleswig-holsteinischen Innenministerium begannen Mitte der 90er Jahre die Überlegungen, an der Fachhochschule für Verwaltung und öffentliche Dienstleistungen in Kiel-Altenholz, einen Studiengang Sicherheitsmanagement einzuführen. Was hat Sie zu diesem Schritt, der in den Medien damals sehr umstritten war, bewogen?

Ziercke: Dahinter steckte die Vorstellung von einer gemeinsamen Strategie von öffentlicher und privater Sicherheit, die nur durch eine qualifizierte Ausbildung realisiert werden kann.

Olschok: Wenn Sie die Entwicklung in Kiel-Altenholz nach 15 Jahren sehen, wie beurteilen Sie diese?

Ziercke: Sehr positiv, doch wir benötigen weitere gemeinsame Ausbildungs-Studiengänge von Polizei und privater Sicherheit. Die Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen ist meines Erachtens eine besonders gelungene Konzeption.

Olschok: Ende der 90er Jahre gab es auch in den nördlichen Bundesländern eine sehr kritische Auseinandersetzung mit den privaten Sicherheitsdiensten. Auch Sie gingen damals äußert kritisch mit unserer Branche um. Was waren die Gründe dafür?

Ziercke: Auch ich sah damals vor allem die negativen Beispiele und die fehlende Umsetzung einer verbesserten Ausbildung. Ich lernte auch, dass der gute Wille der Privaten allein nicht ausreicht. Nicht der billigste Anbieter ist der Beste.

Olschok: Als Vorsitzender des Arbeitskreises 2 der IMK beschritten Sie Neuland mit zwei Tagungen mit führenden Vertretern des BDSW bzw. der privaten Sicherheitsdienste. Mir wurde damals zum ersten Mal klar, wie unterschiedlich die Position in den einzelnen Bundesländern zu unserer Branche ist. Sind diese politisch begründet oder liegen sie in der Voreingenommenheit mancher leitender Polizeibeamten in Deutschland?

Ziercke: Das Gewaltmonopol dominierte. Die Polizei gewährleistete Sicherheit und sonst keiner. Dazu gehörte sicher auch das fehlende Wissen über die breite Aufgabenpalette privater Sicherheitsdienste. Häufig war damals, stärker als heute, auch die Vorstellung vorhanden, wer Geld hat, kauft sich Sicherheit.

Olschok: Nach meinen Informationen wurden Sie von Ihren damaligen Kollegen in den Polizeiabteilungen der 16 Bundesländer zum Teil heftig wegen Ihrer Annäherungspolitik zu den privaten Sicherheitsdiensten kritisiert. Stimmt diese Einschätzung und wenn ja, hat sich in den vergangenen 12 Jahren daran wirklich etwas geändert?

Ziercke: Ganz so schlimm war es nicht. Viele Kooperationsverträge in den Bundesländern haben zu einer Entspannung beigetragen. Die öffentliche Sicherheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist inzwischen anerkannt. Der Stellenwert der Prävention in Bund und Ländern hat sich deutlich erhöht.

Olschok: Mitte der 90er Jahre wurde ein Rechtsgutachten von Rainer Pitschas, damals Professor an der Verwaltungshochschule in Speyer, zur Verfassungs- und Verwaltungsrechtlichen Aspekten der Aufgabenverteilung zwischen Polizei und privaten Sicherheitsunternehmen erstellt. Pitschas hat damals zahlreiche Vorschläge zur rechtlichen Weiterentwicklung der privaten Sicherheitsdienste gemacht. Eine umfassende Auseinandersetzung mit dieser Studie fand nicht statt. Lag das daran, dass sich die Innenpolitiker der Länder nicht mit einer Studie des Bundeskriminalamts beschäftigen wollten, oder kam diese Diskussion zu früh?

Ziercke: Möglicherweise war die Zeit damals noch nicht reif für diesen Diskurs. Heute führen die Schuldenbremse und der Stellenabbau bei der Polizei dazu, den Leidensdruck zu erhöhen. Dies fördert die Suche nach alternativen Lösungen. Ein europäischer Vergleich wäre besonders hilfreich. Wie wirkt sich die Privatisierung in anderen Staaten aus? Was können wir davon lernen, geht es auch kostengünstiger?

Olschok: Seit 20 Jahren diskutieren wir über die Notwendigkeit von rechtlichen Veränderungen für die privaten Sicherheitsdienste. Ein Aufgaben- und Befugnisgesetz, wie von der SPD Mitte der 90er Jahre vorgeschlagen, haben wir immer abgelehnt. Wir haben jedoch für eine spezialgesetzliche Regelung wie z. B. das Atomgesetz oder das Luftsicherheitsgesetz geworben. Hoffnung hatten wir durch das von den Innenministern vorgelegte Programm Innere Sicherheit, Fortschreibung 2008/2009. Hier wurden Felder aufgezeigt, die im Gewerberecht nicht geregelt werden können, so der Schutz kritischer Infrastrukturen, von Veranstaltungen und des öffentlichen Personenverkehrs. Während die Arbeitsgruppe der IMK für eine spezialgesetzliche Regelung tendiert, haben die Innenminister auf ihrer vorletzten Sitzung im Dezember 2013 die Diskussion beendet. Sie haben die Wirtschaftsministerkonferenz aufgefordert, sich für eine Zertifizierung starkzumachen und das Gewerberecht zu verändern. Warum sind die Innenminister so zögerlich, eine grundlegende Reform einzuleiten?

Ziercke: Die Frage müssen Sie an die Innenminister richten. Ich könnte mit Blick auf die von Ihnen bereits in Teilen dargestellte Historie auch nur Mutmaßungen anstellen. Das eingeforderte bundeseinheitliche Aufgaben- und Befugnisgesetz kam damals nicht zustande. Gleichwohl wurden die gewerberechtlichen Anforderungen verändert. Ein wichtiger Schritt war die Einführung der Sachkundeprüfung im Juli 2002. Die Gründe für die Ablehnung lagen zum einen in einer befürchteten Aufwertung der Sicherheitsbranche durch eine zu starke Annäherung an die polizeirechtlichen Regelungen. Es wäre zwischen den Jedermann-Befugnissen und dem Polizeirecht eine weitere Rechtsebene entstanden. Eine Zusammenführung der Überwachung privater Sicherheitsunternehmen unter der Aufsicht des Innenressorts stieß auf Ablehnung. Insbesondere aus wirtschaftspolitischer Sicht wurde argumentiert, dass es letztlich um die Überwachung gewerberechtlicher Tätigkeiten ginge, die systematisch allein zutreffend bei den Gewerbebehörden angesiedelt werde könne. Prägend war also in der Vergangenheit ein wirtschaftsrechtlicher Ansatz, der das Sicherheitsgewerbe als „normales“ Gewerbe betrachtete.

Olschok: Sie haben in mehreren Vorträgen gefordert, dass wir nicht auf die Brotkrumen starren, die vom Tisch der Polizei fallen und ein eigenständiges Profil entwickeln. Ist uns das gelungen?

Ziercke: Private Dienstleister haben sich vielfach etabliert. Seriosität, fachliche Qualifikation und angemessene Ressourcen sind auch künftig die Voraussetzungen für ein positives Image in der Bevölkerung und eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Polizei. Die Kooperationsvereinbarungen in vielen Ländern haben eine wichtige Bedeutung gehabt. Keine Großveranstaltung in Deutschland ist heute ohne private Sicherheitsdienste mehr denkbar. Die Einführung des EURO war eine Meisterleistung.

Die Ausbildung muss weiter verbessert werden. Die Qualitätsoffensive muss genutzt werden, um immer wieder kritischen Berichten entgegenzutreten und so das notwendige Vertrauen und den erforderlichen Rückhalt in der Gesellschaft aufbauen.

Olschok: Private Sicherheitsdienste sind nach Auffassung der Innenministerkonferenz ein anerkannter Bestandteil der inneren Sicherheit in Deutschland. Warum ist das so?

Ziercke: Technologische Entwicklungen, grenzüberschreitende Kriminalität und das bewusste Ausnutzen der Täter von unterschiedlichen Rechtssystemen weisen auf eine sich wandelnde Sicherheitslage hin. Nur Allianzen können Sicherheit dauerhaft gewährleisten. Der Staat hat zwar das Gewaltmonopol, aber nicht das Sicherheitsmonopol inne. Eine Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden mit anderen, privaten Akteuren ist geboten und hat sich bewährt. Private Sicherheitsunternehmen nehmen daher bereits einen großen Teil an Aufgaben der Sicherheitsgewährung mit wahr. Fast 190.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste können nicht weggedacht werden, ohne dass die öffentliche Sicherheit in Deutschland zusammenbricht. Die moderne Sicherheitspolitik muss von einem erweiterten Sicherheitsbegriff ausgehen.

Olschok: Zu Beginn meiner Tätigkeit im Jahre 1992 gab es eine intensive Diskussion über die sogenannten polizeifremden Aufgaben, die künftig von anderen Institutionen oder Unternehmen übernommen werden können. Diese Diskussion ist seit vielen Jahren verstummt. Ist es gelungen, die Polizei von bestimmten Aufgaben zu entlasten? Muss die Polizei ein Polizeiorchester, eine Reiterstaffel oder eine polizeiliche Kriminalberatungsstelle vorhalten? Kann das nicht die Wirtschaft genauso gut?

Ziercke: Unsere Sicherheitsarchitektur befindet sich im Wandel. In diesem Kontext gilt es sorgsam zu prüfen, welche Möglichkeiten und Grenzen sich für die Übertragung von Aufgaben an private Sicherheitsdienstleister bieten. Bei der Bewertung der polizeilichen Kriminalberatungsstelle stimme ich Ihnen zu. Eine Abschaffung der Polizeiorchester lehne ich persönlich jedoch ab. Das hängt mit meiner Einschätzung vom Bild der Polizei in der Öffentlichkeit zusammen. Die Bürger müssen sich mit ihrer Polizei identifizieren können. Die Rolle der Polizei als Freund und Helfer ist nicht überholt. Weniger emotional besetzte Aufgaben gehören hingegen auf den Prüfstand. Polizeiliche Raumschutzkonzepte können zum Beispiel durch Abstimmung mit privaten Sicherheitsdienstleistern als Auge und Ohr der Polizei ein engmaschigeres Netz an Sicherheit ergeben.

Olschok: Die Polizeiausbildung ist in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem aufgrund von Forderungen der Polizeigewerkschaften immer besser geworden. In vielen Ländern haben wir die zweigeteilte Laufbahn. Werden hier die von der Polizei wahrgenommenen Aufgaben ausreichend berücksichtigt? Besteht nicht ein großer Frust bei vielen Polizeibeamten, weil sie in ihrer Aufgabe unterfordert sind? Was kann dagegen getan werden? Wer muss die Initiative ergreifen, dass dies besser wird?

Ziercke: Sicherlich scheint es bei einer ersten Betrachtung verschiedene Aufgaben zu geben, die vielleicht auch weiterhin von Polizeibeamten des mittleren Dienstes wahrgenommen werden könnten. Bei einer genaueren Befassung hingegen wird auch bei diesen Aufgaben eines klar: In nahezu allen Aufgabenbereichen der Polizei hat moderne Technik Einzug gehalten. Deren Handhabung erfordert eine zunehmende Qualifikation. Damit einher geht eine immer komplexer werdende Lebenswirklichkeit. Globalisierung und Vernetzung sind die Stichwörter. Das bringt neue Kriminalitätsformen mit sich und fordert ein hohes Maß an analytischen Fähigkeiten. Den Polizeibeamten wird aber auch ein hohes Maß an Rechtssicherheit und kommunikativen Fähigkeiten abverlangt, damit diese den Bürgern ihr Handeln transparent machen können und damit die notwendige Akzeptanz erfahren. Dies bedarf einer entsprechenden Ausbildung bzw. Qualifikation. Die Einführung der zweigeteilten Laufbahn hat diese Entwicklung aus meiner Sicht Rechnung getragen. Im Hinblick auf die Frage nach Unterforderung und Frustration kann ich eine solche Entwicklung beim BKA nicht feststellen. Im Gegensatz zu den Landespolizeien hat das BKA immer schon die zweigeteilte Laufbahn und auf Grund der gesetzlichen Aufgabenzuweisung auch einen anderen Aufgabenzuschnitt. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für die besonderen Aufgaben des Amtes gut gerüstet.

Olschok: Wenn Sie, lieber Herr Ziercke, Bundesinnenminister wären. Was würden Sie tun, um die Sicherheitsarchitektur in Deutschland vor dem Hintergrund der globalen Herausforderungen noch besser als bisher zu machen? Welche gesetzliche Regelung würden Sie für unsere Branche versuchen zu schaffen?

Ziercke: Diesen Gedanken maße ich mir nicht einmal im Traum an. Aber zur Beantwortung der Frage muss man auch nicht Bundesinnenminister sein. Private Sicherheitsdienste benötigen eine klare gesetzliche Regelung ihrer Aufgaben und keine kurzfristigen Änderungen. Ferner sollte die Zuständigkeit vom Wirtschaftsministerium zum Innenministerium wechseln.

Olschok: Zum Schluss eine Frage, die Sie in den nächsten Wochen und Monaten noch zigmal hören werden: Was machen Sie nach Ihrem wohlverdienten Ruhestand? Halten Sie es für denkbar, dass Sie noch in die Politik einsteigen oder werden Sie im ehrenamtlichen Bereich, so z. B. beim weißen Ring, Ihre Aktivitäten erhöhen?

Ziercke: Ich werde beim Weißen Ring eine neue Aufgabe als stellvertretender Bundesvorsitzender wahrnehmen und dort, wo es gewünscht wird, meine Berufserfahrung in der Aus- und Fortbildung weitergeben.

 

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