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KGB Museum
© Werner Sabitzer

KGB-MUSEUM TALLINN

Spione im Hotelzimmer

Von Werner Sabitzer

Fast zwei Jahrzehnte spionierte der sowjetische Geheimdienst KGB im Hotel Viru in Tallinn Hotelgäste aus. Heute ist in den ehemaligen KGB-Räumen ein kleines Museum eingerichtet.
Die Fensterflucht im 23. Stock des Hotels Viru im Zentrum der estnischen Hauptstadt war Tag und Nacht mit Jalousien abgedeckt. Hier nächtigte kein Hotelgast, denn das internationale Hotel hatte offiziell nur 22 Stockwerke. In einigen Zimmern im 23. Stock befanden sich von der Hoteleröffnung 1972 bis zur Unabhängigkeit Estlands im Frühjahr 1991 Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Die Agenten überwachten die durchwegs ausländischen Hotelgäste, darunter Manager, Regierungsvertreter und Journalisten.

In der Sowjetunion nistete sich der KGB in jedes Hotel ein, in denen Ausländer übernachteten, auch in das Anfang der 1970er-Jahre von einem finnischen Bauunternehmen errichtete Hotel Viru in Tallinn. Das Hotel mit einem Varieté zählte zu den fünf besten in der Sowjetunion; es gab 1.080 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber maximal 900 Gäste. Grundsätzlich konnten alle Hotelzimmer rasch mit Mikrofonen und Kameraobjektiven ausgestattet werden, aber 60 Zimmer waren ständig verwanzt. Im zweiten und dritten Stock befanden sich Räume für die Agenten, von hier aus konnten sie über kleine Löcher in der Wand Hotelgäste abhören, filmen und fotografieren. Auch die Decke des Restaurants war mit Wanzen ausgestattet. Zu den Aufgaben der KGB-Leute gehörte es auch, Schiebereien, Kontakte zu Ausländern und die Verbreitung von Publikationen zu verhindern, die die sowjetische Moral untergraben könnten. Manche Hotelgäste wurden von KGB-Agenten mit kompromittierenden Aufnahmen zur Mitarbeit erpresst.

Im Hotel befand sich auch eine spezielle Einheit der Miliz. Aufgabe der Polizisten war es, Hotelgäste vor störenden Geschäftemachern und Prostituierten zu schützen. Die Miliz-Angehörigen versahen meist in Zivil Dienst und mussten Anordnungen der KGB-Leute ausführen. Auch die KGB-Agenten bewegten sich in Zivil, um im Hotel nicht aufzufallen. Nur ranghohe Funktionäre trugen Uniform.

Viele ausländische Hotelgäste wussten oder ahnten, dass sie vom sowjetischen Geheimdienst ausspioniert wurden und verhielten sich entsprechend vorsichtig.

 Das Hauptquartier der Staatssicherheitsdienste, die Lubjanka in Moskau
© RudolfSimon - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Der KGB (Komitet Gossudarstwennoi Besopasnosti/Komitee für Staatssicherheit) entstand 1954 aus Teilen des Inlandsgeheimdienstes des Innenministeriums der Sowjetunion. Die Zentrale befand sich in der „Lubjanka“ in Moskau. Hauptaufgaben waren die Auslandsspionage, die Spionageabwehr, die Überwachung von Regimegegnern in der Sowjetunion sowie der Personenschutz für führende Mitglieder des Staates und der kommunistischen Partei. Der KGB war in Hauptverwaltungen und Verwaltungen gegliedert. Die 1. Hauptverwaltung war für die Auslandsaufklärung zuständig. Ihr unterstanden die KGB-Residenturen in den sowjetischen Botschaften im Ausland und die Spionagenetze. Die 2. Hauptverwaltung befasste sich mit der Spionageabwehr. Darunter fiel auch die Überwachung ausländischer Touristen und Diplomaten in der Sowjetunion. Die militärische Spionageabwehr war Aufgabe der 3. Hauptverwaltung. Weitere Hauptverwaltungen und Verwaltungen waren zuständig für Wirtschaftsspionageabwehr und Industrieschutz, Observationen, Personenschutz, Verschlüsselung des Fernmeldeverkehrs, Kommunikationsüberwachung und Grenztruppen. Dazu kamen viele weitere Aufgaben. Nachdem sich der KGB-Vorsitzende Wladimir Krutschkow im August 1991 am Putschversuch beteiligt hatte, wurde der Geheimdienst am 6. November 1991 aufgelöst. Die nachrichtendienstlichen Aufgaben wurden hauptsächlich vom neugegründeten Föderalen Sicherheitsdienst FSB und vom Auslandsnachrichtendienst SWR übernommen.

Estland, das wie die beiden anderen baltischen Staaten Lettland und Litauen seit den 1940er-Jahren eine Sowjetrepublik war, begann im Zuge von Glasnost und Perestroika nach der Unabhängigkeit zu streben. Am 30. März 1990 erklärte Estland sich zur Republik und im Dezember 1990 verzichtete der Baltenstaat auf die Mitarbeit im Obersten Sowjet der UdSSR. Nachdem sich bei einer Volksabstimmung am 3. März 1991 78 Prozent der Wahlberechtigten für die Unabhängigkeit ausgesprochen hatten, verließen die russischen Machthaber im April 1991 das Land, darunter die KGB-Mitarbeiter.

Der Oberste Rat Estlands erklärte am 20. August 1991 die volle Unabhängigkeit von der Sowjetunion und verbot einige Tage später den KGB sowie die Organe der sowjetischen Kommunistischen Partei in Estland. Die Sowjetunion erkannte die Unabhängigkeit Estlands am 6. September 1991 an.

 Aufnahmegeräte und Wanzen
© Werner Sabitzer

Museum statt KGB-Filiale

Auch die KGB-Agenten im Hotel Viru reisten im April 1991 überstürzt ab. Sie hinterließen im Hotel umfangreiches Spionageequipment. In einem der Zimmer befand sich die Funkzentrale. Als eine finnische Unternehmensgruppe 1994 das Hotel Viru erwarb, beschloss das neue Management, den 23. Stock im vorgefundenen Zustand zu belassen. 17 Jahre später, im Jänner 2011, wurden die ehemaligen KGB-Räume als kleines Museum für Besucher geöffnet.

Spionagekamera
© Werner Sabitzer
Die Exponate geben einen Überblick über die Tätigkeit des KGB bei der Überwachung ausländischer Hotelgäste. Zu sehen sind neben den Einrichtungsgegenständen Bilder, Dokumente und Pläne, Uniformen, Funkgeräte, Gasmasken und Überwachungsequipment, darunter Verkabelung, Mikrofone für den Einbau in Wände und Zimmerdecken, ein Tonbandgerät und Spionagekameras; weiters Dienstausweise und Telefonbücher, ein Telefonapparat mit einer Direktleitung zur KGB-Zentrale in Moskau und ein Aschenbecher mit den Zigarettenstummeln der KGB-Mitarbeiter. Besondere Exponate sind eine Porzellantasse und Manschettenknöpfe mit eingebauten Mikrofonen.

Die Museumsführer erzählen auch Anekdoten über die Hotelspione: So soll ein finnischer Journalist im Hotelzimmer gerufen haben: „Hallo, Kameraden! Das ist ein Mikrofontest! Könnt Ihr mich hören?“. Der Journalist soll keine Antwort erhalten haben und künftig auch kein Einreisevisum für Estland mehr.

KGB-Museum im Hotel Viru, Viru Valjak 4, Tallinn 10111, Estland, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., +372-680-9300, www.viru.ee

Über den Autor
Werner Sabitzer
Werner Sabitzer
Werner Sabitzer, MSc, 63, war 30 Jahre lang Pressereferent im österreichischen Bundesministerium für Inneres (BMI) und Chefredakteur der Fachzeitschrift „Öffentliche Sicherheit“. Er ist seit 2018 Referent für Polizeigeschichte und Traditionspflege im BMI und leitet das Polizeimuseum Wien.
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