Stefan Goertz
Terrorismusabwehr.
Zur aktuellen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa.
Das Thema des hier zu besprechenden Buches ist brandaktuell. Dies unterstreicht eindrucksvoll eine Liste der Anschläge seit dem Jahr 2004, bei denen 790 getötet und 3740 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden.
Da der Autor auch die jeweils verwendeten Tatwerkzeuge auflistet, schwant auch dem Laien, wie schwierig es ist, derartige Taten zu verhindern: Neben Schusswaffen und Sprengsätzen verwendeten die Täter Fahrzeuge und Hämmer, Beile und immer wieder Messer. Während man Schusswaffen in Privatbesitz verbieten könnte – wobei man jedoch erwähnen muss, dass damit die Schusswaffenbeschaffung durch Terroristen nicht nennenswert erschwert würde –, scheidet ein Verbot von Messern und Beilen oder gar Pkw und Lkw aus. Noch umfangreicher als die Tatmittel sind die mögliche Angriffsziele. Während die TREVI-Konferenz vor 50 Jahren einen Schwerpunkt der politisch motivierten terroristischen Anschläge bei großen, wehrlosen Menschenmengen sah – Fußballstadien, Flughäfen oder Musikkonzerte –, gehen islamistische Terroristen der Gegenwart auch gegen einzelne Menschen vor. Tatwerkzeuge und Angriffsziele führen zu den Tätern. Hier unterscheidet Goertz zwischen von sogenannten Hit-Teals verübten Großanschlägen – beispielhaft der Angriff auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris – und dem von jihadistischen Einzeltätern und Zellen verübten sogenannten Low level-Terrorismus, für den exemplarisch die Ermordung von US-Soldaten in Frankfurt am Main im Jahr 2011 steht.
Dass bei aller beschriebenen Problematik der Rechtsstaat keineswegs hilflos ist, belegt der Autor, wenn er die durch Sicherheitsbehörden vereitelten Terroranschläge näher betrachtet. Hierbei legt der Verfasser den Schwerpunkt auf die Erfolge der deutschen Polizeien (und die Arbeit der Geheimdienste). Für die deutschen Sicherheitsbehörden und die in der Verantwortung stehenden Politiker sieht Goertz den Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz als Scheidepunkt. Danach stellte sich die „entscheidende Frage, wie die von (ausländischen) Gefährdern ausgehenden Risiken für die öffentliche Sicherheit eingedämmt werden können.“ Von der Öffentlichkeit kaum beachtet, trat zu dem Rechtsbegriff des Tatverdächtigen der des Gefährders hinzu. Gleichzeitig übernahmen die Kriminalpolizeien des Bundes und der Länder auch Aufgaben, die zuvor in die Zuständigkeit des Bundes- und der Landesämter für Verfassungsschutz fielen. Auch auf das Gesundheitswesen wirkten die neuen Bedrohungsformen, die als Massenanfall von Verletzten durch islamistischen Terrorismus (TerrorMANV) bezeichnet werden, ein. Jedoch beklagt der Autor zu Recht, dass Deutschland in dieser Hinsicht erst am Anfang einer dringend notwendigen Entwicklung steht.
Wie die Terrorismusabwehr ganz konkret stattfindet, beleuchtet der Verfasser auf zwei Ebenen. Einerseits betrachtet er die dazu einsetzbaren technischen Mittel, andererseits beschreibt er die institutionelle Bekämpfung, wobei er dabei nicht nur Deutschland, sondern Europa in den Blick nimmt. Unter den technischen Möglichkeiten nimmt die Videoüberwachung auch in der öffentlichen Meinung einen zentralen Platz ein. Goertz gibt die unterschiedlichen Standpunkte wider, die von einem klaren Ja bis zu einem klaren Nein reichen. Die Gegner einer flächendeckenden Videoüberwachung führen ins Feld, dadurch werde den Tätern in die Karten gespielt, da diese es ja geradezu darauf anlegten, ihr Taten für die Öffentlichkeit zu dokumentieren, um so die Bedrohungsperzeption zu steigern. Demgegenüber sehen die Befürworter den Vorteil der Videotechnik im Bereich der Prävention. Damit sei es möglich, die Täter bereits bei der Vorbereitung der Tat zu erkennen. Sehr gut sei die Videotechnik als repressives Mittel geeignet, um die Täter zu ermitteln. Der Schutz von Großveranstaltungen durch technische Sperren, so etwa Betonpoller vor den Zugängen zu Weihnachtsmärkten, wird von Goertz als sinnvoll erachtet, wenn die Maßnahmen nicht halbherzig erfolgen. Auf in der nahen Zukunft wohl mögliche Maßnahmen, Fahrzeuge, die vom guten Weg abgekommen sind, zu stoppen, geht der Verfasser nicht ein.
Breiten Raum gibt der Autor der institutionellen Bekämpfung des Terrorismus. Hierbei unterscheidet er vier Punkte, an denen die Sicherheitsbehörden ansetzen können: 1. Das Aufdecken und Unterbinden der Finanzierung des Terrorismus und der damit häufig eng verbundenen Geldwäsche. 2. Ausführlich beschreibt er das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) und bricht eine Lanze für die stärkere Zusammenarbeit zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten, worin er keinen Verstoß gegen das aus seiner Sicht nach wie vor einzuhaltende Trennungsgebot sieht. Zu Recht weist er darauf hin, dass ein „Verbot einer verstärkten Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten geradezu desaströse Konsequenzen für die Terrorismusabwehr“ hätte. Jedoch geht er nicht so weit, das Trennungsgebot, dessen Wurzeln in der Besatzungszeit liegen, angesichts der gegenwärtigen Bedrohung, grundsätzlich zu hinterfragen. Und er stellt auch nicht zur Diskussion, dass Deutschland mit dieser Trennung einen Sonderweg in den demokratischen Rechtsstaaten geht. Als Schritt in die richtige Richtung beschreibt der Verfasser die Gründung der Bundespolizeidirektion 11. Dort sind unter einem Dach die GSG 9, der Flugdienst der Bundespolizei und die polizeilichen und besonderen Schutzmaßnahmen der Bundespolizei im Ausland und im Luftverkehr gebündelt. Jedoch zitiert er deren Leiter, den ehemaligen Kommandeur der GSG 9, Olaf Lindner, es gehe auf einem bevorstehenden langen Weg darum „zu Teams zusammenzuwachsen, die einander vertrauen und mit den jeweiligen speziellen Fähigkeiten geschlossen agieren.“ 3. Im Einsatz der Bundeswehr im Innern sieht der Verfasser durchaus Nutzen. Konkret spricht er sich dafür aus, Spezialkräfte der Bundeswehr in möglichen Häuserkampfszenarien einzusetzen. Als weitere Einsatzgebiete nennt er die ABC-Abwehr und den Abschuss von Boden-Luft-Raketen. 4. Fordert Goertz eine deutliche Verstärkung der genzübergreifenden Kooperation der Sicherheitskräfte in Europa.
Ausführlich geht der Verfasser auf die zahlreichen Maßnahmen ein, mit denen versucht wird, den Weg in die Gewalt – um hier eine Formulierung aus der Zeit der RAF zu verwenden – zu verhindern. In der Prävention und, sollte diese scheitern, in der Deradikalisierung sieht er wichtige Ansatzpunkte, um dem islamistischen Terrorismus die Wirkmöglichkeiten zu nehmen.
In der Summe reicht Goertz Betrachtung der Abwehr des islamistischen Terrorismus weit über die Deskription der theoretischen Seite hinaus. An zahlreichen Stellen gelingt es dem Autor, auch die praktische Seite des Themas einfließen zu lassen. Das führt wohl bei manchem Leser dazu, dass die Sorglosigkeit, mit der er auf dieses Thema gesehen hat – weil ja längere Zeit nichts passiert ist –, schwindet.
Dr. Reinhard Scholzen