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Augmented Reality

Virtuelle Welten in der täglichen Wahrnehmung

Von Peter Sehr

Die Zukunft hat schon lange begonnen: Moderne Smartphones bieten bereits seit einiger Zeit eine erweiterte Realität für die persönliche Wahrnehmung der Umwelt. So können zum Beispiel Apps in Verbindung mit GPS wie beispielsweise Wikitude zusätzliche Informationen zu Sehenswürdigkeiten wie Schlösser, Gebäude, markante Naturphänomene oder andere Auffälligkeiten per Internet zur Verfügung stellen. Google arbeitet an einer Brille (Google-Glasses), die Informationen der Smartphone-Apps virtuell in das Gesichtsfeld des Betrachters projizieren soll. Also umfassende Informationen über alles und jeden und jederzeit, oder sind hier Einschränkungen, notfalls per Gesetz, möglich bzw. erforderlich?

 

 

Definition und Entwicklung

Unter Augmented Reality versteht man die computerunterstützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Umfasst wird die Erweiterung der menschlichen Sinne wie  Sehen und Hören, Riechen und Fühlen. Derzeit Datenbrille Google Glass (Explorer Edition 2014) auf dem Kopf eines Models. Erhöht vor dem Auge das Mini-Display zum Einblenden von Bewegtbildern, daneben die Kamera. Im hier nicht sichtbaren, daran anschließenden Bügel zum Ohr hin befinden sich Touchpad, Lautsprecher, Beschleunigungssensor und Computer.  © Tim Reckmann/WikimediaDatenbrille Google Glass (Explorer Edition 2014) auf dem Kopf eines Models. Erhöht vor dem Auge das Mini-Display zum Einblenden von Bewegtbildern, daneben die Kamera. Im hier nicht sichtbaren, daran anschließenden Bügel zum Ohr hin befinden sich Touchpad, Lautsprecher, Beschleunigungssensor und Computer.
Foto:Tim Reckmann, Wikimedia Commons | Lizenz: CreativeCommons by-sa-3.0
konzentriert sich die Augmented Reality (AR) auf das visuelle Bereitstellen von zusätzlichen Informationen, die unmittelbar aus dem Internet gewonnen werden. Dies geschieht in erster Linie durch Einblendung von Bildern, Videos oder virtuellen Objekten in Form von Überlagerungen. Bekannt ist dieser Effekt zum Beispiel bei Sportveranstaltungen wie der Formel 1, indem Gang, Drehzahl und Geschwindigkeit für den Betrachter zusätzlich zum Fernsehbild hinzuprojiziert werden. Im militärischen Bereich ist AR bereits seit den 50er Jahren ein Thema, besonders in Flugzeugen. In Kampfjets wurden für den Piloten besonders wichtige Informationen direkt in sein Sichtfeld projiziert. Auch die Autoindustrie hat diese Möglichkeiten für sich entdeckt, wie beispielsweise in Fahrzeugmodellen der Marken  BMW, GM oder Nissan. Für den Normalverbraucher bieten die Smartphones mit ihren Apps eine Fülle von Möglichkeiten AR zu nutzen. Modernste Entwicklungen wie LTE (Long-Term-Evolution) oder Kameras mit mehreren Millionen Pixel unterstützen dabei immer mehr die AR Funktionen und damit die ubiquitäre Nutzung des Internets. Weitere Funktionen wie Sensormessungen von Gasen, Temperaturen, Luftfeuchtigkeit, Radioaktivität etc. sind in der Entwicklung.

 

Die Google Brille

Die Nutzung von AR Komponenten wird sich allerdings nicht auf das Smartphone beschränken. Google arbeitet seit einiger Zeit an einer Brille (Google Glasses), in die die Smartphone-Funktionalitäten und die Nutzung von Apps und damit der Zugang zum Internet integriert werden. Die Brille selbst sieht wie eine herkömmliche Brille aus, man muss schon genau hinschauen, um Unterschiede erkennen zu können. Die Brille wird im Wesentlichen drei Komponenten miteinander verbinden:

  • Die Analyse dessen, was der Benutzer sieht, sowie deren Einordnung in den Kontext,
  • die anschließende Verknüpfung mit digitalen Daten sowie
  • eine optimale Darstellung der virtuellen Erweiterung in das reale Sichtfeld.

„Google Glass“ von — MovGP0  © Wikipedia „Google Glass“
Foto: — MovGP0, Wikimedia Commons | Lizenz: Copyrighted free use
Die Chancen, dass AR zum massentauglichen Phänomen werden kann, stehen auch deshalb nicht schlecht, da die derzeitig sehr aktive Open-Data-Bewegung den freien Zugang zu Datenbanken großer Einrichtungen und Behörden öffnet, und darüber hinaus erwartet wird, dass sich die Entwicklungskosten im Rahmen halten lassen.

 

Absehbare Weiterentwicklungen

Auch die Fraunhofer Einrichtung COMEDD in Dresden arbeitet an einer Datenbrille, die sich sogar mit der Iris des Nutzers steuern lässt. Ein vielversprechender Prototyp wurde bereits fertiggestellt. Die Nutzungsmöglichkeiten werden dabei sogar über die der Google-Brille hinausgehen. An der University of Washington in Seattle arbeitet man bereits an Kontaktlinsen, die Informationen direkt ins Auge projizieren. Sollte sich diese Entwicklung realisieren lassen, werden zukünftig Bildschirme überflüssig. Allerdings sind die Problemstellungen, die sich im Rahmen dieser Entwicklung auftun, nicht ganz ohne: So ist zum Beispiel die Stromversorgung zu realisieren, oder aber die Verträglichkeit durch den Nutzer im Hinblick auf gesundheitliche Aspekte könnte durchaus unvorhergesehene Risiken beinhalten.

 

Anwendungsmöglichkeiten

Der Nutzen von AR dürfte einer Revolution gleichkommen. Beispiel Entwicklung/Herstellung/Reparatur: Durch das Vorhandensein von Bauplänen, Schaltkreissystemdarstellungen, Reparaturanleitungen etc. können zügig und ohne tiefere Spezialkenntnisse in kürzester Zeit Arbeitsaufträge, Reparaturen oder Gebäudeerrichtungen realisiert werden. Notwendige Handgriffe werden aufgezeigt, Material im Hinblick auf Bearbeitung, Einsatz und Beschaffenheit präsentiert. Gefahren werden rechtzeitig erkannt, Gegenmaßnahmen sind sofort abrufbar und damit umsetzbar. In Katastropheneinsätzen sind alle hilfreichen Maßnahmen verfügbar, werden z. B. gangbare Evakuierungswege aufgezeigt. In der Medizin werden Diagnosen erleichtert, Operationen unterstützt, Risiken rechtzeitig erkannt und minimiert. Für Feuerwehren und Polizei werden nützliche Informationen z.B. über Gebäude vorrätig gehalten. Fragen nach der bestmöglichen Herangehensweise, beispielsweise bei Unfällen mit Gefahrgut, werden angeboten, Gefahren wie Giftwolken rechtzeitig erkannt und damit berechenbar. Ein ganz spezielles Feld wird aber das Erkennen von Personen werden.

 

Identitäts-Matching: Erkennen von Personen durch Internetinfos

Eine ganz andere Qualität bieten Apps, die über eine Personenerkennungssoftware die ermittelten Daten z. B. mit sozialen Netzwerken im Internet abgleicht ( sog. Identitäts-Matching oder ID-Matching). Im Klartext bedeutet das, dass über eingebaute Kameras von Smartphones oder aber über die Google Brille eine App Personen, insbesondere das Gesicht,  anhand markanter Punkte registriert und dann im Internet (soziale Netzwerke, Blogs, Portale oder Foren) entsprechend identifiziert. Der Betrachter bekommt unter Umständen nicht nur den Namen und das Alter mitgeteilt, sondern auch Vorlieben, Neigungen, Abneigungen, Wünsche und ggfls. weitere intime Informationen. Grundlage der Recherche dieser Daten sind von den jeweiligen Personen ins Internet gestellte eigene Fotos sowie, hiermit verknüpft, die entsprechenden zusätzlichen persönlichen Informationen. Diese Infos werden von Vielen in den bekannten sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter bereitwillig preisgegeben. Ein direktes Ansprechen der Person, zum Beispiel mit Bezug auf ein Hobby oder andere Leidenschaften, wird somit möglich. Denkbar ist auch, dass solche Apps von Wirtschaftsunternehmen eingesetzt werden. Personen werden z.B. an Eingängen zu Kaufhäusern erfasst, vielleicht sogar persönlich begrüßt. Es können Hinweise auf Angebote platziert werden, von denen man weiß, dass sie den potenziellen Kunden interessieren. Direkte Wege im Kaufhaus können virtuell aufgezeigt werden, die natürlich an allen Produkten vorbei führen, die ebenfalls für den potenziellen Kunden reizvoll sind. Auch polizeiliche Fahndungssysteme ließen sich mit dieser Software leicht koppeln. Dabei wären sowohl mobile Einsatzmöglichkeiten als auch stationäre denkbar. Die ersten Feldversuche hierzu gab es ja bereits (z. B. durch das BKA im Mainzer Hauptbahnhof). Übrigens plant die brasilianische Polizei bei der Fußball-WM Scannerbrillen einzusetzen, die gewaltbereite Personen identifizieren sollen, um diese aus Stadien zu entfernen oder aber den Zutritt zu verweigern.

 

Fehlende rechtliche Regelungen

Es wird somit deutlich, dass hier im starken Maße Persönlichkeitsrechte tangiert sind. Gesetzliche Regelungen findet man allerdings vergebens. Auf der einen Seite werden teilweise sehr intime Daten ohne Bedenken in Twitter oder Facebook oder auch anderen sozialen Netzwerken veröffentlicht. Sehr fraglich ist allerdings, ob die Bereitschaft diese Daten durch andere im hier aufgezeigten Sinne nutzen zu lassen, tatsächlich vorhanden ist. Einmal im Internet, immer im Internet, bekommt hier eine ganz andere Dimension. Lösungen bieten entsprechend zu schaffende gesetzliche Regelungen, wobei die Schwierigkeit darin besteht, dass nationale Alleingänge nicht viel nutzen. Liegen die Daten auf ausländischen Servern, gilt dort das jeweilige Recht des Staates, wo der Server beheimatet ist. Eine deutlich effizientere Lösung bietet eine Idee, Daten „flüchtig“ zu machen. Dies bedeutet, dass man bei der Einstellung persönlicher Daten ins Internet ein Verfallsdatum in die Metadaten einträgt, Daten werden dann bei Erreichen des „Ablaufdatums“ komplett gelöscht, egal, ob es die Originaldaten sind oder Kopien bzw. Derivate.  Entsprechende Forschungen sind bereits angelaufen.

 

Fazit

Augmented Reality wird in unser Leben Einzug halten, und es wird ein weiteres Puzzleteilchen auf dem Weg zu einer ubiquitären Nutzung des Internets. Nicht umsonst haben sich große Unternehmen wie Microsoft, Apple Google oder IBM als Prämisse ihrer Unternehmenspolitik den jederzeit zu ermöglichenden Zugang zum Internet mit allen möglichen Endgeräten auf die Fahnen geschrieben. Dabei werden durch die rasanten Entwicklungen moderne Gesellschaften, wie sie in Europa oder Amerika bestehen, hoffnungslos überfordert. Somit werden durch die Konzerne Fakten geschaffen, die sich viel schneller in einer Gesellschaft verfestigen, als es letztlich gut tut. Persönlichkeitsrechte werden in den Hintergrund gedrängt, ja sogar bewusst ignoriert. Die aufgezeigte Entwicklung belegt zudem, wie sich neue Technologien untereinander vernetzen oder vernetzen können (AR, ID-Matching, flüchtige Daten). Hier liegen aber auch Chancen, bei den jeweiligen Entwicklungen auch Beschränkungen und/oder Bremsen einbauen zu können. Ein Lichtblick ist auch, dass Google (vorerst) auf automatische Gesichtserkennungssysteme per App mit Hilfe der Google-Glasses verzichten will. Zumindest ein Zeichen, dass den großen Konzernen Sensibilität nicht ganz abhandengekommen ist.

 

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