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Ähnlich wie im Parkhaus: Der „Kassenautomat“ eines niederländischen Sicherheitsparkplatzes. Foto: KDB

Standzeiten sind oft Tatzeiten

Das Problem ist bekannt. Lastzüge sind dann meisten gefährdet, wenn sie nicht rollen, sondern stehen. Experten gehen davon aus, dass sich rund 75 Prozent Frachtdiebstähle und andere Straftaten gegen Lkw während der Standzeiten ereignen. Tatorte sind zu einem erheblichen Anteil Parkplätze und Rastanlagen. Die müssen zwangsläufig angelaufen werden, damit die in aus gutem Grund genauestens geregelten Lenk- und Ruhezeiten eingehalten werden können.

Die Standzeiten sind somit nicht immer Momente der Regeneration und Entspannung, sondern geraten oft genug zum Albtraum für Fahrer und Unternehmer. Denn die Parkflächen entlang der Bundesautobahnen gelten nicht erst seit gestern als Zentren der Transportkriminalität. Mit anderen Worten: Mitten in Deutschland gibt es eine empfindliche Sicherheitslücke, die ausgerechnet eine Branche trifft, die die drittgrößte in unserem Land ist und eine ganz wesentliche Rolle bei der Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft spielt. Ein „Schlüsselfaktor der deutschen Wirtschaft“, wie der Absolvent des Studiengangs Risiko- und Sicherheitsmanagement für Hochschule für öffentliche Verwaltung Bremen in seiner Bachelorarbeit hervorhebt.

Doch von offizieller Seite ist die massive Bedrohung durch Transportkriminalität nie zum großen Thema gemacht worden. Das ist im Übrigen nichts Neues. So fand lange Jahre fand das Treiben von kriminellen Autoschieberbanden, die zahlreiche Raststätten zwischen dem Kamener und dem Berliner Kreuz regelrecht okkupiert hatten, nur punktuelle Aufmerksamkeit. Die Aktivitäten dieser kriminellen Banden sind nur deshalb zurückgegangen, weil Bestimmungen zur Ausfuhr von „Schrottautos“ konsequenter durchgesetzt werden und nicht aus Gründen der Repression.

Die Niederlande, auch sie ein Schwerpunkt der Transportkriminalität, haben Konsequenzen aus gehäuften Auftreten der Lkw-Marder gezogen. Besonders stark kriminell belastete Großparkplätze sind umgestaltet worden. Eine bessere Ausleuchtung der Parkflächen und eine flächendeckende Videoüberwachung hat die Fallzahlen signifikant zurückgehen lassen. Von Regierungsseite wurde ein Beauftragter für Transportkriminalität bestellt, der zentraler Ansprechpartner für alle damit zusammenhängenden Fragen ist. Eine solche Position gibt es hierzulande und in vielen anderen europäischen Ländern nicht.

In Deutschland tut man sich ohnehin etwas schwer, um es höflich asuzudrücken. Mehr Licht und eine Videoüberwachung auf den Raststätten, dafür seien kostenmäßig die Pächter zuständig, ist eine verbreitete Ansicht unter Politikern. Die Pächter können aber nur in seltenen Fällen die erheblichen Kosten stemmen. Neben dem materiellen Aufwand kommt ja auch Personaleinsatz dazu, denn die Videoüberwachung nützt nichts, wenn niemand in Echtzeit die Monitore kontrolliert. Und dann ist da ja noch der allgegenwärtige Datenschutz.

Ein Lichtblick im wahren Wortsinne sind die sogenannten Sicherheitsparkplätze. Sie sind gut ausgeleuchtet, videographisch überwacht und mit Zäunen und Toren gesichert. Ihr Nachteil: es gibt in Deutschland erst vier dieser Parkplätze, nämlich Uhrsleben (A2 nahe Magdeburg), Wörnitz (Mittelfranken, am Autobahnkreuz Würzburg –Heilbronn, A6/A7). Hermsdorf (Autohof Holzland, nahe Berlin am Hermsdorfer Kreuz, A4/A9) und Gau-Bickelheim (südwestlich von Mainz, A 61). Die Preise sind unterschiedlich und liegen zwischen 25 und 120 Euro pro Nacht. In früheren Jahren gab es in Süddeutschland einen weiteren Sicherheitsparkplatz, aber der musste mangels Nachfrage wieder geschlossen werden. Das Hauptproblem ist, dass sichere Parkplätze vielen Beteiligten helfen, vom Produzenten über Logistiker und Frachtführer bis hin zu den Transportversicherungen, die Kosten aber ausschließlich beim Spediteur hängen bleiben.

Ebenso ein Lichtblick: Beim Mangel an Sicherheitsparkplätzen will die TRASPAL Deutschland GmbH Abhilfe schaffen. Das in Oberhaching bei München ansässige Unternehmen, das schon jetzt die gesicherten Parkplätze in Hermsdorf und Gau-Bickelheim betreibt, will ein flächendeckendes Netz von 80 bis 100 solcher Parkstationen schaffen. Matthias Kreuz, im Unternehmen für Standortplanung zuständig, rechnet mit fünf bis sieben Jahren, bis dieses Ziel erreicht werden kann.

Doch bis dahin gibt es ein Problem. Während die seriöse Sicherheitsparkplätze hohe Anforderungen erfüllen, befürchten Insider, dass jetzt Parkplätze mit Pseudo-Sicherheit aus dem Boden schießen. Der Begriff Sicherheitsparkplatz ist nämlich nicht geschützt, Prüfungskriterien sind nicht verbindlich definiert. Eine Videoüberwachung könnte schon als Sicherheitsmerkmal verkauft werden.

Parkplätze, die nur bedingt gesichert sind, können höchst unerfreuliche Nebenwirkungen haben. So wurde im Herbst 2014 auf dem niederländischen Sicherheitsparkplatz in Asten eine hochwertige Ladung entwendet, wie der selbstständige Schadensermittler Wolfgang Korn berichtet. Fehler war nach seinen Worten die nicht erfolgte kritische Identifizierung der Parkplatznutzer, die zur Tatbegehung den Parkplatz offiziell angefahren hatten.

Ein Sicherheitsparkplatz in den Niederlanden. Die Anlage ist videoüberwacht. Dadurch kann aber nicht verhindert werden, dass Ganoven mit gestohlenen Fahrzeugen oder gefälschten Kennzeichen in das Areal einfahren  und dann von innen aktiv werden. Foto: KDBMatthias Kreuz von der Firma TRASPAL fordert eine bundeseinheitliche Zertifizierung der Sicherheitsparkplätze. Besonders wichtig ist aus seiner Sicht eine Pflicht zur jährlich wiederkehrenden Zertifizierung. Die Nutzer müssten sich auf Sicherheitsstandards verlassen können. Sonst bestehe die Gefahr, dass die gesicherten Parkanlagen mit Vorliebe von kriminellen Akteuren angelaufen werden, denn dort ballen sich bekanntermaßen besonders hohe Werte.

Das Erfordernis der höheren Sicherheit gilt aber nicht nur für hochwertige Frachtgüter, sondern auch für solche, die in bestimmte Prozesse eingebunden sind. Ein Beispiel: Eine Kaufhauskette hat bereits einen Artikel als Sonderangebot beworben. Nicht auszudenken, wenn er nicht ankommt. In der Liste der Schuldigen pflegt immer der Spediteur ganz oben zu stehen – selbst dann, wenn er persönlich absolut nichts für den Vorfall kann. Letztlich gilt das Sicherheitsargument auch für das Arbeitsmittel Lkw. Allein eine kräftig aufgeschlitzte Plane schlägt mit mehreren tausend Euro zu Buche. Und oft kommen weitere Schäden, auch durch Vandalismus, hinzu.

Elektronische Sicherheitssysteme an Lastkraftwagen können gleichfalls zu einer Pseudo-Sicherheit führen, wenn es am wachen Sinn der Menschen hapert. Schadensermittler Klaus Dieter Baier nennt ein reales Beispiel. Auf einem Parkplatz haben Täter durch Ziehen des Kupplungssteckers einen Alarm im Lkw und in der Leitstelle ausgelöst. Der schlaftrunkene Fahrer steigt aus und kontrolliert ergebnislos das Fahrzeug. Er meldet der Leitstelle, dass offenbar ein Fehlalarm vorliegt. Wenig später öffnen die Ganoven die Heckklappe und lösen dabei aber einen erneuten Alarm aus. Der Fahrer und die Leitstelle gehen wieder von einem Fehlalarm aus und drücken das Signal weg. In mehreren anderen Fällen ist es den Tätern außerdem gelungen, die Alarmanlage vor dem Frachtdiebstahl zu deaktivieren.

Tatbegünstigend ist für die kriminellen Banden ganz ohne Zweifel das Prinzip der weitgehend offenen Grenzen in Europa. Der Kodex von Schengen ermöglicht den Tätern, ohne Angst vor Grenzkontrollen europaweit zu agieren. Nicht umsonst sind die Lkw-Marder in grenznahen, industriell gut positionierten Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen und Bayern besonders aktiv.

Während die Kriminellen somit Europa quasi als einen einzigen großen Handlungsraum nutzen können, herrschen bei den Strafverfolgern nicht selten nationale Egoismen vor. Anders formuliert: Das viel beschworene gemeinsame Haus Europa steht zwar sperrangelweit den Täterstrukturen offen, während die Behörden operativ kaum über die Ländergrenzen hinauskommen. Aus Tätersicht genügt es somit vielfach, eine offene Grenze zu überqueren, um sich dem Fahndungsdruck zu entziehen.

Die Gründe: Rechtskonforme Prozesse in der internationalen Zusammenarbeit sind oft überhaupt nicht definiert. Ein Diebeslager irgendwo in Osteuropa. Die werthaltigen Teile der Ladung sind bereits abtransportiert, nur die sperrigen Reste sind noch vorhanden. Foto: Polizei Und auch heute noch gibt es trotz anderslautender  Sonntagsreden ethnisch motivierte Ressentiments. Jedes Land ermittelt im Rahmen seiner Zuständigkeit, ohne zu international zu denken und vor allem ohne zu berücksichtigen, wie die transnationale OK tickt. Grenzenlos agierende Tätergruppierungen werden im nationalen Rahmen verfolgt. Selbst eine Zusammenarbeit auf niedrigstem Niveau, zum Beispiel die gegenseitige Information und die Zusammenführung der Erkenntnisse, existiert allenfalls in Ansätzen.

Ein Beispiel dafür liefert wiederum Ungarn. Schadensermittler Baier erläutert: „Selbst bei relevanten Indizien, wie IP-Adressen und andere Erkenntnisse aus der Tatbegehung, verweisen die ungarischen Ermittlungsbehörden in der Regel auf das Tatortprinzip, also auf eine Ermittlung am Beladeort in Spanien. Praktisch verfügen aber die spanischen Ermittlungsbehörden über keinen tatsächlichen Handlungsspielraum für die Durchführung geeigneter operativer Ermittlungen und Nutzung von Spuren. Die Geschädigten in Deutschland, der beauftragte Erstspediteur und der Versicherer stehen faktisch vor einem gordischen Knoten, jedenfalls bei einer alleinigen Inanspruchnahme der nationalen Ermittlungsbehörden.“

Zuweilen sind selbst engagierten Polizeibeamten die Hände gebunden. Der Schadensermittler Ralf Uwe Lange (DESA) zitiert gegenüber Veko-online eine polizeiliche Ermittlerin aus Litauen: „Wir arbeiten intensiv an der Verfolgung von Straftaten und bearbeiten die Hinweise unserer europäischen Nachbarn engagiert. Stellen wir eine illegale Einfuhr einer Baumaschine oder eines Fahrzeuges fest, sind die Täter schnell geständig und geben eine Hehlerei zu. Eine Haft und damit wirkungsvolle Sanktionierung ist damit vereitelt.“

Die zunehmend organisierten Ganoven sind extrem lern- und anpassungsfähig. Wie Ermittler Frank John deutlich macht, liegen inzwischen Erkenntnisse vor, dass Tätergruppen gezielt die polizeilichen Maßnahmen und die Risiken einer Entdeckung im Verlauf des Ermittlungsverfahrens auswerten. Nach seinen Angaben wurden „bei einer deutschen Tätergruppe im Verlauf einer Durchsuchung Aktenbestände zu früheren Ermittlungsverfahren festgestellt, die Markierungen an den signifikanten Aktenstellen enthielten, bei denen die Verfolgung der Spurenlage und Täteridentifizierung erläutert wurden“.

Zentrale offizielle Statistiken würden helfen, das Bedrohungsbild Transportkriminalität in vollem Umfange zu erkennen. Doch leider gibt es eine solche Informationsgrundlage in Deutschland, dem europäischen Lieblingsland der einschlägigen kriminellen Banden, nicht. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass es des Umdenkens auf vielen Ebenen bedarf, soll das massive  Sicherheitsproblem Transportkriminalität erfolgreich eingedämmt werden. „Zur Zeit sitzen zu viele Player am Tisch, die alle ausschließlich mit ihren eigenen Aufgabengebieten befasst sind“, so formuliert es ein Insider.

Klaus Henning Glitza

 

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