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Pegida Demonstration in Dresden
Foto: Kalispera Dell - http://www.panoramio.com/photo/116139756

 

Die Sicherheitslücke – ein Begriffsgespenst auf dem Prüfstand

Von Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a.D.

Ein Gespenst geht um in der derzeitigen Sicherheitsdiskussion: die Sicherheitslücke. Heimlich hat es die rituelle Begleitformel zur jährlichen Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik abgelöst, wonach Deutschland eines der sichersten Länder der Welt ist. Es lohnt sich, bei den Gründen und der Genese dieser neuen Entwicklung etwas hinter die Kulissen zu blicken.

Trendwende oder „Business as usual“?

Den Impetus setzte weder die wenig befriedigenden Aufklärungsquoten der jährlichen Polizeilichen Kriminalstatistik noch das multiple Behördenversagen bei der Fahndung nach den NSU-Tätern oder die jüngsten Alarmmeldungen des Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums, wonach die Zahl der durch die Bundespolizei festgestellten illegalen Grenzübertritte  gegenüber dem Vorjahr um 70 Prozent, die Zahl der erfassten illegal aufhältigen Personen um 40 Prozent gestiegen ist. Die Initialzündung kam vielmehr durch die fatale Erkenntnis, dass nach den Terroranschlägen in Paris und Kopenhagen der internationale Terrorismus in unserem Vorgarten angekommen ist und dabei Sicherheitslücken entdeckt wurden.

Politik und Bevölkerung, bei der Beurteilung der Sicherheitslage durchaus und häufig unterschiedlicher Meinung, schreckten auf, zumal sich die Alarmzeichen häuften. In Dresden wurden nach einer Terrordrohung gegen die Pegida-Bewegung alle Demonstrationen und Gegendemonstrationen mit der Begründung eines polizeilichen Notstandes verboten – ein in der jüngsten Geschichte einmaliger Vorgang. In Braunschweig wurde aus ähnlichen Gründen ein Karnevalsumzug abgesagt und im kleinen Bundesland Bremen marschierten nach einem Warnhinweis auf einen islamistischen Terroranschlag martialisch ausgerüstete Bereitschaftspolizisten medienwirksam im öffentlichen Raum auf. Galten bis dato in der Sicherheitspolitik bei guten Vorsätzen und neuen Erkenntnissen erstaunlich kurze Verfallzeiten, war mit einem Mal alles anders.

 

Der erstaunliche Gleichklang der Reaktionen

Die Bundeskanzlerin, bekanntlich Inhaberin der Richtlinienkompetenz, sicherte in einer Regierungserklärung am 15.1.2015 anlässlich der Terroranschläge in Paris  den Sicherheitsbehörden insgesamt zu, die erforderliche personelle und finanzielle Ausstattung zu verschaffen, die sie benötigen, um unsere Sicherheit bestmöglich zu gewährleisten. Sie müssten in die Lage versetzt werden, ihre Arbeit unter veränderten Lageanforderungen und veränderten technischen Rahmenbedingungen zu erbringen. Da sie im Futur sprach, schien die Gegenwart wohl verbesserungsbedürftig.

Klare Worte fand auch der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz Roger Lewentz, Innenminister des Roger Lewentz (© SPD/RhPf)Landes Rheinland-Pfalz und SPD-Mitglied. Seiner Meinung nach hat es die Polizei seit Paris mit einem völlig neuen Tätertyp zu tun, extrem kaltblütig, ausgebildet an Kriegswaffen und erfahren im Umgang mit subversiven Einsatztechniken. Ihm gegenüber seien die Bereitschaftspolizeien nicht optimal gerüstet. Sie benötigten bessere Schutzwesten, die auch der Munition aus einer Kalaschnikow standhalten, gepanzerte Fahrzeuge, um die Polizeibeamten sicher an den Anschlagsort zu transportieren und auch schwere Waffen, die auf längere Distanz schießen können. Seiner Meinung nach seien die größeren Länder gut aufgestellt, die kleineren Länder könnten aber auf die Hilfe des Bundes angewiesen sein. Erstmals hörte man aus der Politik den Hinweis auf eine Sicherheitslücke und die Forderung nach „Waffengleichheit“, nachdem jahrelang eher Beschwichtigung und mentale und tatsächliche Abrüstung die Diskussion um das wahre Wesen der Inneren Sicherheit dominierten.

Auch der Bundesinnenminister blieb nicht untätig. Von ihm vernahm man, dass Deutschland Zielgebiet des Bundesinnenminister Thomas de Maizièreislamistischen Terrors sei, dessen terroristische Szene auf rund 1.000 Personen geschätzt wird. Von 280 Gefährdern ist die Rede, deren Zahl ständig steigt. Nahezu wöchentlich verstärkt sich ihre Zahl durch die Heimkehrer aus den Krisengebieten in Nahost. Auch er führte wie sein Kollege von der Innenministerkonferenz aus, dass sich die Behörden auf multiple Anschläge von Kleinstgruppen, auf radikalisierte Einzeltäter und auf den Einsatz von kriegserfahrenen Tätern mit entsprechenden Waffen einstellen müssen. Wenig später bestätigte er einem bekannten Nachrichtenmagazin, dass man sich mit der Einrichtung einer neuen Polizeieinheit des Bundes beschäftige, die die Lücke zwischen den Bereitschaftspolizeien der Länder und des Bundes und den hochspezialisierten Sonderverbänden wie die GSG 9 der Bundespolizei schließen und die für die Bewältigung terroristischer Ausnahmelagen trainiert werden soll. Sie soll über eine spezielle Ausbildung und Ausrüstung verfügen, hochmobil und als Aufrufeinheit jederzeit einsatzbereit sein. Er trug damit den Befürchtungen vieler Innenpolitiker insbesondere aus der Unionsfraktion Rechnung, dass die deutschen Sicherheitsbehörden islamistischen Anschlägen wie in Paris und Kopenhagen nicht gewachsen seien und bei mehreren Parallelanschlägen schnell ihre Belastungsgrenzen erreichen würden, insbesondere wenn sich die Einsätze über mehrere Tage erstreckten.

Bereits vor Jahren hatten allerdings bereits die Innenminister an anderer Stelle gewarnt. Ihre einvernehmliche Forderungen im aktuellen Programm Innere Sicherheit  verhallte allerdings ungehört: „Angesichts der wachsenden Bedrohung durch terroristische Angriffe sind Szenarien denkbar, die von den Sicherheitsbehörden nicht allein bewältigt werden können. So verfügt die Polizei nicht durchgängig über die notwendigen Fähigkeiten und Einsatzmittel zur Abwehr von Gefahren durch größere Wasserfahrzeuge oder durch Luftfahrzeuge. Aus polizeilicher Sicht ist eine verfassungsrechtliche Grundlage zum Einsatz mit militärischen Fähigkeiten und Mittel für diese Fälle zu schaffen.“

Besonders kapriziös war die Reaktion der Grünen, die in ihren Sturm- und Drang-Jahren noch kurzerhand die Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag  (© www.gruene-lohmar.de/medien/Pressefoto)Auflösung von Bundesgrenzschutz, Bereitschaftspolizeien und Verfassungsschutz als ihrer Meinung nach Fremdkörper in einem demokratischen Rechtsstaat auf ihre Fahnen schrieben. Katrin Göring-Eckardt als Fraktionsvorsitzende fordert nunmehr angesichts der Gefahr möglicher Terroranschläge mehr Polizisten. Die eingängige Begründung für den Gesinnungswandel: Die Polizei und unsere Partei haben sich gewandelt und wir wollen das zeigen. Immerhin.

Es ist ein Privileg der Gewerkschaften, dass sie nahezu rituell Missstände beschwören, GdP-Chef Oliver Malchow (© GdP)um medial präsent zu sein und um das Wohlergehen ihrer Mitglieder zu  fördern. Deswegen müssen jedoch nicht alle Forderungen überzogen sein. Im Schlussresümee der Bundesvorstandssitzung der Gewerkschaft der Polizei Mitte März in Dresden stellte der Bundesvorsitzende Oliver Malchow fest, dass die Polizeien nicht genügend Personal haben, um Hunderte von potenziellen Terroristen zu überwachen, dass sie gegen schwere Waffen, mit denen Terroristen ausgerüstet sind, nicht ausreichend geschützt seien und dass noch nicht einmal jeder Polizist über eine eigene Schutzweste verfüge.

 

Ein besonderes Kapitel: Schutz kritischer Infrastruktur

Interessanterweise wird der sehr viel virulentere Bereich des Objektschutzes offensichtlich nur unter Fachleuten diskutiert, obwohl der Schutz kritischer Infrastrukturen zu den Kernaufgaben staatlicher Sicherheitsvorsorge gehört und der Ausfall wesentlicher Einrichtungen von wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen zu nachhaltig Am Pfingstmontag 2014 wurde NRW von den schlimmsten Unwettern seit 20 Jahren getroffen. Das Innenministerium bilanzierte mehr als 31.000 Einsätze der Rettungskräfte. (Foto: FEUERWEHReinsatz: NRW)wirkenden Versorgungsengpässen, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen führen würde. Bei der Tagung des BKA mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik unter dem Rubrum „Schutz Kritischer Infrastrukturen – eine kritische Bilanz und Perspektiven 2020“  wurden als Hauptakteure der Bedrohungsszenarien der islamistische Terrorismus und die Politisch motivierte Kriminalität (PMK) genannt. Zwar wurde bei der Perspektive 2020 darauf erkannt, dass es keine Krisenvorsorge zum Nulltarif gebe, eine engere Kooperation von Staat und Wirtschaft angemahnt sowie mögliche Maßnahmen, Aktionsplänen und Strategien diskutiert. An keiner Stelle wurde jedoch deutlich, welche Sicherheitskräfte bei einem GAU wann, wo und unter welchen Bedingungen eingesetzt werden. Auch in der Nationalen Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Strategie) findet man keine Hinweise. Anders jedoch z.B. die Lage in Österreich, wo Objekte der kritischen Infrastrukturen nach Maßgabe sicherheitspolizeilicher Analysen in Absprache mit den Betreibern in den vom dortigen Bundesinnenministerium geführten Objektschutzkatalog aufgenommen werden. Zur Vorbereitung des physischen Schutzes werden gemeinsam mit den strategischen Unternehmen Objektschutzblätter erstellt. Der Schutz der Objekte erfolgt bei Bedarf auf der Grundlage der Sicherheitspolizeigesetze nach Maßgabe der aktuellen Bedrohungslage. Dazu können auch Kräfte des österreichischen Bundesheeres im Assistenzeinsatz zur Unterstützung der Sicherheitsbehörden herangezogen werden. Die Beitragsleistung der Streitkräfte zum Schutz kritischer Infrastrukturen und zum Objektschutz ist bei der Durchsetzung der im Jahre 2013 verabschiedeten Österreichischen Sicherheitsstrategie als Teil des gesamtstaatlichen Planungsprozesses festzulegen und regelmäßig fortzuschreiben. Bliebe zu ergänzen: In Deutschland bestehen bei den Sicherheitsbehörden ohne Rückgriff auf die Bundeswehr keinerlei Reserven für einen langfristigen Objektschutz selbst nur ausgesuchter Objekte von vitalem Interesse für das Gemeinwohl.

 

Ein Blick auf die Realitäten

Nachdem die Dresdener Polizei aus Sorge vor einem terroristischen Anschlag auf die Pegida-Bewegung alle Demonstrationen im Stadtgebiet untersagte, lehnte sich die Politik weit aus dem Fenster. Die Bundeskanzlerin erklärte in Hinblick auf das hohe Gut der Demonstrationsfreiheit, dass sie als Bundeskanzlerin ein Interesse daran habe, dass an jedem Ort in Deutschland demonstriert werden kann und stellte, sofern der Bund gebeten werde, Einsatzkräfte der Bundespolizei in Aussicht. Diese wuchtige Feststellung hat jedoch Schönheitsfehler. Zum einen ist es seit Gesetzwerdung der Notstandsverfassung in den siebziger Jahren eine sicherheitspolitische Konstante, dass der Bund die Länder unterstützt – allerdings gegen Kostenerstattung –, zum anderen sind auch die Polizeikräfte des Bundes endlich. Nahm der BGS, nunmehr Bundespolizei, vor seiner Umorganisation in den neunziger Jahren noch die Funktion einer „stets abrufbereiten Sicherheitsreserve“ wahr, ist diese Funktion nach seiner Umorganisation in eine überwiegend einzeldienstlich organisierte Bundespolizei verbraucht. Die Bundespolizei verfügt über 40.000 Beschäftigte, davon 30.000 voll ausgebildete Polizeivollzugsbeamte, von denen rund 21.000 einzeldienstlich tätig sind. Nur noch etwa 6.000 verrichten ihren Dienst in den bereitschaftspolizeilichen Einsatzeinheiten und müssen sowohl den Unterstützungsbedarf des Einzeldienstes der Bundespolizei, der Länderpolizeien und vieler sonstiger Bedarfsträger decken und sind somit personell voll ausgelastet.

Ähnlich prekär ist die Situation bei den für gegenseitige Unterstützungseinsätze vorgesehenen Bereitschaftspolizeien der Länder. Bereits die reinen Soll-Zahlen können Realisten nicht davon überzeugen, dass das aktuelle Kräftepotenzial in Ausnahmelagen ausreicht, zumal auch die Bereitschaftspolizeien nicht vom Rotstift der Haushälter verschont blieben. Noch stehen in 16 Bundesländern nach dem Verwaltungsabkommen rund 108 Hundertschaften und 31 Abteilungsführungsstäbe zur Verfügung. Die Sollzahlen sind aller Erfahrung um 30 % Prozent aufgrund von Fehlzeiten, Urlaub, Freistellungen, Abordnungen u.ä. zu kürzen. Zunehmend werden die Einheiten für länderübergreifende Unterstützungseinsätze personell aufgefüllt oder nach dem Patchworkprinzip zusammengestoppelt. Ihr Hauptvorzug, nämlich eingespielte Führungsstrukturen und eintrainierte Kooperation, werden damit ad absurdum geführt. Einige Bundesländer unterhalten keine Bereitschaftspolizei im eigentlichen Sinne mehr und spekulieren mit einer Dauerunterstützung durch den Bund. Auch kann von der Einheitlichkeit der Ausbildung und der Kompatibilität der Führungs- und Einsatzmittel, ursprünglich Geschäftsgrundlage der bereitschaftspolizeilichen Einsatzphilosophie, keine Rede mehr sein. Auch wenn der Bund noch anteilig die Bereitschaftspolizeien finanziert, hat er kaum noch Einfluss Bundes erkennbar, seine finanziellen Zuwendungen zu kürzen. Andererseits müsste nach Ansicht von Fachleuten das Einsatzpotenzial, um alle Anforderungen zu erfüllen, deutlich angehoben werden. Selbst der sonst eher auf Zurückhaltung bedachte Bundesinnenminister stellte in einem Interview fest, dass die Bereitschaftspolizeien der Länder und die Bundespolizei durch Großeinsätze im Bereich Demonstrationen, Fußball und Migration so sehr belastet sind, dass eine deutliche Personalaufstockung erforderlich ist.

Personaldefizite sind aber auch anderer Stelle zu beklagen. Nicht nur der Kölner Stadtanzeiger, sondern auch Innenpolitiker der Regierungskoalition wussten zu berichten, dass ausgerechnet die Terrorabwehr „optimierungsbedürftig sei“ ist. Das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum, in dem durch Zusammenwirken von über 40 Sicherheitsbehörden der Ariadnefaden[1] bei der Terrorabwehr gefunden werden soll, tagt in voller Besetzung nur an Werktagen; an Wochenende müssen die Beamten im Bedarfsfall im Bereitschaftsdienst angerufen werden. Immerhin sollen jetzt die Dienstpläne am Wochenende überprüft werden.

Zu allem Überfluss werden immer wieder bei polizeilichen Einsätzen handwerkliche Fehler und Strukturdefizite deutlich, die man eigentlich in Zeiten von Qualitätsmanagement und Akademisierung der Polizeiausbildung für undenkbar hielt. Im Beispiel Bremen, wo in einem islamistischen Kulturzentrum 60 Schusswaffen vermutet wurden, stellte der vom dortigen Innensenator beauftragte Sonderermittler fest, dass bei der Observation des verdächtigen Gebäudes eine Observationslücke von mehreren Stunden wegen fehlender Absprachen bestand, das Kraftfahrzeug von zwei Verdächtigen nur lückenhaft durchsucht wurde, ein sichergestelltes Mobiltelefon nicht ausgewertet wurde und deutliche Defizite in der strukturierten Weitergabe und Dokumentation relevanter Informationen bestand.

 

Viele Einsichten – wenig Konsequenzen

Forderungen nach Personalvermehrungen bei den Sicherheitsbehörden sind im Zeitalter des Zauberwortes von der schwarzen Null eher ein Nullsummenspiel. Kündigt ein Innenminister gelegentlich vollmundig Neueinstellungen an, erweist sich bei näherem Hinsehen, dass diese kaum die Altersabgänge oder die Fehlstellen aus anderen Gründen kompensieren, von der personellen Abdeckung zwischenzeitlicher neuer Aufgaben ganz zu schweigen. Zwar entfallen im Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2016 immerhin 150 Millionen Euro auf die Bundespolizei. In Hinblick auf die Defizite, die bereits jetzt bei der Bundespolizei abgedeckt werden müssen, dürfte aus dieser Summe kaum die Aufstellung und Ausrüstung der breit diskutierten Anti-Terroreinheit zu finanzieren sein. Abgesehen davon ist an eine kurzfristige Aufstellung nicht zu denken, zumal die Bundespolizei zwischenzeitlich die für geschlossene Beweissicherung- und Festnahmeeinheit der BundespolizeiAuslandseinsätze vorgesehen beiden Internationalen Einsatzeinheiten wegen Personalmangels reduzieren und zu Aufrufeinheiten umwandeln musste. So  ist jetzt aus der Bundespolizei die sinnvolle Absicht zu vernehmen, vorrangig die bereits bestehenden Einheiten durch entsprechende Ausbildung und Ausrüstung für robuste Polizeieinsätze fit zu machen. Hierzu eignen sich zuvörderst die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten des Bundes, aber auch der Länder. So genießen die Unterstützungskommandos des Freistaates Bayern einen vorzüglichen Ruf – allerdings nicht bei gewaltbereiten Demonstranten. Allerdings dürfen diese Sondereinheiten nicht im permanenten Tagesdienst verschlissen werden, sondern müssen nach anspruchsvollen Konzepten ständig fortgebildet und trainiert sowie mit neuartigen Interventionstaktiken gegen terroristische Gewalt vertraut gemacht werden. Nur was regelmäßig geübt wird, klappt im Einsatz. Diese banale Erkenntnis der Polizeitaktik musste ausgerechnet der bremische Sonderermittler, ein ehemaliger Oberstaatsanwalt, reanimieren und den Sicherheitsbehörden ins Stammbuch schreiben.

Nachgebessert werden muss vorrangig bei geschützten Fahrzeugen und gegebenenfalls gepanzerten Polizeihubschraubern sowie bei Schutzwesten, die auch Infanteriegeschossen standhalten. Allerdings ist die Polizei bei Weitem nicht so wehrlos, wie alarmistisch dargestellt. Die bei der Bundespolizei und bei einigen Bundesländern eingeführten Sonderwagen 4 (TM-170) bieten Schutz gegen die NATO-Munition 7,62 mm. Diese hat gegenüber der aus dem AK 47 (Kalaschnikow) verschossenen Munition die größte Durchschlagskraft. Die bei der Bundespolizei eingeführten Sonderwagen verfügen über einen Mehrzweckaufsatz, in dem das Maschinengewehr G 8 A1 mit Trommelmagazin eingesetzt werden kann; eine Gurtzuführung ist möglich. Diese Sonderwagen befinden sich im Bestand der Technischen Hundertschaft der Bundesbereitschaftspolizei; ferner werden sie durch die Bundespolizeidirektionen an den Flughäfen Berlin, München und Frankfurt/Main eingesetzt. Ferner verfügen dieSonderwagen_SW4 Einsatzabteilungen der Bundesbereitschaftspolizei über das Gewehr G 8 und bilden daran aus. Die Beschaffung von zehn geschützten Geländefahrzeugen des bei der Bundeswehr eingeführten Typs „Eagle 4“ ist beschlossen. Für den Zeitzeugen bleibt allerdings erstaunlich, dass erst mit Terrorismus neuer Zeitrechnung offenbar die neue Erkenntnis eingetreten ist, dass eine Bedrohung der Polizei mit Kriegswaffen möglich ist. Bereits in den siebziger Jahren setzten die RAF-Terroristen Panzerabwehrwaffen und Hochrasanzgeschosse ein. So z.B. bei der Schleyer-Entführung. Danach wurde das Thema lageadäquater Polizeiwaffen in die Warteschleife verschoben, wo es noch heute vor sich hindämmert.

Angesichts der beim Bremer Anti-Terror-Einsatz festgestellten Mängel forderte die dortige CDU-Fraktion eine Veränderung der Zuständigkeiten bei der Abwehr von Terrorgefahren, da die Landespolizei mit dieser Aufgabe teilweise überfordert sei und die Einsatzführung mit den bestehenden Strukturen kaum zu bewältigen sei. Daher sollen in solchen Ausnahmesituationen Bundesbehörden mit eigenoperativen Befugnissen die Einsatzführung übernehmen. Diesem Vorschlag schlossen sich alle CDU-Vorsitzenden der Nordländer an und erhielten pikanterweise Unterstützung von den Bremer Grünen. Abgesehen davon, dass der zuständige Innensenator sofort dagegen hielt, wurde wohl in der Eile übersehen, dass der Bund über kein adäquates Einsatzführungsinstrument verfügt und überdies die erforderlichen Rechtsgrundlagen fehlen.

Noch revolutionärer war der Vorschlag des Bundesinnenministers, den wir einer kleinen Notiz im SPIEGEL verdanken (Ausgabe 14/2015 , S. 19, Koalition der Unwilligen), wonach Bundesbehörden Massendelikte bekämpfen sollen, denen viele Bundesbürger zum Opfer fallen wie Einbruch, Trickbetrug und Diebstahl, die oft von straff geführten Banden verübt werden, da Polizeien und Staatsanwaltschaften vielerorts bereits überfordert seien. Die Länder zeigen jedoch wenig Kooperationsbereitschaft und selbst das Bundesjustizministerium blockte den Vorschlag ab, dem Generalbundesanwalt die Zuständigkeit über die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität zu übertragen. Dass die Gefolgschaft in Ländern für derartige Vorschläge nicht überwältigend war, liegt an der banalen Tatsache, dass selbst ausgewiesene Fachleute, die in einem dezentralen System groß geworden sind und dort Karriere gemacht haben, nicht unbedingt auf Revision drängen.

Ein ähnliches schnödes Schicksal scheint dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes beschieden zu sein, der als Konsequenz aus den Fahndungspannen im NSU-Komplex auf den Weg gebracht wurde. Danach soll das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht nur die Kooperation der Ämter koordinieren, sondern soll in besonderen Fällen selbst in eine Beobachtung eintreten können. Die SPD-Innenminister haben bereits angekündigt, dass ein Tätigwerden des BfV bei regionalen Vorkommnissen ohne Einverständnis der Länder nicht infrage kommt, die CDU-Innenminister fordern zumindest ein Einvernehmen.

Von den Polizeigewerkschaften ist man zwischenzeitlich gewohnt, dass sie bei grundsätzlichen Fragen der Polizeitaktik meist gegenteiliger Meinung sind. In vielen Fällen geht es weniger um Optimierungspotenzial, sondern vielmehr um Medienpräsenz und Zahl der Auftritte in Talkshows. Während die Deutsche Polizeigewerkschaft im Beamtenbund die Idee einer zusätzlichen Anti-Terror-Einheit des Bundes als Beitrag zur Unterstützung der Länder zur Schließung von Fähigkeitslücken begrüßt, geißelt die Gewerkschaft der Polizei das Vorhaben als „neue Blendgranate“ und „aktionistisches Gerede“ mit der bemerkenswerten Argumentation, dass die Bundespolizei für Terrorlagen im Inland gar nicht zuständig sei.

 

Ein Resümee

Es gibt Sicherheitslücken. Beim Vorgehen gegen schwerwiegende Luft- und Seegefahren sowie beim Objektschutz, wenn eigentlich eine Heranziehung der Streitkräfte erforderlich wird. Beim Personal der Sicherheitsbehörden, das auf Kante genäht ist und der Aufstockung bedarf. Bei der Ausrüstung der Polizeien, die schnellstens optimiert werden muss. Bei der Aus- und Fortbildung der Polizeien, die weder national noch international auf robuste Polizeieinsätze eingestellt sind. Und letztlich im Vorstellungsvermögen verantwortlicher Sicherheitspolitiker, die nach dem Motto agieren „Es wird schon gut gehen.“

Ob die neue Entwicklung zur Belebung einer neuen „Sicherheitsphilosophie“ und zum Überdenken der derzeitigen Sicherheitsarchitektur in Deutschland beitragen wird, wagt der Verfasser in Hinblick auf vergleichbare Abläufe der Vergangenheit zu bezweifeln. Unverändert sind Grundsatzfragen der Inneren Sicherheit Spielball von Interessengruppierung im Bund-Länderverhältnis oder werden aus parteipolitischem Kalkül instrumentalisiert. Die jüngsten Äußerungen der politischen Beletage zur Neuorientierung bei der Verkehrsdatenspeicherung sind ein Musterbeispiel für einen Prozess, in dem eitle Selbstprofilierung über die Bewahrung des Gemeinwohls gestellt wird. Noch sind keine Hoffnungszeichen zu erkennen, dass in absehbarer Zeit die Kräfte zur Abwehr der terroristischen Bedrohungen synergetisch gebündelt werden. Die Gründe sind vielfältig: Beharren auf föderalen Eigenarten, Kompetenzeitelkeiten, gewollte Unübersichtlichkeit der Sicherheitsorganisationen, gesetzgeberischer Aktivismus ohne Berücksichtigung der Realitäten, gering ausgeprägte Sensibilität gegenüber der Virulenz der Sicherheitslage und jene „Laisser-faire-Grundhaltung“, die aus politischem Opportunismus verhindert, dass der Verfassungsanspruch endlich den Verfassungsrealitäten angepasst wird.

 

 


Quellen:

[1] nach der griechischen Sagengestalt Ariadne, die Theseus ein Wollknäuel gibt, das ihn aus einem Labyrinth wieder den Weg zum Ausgang zeigt