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 Spurensicherung am Tatort. (Foto: Ralf Roeger)

It doesn’t pay

Fahndungserfolg nach mehr als einem Jahr

Von Klaus-Henning Glitza

Das perfekte Verbrechen gebe es nicht, sagte im Juli 2012 der inzwischen pensionierte Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Aachen. Albert Balke, in einem Zeitungsinterview. Mehr als zwei Jahre danach bewahrheiteten sich seine Worte in sinnfälliger Weise. Einer der spektakulärsten Raubüberfälle der Nachkriegszeit konnte trotz professionellem Vorgehen und intensiver Spurenvermeidung der Täter zumindest teilweise aufgeklärt werden.

 

Es geschah am 1. März 2012 im Industriegebiet „Im großen Tal“ in Düren-Birkesdorf. Um 6.18 Uhr nimmt eines der brutalsten und skrupellosesten Verbrechen der deutschen Kriminalgeschichte seinen Lauf. Um in die schwer gesicherte Filiale des damaligen Geld- und Werttransportunternehmens SecurLog einzudringen, sprengen die Täter ein drei Meter großes Loch in die Fassade. Dass sich zu diesem Zeitpunkt fünf Mitarbeiter, eine Frau und vier Männer, in der Liegenschaft befinden, interessiert sie nicht im Geringsten.

Für einen der Täter waren am 4. September 2013 die Tage in Freiheit gezählt. Nach Festnahme und Untersuchungshaft wurde der 40-jährige belgische Staatsbürger Hamed Alain L. am 8. April diesen Jahres von der 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichtes Aachen wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, besonders schwerer Brandstiftung sowie gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Gegen das Urteil, Aktenzeichen 52 Ks 28/13, hat die Verteidigung Revision eingelegt.

Der aus Charleroi (wallonischer Teil Belgiens) stammende Vater zweier Kinder hatte bis zuletzt vehement jede Der Täter will beim Betreten des Gerichtssaales sein Gesicht nicht zeigen. Seine beiden Kinder werden (brutto) 12 Jahre auf den Vater verzichten müssen. (Foto: Ralf Roeger)Tatbeteiligung abgestritten. Der polizeibekannte gelernte Schweißer bot zwei Entlastungszeugen auf, seine Ehefrau und den Hausarzt. Nach einem Bericht der Aachener Zeitung sagten beide aus, Alain L. habe am Tattag „bereits um acht Uhr seine Kinder zur Schule gebracht (und) sich danach vom Hausarzt krankschreiben lassen“. Seine Tatbeteiligung sei also bei dieser räumlichen Entfernung unmöglich.

Was letztlich gegen dieses „Alibi“ sprach, waren unwiderlegbare Sachbeweise. Am Tatort konnte die Polizei DNA-Spuren des Angeklagten an einem schwarzen Rollkoffer, einer Knopfbatterie und einem Klebeband sichern. Die Erklärungsversuche des Hamed Tatortarbeit as usual. (Foto: Ralf Roeger)Alain L. überzeugten das Schwurgericht nicht. Laut Aachener Zeitung behauptete der Mann mit dem französischen Familiennamen, „er habe seinem Kumpel einen Gefallen getan und ihm diese Dinge in einem Baumarkt in Belgien besorgt“. Die Spurenträger habe er dann in den besagten Koffer gepackt und „die Klebestreifen bereits dort angefasst (…).

„Unter den Tätern befand sich auch der Angeklagte“, war sich der Vorsitzende Richter der 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichtes, Arnold Bornemann sicher. Mit dem falschen Alibi habe der Angeklagte lediglich davon ablenken wollen, „dass er mit vor Ort war“.

Hamed Alain L. war demnach mit von der Partie, als am 1. März 2012 in Düren einer der wohl brutalsten Raubüberfälle begangen wurde. Eine bislang beispielslose Tat, die Moderator Rudi Cerne in der Sendung „Aktenzeichen XY – ungelöst“ als „irrsinniges Verbrechen“ bezeichnete.

Wie in einem Hollywood-Thriller gehen die Kriminellen am 1. März 2012 mit äußerster Raffinesse und Skrupellosigkeit vor. Um möglichst ungesehen an den Tatort zu gelangen, durchscheiden sie mehrere Drahtzäune und dringen vom rückwärtigen Bereich her auf das Betriebsgelände vor. Unterhalb eines speziell gesicherten Fensters des Tresorraums bringen sie mit Klebestreifen einen Eisenwinkel an und befestigen daran die Sprengladung. Verwendet wird hochbrisanter militärischer Sprengstoff, der auch auf dem Schwarzmarkt kaum zu besorgen ist. Später wird ermittelt, dass Hamed Alain L. den besagten Winkel geschweißt hat. Am Klebestreifen finden sich seine DNA-Spuren.

Als der Sprengsatz gezündet wird, ertönt ein ohrenbetäubender Knall. Die Erschütterungen sind im gesamten Industriegebiet „Im großen Tal“ spürbar. Ein damals 47-jähriger SecurLog-Mitarbeiter wird durch Splitterwirkung schwer an der Hand verletzt. Das gesicherte Fenster wird aus seiner Verankerung gerissen. In der Fassade des SecurLog-Gebäudes klafft ein Loch. Metall- und Glasteile fliegen nach Medienmeldungen mehrere 100 Meter weit. Im Umkreis von etwa 60 Metern werden an benachbarten Gebäuden große Einschläge festgestellt, die an einen Beschuss mit schweren Waffen erinnern. Hätten sich dort Menschen aufgehalten, sie wären mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit getötet worden. XY-Moderator Rudi Cerne spricht zu Recht von einem Wunder, dass nicht mehr passiert ist.

In der Tat hatten die betroffenen SecurLog-Mitarbeiter unglaubliches Glück. Denn die zerstörerische Wirkung des verwendeten Sprengstoffes ist nach Untersuchungen polizeilicher Sachverständiger so stark, dass Menschen, die 20 Meter vom Explosionsort entfernt sind, keinerlei Überlebenschance haben. Normalerweise hätte sich der verletzte Mitarbeiter in dieser Todeszone befunden. Doch am Tattag arbeitete der damals 47-Jährige nicht wie sonst an einem PC-Arbeitsplatz direkt an der Außenwand, sondern saß an einem zweiten Terminal, das weiter im Gebäudeinneren lag. Eine glückliche Fügung half auch, Gesundheit und Leben seiner damals 43-jährigen Kollegin zu bewahren. Die Frau war gerade im Begriff, den Tresorraum zu verlassen und blieb deshalb unverletzt. „Die Täter haben bewusst Tote und Verletzte in Kauf benommen“, sagt ein Kriminalist. Sie wollten die Beute, und das mit allen Mitteln und um jeden Preis. Alles andere war ihnen egal.

Sofort nach der Explosion dringen drei maskierte, mit Maschinenkarabinern (vermutlich AK-47 „Kalaschnikow“) bewaffnete Täter in den Tresorraum ein. Sie tragen einheitlich schwarze Masken, Jacken, Hosen und Handschuhe. Vermutlich haben sie außerdem ballistische Schutzwesten angelegt. Ein Anblick wie in einem Kriegsfilm. Eine Tat, die eher an ein Kommandounternehmen oder einen Terroranschlag erinnert als an einen Überfall im klassischen Sinne.

Die Mitarbeiter, die in diesem Augenblick noch an eine explodierte Gasheizung glauben, versuchen, sich nach Dr. Lothar Thoma, damals noch Geschäftsführer von SecurLog. (Foto: privat)draußen in Sicherheit zu bringen. Doch dort geraten sie erneut in tödliche Gefahr. Sie werden vom Parkplatz eines benachbarten Low-Budget-Hotels aus mit Schnellfeuerwaffen beschossen. Nur dadurch, dass sie sich geistesgegenwärtig auf ein benachbartes Betriebsgelände flüchten, können sie dem Dauerfeuer ohne weitere Verletzungen entkommen. Wie die Polizei später feststellte, steht auf dem Hotelparkplatz zu diesem Zeitpunkt das Fluchtauto, ein schwarzer Audi A6 Kombi. Vermutlich hielten sich dort zwei weitere Mittäter auf. Ihr Auftrag war es offenbar, den Überfall abzusichern und das Entkommen „lästiger Zeugen“ mit allen Mitteln zu verhindern.

„Die Mitarbeiter haben vollkommen richtig gehandelt. Sie haben sich so schnell wie möglich in Sicherheit gebracht“, sagt Dr. Lothar Thoma, Geschäftsführer von Prosegur in Deutschland, dem Unternehmen, das 2012 SecurLog übernommen hat. „Wir hätten sie nicht besser schützen können: Die Dürener Niederlassung erfüllte zum Zeitpunkt des Überfalls alle Sicherheitsvorschriften“, betont Dr. Thoma gegenüber veko-online.

Währenddessen gehen, der nicht zu überhörenden Schussgeräusche zum Trotz, die drei Maskierten im Tresorraum des Gebäudes routiniert und mit erstaunlicher Ruhe vor. Wie die relevante Videoaufzeichnung zeigt, werden etwa zehn Minuten lang aus den Kisten und Safebags, die im Tresorraum gelagert sind, Bargeld und Schmuck erbeutet. Jeder Handgriff sitzt, jeder der Täter weiß offenbar ganz genau, was zu tun ist. Laut Aachener Zeitung werden rund 1,7 Millionen Euro erbeutet.

Allerdings ist mit diesem Millionenbetrag die Schadensbilanz noch nicht vollständig beziffert. Als Folge der Sprengung der Außenwand bricht in der SecurLog-Filiale ein Feuer aus. Dadurch waren die Räumlichkeiten der Niederlassung nicht mehr nutzbar. Der Geschäftsbetrieb wurde schließlich von der Kölner Niederlassung des Unternehmens fortgeführt.

Nach dem Überfall rasten die Täter mit dem Audi A6 in Richtung Bundesautobahn 4 davon. Über diese Fernstraße ist die holländische oder belgische Grenze in circa 20 Autominuten zu erreichen. „Wenn man schnell fährt, schafft man es auch in weniger als einer Viertelstunde“, so ein Polizeibeamter gegenüber veko-online. Die Polizei leitet sofort eine Großfahndung ein. Straßensperren werden errichtet, Hubschrauber eingesetzt. Vergeblich, die Täter sind bereits über alle Berge.

„Das war das Werk von Profis“, charakterisiert ein Strafverfolger den Raubüberfall auf die damalige SecurLog-Niederlassung in Düren. Das gezielte Vorgehen der Kriminellen spreche dafür, dass der Tatort mehrere Tage lang ausgekundschaftet wurde. Das Tatfahrzeug, der Audi A6 Kombi, war mit getönten Scheiben versehen, was eine längerfristige verdeckte Beobachtung ermöglicht.

Der Aufklärungserfolg der Polizei und der Staatsanwaltschaft ist mehr als beachtlich. Denn das, was die Ermittlungsbehörden zunächst in den Händen hatten, war mehr als mager. Es lag zwar ein genetischer Fingerabdruck vor, doch es gab keine Hinweise auf den Spurenverursacher. Der Abgleich der gesicherten DNA-Musters mit der beim BKA geführten DNA-Analysedatei lief ins Leere, weil Hamed Alain L. vorher in Deutschland keine genetischen Spuren hinterlassen hatte.

Auch brauchbare Täterbeschreibungen fehlten, da die Kriminellen maskiert waren. Zum anderen standen dem betroffenen Personal nur Sekundenbruchteile zur Verfügung, sich Details einzuprägen. Phantomfotos machten folglich in diesem Kontext keinen Sinn.

Zum Fahrzeug der Kriminellen lagen, abgesehen von der Zeugenaussage, dass es sich um einen „dunkelblauen Das Polizeiaufgebot war beträchtlich - und die Täter weg. (Foto: Ralf Roeger)oder schwarzen Audi A6 mit verdunkelten Scheiben und LED-Tagfahrlicht “ handelt, keine weiteren sachdienlichen Hinweise vor. Wegen des frühen Zeitpunktes der Tat gab es praktisch keine unbeteiligten Zeugen, die Tatvorbereitungen oder Flucht des Täterquintetts beobachtet hatten. Auch die Hoffnung der Polizei, dass die Kriminellen irgendwo in der Nähe des Tatortes übernachtet hatten und sich aus diesem Sachverhalt Hinweise gewinnen ließen, erfüllte sich nicht. Mehrere Zeugenaufrufe der Polizei und der Staatsanwaltschaft bleiben ergebnislos.

„Ein Albtraum für Kriminalisten“, kommentiert ein Insider. Einem der spektakulärsten Verbrechen der Nachkriegsgeschichte standen nur unzureichende Erkenntnisse gegenüber. Wenn lokale und überregionale Medien über den Raubüberfall berichteten, hieß es immer wieder, die Polizei habe noch keine konkrete Spur.

Vor allem der Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit der Beamten der Aachener Mordkommission ist es aber zu verdanken, dass trotz dieser betrüblichen Situation doch noch ein Ermittlungserfolg erzielt werden konnte. Am 10. April 2012 wurde der Kriminalfall in der Sendung „Aktenzeichen XY – ungelöst“ zum Thema, und es gingen erste weiterführende Hinweise ein. Bei der Ermittlungsarbeit wird eng mit den Polizeibehörden der Niederlande und Belgiens zusammengearbeitet. Immer mehr Mosaiksteinchen kommen zusammen, aber noch zeichnet sich kein sachdienliches Bild ab..

Der große Durchbruch wird schließlich erzielt, als das DNA-Muster des Hamed Alain L. in einem anderen Tatzusammenhang auftaucht. In Houten, gelegen in der niederländischen Provinz Utrecht, wird der genetische Einlasskontrolle vor dem Schwurgerichtssaal beim Landgericht Aachen. (Foto: Ralf Roeger)Fingerabdruck des Hamed Alain L. gesichert. Dort hatte vermutlich dieselbe Tätergruppe wie in Düren Vorbereitungen für einen Überfall auf ein Gelddepot getroffen. Das kriminelle Vorhaben scheiterte, aber Hamed Alain L. saß jetzt unentrinnbar in der DNA-Falle. Durch systematische Einengung des infrage kommenden Täterkreises konnte der belgische Staatsbürger schließlich als Spurenverursacher identifiziert werden. In Charleroi klickten am 4. September 2013 die Handschellen. Hamad Alain L. wurde auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls festgenommen und gemäß dem Antrag der Staatsanwaltschaft Aachen nach Deutschland ausgeliefert. Zu seine Mittätern schwieg er, er will ja gar nicht dabei gewesen sein. Dennoch bestehen gute Chancen, dass die Strafverfolger auch der Komplizen habhaft werden. Wie die Staatsanwaltschaft Aachen mitteilt. ,erstrecken sich die Ermittlungen derzeit auf das persönliche Umfeld von Hamed Alain L. Des Weiteren werde auf „mögliche Zusammenhänge mit gleichartigen Straftaten in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg intensiv überprüft“. Die Täterstruktur kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit für mehrere Raubüberfälle infrage. Möglicherweise handelten sie im Auftrag eines Hintermannes, der aber inzwischen verstorben sein soll.

„Die länderübergreifende Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden und die kontinuierlichen Investitionen der Geld- und Werttransportunternehmen in die Sicherheit ihrer Niederlassungen zeigen, dass selbst die schwersten Raubüberfälle für die Täter in einer Sackgasse enden“, kommentiert ein Insider den Fahndungserfolg..

In einer Stellungnahme begrüßte die Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW) nicht nur die Verurteilung, sondern lobte auch die Arbeit der Ermittlungsbehörden. Die Institution wies des Weiteren darauf hin, dass Deutschland europaweit die geringste Zahl an Überfällen auf Geld- und Werttransportunternehmen aufweise.

Um mögliche Täter abzuschrecken, investieren die führenden Geld- und Werttransportunternehmen kontinuierlich in die Sicherheit ihrer Niederlassungen. „Bei uns übertrifft die Ausstattung sogar die Standards der Branche, da wir aufgrund eines umfangreichen Versicherungsschutzes strengere Auflagen haben. Nicht zuletzt haben wir auch den Überfall auf die Niederlassung Düren zum Anlass genommen, noch intensiver in die Standorte zu investieren und sie mit weiteren Präventionsmaßnahmen auszustatten,“ erläutert Dr. Lothar Thoma gegenüber veko-online.

Zu den Präventionsmaßnahmen des Unternehmens gehören unter anderem Perimeterschutz – also mechanische und bauliche Maßnahmen zum Schutz des Objektes –, biometrische Zugangskontrollsysteme, Körperschall- und Infrarotsensoren sowie seit dem letzten Jahr auch Vernebelungsanlagen, die Tätern im Ernstfall die Sicht nehmen. Außerdem sind die Standorte an eine Notruf- und Serviceleitstelle angeschlossen, die schnell intervenieren kann. Die Investitionen in diese Maßnahmen dienen dem Schutz der Mitarbeiter, der eingelagerten Werte und als Abschreckung vor möglichen Übergriffen.

Als Mittel gegen Überfälle ist Vorbeugen immer noch der beste Weg. Sollte es dennoch zu einem Ernstfall kommen, sind es die Fahndungserfolge der Ermittlungsbehörden, die bisher zu einer nahezu hundertprozentigen Aufklärungsquote geführt haben.