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 Nicht immer kann sich der Schiedsrichter durchsetzen.

Zielscheibe Schiedsrichter

Forschungsprojekt zu Erscheinungsformen von Gewalt im Amateurfußball

Von Thaya Vester

Fußballgewalt und Polizeiarbeit werden zumeist im Zusammenhang mit Fanausschreitungen diskutiert. Aber auch auf dem Platz – vor allem in den unteren Ligen – kommt es zu strafrechtlich relevanten Handlungen. Diese werden derzeit im Rahmen eines einzigartigen Forschungsprojekts am Institut für Kriminologie der Universität Tübingen genau unter die Lupe genommen.

Erfreulicherweise laufen nach wie vor die allermeisten Fußballspiele im Amateurbereich friedlich ab. Im Gebiet des Württembergischen Fußballverbands, das als Untersuchungsgegenstand dient, werden pro Saison etwa 80.000 Spiele absolviert. Dabei kommt es durchschnittlich zu rund 350 Gewaltvergehen, darunter befinden sich jährlich etwa 45 tätliche Angriffe auf Schiedsrichter. Somit ist zwar die prozentuale Belastung verschwindend gering, dennoch ist jeder Fall einer zu viel!

Von unserer Autorin Thaya Vester ist unter dem Titel Zielscheibe Schiedsrichter im Nomos Verlag ein empfehlenswertes Sachbuch erschienen.Durch das Forschungsprojekt soll herausgefunden werden, ob es bei den auftretenden Gewaltvorkommnissen wiederkehrende Muster oder Regelmäßigkeiten gibt, die Gewalttaten auf dem Fußballplatz begünstigen, die aber auf den ersten Blick nicht ohne Weiteres zu erkennen sind. Zu denken ist dabei etwa an die Tabellenkonstellation der Mannschaften, persönliche Merkmale von Tätern und Opfern, Zeitpunkt des Vergehens, aber beispielsweise auch die Frage, ob auf Natur-   oder Kunstrasen gespielt wird. Kurzum, alle verfügbaren Daten werden auf den Kopf gestellt, um Ansatzpunkte für die Eindämmung solcher Taten zu finden. Hierfür erfolgt derzeit eine Analyse aller Sportgerichtsurteile der Spielzeiten 2009/2010 und 2010/2011.

Sie, werte Leserinnen und Leser, wissen um die Bedeutung von Hell- und Dunkelfeld: Nur durch die Urteilsanalyse alleine kann es nicht gelingen, ein komplettes Lagebild der tatsächlichen Situation zu zeichnen. Daher wurden zusätzlich alle württembergischen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter über ihre persönlichen Erfahrungen auf den Fußballplätzen befragt. Dabei standen die Themen Sicherheitsgefühl und Opferwerdung im Fokus; daneben sollten die Befragten neue Präventionsmaßnahmen sowie ihre Ausbildung bewerten. Im Ergebnis liegen nun Informationen über 2602 Unparteiische vor; eine äußerst solide Datenbasis.


Wie fühlen sich die Unparteiischen auf dem Platz?

Per Fragebogen wurden sie unter anderem gebeten, Angaben zu ihrem Sicherheitsempfinden zu machen. Überraschend war dabei etwa der Befund, wie viele Schiedsrichter sich zumindest ab und an unbehaglich fühlen vor den Spielen, die sie leiten (58,3 %). Auch die konkrete Abfrage des subjektiven Sicherheitsempfindens („Ich fühle mich auf dem Fußballplatz sicher“) liefert zumindest bedenkenswerte Ergebnisse: etwa jeder vierte Unparteiische (27,9 %) gab an, sich gelegentlich nicht sicher zu fühlen. Der Großteil hat somit keine Bedenken, was ganz nüchtern betrachtet ein gutes Ergebnis ist. Dennoch sollte man auf die Personengruppe, die sich nicht sicher fühlt, ein besonderes Augenmerk legen, gerade in Zeiten, in denen das Ehrenamt des Spielleiters ein Nachwuchsproblem zu haben scheint.

 

Mobotix

 

Welche Schiedsrichter fühlen sich unsicherer als ihre Kollegen? Eine detailliertere Auswertung bringt zutage, dass sich dies nicht etwa auf lokale Unterschiede zurückführen lässt (also z.B. auf ein Stadt-Land-Gefälle). Vielmehr handelt es sich bei diesen Schiedsrichtern häufiger um langjährige und höherklassige Unparteiische. Während die neuen und jungen Spielleiter also noch eher frei von Angst und daher unbedarft ihrer Tätigkeit nachgehen, haben die „alten Hasen“ dementsprechend häufiger ein Problem damit. Wie lässt sich das erklären? Die Daten zeigen, dass ein Gefühl der Unsicherheit häufig auch durch Gewalterfahrungen in der Vergangenheit resultiert. Die Schiedsrichter wurden nämlich ebenso gefragt, ob (und wie oft) sie bereits Opfer von Beleidigungen, Bedrohungen oder sogar tätlichen Angriffen wurden.


„Wenn du mir jetzt die rote Karte zeigst, schlage ich dir eine rein!“

Keine Überraschung stellt das Ergebnis dar, dass der allergrößte Teil der Schiedsrichter von erlittenen Beleidigungen berichtet. Viele Zuschauer scheinen der Meinung zu sein, mit dem Kauf einer Eintrittskarte zugleich das Recht zu erwerben, den Schiedsrichter beleidigen zu dürfen. Selbst von den Schiedsrichtern wird dieser Umstand in gewisser Hinsicht akzeptiert beziehungsweise geschluckt, was sich auch daran zeigt, dass eine Flut an Beleidigungen erst gar nicht an die Sportgerichte gemeldet wird.
 

Diagramm Schiedsrichter als Zielscheibe

 

Fußball ist ein Sport voller Emotionen – und das soll und darf auch gerne so bleiben. Zu bedenken ist aber, dass Beleidigungen und Bedrohungen oft nahe beieinander liegen können; spätestens dann hört der „Spaß“ auf. Knapp 40 Prozent aller befragten Schiedsrichter wurden bereits ernstlich bedroht (siehe Schaubild). Die Erfahrung von mindestens einem tätlichen Angriff mussten bereits 17,3 Prozent der Befragten machen.
Die Verknüpfung der Daten liefert dabei den Hinweis, dass die Wahrscheinlichkeit hierfür mit der Anzahl der gepfiffenen Spiele beziehungsweise der Dauer der Laufbahn steigt, es handelt sich sozusagen um ein „allgemeines Lebensrisiko“ für Schiedsrichter.

Trotz dieser Erkenntnis muss das Risiko aber nicht einfach so als gegeben hingenommen werden. Wie die Studie weiter zeigt, gibt es durchaus Interventionsmöglichkeiten, um Gewalt zu verhindern und das Sicherheitsempfinden der Schiedsrichter zu verbessern. So implementierte der Württembergische Fußballverband zu Beginn der Spielzeit 2010/2011 mehrere neue Präventionsmaßnahmen. Neben einem gemeinsamen Handschlag vor dem Spiel wurden unter anderem das Einrichten einer Technischen Zone und das Bereitstellen von gekennzeichneten Ordnungskräften zur Pflicht. Wie sich diese Maßnahmen auf das Sicherheitsgefühl der Schiedsrichter auswirken (und welche Rolle die Polizei dabei spielt), wird in einem weiteren Beitrag vorgestellt werden.

 

 

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