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Kinder unter 14 Jahren stellen mit 25% den höchsten Anteil der Tatverdächtigen bei Brandstiftungsdelikten.

Kinderbrandstiftung - Das gefährliche Spiel mit dem Feuer

Kriminologische, straf- und zivilrechtliche sowie brandschutztechnische Aspekte

Von Frank D. Stolt

6.000 Kinder erleiden deutschlandweit jedes Jahr Verbrennungen und Verbrühungen. Dabei sind die Kinder selbst häufig die Verursacher von Bränden mit zum Teil verheerenden Folgen. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) beträgt der Tatverdächtigenanteil der unter 14-Jährigen an den Brandstiftungsdelikten seit vielen Jahren ca. 25 %. Damit gehören Brandstiftungen zu den Straftaten mit dem höchsten Kinderanteil unter den Tatverdächtigen.

Straf- und zivilrechtliche Grundsätze

Nach den Definitionen des Strafgesetzbuches (StGB) und des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) oder des Sozialgesetzbuchs (SGB) gelten Personen unter 14 Jahren als „schuldunfähige Kinder“, das heißt, sie sind strafrechtlich nicht selbst verantwortlich (z. B. § 19 StGB). Sie können zwar rechtswidrige Taten begehen, aber keine Straftat, weil hierfür das Element der „Schuldfähigkeit“ als zwingende Voraussetzung fehlt. Deshalb wird gegen Kinder auch beim Vorliegen einer Straftat kein Strafverfahren eingeleitet.

Die strafprozessuale Behandlung von Kindern richtet sich neben der Strafprozessordnung (StPO) nach der Polizeidienstvorschrift (PDV) 382 (Bearbeitung von Kinder- und Jugendsachen). Kinder (bis zum vollendeten 14. Lebensjahr) sind gemäß § 19 StGB strafunmündig und können somit nicht Beschuldigte sein. Die Befragung eines einer Straftat verdächtigen Kindes ist eine Anhörung. Ein mögliches Zeugnisverweigerungsrecht nimmt das Kind allerdings nicht alleine wahr. Ein Erziehungsberechtigter ist ebenfalls befugt, dieses Recht stellvertretend für sein Kind wahrzunehmen. Bei der Anhörung sind fremdsuggestive Einflüsse zu beachten und eine mögliche Beeinflussung durch andere Zeugen oder gar Beschuldigte zu vermeiden. Gegebenenfalls ist eine Glaubwürdigkeitsprüfung durch einen Gutachter durchzuführen.

Allerdings ist strafrechtlich zu prüfen, ob die Eltern oder andere Personen ihre „Aufsichtspflicht“ verletzt haben. Einen gesonderten Straftatbestand „Verletzung der Aufsichtspflicht“ gibt es jedoch nicht. Für die Eltern könnte unter Umständen eine Strafbarkeit wegen Brandstiftung durch „Unterlassen“ infrage kommen (§ 13 StGB). Solche Anklagen gegen Eltern sind allerdings sehr selten.

Kinderbrandstiftungen sind schwierig zu ermitteln. Auch die straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen sind für jeden Fall einzeln zu betrachten. Zivilrechtlich sieht es etwas anders aus. Im Zivilrecht sind nur Kinder bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres noch nicht deliktfähig. Damit haften sich nicht für Brandschäden, die sie verursacht haben. Nach § 828 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) schützt der Gesetzgeber mit dieser Regelung kleine Kinder vor jeglicher Schadensersatzforderung. Kinder zwischen sieben und vierzehn Jahren sind grundsätzlich deliktfähig. Sie können also für Schäden durch von ihren verursachte Brände haftbar gemacht werden. Allerdings setzt § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB dafür voraus, dass das Kind die Folgen seines Handelns aufgrund seines persönlichen Entwicklungsstandes erkennen konnte („…die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat“). Aufgrund dieses eher unbestimmten Rechtsbegriffes muss also in jedem Einzelfall geprüft werden, ob ein Kind ab sieben Jahren für einen von ihm verursachten Brand verantwortlich gemacht werden kann.

Zusammenfassend gilt also: Verursachen Kinder ab sieben Jahren einen Brand, haften sie selbst oder die Eltern beziehungsweise sonstige Aufsichtspflichtige. Auch zivilrechtlich muss geprüft werden, ob die Eltern oder andere Personen ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen sind, wenn das Kind nicht zur Verantwortung zu ziehen ist. Diese Fragen können jedoch nur im Einzelfall geklärt werden.


Phänomenologie aus kriminologischer Sicht

„Kinderbrandstiftungen“ kommen bei der Polizei eine Schlüsselrolle zu. Dabei hat die Polizei nicht nur allen Hinweisen auf Straftaten nachzugehen, sie aufzuklären und die vermutlichen Täter ausfindig zu machen und anzuzeigen. Der Sachverhalt ist wenn möglich vollständig aufzuklären und festzustellen, ob nicht strafmündige Personen an einer Brandstiftung beteiligt waren.

Das Phänomen der Kinderbrandstiftung ist in seiner Erscheinungsform breiter gefächert, als man aus den Statistiken herauslesen kann. Aus diesem Grund kann sich eine vernünftige Bewertung nicht alleine auf die statistische Wiedergabe der Tatverdächtigenzahlen der PKS beschränken. Die Aussagekraft der PKS wird z. B. dadurch eingeschränkt, dass der Polizei nur ein Teil der tatsächlich durch Kinder verursachten Branddelikte bekannt wird. Folgende Faktoren waren Tat auslösend:

  • Freude an der Flamme, Faszination durch Feuer
  • Experimentierlust, Neugier
  • Drang zum Überschreiten elterlicher Verbote
  • Wunsch nach Anerkennung in der Gruppe und Sozialstatusverbesserung (Zündeln als Heldentat, Mutprobe und aus Angeberei)
  • Hass-, Rache- und Ärgermotiv, unter Umständen nach unmittelbar vorausgegangener Frustration oder weiter zurückreichenden Affektstauungen.

Die polizeiliche Praxis zeigt, dass Kinderbrandstiftungen häufig fahrlässig begangen werden.. Insbesondere im Kindergartenalter können die meistens Kinder die Wirkungsweise ihres Handelns, beispielsweise im Umgang mit Streichhölzern und offenem Feuer, nicht einschätzen, da sie sich die weitreichenden Brandfolgen kann nicht vorstellen können.

Hinzu kommt der Nachahmungstrieb: Kinder probieren gerne das aus, was ihnen Eltern und Geschwister alltäglich vorleben. Das Auffinden von Streichhölzern und Feuerzeugen ist bei Kinderbrandstiftung der häufigste Impulsgeber in Kombination mit einer brennbaren Umgebung oder leicht brennbarem Material.
Kleinkinder als Brandstifter

Fahrlässig ausgelöste Brände in Kinderzimmern können unabsehbare Folgen haben. Auch für Kinderbrandstiftungen gilt: Je jünger die Kinder, desto größer ist das Risiko, einen Unfall zu erleiden oder fahrlässig einen Brand zu verursachen. Die Gründe sind vielfältig. Diese Kinder sehen anders, denn das Gesichtsfeld und die Perspektive sind um ca. 30 Grad eingeschränkt (Froschperspektive). Sie sehen große Gegenstände näher als kleine Gegenstände. Erst mit ca. 9 Jahren können Kinder Entfernungen gut einschätzen. Bis zum fünften Lebensjahr ist zudem die Reaktionszeit etwa doppelt so lang. Der plötzliche Abbruch einer Bewegung ist stark verzögert. Der höhere Körperschwerpunkt führt häufig zu Stürzen auf den Kopf. Sie bewegen sich in die Richtung, in die sie schauen. Erst schulreife Kinder können zwischen rechts und links unterscheiden und erst ab 10 Jahren sind spiegelbildliche Raumübertragungen möglich. Allerdings können Stresssituationen die Wahrnehmung und Motorik zusätzlich maßgeblich verändern.

Entwicklungspsychologisch dominieren eigene Sichtweisen und Gefühle. Eine entscheidende Rolle spielen dabei das „magische Denken“, die Neugier und die Impulsivität. So folgt die Aufmerksamkeit dem stärksten Reiz. Die Übertragung von Wissen auf andere Situationen sowie eine vorausschauende Verhaltenssteuerung ist ihnen nicht möglich.

 

Securitas

 

Auch bei der Entwicklung des Gefahrenbewusstseins gibt es erhebliche Einschränkungen. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die Erfahrung von Schmerz sowie das Gefühl der Angst. Bis zum zweiten Lebensjahr gibt es noch kein direktes Gefahrenbewusstsein. Allerdings ist schon ein instinktives Gefahrenbewusstsein vorhanden. Ab dem zweiten Lebensjahr kommt es zum bewussten Ausprobieren von Risikosituationen. Es steigt die Fähigkeit, durch Sprache und Wahrnehmung (z. B. Schmerz) Verbote zu verstehen. Auch wird das Verhältnis von Ursache und Wirkung langsam begreifbar. Im Kindergartenalter ist somit nur ein akutes Gefahrenbewusstsein vorhanden. Erst im Grundschulalter entwickelt sich ein vorausschauendes Gefahrenbewusstsein. Erst ab ca. 10 Jahren bildet sich ein „präventives Gefahrenbewusstsein“ heraus.

Erfahrungen bei Brandeinsätzen zeigen, dass sich Kinder bei Bränden immer wieder selbst in Gefahr bringen, indem sie z. B. in die Brandwohnung zurücklaufen, weil sie ein Spielzeug oder ihr Haustier holen wollen. Feuerwehrleute erleben immer wieder, dass sich Kinder nach dem Brandausbruch unter Betten, hinter Möbeln, in Schränken oder Nischen zu verstecken. Sie flüchten nicht vor dem Brand. Kinder kennen die Gefahren bei einem Brand nicht und können diese somit auch nicht einschätzen.
Daher verwundert es nicht, dass es immer wieder Kinder im Alter von 3 – 5 Jahren sind, die beim Spielen Brände legen und oft auch zu den Opfern zählen.    


Kinder im Grundschulalter

Das Grundschulalter ist geprägt von der Phase des Zündelns. Die Kinder haben ein starkes Interesse am Feuer. Jeder Mensch hat diese Phase durchgemacht. Für einige Forscher ist in diesem Zusammenhang mit Kinderbrandstiftung ist die Frage der Beaufsichtigung nicht unwichtig. Ihrer Meinung nach entsteht eine Selbstkontrolle der Kinder erst durch elterliche Kontrolle. Kinder, die in jungen Jahren oft unbeaufsichtigt geblieben sind, legten häufiger Brände. Durch die Beaufsichtigung kann das Kind lernen, zu viele spontane und unmittelbare Befriedigungswünsche zu unterdrücken.

Ein weiteres Problem ist eine Art „Entfremdung“ beim sachgerechten Umgang mit Feuer bei der heutigen Kindergeneration durch die heutigen modernen Wärmesysteme und Heizungsanlagen. Wenn Kinder den richtigen Umgang mit Feuer nicht kennen, bestehen dadurch große Gefahren für sie und für andere. Der wichtigste Grundsatz der Brandschutzerziehung besagt daher, dass die Kinder im Beisein ihrer Eltern den sicheren Umgang mit Feuer üben sollten.


Heranwachsende und Jugendliche

Bei älteren Kindern im Übergang zum jugendlichen Alter sind Brandstiftungen festzustellen, bei denen Kinder sich im Kreise ihrer sogenannten „Peer-Group“ hervorzutun und ihren Status innerhalb dieser Gruppe erhöhen wollen. Bei diesen „Peer-Groups“ handelt es sich um informelle Freizeitgruppen von Kindern und Jugendlichen mit großer Bedeutung für ihre Sozialisation. Wichtig ist dabei nicht nur eine annähernde Gleichaltrigkeit, sondern auch ein ähnlicher Rang und Status, wobei auch innerhalb einer solchen Gruppe gewisse Rangordnungen bestehen.
Weiterhin konnten älteren Kindern mit psychischen, sozialen oder charakterlichen Fehlentwicklungen vorsätzliche Brandstiftungen nachgewiesen werden. Allerdings fehlte in diesen Fällen das „typische“ Geschehen einer Kinderbrandstiftung, wie weiter oben geschildert.

Jedoch müssen Aussagen der PKS zu durch Kinder vorsätzlich begangenen Brandstiftungen kritisch bewertet werden. Eine vorsätzliche Brandstiftung durch Kinder unterstellt, dass diese Kinder mit „Wissen und Wollen“ den Tatbestand der §§ 306 ff. StGB verwirklicht haben. Dies steht im Widerspruch zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur kindlichen Entwicklung. Es ist gerade „typisch“ für Kinderbrandstiftungen, dass Kinder – insbesondere kleinere Kinder – in den meisten Fällen die Folgen des „Zündelns“ gar nicht überblicken können und somit sie nicht die Inbrandsetzung eines in den vorgenannten Paragrafen aufgeführten Objektes bewusst gewollt haben.

 

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