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 Besucher müssen die vatikanischen Gärten verlassen, wenn der Papst spazieren geht.

Wenn sich Schutzengeln die Haare sträuben

Der neue Papst macht, was er will und die Gendarmen hecheln hinterher

Von Hanspeter Oschwald

Nicht alle Männer in schwarzer Soutane, die zur Zeit bei den großen Pilgerfesten auf dem römischen Petersplatz Papst Franziskus zujubeln, sind katholische Priester. Das weiß die Kurie spätestens seitdem ein deutscher Wichtigtuer sich in Bischofskleidung im Vorkonklave zur Papstwahl unter die Kardinäle gemischt hat. Sein schäbiges Gewand im bischöflichen Violett und nicht kardinalem Purpur entlarvte den Eindringling schon im Vorfeld, und er wurde abgeführt.

Ganz andere Identitäten als die eines Spinners haben die anderen Männer mit Römerkragen. Es sind italienische und vatikanische Sicherheitsleute, die sich unauffällig unter die Massen mischen, um den neuen Papst vor Anschlägen zu schützen. Wahrlich kein leichter Job. Denn der neue Petrusnachfolger bleibt auch als Papst, was er immer war: Ein  Seelsorger, der nicht fern der Gläubigen autoritär oder distanziert zu ihnen spricht und sie segnet.
Hält den Sicherheitsapparat auf Trab: Papst Franziskus.
Foto: Casa Rosada (Argentina Presidency of the Nation), Wikimedia Commons Lizenz: CreativeCommons by-sa-3.0-de
Er fährt zum  Entsetzen der Sicherheitsleute als erster Papst zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder im offenen Geländewagen über den Petersplatz. Er lässt anhalten und küsst beispielsweise einen Behinderten an der Absperrung. Er verlässt den ersten Gottesdienst in seiner vatikanischen Pfarrkirche St. Anna, um Messebesucher zu umarmen, mit ihnen zu sprechen und zu den Sperrgittern zu eilen, wo sich schnell Menschentrauben um ihn bilden. Den Aufpassern stellt es die Haare zu Berge. „Wir hoffen, dass sich die Lage dieser ersten Tage bald normalisieren wird,“ hofft ein Verantwortlicher der Papstgendarmerie, „sonst werden wir noch verrückt“.

Ein völlig neues Konzept für die päpstliche Sicherheit muss her oder, was Papst Franziskus vermutlich am ehesten gefiele, alle gehen das Risiko eines möglicherweise mörderischen Zwischenfalls ein, wie es bis zum Attentat auf Papst Johannes Paul II. 1983 der Fall war oder als Weihnachten 2009 eine geistesgestörte Schweizerin im Petersdom auf Benedikt XVI losstürmte. Gendarmeriegeneral Domenico Giani überwältigte sie gerade noch rechtzeitig.

Mit Papst Franziskus steigt der Pontifex zu den Menschen herunter und folgt einem Motto, das in den schlimmsten Zeiten des linken Terrors der Roten Brigaden in Italien der damalige italienische Präsident Sandro Pertini für seinesgleichen ausgegeben hat, der auch ohne Schutz von seiner Wohnung am Trevibrunnen zur Arbeit hinauf in den Quirinalspalast ging: „Wenn mich einer angreift, dann habe ich etwas falsch gemacht.“

Sandro Pertini, italienischer Staatspräsident (1978 - 1985).
Foto: Presidency of the Italian RepublicWikimedia Commons | Lizenz: Attribution
Bei Pertini war es die Lebensweisheit eines alten Mannes und ehemaligen Partisanen. Beim Papst darf es wohl Gottvertrauen genannt werden, was seine päpstlichen Sicherheitsleute nicht davon abhält, diskret zu wachen. Sie werden unterstützt von italienischer Polizei, die bei den ersten Papstgroßereignissen dieses Frühjahres mit mehreren tausend Mann auf und um den Petersplatz eingesetzt war. Der äußere Schutz des Vatikans wird italienischen und damit ausländischen Einrichtungen anvertraut. So sehen es die 1929 geschlossenen Lateranverträge vor, mit denen der heutige Kirchenstaat, der Staat der Vatikanstadt, gegründet wurde.

Die Italiener postieren sich an den neuralgischen Punkten. Das ist die Zufahrt zum Petersdom, die Via della Concialiazione, rund um den Petersplatz, und sie stellen die Scharfschützen, die auf den so viel bestaunten Kolonnaden des Bertini, die den Petersplatz umschließen, zwischen übergroßen Heiligenstatuen postieren. Vor der ersten Papstmesse haben sie auch überwacht, dass alle Müllcontainer und im Sicherheitsbereich geparkte Autos weggebracht wurden.  In einem Luftraum von zehn Kilometer Radius vom Kapitol, dem römischen Ratshaus, aus gemessen wurde der Flugverkehr verboten. Am Tiber harrten Taucher auf einen denkbaren Einsatz, damit auch wirklich aus keiner Ecke eine Gefährdung ausgehen könnte.


Die Sicherheit hat auch ihren Preis, der sich auszahlt

Es sind nicht nur die Verträge zwischen Staat und Kirche, die diesen Aufwand rechtfertigen. Ein Attentat auf den so menschlichen und einfachen Papst, der statt  Pomp und Prunk im schlichten Weiß daherkommt und seine schwarzen Halbschuhe auf keinen Fall gegen die roten Papstslipper tauschen will, hätte verheerende Auswirkungen auf das Ansehen Italiens. Es darf aber auch auf einen sehr römischen, gesunden Geschäftssinn hingewiesen werden. Die Sicherheit hat einen Preis, den Rom in anderer Form zurückbekommt. Allein die Geschäfte rechnen mit Mehreinnahmen in den ersten fünf Monaten des neuen Pontifikats in Höhe von 50 Millionen Euro. Da stören auch die 45 Taschendiebe nicht, die in den ersten Franziskus-Tagen auf frischer Tat unter den Pilgerscharen ertappt worden sind. Die meisten, so unterstrichen die Lokalzeitungen, waren Ausländer, vor allem Nomaden, wie die Sinti und Roma hierzulande umschrieben werden.

Den Riesenaufwand könnten die päpstlichen Sicherheitseinrichtungen nie und nimmer leisten. Liebevoll werden sie im Vatikan zwar „Schutzengel“ genannt. Doch übernatürlich sind sie nicht. Sie gehören zu zwei Einheiten. Am bekanntesten sind die Schweizergardisten in ihren farbenprächtigen Uniformen. Sie bewachen vor allem die Zugänge des Kleinstaates und passen auf, dass am Abend alle Tore geschlossen und der Papststaat abgeriegelt Nachtruhe genießen kann. Es sind bis zu 120 Mann, alles gut ausgebildete echte Soldaten, die den schweizerischen Militärdienst absolviert haben und natürlich garantiert katholisch sind. So überholt sie aussehen, so wirksam machen sie ihren Job. Wer einmal den festen Griff eines Schweizers auf seiner Schulter gespürt hat, wenn er sich neugierig zu weit durch ein Tor gewagt hat, weiß, was das heißt. Sie begleiten den Papst in Zivil auch auf seinen Reisen. Ihr Stammplatz ist aber an den fünf Zugängen. Immerhin gibt es keinen anderen Staat, dessen Kerngebiet so einfach zu überwachen ist und dichtgemacht werden kann.

Die eigentliche Polizei des Papstes ist die Gendarmerie. Sie trägt keine Uniform und arbeitet in einer Mischung aus Polizei, Kripo und Geheimdienst. Der Vatikan bildet keine Polizisten aus. Rekrutiert werden die Gendarmen aus der italienischen Polizei und dem Militär. Von dort kommt auch immer ein hoher Offizier, der aus dem italienischen Dienst ausscheidet und ans Kommando der Papstwächter wechselt. Nur etwa 45 der 130 Gendarmen haben auch die begehrte vatikanische Staatsbürgerschaft, die übrigen sind Italiener, die zur Arbeit eben in den Vatikan fahren.
Auf richtiges Militär verzichtete der Papst nach und nach, seitdem er den alten Kirchenstaat 1870 ans italienische Königreich verloren hat. Im Gouvernatorat des Vatikanstaates wurde dafür nach amtlichen Angaben des Heiligen Stuhls ein Zentralbüro für Überwachung und Sicherheit gegründet, welchem außer den allgemeinen Aufgaben der Überwachung auch die Durchsetzung der Gesetze und der Verordnungen der Staatsautoritäten übertragen wurden. Dazu kommt die Funktion von Polizei und Sicherheit des Staates, außerdem die Sicherheit der Personen und sämtlicher Güter, die sich im Staate befinden. Das Zentralbüro organisiert den Polizeidienst und auch die Verkehrsüberwachung im Staat durch Polizisten.

Johannes Paul II. (lateinisch Ioannes Paulus PP. II, bürgerlicher Name Karol Józef Wojtyła.
Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-F059404-0019 / Schaack, Lothar, Wikimedia Commons | Lizenz: CreativeCommons by-sa-3.0-de
1991 erhielt es den heutigen Namen „Korps der Gendarmerie des Vatikanstaates”.
2002 gründete Johannes Paul II. die Direktion für Sicherheit und Zivilschutz, in der sich auch das Gendarmeriekorps sowie die Belegschaft der Feuerwehr befindet. Mit diesem Gesetz wurde festgelegt, dass die Gendarmerie für Ordnung und Sicherheit, Polizeidienst, Zolldienst, Rechts- und Steuerüberwachung, Wahrung der Sicherheit aller Personen und Orte im Staat sowie die Überwachung der Ordnung und die Verfolgung von Gesetzverletzungen zuständig ist. Vatikanbeschäftigte zahlen zwar keine Einkommenssteuer, aber der steuer- und zollfreie Einkauf im Kaufhaus, einem Supermarkt hinter den vatikanischen Mauern und den beiden Tankstellen verführt doch manchen, sich unerlaubt billig mit Sprit, Lebensmittel, Alkohol oder Zigaretten einzudecken. Skandale wegen Geldwäsche durch das vatikanische Geldhaus IOR (Vatikanbank oder wörtlich: Institut für die Werke der Religion) nährten allerdings Zweifel, ob die Fahndung im Vatikan richtig organisiert ist oder bewusst Lücken ließ.

Die Überwachung lässt nichts aus. So kann es Spaziergängern in den vatikanischen Gärten durchaus passieren, dass sie trotz Erlaubnis aufgefordert werden, sofort die Anlagen zu verlassen. Sie haben nichts Verbotenes getan. Lediglich der Heilige Vater will in den nächsten Minuten spazieren gehen und dann darf kein  Fremder in seinem Park promenieren. Journalisten kommen fast nicht um eine Konfrontation  mit den Gendarmen herum. Wenn sie  den Pressesaal des Heiligen Stuhls betreten wollen, dem Presseamt des Papstes, wenn man so will, auch wenn es mehr ein Verkündigungsorgan ist, wird ihre Akkreditierung von Gendarmen kontrolliert.

Erst recht trifft es Fernsehleute, die auf den Dachterrassen rund um den Petersplatz oft für viel Geld günstig Position mit Sicht auf den Platz erwerben. Als wären sie Scharfschützen mit dem Papst als Ziel werden sie untersucht. Drehgenehmigungen werden nur mit genauer Erläuterung der Absicht und der aufzunehmenden Objekten erteilt.

Gepflegtes Mysterium oder ganz einfach überholte Geheimniskrämerei allenthalben. Vor dem Konklave wurden sogar die Fenster der Sixtinische Kapelle zugeklebt und der Wahlraum von der päpstlichen Sicherheit zu einem Faradayischen Käfig umgebaut. Störsender sollen verhindern, dass ein medienfreundlicher Kardinal aus dem Konklave mit dem Handy telefoniert, wenn er es überhaupt an den Kontrollen vorbeischmuggeln konnte. Nicht gerade großes Vertrauen in die höchsten Würdenträger der katholischen Kirche. Selbst unter dem Boden, der extra verlegt wurde, wurde pingelig nach Wanzen und Minisender gesucht, bevor sich die Pforte zur Papstwahl schloss.

Die Gendarmen wollen keineswegs den Papst in einen Käfig sperren. Franziskus würde es sich auch nicht gefallen lassen. Er würde ausbrechen, auch wenn mancher erwartet, dass er sich irgendwann den Ratschlägen und Warnungen beugen werde: „Sehen Sie, ich erinnere mich noch gut an die erste Zeit mit Johannes Paul II., der auch mit allen Vorgaben brach. Doch dieser Papst ist noch weitaus schwieriger zu beschützen,“ resümiert der Papstgendarm. „Es ist noch schwieriger, ihm zu folgen.“

Nicht direkt mit dem Papst haben die Inspektoren Ärger am Hals, wenn sie unter dem neuen endlich ein Dossier in die Hand nehmen, das im Giftschrank des Staatssekretariates schlummert. Es heißt Emanuela Orlandi. Das damals Anfangs wurde angenommen, eine Gruppe Krimineller habe Emanuela Orlandi entführt, um Geld zurückzufordern, das die Gruppe dem Heiligen Stuhl angeblich geborgt hatte. Eine weitere Theorie besagte, die Entführer hätten Mehmet Ali Ağca freipressen wollen (dieser hatte am 13. Mai 1981 versucht, Papst Johannes Paul II. zu töten).
Foto: Wikimedia Commons | Lizenz:Public domain / CC0
15jährige Mädchen aus einer Familie, die im Vatikan lebt und arbeitet, wurde am 22. Juni 1993 in Rom entführt. Seither fehlt jede Spur von ihr. 140 000 Unterschriften haben die Angehörigen gesammelt, um vom vatikanischen Staatssekretariat zu erreichen, dass es endlich nachforscht oder beweist, dass der Vatikan oder seine Mitarbeiter nichts mit dem Verbrechen, wenn es denn eines ist, zu tun hat. Der Bruder von Emanuela, Pietro Orlandi, besuchte die erste Messe von Papst Franziskus in seiner vatikanischen Pfarrkirche St. Anna und sprach ihn danach am Ausgang an. Der Papst kannte den Fall und erweckte den Eindruck, dass er ihm nachgehen werde, so Orlandi.
Da das Staatssekretariat offenbar Verbindung mit den Entführern hatte, zumindest wurde dies durch eine anonyme Telefonnummer mit Geheimcode zur Kontaktaufnahme bestätigt, wird vermutet, dass die Dokumente zu jenem 300 Seiten starken Bericht gehören, den drei alte Kardinäle noch im Auftrag von Benedikt XVI nach den Vatileaks ermittelt haben. Auf Wunsch des Alt-Papstes wurde er nur dem neuen Heiligen Vater übergeben. Trotz dringender Bitten, so berichtete der Mainzer Kardinal Karl Lehmann, wurde nichts davon den Papstwählern im Konklave mitgeteilt.  Deckte die Kirchenspitze ein Verbrechen? Die päpstliche Kripo wird zu tun bekommen, wenn Papst Franziskus jene Offenheit durchhält, die er in der ersten Zeit nach der Wahl an den Tag legt.

 

 

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