Vertrauen oder Misstrauen? Der Beauftragte der Polizeien des Bundes
Von Dr. Reinhard Scholzen
Beauftragte für die Polizei gibt es in mehreren Bundesländern. Meist beinhaltet diese Funktion eine Doppelaufgabe: Einerseits sollen damit die Interessen der Polizisten vertreten werden, andererseits geht damit die Rolle eines Vermittlers zwischen den Bürgern und der Polizei einher.
Der aktuelle Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sieht die Implementierung eines Beauftragten für die Polizeien des Bundes vor.
Eine lange, kontroverse Vorgeschichte
Seit Januar 2022 ist Sermin Riedel die Polizei- und Feuerwehrbeauftragte in der Hansestadt Bremen. Die Stelle wurde geschaffen, nachdem einige Fälle von Rassismus und Sexismus in der Bremer Feuerwehr bekannt geworden waren. In einem Interview stellte die 40-jährige Juristin heraus, sie wolle alle Themen aufgreifen, die irgendwie einen Bezug zur Polizei und zur Feuerwehr hätten. Wegen der Kritik, die von den Polizeigewerkschaften vorgebracht wurde, mache sie sich keine Sorgen. Sie sei zuversichtlich, dass auch von den Polizisten der Mehrwert ihrer Funktion erkannt werde, schließlich sei sie ja auch Ansprechpartnerin für die Beamten.
Bereits vor 25 Jahren schieden sich am Amt eines Polizeibeauftragten die Geister. In Hamburg hatte nach mehreren Fällen polizeilicher Gewalt ein Untersuchungsausschuss vorgeschlagen, eine unabhängige Institution aufzubauen, bei der sich die Bürger gegen polizeiliches Handeln beschweren konnten. 1998 setzte der rot/grüne Senat der Hansestadt diese Pläne um und schuf eine zwar unabhängige Polizeikommission, die aber organisatorisch an die Innenverwaltung angegliedert war.
Nicht nur für die Polizeigewerkschaften, sondern auch für die oppositionelle Hamburger CDU war diese Stelle der „fleischgewordene Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Polizei.“ Nach der Landtagswahl, beendete Innensenator Ronald Schill von der „Partei Rechtsstaatliche Offensive“ ihre Existenz im Jahr 2001.
Das Thema war damit aber nicht aus der Welt geschafft. Im Jahr 2010 listete Amnesty International in einem Bericht Polizeiübergriffe auf Bürger auf. Als Gegenmaßnahme schlugen die Autoren den Aufbau einer unabhängigen Polizei-Beschwerdestellen vor.
In Rheinland-Pfalz griff die von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gebildete Regierung das Thema auf. Deren Koalitionsvertrag von 2011 beinhaltete eine „Beschwerdestelle gegen die Polizei“. Dagegen liefen die Polizeigewerkschaften Sturm, weil sie diese als Misstrauensbeweis der Politik gegenüber der Polizei werteten. In einem Kompromiss wurden sowohl der Name als auch die Zuständigkeiten verändert und im Jahr 2014 das Amt des Beauftragten für die Landespolizei dem bereits bestehenden Bürgerbeauftragten hinzugefügt. Diese Aufgabenzuweisung und die gleichzeitige Konkretisierung des Ziels – er sei Anwalt aller Polizisten – besänftigte die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) hingegen blieb skeptisch.
Gleichermaßen befürchtete die CDU-Opposition im Mainzer Landtag mehr Schaden als Nutzen. Deren Parlamentarischer Geschäftsführer, Hans-Josef Bracht, deutete die neue Stelle als „Misstrauensvotum des Landes, des Dienstherrn gegenüber unseren Polizisten.“
Nach den ersten Tätigkeitsberichten wurde die Kritik leiser. In der Presse konnte man lesen, das Amt fördere Transparenz und Bürgernähe und leiste zudem auch der Polizei gute Dienste. Der damalige Beauftragte, Dieter Burgard, schloss daraus auf eine weitgehende Akzeptanz dieser neuen Funktion sowohl bei den Bürgern als auch bei der Landespolizei.
Selbst die schärfsten Kritiker räumten positive Veränderungen ein. So wurden nach Eingaben beim Polizeibeauftragten die Zugangsbedingungen für den Eintritt in den rheinland-pfälzischen Polizeidienst novelliert. Damit entfiel sowohl die Mindestgröße als auch die vormals rigide Bewertung eines Sehfehlers.
Die gegenwärtige rheinland-pfälzische Beauftragte für die Landespolizei, Barbara Schleicher-Rothemund, konkretisiert ihre Aufgaben auf ihrer Internetseite. Dort heißt es, sie sei „Ansprechpartnerin für Bürgerbeschwerden oder Anregungen zur Polizei des Landes. Ebenso können Polizeibeamte sich mit Eingaben im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer Tätigkeit direkt und ohne Einhaltung des Dienstwegs an sie wenden.“ Sie hebt hervor, sie versuche, „entstandene Konflikte außergerichtlich mit den Mitteln der partnerschaftlichen Kommunikation zu bereinigen.“
Diesem Vorbild folgten wenig später Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, sodann auch Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und zuletzt die Hansestadt Bremen. In Brandenburg steht die Schaffung einer solchen Stelle unmittelbar bevor. In anderen Bundesländern wird noch darüber nachgedacht, eine vergleichbare Institution aufzubauen.
Mancherorts bereitet die praktische Umsetzung Probleme: In Berlin verschob man die bereits Ende 2020 beschlossene Besetzung des Amtes des unabhängigen Polizeibeauftragten bis nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Herbst 2021, konnte sich bisher aber noch nicht zur Umsetzung entschließen. In Hessen sollte der an der Akademie der Polizei Hamburg lehrende Rafael Behr das Amt übernehmen. Er zog jedoch seine Bewerbung im Oktober 2021, unmittelbar vor seiner Wahl, zurück.
Trotz einer zunehmenden Zahl von Polizeibeauftragten in den Ländern scheiden sich an diesem Amt die Geister und dessen Nutzen wird keineswegs überall gesehen. Der Landesvorsitzende der DPolG im Saarland, Sascha Alles, beantwortete die Frage, ob die Polizei einen Beauftragten benötige mit einem entschiedenen „Nein“. Er erwarte „ein Bekenntnis der Politik zur Polizei, die den Staat vertritt und kein Klima des Misstrauens.“ Nicht weniger deutlich formulierte es Christian Schumacher, der GdP-Vorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern, im Frühjahr 2021: „Es bleibt dabei: Die Polizei versteckt nichts, noch hat sie etwas zu verstecken. Wer daran zweifelt, wird dem jetzt geschaffenen Polizeibeauftragten genauso wenig glauben wollen, dass er objektiv ermittelt, wie der Polizei selbst.“
Polizeibeauftragte im Bund. Der Gesetzesentwurf von 2019
Für die Polizeien des Bundes forderte der Bund Deutscher Kriminalbeamter im Mai 2015 die Schaffung der Stelle eines Polizeibeauftragten. Dieser sollte sich am Vorbild des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages orientieren. Den Anlass für diesen Vorstoß lieferten Vorwürfe gegen einen Bundespolizisten, er habe in einer Wache in Hannover Flüchtlinge misshandelt. Erst vier Jahre später wurde dem Tatverdächtigen in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Hannover der Beamtenstatus aberkannt. In der Begründung hieß es unter anderem, der 44-Jährige „soll unter anderem unerlaubte Waffen und Munition sowie kinder- und jugendpornographische Schriften besessen haben.“
2016 scheiterte der Gesetzesentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, einen unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes zu schaffen, an der Bundestagsmehrheit. Im Februar 2019 brachte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen diesen Gesetzesentwurf erneut in den Deutschen Bundestags ein. Apodiktisch stellten die Antragsteller darin fest: „Zum Selbstverständnis einer modernen Verwaltung gehört daher inzwischen auch das Bewusstsein, dass externe unabhängige Kontrolle wichtig ist.“ Für ihren Vorschlag spreche, dass damit die parlamentarische Kontrolle der Polizeibehörden des Bundes gefördert und erleichtert werde. Die bisher bestehenden ungenügenden Möglichkeiten – exemplarisch wurden die Fach- und Dienstaufsichtsbeschwerden und die strafrechtliche Aufarbeitung – genannt, führten dazu, „dass bestimmte Sachverhalte in erster Linie oder ausschließlich in der medialen Berichterstattung behandelt werden, bevor sie parlamentarisch aufgegriffen werden.“ Die bestehenden Möglichkeiten des Strafrechts reichten den Antragstellern offensichtlich nicht aus, und formulierten laienhaft, schließlich gehe es dabei „allein um die Frage einer individuell vorwerfbaren strafrechtlich relevanten Schuld (gehe). Eine Aufklärung struktureller Faktoren jenseits der strafrechtlichen Verantwortung erfolgt hingegen nicht.“ Die Antragsteller beklagten auch, „entsprechende Ermittlungsverfahren (würden) überdurchschnittlich häufig eingestellt“ ebenso glaubten sie zu wissen, dies werde „zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung vielfach wiederum mit einer institutionellen Nähe in Verbindung gebracht.“
Einen großen Mehraufwand für die Mitarbeiter des Bundesministeriums des Innern erkannten die Antragsteller nicht: „Bei den Behörden im Zuständigkeitsbereich der oder des unabhängigen Bundespolizeibeauftragten entsteht voraussichtlich nur ein geringer zusätzlicher Erfüllungsaufwand, da diese auch bisher Hinweisen und Eingaben zu einem behaupteten Fehler bzw. Fehlverhalten nachgehen.“ Die Kosten für die neue Stelle gab die Fraktion mit 1,85 Millionen Euro jährlich an.
In der parlamentarischen Beratung über den Gesetzesentwurf stellte der Christdemokrat Josef Oster heraus: „Der gesamte Gesetzesentwurf, so wie er vorliegt, ist Ausdruck eines ausgeprägten Misstrauens gegenüber der Polizei und dem Staat insgesamt. … Dieser Tagesordnungspunkt ist zudem nach meiner Überzeugung ein mustergültiges Beispiel dafür, wie man in der Politik falsche Prioritäten setzen kann. Wir haben doch in Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, aktuell kein akutes Problem mit Gewalt oder Fehlverhalten von Polizisten; wir haben ein Problem mit Gewalt gegen Polizisten. Hier besteht Handlungsbedarf.“ Als einen Grund für die Ablehnung des Antrages führte er an, die Bundespolizei verfüge über ein klares Beschwerdemanagement. In diesem breiten Rahmen gäbe es eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Polizisten nutzen könnten: Personalvertretung, Gleichstellungsbeauftragte, Sucht- und Sozialberatung, Vertrauensstellen, die Innenrevision, Datenschutzbeauftragte und der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Er resümierte: „Die Einführung eines unabhängigen Polizeibeauftragten ist deshalb nicht notwendig. Das würde nur zu überflüssigen Doppelstrukturen führen.“ Er betonte das hohe Vertrauen, das die Bevölkerung in ihre Polizei setze und spitzte zu: „Ich betrachte es, und das gilt auch für unsere Fraktion, als eine zentrale Aufgabe, dieses Vertrauen weiter zu stärken und eben nicht durch linken politischen Aktivismus zu schwächen.“
Der Polizeibeauftragte für die Polizeien des Bundes im Koalitionsvertrag
Vom Tisch war die Idee, bei den Bundespolizeien die Stelle eines Beauftragten zu installieren, damit nicht. So findet sie sich im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses. Deutlichen Auftrieb erhielt sie durch die im Jahr 2020 angestoßene Debatte um Rassismus in der Polizei. Die Bundesvorsitzende der SPD, Saskia Esken, hatte behauptet: „Auch in Deutschland gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte, die durch Maßnahmen der Inneren Führung erkannt und bekämpft werden müssen.“ Dabei ließ sie außen vor, dass in Bund und Ländern innerhalb der bestehenden Strukturen viel getan wird, um rassistisches Denken innerhalb der Polizei auszumerzen.
Wie bereits am Beispiel der Bundesländer gezeigt, wurde die in der Opposition geborenen Idee zum politischen Willen, als die dafür notwendige Macht vorhanden war. Im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP findet sich folglich die Ankündigung: „Wir führen eine unabhängige Polizeibeauftragte bzw. einen unabhängigen Polizeibeauftragten für die Polizeien des Bundes als Anlaufstelle beim Deutschen Bundestag mit Akteneinsichts- und Zutrittsrechten ein. Wir führen die pseudonyme Kennzeichnung von Polizistinnen und Polizisten ein.“
Diesen Vorstoß vom November 2021 kritisierte die DPolG scharf. Der Koalitionsvertrag sei ein „rabenschwarzer Tag für die Innere Sicherheit Deutschlands und Europas“ schrieb deren stellvertretender Bundesvorsitzender, Heiko Teggatz. Das Amt des Polizeibeauftragten und die Kennzeichnungspflicht wertete er als „offensichtlich tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden“.
Amnesty International hingegen begrüßte die Pläne der Ampel-Regierung. Damit erfülle die Regierung „zwei Kernforderungen von Amnesty für eine rechtsstaatlich solider aufgestellte Polizei.“
Resümee
Am Amt des Polizeibeauftragten scheiden sich seit 25 Jahren die Geister. Für die einen steht es für das institutionalisierte Misstrauen gegen die Hüter der Ordnung, für die anderen ist es das Aushängeschild einer bürgernahen Polizei. Betrachtet man die Fakten, leidet Deutschland nicht unter einem Mangel an Möglichkeiten, polizeiliches Verhalten zu kontrollieren.
Neben den vielfältigen Möglichkeiten das Fehlverhalten eines Polizisten zu ahnden, gibt es ein probates Mittel um diverse Missstände bereits in der Entstehungsphase zu erkennen: Die konsequent durchgeführte Dienstaufsicht. Was hierarchisch von oben nach unten funktioniert, kann auch in der entgegengesetzten Richtung angewendet werden. Dafür liefert § 7 des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG) die Grundlage. Durch das dort festgeschriebene Remonstrationsrecht ist der mündige Bundespolizist aufgefordert, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer beabsichtigten Zwangsanwendung vorzubringen.
Wer trotz alledem einen Polizeibeauftragten für notwendig erachtet, misstraut nicht nur den Polizisten, sondern stellt auch die Funktionsfähigkeit des demokratischen Rechtsstaates in Frage. Das eigentliche Problem liegt nicht bei den deutschen Polizisten, sondern bei manchen deutschen Politikern.