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Die neue Terrorwelle des islamistischen Terrorismus

Eine neue islamistische Terrorwelle erschüttert unsere westlichen Gesellschaften.1 Hier soll es um den Fall von Magdeburg gehen – zwischendurch kam es zu Anschlägen in München und im österreichischen Villach, zuvor zu Taten in Mannheim und Solingen.

Es zeigt sich eine hektische politische Debatte – auch im Kontext der vorgezogenen deutschen Bundestagswahl 2025. So wird über Obergrenzen, Abschiebungen und neue Sicherheitskonzepte diskutiert, die den privaten Sektor unbedingt einschließen müssen. In Wien wurden vor einigen Monaten etwa Taylor-Swift-Konzerte abgesagt, da ein konkreter Anschlag geplant war.2

Am 20. Dezember 2024 ereignete sich nun auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ein schwerer Vorfall, bei dem ein Fahrzeug in eine Menschenmenge fuhr. Dabei kamen sechs Personen ums Leben, darunter ein neunjähriger Junge, und mindestens 299 weitere wurden verletzt. Der mutmaßliche Täter, der 50-jährige saudische Staatsbürger Taleb Al-Abdulmohsen, wurde am Tatort festgenommen. Al-Abdulmohsenlebte seit 2006 in Deutschland und war als scharfer Kritiker des Islam bekannt. Er hatte in der Vergangenheit Asyl erhalten, nachdem er angab, aufgrund seines Glaubensabfalls verfolgt zu werden. Als ausgebildeter Psychiater aus Saudi-Arabien, der 2006 nach Deutschland kam und 2016 Asyl erhielt, machte er sich einen Namen als scharfer Kritiker des Islams und als Aktivist für Ex-Muslime.3

Im Jahr 2019 wurde er in einem Interview mit der BBC vorgestellt, in dem er über eine von ihm entwickelte Website sprach, die Ex-Muslimen aus der Golfregion helfen sollte, Asyl zu suchen.4 Auf der Plattform X (ehemals Twitter) hatte er rund 45.000 Follower und teilte regelmäßig islamkritische Inhalte sowie Beiträge, die migrationsfeindliche und rechtspopulistische Positionen unterstützten. Er äußerte Sympathien für die Alternative für Deutschland (AfD) und Persönlichkeiten wie Elon Musk. Seine Aktivitäten und öffentlichen Äußerungen führten dazu, dass er in bestimmten Medien und Online-Communities eine gewisse Bekanntheit erlangte, insbesondere unter Ex-Muslimen und Kritikern des Islams. Allerdings blieb er außerhalb dieser Kreise weitgehend unbekannt.

Es ist wichtig zu beachten, dass nach dem Anschlag Diskussionen über seine tatsächlichen Motive und Überzeugungen aufkamen. Einige Mitglieder der Ex-Muslim-Community stellten seine behauptete Abkehr vom Islam in Frage und vermuteten, dass er seine Identität strategisch genutzt haben könnte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Taleb Al-Abdulmohsen vor dem Anschlag in bestimmten Nischen als Aktivist und Kritiker des Islams bekannt war, jedoch keine breite öffentliche Bekanntheit besaß. Die genauen Hintergründe und Motive der Tat sind weiterhin Gegenstand der Ermittlungen.

Weihnachtsmärkte sind in den letzten Jahren immer wieder Ziel von Anschlägen geworden. Die Serie begann mit dem verheerenden Angriff auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Jahr 2016 und hat ihren traurigen Höhepunkt nun im jüngsten Anschlag in Magdeburg gefunden. Am 19. Dezember 2016 steuerte der Tunesier Anis Amri einen gestohlenen Lastwagen in die Menschenmenge auf dem Breitscheidplatz in Berlin. Zwölf Menschen verloren ihr Leben, 56 weitere wurden verletzt. Der Anschlag war ein Angriff auf die westlichen Werte und die kulturellen Traditionen Europas. Der Täter, ein bekannter Islamist und angeblicher Flüchtling mit 14 Identitäten in Deutschland, stand unter Beobachtung, er konnte untertauchen.5

Der Anschlag von Magdeburg wirft komplexe Fragen zu den Motiven des Täters auf, die sowohl Elemente von Anti-Islamismus als auch von Rechtsextremismus enthalten könnten. Es ist denkbar, dass der Täter in einer Art ideologischen Grauzone agierte, in der sich anti-islamistische Überzeugungen mit rechtsextremen Weltbildern vermischten. Dies wäre kein neues Phänomen: In den letzten Jahren haben einige Täter von Terroranschlägen sowohl antireligiöse als auch rassistische Motive miteinander verbunden.

Magdeburger Weihnachtsmarkt
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Neu sind schließlich sogenannte “Salatbar”-Extremismen” (Salad Bar Ideology), wie der FBI-Direktor Christopher Wray dieses Phänomen vor dem Senate Homeland Security Committee der USA bezeichnete: Individuen oder Gruppierungen wenden sich Ideologien zu, die sich überlappen, aufeinander aufbauen, sich manchmal aber auch widersprechen. Teilweise bauen sie sich aber auch ihre eigenen Ideologien aus Versatzstücken zusammen und erstellen eigene Weltbilder. Eine Person übernimmt Elemente aus unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Ideologien, ohne sich strikt an eine bestimmte Weltanschauung zu halten. So könnten beispielsweise anti-islamische Einstellungen, rechtsextreme Narrative, aber auch liberale oder atheistische Überzeugungen nebeneinander existieren.Besonders bei Einzeltätern, die sich online radikalisieren, sieht man oft ein “Mischmasch” von Verschwörungstheorien, religiöser Ablehnung, politischem Hass und kulturellen Ressentiments. Solche Täter passen nicht mehr in klassische Kategorien wie „islamistischer Terrorist“ oder „rechtsextremer Attentäter“.6

Der mutmaßliche Täter, Taleb Al-Abdulmohsen, war ein bekannter Islamkritiker. Er hatte in der Vergangenheit scharfe öffentliche Äußerungen gegen den Islam getätigt und sich als Ex-Muslim positioniert. Seine islamkritischen Positionen könnten auf anti-islamistische Motive hindeuten, besonders wenn seine Tat als eine Art „Racheakt“ gegen religiöse Gruppen verstanden werden sollte.

Die endgültige Einordnung hängt von den laufenden Ermittlungen ab. Der Fall zeigt jedoch, dass die Grenzen zwischen anti-islamistischem Extremismus und rechtsextremer Ideologie zunehmend verschwimmen können. Entscheidend wird sein, ob der Täter einzeln radikalisiert wurde oder ob er Teil eines größeren ideologischen Netzwerks ist.

Hier liegt der Fokus auf der Frage, inwieweit es Versäumnisse bei den Sicherheitsbehörden gegeben hat. Hintergrund ist ein 16 Seiten langer Bericht des Bundesinnenministeriums, wonach sich Behörden in mehreren Bundesländern ganze 119 Mal mit dem späteren Attentäter befasst hatten, bevor der sechs Menschen auf dem Weihnachtsmarkt getötet hatte. Der oben genannte Bericht beruht auf Daten, die Bundesbehörden und -länder dem Bundeskriminalamt (BKA) übermittelt hatten. Die akribische Feinarbeit ist ausdrücklich eingestuft als “Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch”. Demnach waren Behörden in sechs Bundesländern und im Bund mit Taleb A. Neben Sachsen-Anhalt waren das Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Hamburg und Bayern. Gegen den späteren Attentäter liefen demnach mehr als ein Dutzend Ermittlungsverfahren in den Jahren vor dem Anschlag. Meist wurden sie eingestellt. Ein Ministeriumspapier zeigt etwa, dass Saudi-Arabiens Behörden am 27. November 2023 das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) anschrieben. Es gibt Hinweise darauf, dass Al-Abdulmohsen in sozialen Medien islamkritische und migrationsfeindliche Ansichten äußerte. Die Saudis meldeten ein Posting von Taleb A. auf seinem X-Account. “Something big will happen in Germany”, schrieb der spätere Attentäter dort – etwas Großes werde in Deutschland passieren. Die deutschen Behörden bewerteten Taleb A.s Nachricht als “unspezifischen Gefährdungssachverhalt mangels konkreter Hinweise” und baten um konkrete Anhaltspunkte, so solche vorliegen sollten.7

Aus diesem tragischen Ereignis lassen sich wichtige Lehren für das Sicherheitsmanagement ziehen. Zunächst zeigt der Anschlag die Notwendigkeit, die Sicherheitskonzepte für öffentliche Veranstaltungen zu überdenken. Weihnachtsmärkte und andere Großveranstaltungen erfordern verstärkte physische Schutzmaßnahmen, etwa durch Barrieren, die Fahrzeugangriffe effektiv verhindern können. Zudem muss die Reaktionsfähigkeit von Polizei, Rettungskräften und Sicherheitsdiensten verbessert werden, um in Krisensituationen schneller und koordinierter handeln zu können.

Ein weiteres zentrales Thema ist die frühzeitige Erkennung von Radikalisierungsprozessen. Der Täter war in sozialen Netzwerken aktiv und verbreitete dort extreme Ansichten. Dies verdeutlicht, wie wichtig das Monitoring von Online-Plattformen ist, um potenziell gefährliche Radikalisierungstendenzen zu identifizieren. Dabei ist es entscheidend, dass Sicherheitsbehörden nicht in ideologischen Kategorien denken – Radikalisierung kann jenseits traditioneller Muster wie „rechtsextrem“ oder „islamistisch“ verlaufen.8 Der Fall zeigt, dass hybride Ideologien, also die Vermischung verschiedener extremistischer Strömungen, zunehmend eine Gefahr darstellen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Umgang mit Hasspropaganda und Hetze. Die Verbreitung extremistischer Rhetorik, auch wenn sie auf den ersten Blick harmlos erscheint, kann ein Nährboden für Radikalisierung sein. Politiker, Influencer und Medien tragen eine besondere Verantwortung, da ihre Worte und Taten Menschen beeinflussen können. Der Begriff der „Salatbar-Ideologie“ – das beliebige Kombinieren verschiedener radikaler Elemente – zeigt, wie gefährlich es ist, wenn Verschwörungstheorien, Hassbotschaften und ideologische Fragmente unkritisch verbreitet werden.

Darüber hinaus ist der gesellschaftliche Zusammenhalt von zentraler Bedeutung. Nach solchen Anschlägen ist es wichtig, dass die Gesellschaft geschlossen reagiert, um Spaltung und Hass entgegenzuwirken. Solidarität mit den Opfern und eine klare Haltung gegen jede Form von Extremismus sind essenziell. Ebenso sollte in Bildung und Aufklärung investiert werden, um das Bewusstsein für demokratische Werte zu stärken und Menschen vor extremistischer Beeinflussung zu schützen.

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Schließlich müssen auch die Sicherheitsbehörden besser zusammenarbeiten. Der Austausch von Informationen zwischen nationalen und internationalen Behörden ist entscheidend, um potenzielle Gefährder frühzeitig zu identifizieren. Besonders die Einschätzung von sogenannten „einsamen Wölfen“, also Tätern, die ohne ein direktes Netzwerk agieren, stellt eine besondere Herausforderung dar. Hier sind innovative Ansätze in der Gefahrenanalyse gefragt.9 Der Magdeburger-Terrorist dürfte mit dem IS aber nichts zu tun haben. Der verhaftete Attentäter Taleb A. passt nicht in das zuletzt in Europa gängige Terroranschlagsmuster: ein 50-jähriger Arzt mit Saudi-Arabischem Hintergrund, der seit 18 Jahren legal in Deutschland gelebt und mit verurteilten Straftätern gearbeitet hat.

 

Quellen:

1  Vgl. Peter R. Neumann: Die Rückkehr des Terrors. Wie uns der Dschihadismus herausfordert, Rowohlt: Berlin 2024.
2  Vgl. Nicolas Stockhammer/Florian Hartleb: An analysis of the foiled terrorist attack on the Taylor Swift concert in August 2024 in Vienna, Europäisches Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention (EICTP), Wien 2024, September, 37 S., https://eictp.eu/wp-content/uploads/2024/09/FINAL_SWIFT_ViennaENG.pdf, auch auf Deutsch: “Ich hätte den Sprengstoff in der Menschenmenge platziert”. Eine Analyse des vereitelten Terroranschlags auf die Taylor- Swift-Konzerte in Wien im August 2024,
https://eictp.eu/wp-content/uploads/2024/09/SwiftPlot_Wien_1009_DE.pdf (abgerufen am 16. Februar 2025); Florian Hartleb: Die neue Gefahr des islamistischen Terrorismus on- und offline. Eine Analyse des vereitelten Terroranschlages auf die Massenveranstaltung „Taylor-Swift-Konzert” im August 2024 in Wien, in: Kriminalistik. Unabhängige Zeitschrift für die kriminalistische Wissenschaft und Praxis, 78 (2024) 11, S. 610-616.
3  Neue Zürcher Zeitung (2024): Arzt, 50 Jahre, seit 2006 in Deutschland: Das ist der mutmassliche Attentäter von Magdeburg, 21. Dezember, https://www.nzz.ch/international/taeter-von-magdeburg-taleb-a-war-arzt-in-bernburg-und-hasste-den-islam-ld.1863676 (abgerufen am 16. Februar 2025).
4  Vgl. BBC (2025): https://www.bbc.com/news/videos/cr4rd6lkg2zo (abgerufen am 17. Februar 2025).
5  Vgl. Florian Hartleb: Der Fall Anis Amri. Menetekel für den Rechtsstaat, in: Tom Thieme u.a. (Hrsg.): Demokratie in unsicheren Zeiten. Festschrift für Eckhard Jesse zum 70. Geburtstag, Nomos: Baden-Baden, 2018, S. 173-183.
7  MDR: 16. Februar 2025, Anschlag in Magdeburg: Diese offenen Fragen müssen die Ermittlungen klären, https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/magdeburg/anschlag-weihnachtsmarkt-ermittlungen-anzeigen-sicherheitskonzept-120.html (abgerufen am 16. Februar 2025).
8  Vgl. Florian Hartleb: Radikalisierung im Kontext der neuen Weltunordnung, in: Fachhochschule des bfi Wien (Hrsg.): Schriftenreihe der Zeitschrift „Wirtschaft und Management“, Mai, Sonderausgabe: Festschrift für Michael Thöndl, Wien 2024, S. 13-17.
9  Vgl. zum Tätertypus: Florian Hartleb: Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter, 2. Aufl., Hoffmann und Campe: Hamburg, 2020.

 

Über den Autor
Dr. Florian Hartleb
Dr. Florian Hartleb
Hartleb, Florian, Dr. phil., ist seit August 2023 als Forschungsdirektor beim Europäisches Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention (EICTP) in Wien tätig. Er lehrt derzeit an der Katholischen Universität Eichstätt, der Universität Passau und der Fachhochschule des bfi in Wien. Gerade hat er mit Gustav Gustenau dass Buch „Antisemitismus auf dem Vormarsch. Neue ideologische Dynamiken“ beim Nomos-Verlag (Baden-Baden) herausgegeben
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