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„Vom Kampf gegen rechts“ zum AfD-Verbot?
Über die Problematik einer Umsetzung
Von Florian Hartleb
Der „Kampf gegen rechts“ ist derzeit in aller Munde. Eine Massenwelle an Demonstrationen hat eingesetzt. Für eine erneute Debatte sorgt im Januar 2024 ein Bericht des Recherchenetzwerks „Correctiv“ über ein geheimes Treffen in Potsdam, bei dem unter anderem Vertreter der AfD und der rechtsextremen Identitären Bewegung über die Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland berieten.1
Ein Teilnehmer war der persönliche Referent von Alice Weidel. Sein Zeitungsartikel, der schnell wurden Vergleiche des Geheimtreffens mit der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 gezogen, die hinken. Im Gegensatz zur heutigen Situation haben an der Wannseekonferenz Menschen teilgenommen, die in Machtpositionen waren und welche die „systematische Ermordung“ der europäischen Juden planten.2 Gibt es nun einen konkreten Plan, wenn Björn Höcke etwas Rassistisches über Afrikaner sagte? Eindeutiger sind schon Aussagen, die in Reden einen neuen Faschismus erkennen.
„Die AfD ist eine gefährliche Nazi-Partei“: Das hat jüngst der nordrhein-westfälische CDU-Ministerpräsidenten, Hendrik Wüst (CDU), geäußert. Der Ministerpräsident von Bayern, Markus Söder, sagte das bereits 2019. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) fordert eine härtere Gangart gegen die AfD. Er habe große Sympathien für ein Verbotsverfahren, sagt er im Cicero-Interview. Man habe viel zu lange akzeptiert, dass Wähler aus Protest für diese Partei stimmen.3 Man will die AfD-Wähler nun offenbar nicht mehr verstehen, sondern verdammen, am besten mit Bausch und Bogen.
Der parlamentarische Diskurs ist durch die AfD ein anderer geworden, auch durch Tabubruch und andere Entgleisungen.4 Insofern holt Deutschland hier Entwicklungen nach, die aus zahlreichen anderen europäischen Ländern bekannt sind. Generell: Die AfD hat sich seit ihrer Gründung 2013 fortlaufend radikalisiert, gerade auch in Kommunen, wo die Partei lange nicht als aktiv in Vereinen wie Feuerwehr und Schützen wahrgenommen wurde.5 Das gilt für Thüringen, aber auch für Bayern – da der „Flügel“ dominiert. In Deutschland grassiert Angst, 75 Jahre nach Gründung der zweiten deutschen Demokratie. Jetzt ertönen immer lauter Stimmen, die vor „Weimarer Verhältnissen“ warnen. Der Hauptgrund: die elektorale Stärke der Alternative für Deutschland (AfD). Nach den Meinungsumfragen liegt sie in den drei ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg, in denen die Bürger im September den Landtag wählen, mit mehr als 30 Prozent jeweils an der Spitze, in Sachsen vor der CDU, in Thüringen vor der Partei Die Linke, in Brandenburg vor der SPD. Auch wenn jetzt über fallende Umfragewerte diskutiert wird, lässt sich von einer politischen Disruption durch die AfD sprechen. Die Frage stellt sich nun, inwiefern das neue Parteiprojekt von und um Sahra Wagenknecht zur Konkurrenz wird.6 Schließlich geht es um Protestwähler und auch um gewisse Sympathien für Russland.
Hohe Hürden
Ein Parteiverbot steht immer in einem Spannungsverhältnis zu den Grundsätzen einer Demokratie. Die rechtsverbindliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei und die Entscheidung über ihre Auflösung obliegen dem Bundesverfassungsgericht. Dieses kann gemäß Artikel 21 GG nur tätig werden, wenn ein Verbotsantrag mindestens von Bundesrat, Bundestag oder Bundesregierung gestellt wurde. Nach weiteren Entscheidungen muss die Partei sich beispielsweise in „aktiv-kämpferischer Weise“ für die Abschaffung der Demokratie einsetzen. Es genüge also nicht, oberste Verfassungswerte abzulehnen, wie das Bundesinnenministerium „Die Partei muss vielmehr planvoll das Funktionieren der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beseitigen wollen“ – also aktiv gegen den Staat vorgehen. In der Vergangenheit hat man keine guten Erfahrungen gemacht, lange zurückliegend. Es gab zwei „erfolgreiche Fälle: die nationalsozialistisch orientierte Sozialistische Reichspartei (SRP) und die stalinistische Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), beide in den 1950er-Jahren. Gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) wurde gleich zweimal ein Verbotsverfahren eingeleitet – und beide scheiterten. Das erste 2003 aus verfahrensrechtlichen Gründen, noch bevor es zur Verhandlung in Karlsruhe kam: Denn damals saßen V-Leute des Verfassungsschutzes in der Führungsebene der Partei und hatten möglicherweise die Entscheidungen der NPD beeinflusst. Drei der sieben Richter des zweiten Senats sahen darin ein Verfahrenshindernis. 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht dann erneut über ein NPD-Verbot. Damals stellte das Gericht fest, dass die Partei zwar verfassungsfeindliche Ziele vertrete, die auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet seien. Dem Gericht fehlten jedoch „konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt“. Das dann nicht unumstrittene Parteiverbot wurde deswegen abgelehnt.7 „Das Parteiverbot ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot“, erklärte das höchste Gericht. Die momentane Vorgehensweise des Verfassungsschutzes gegenüber der AfD ist ambivalent. Er bezeichnet die AfD in einigen Ländern, konkret Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als „gesichert rechtsextremistisch“, in anderen nicht. Soll man daher das Landesebene die AfD verbieten, gerade dort, wo die Umfragewerte in die Höhe gehen.8
Andere Mittel?
Auch ein Verbot der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative wird diskutiert.9 Da es sich um einen Verein handelt, wäre das leichter umzusetzen. In einer Online-Petition des Kampagnennetzwerks Campact wird die Bundesregierung aufgefordert, beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung für den AfD-Politiker Björn Höcke zu stellen. Sie hat nach heutigem Stand mehr als 1,6 Millionen Unterzeichner.10 Vier Mal wurde das in den früheren Jahrzehnten schon versucht, beim Holocaust-Leugner Otto Ernst Remer, beim rechtsextremen Verleger Gerhard Frey und bei den zwei Neonationalsozialisten Thomas Dienel und Heinz Reisz.11 Vier Mal lehnte das Bundesverfassungsgericht die Anträge ab. In den Kommunen gäbe es effizientere Wege. Bürgermeister und Landräte sind Wahlbeamte. Jede Wahlkommission muss prüfen, ob ein Kandidat die freiheitlich-demokratische Grundordnung unterstützt.
Fest steht, dass die Notwendigkeit für die Parteipolitik nicht zu geringbewerten ist: Der starke Verdruss mit der Regierungskoalition schlägt vor allem bei der AfD zu Buche. Sie profitiert insbesondere von der hilflosen Migrationspolitik, die Folgen von 2015/16,12 und der anschließenden Beschwichtigungsrhetorik, das Problem sei gelöst. Auch wer kein Bleiberecht genießt, muss in der Regel eine Rückführung nicht befürchten. Diesen Mangel an Umsetzungskraft erkennen viele Bürger als störenden Mangel an.
Letzlich könnte das Verbot der AfD sogar weitere Sympathien einbringen, vermutet der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD). „Wenn wir eine Partei verbieten, die uns nicht passt, die in Umfragen aber stabil vorne liegt, dann führt das zu einer noch größeren Solidarisierung mit ihr“, sagte er kürzlich der „Süddeutschen Zeitung“. „Die Kollateralschäden wären sehr hoch.“13 Es gibt ja auch andere Wege. Dazu gehört etwa die Fragestellung, warum die AfD über Plattformen wie Tiktok zunehmend auch bei der Jugend populärer wird.14 Maximilian Krah etwa, Spitzenkandidat bei den Europawahlen, gab jungen Männern vermeintliche Dating-Tipps: “Echte Männer sind rechts. Echte Männer haben Ideale. Echte Männer sind Patrioten. Dann klappt's auch mit der Freundin”, sprach er in die Kamera. Aufrufe: über 1,4 Millionen. Es bleibt abzuwarten, ob und wie die AfD Diskurs und Gesellschaft in Deutschland beeinflusst.
Quellen
2 Vgl. Potsdamer Treffen als “Wanseekonferenz” 2.0?, Tagesspiegel vom 22. Januar 2024, https://www.tagesspiegel.de/politik/potsdamer-treffen-als-wannseekonferenz-20-zentralrat-der-juden-mahnt-zur-vorsicht-bei-historischen-vergleichen-11089948.html (abgerufen am 24. Februar 2024).
3 „Wir dürfen nicht tolerieren, dass Menschen eine solche Partei wählen“, Cicero.de vom 20. Januar 2024, https://www.cicero.de/innenpolitik/daniel-gunther-afd-verbot-bauernproteste-interview-cdu (abgerufen am 24. Februar 2024).
4 Vgl. Lars Rensmann (2018): Radical Right-Wing Populists in Parliament: Examining the Alternative for Germany in European Context, in: German Politics and Society, 36 (3), 41-73.
5 Vgl. Florian Hartleb. (2022): Rechte Normalität. Warum sich die AfD im Süden Ostdeutschlands etabliert hat, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Januar, S. 45-47
6 Vgl. Florian Hartleb (2022): The Right-Wing Populist Disruption in the Berlin Republic. Opportunity structures and Success of the Alternative for Germany (AfD), in: John Robertson/Michael Oswald (Hg): Flourishing Landscapes: Thirty Years of German Unification and the Legacy’s Impact, Palgrave Macmillan: London, S. 231-247.
7 Vgl. Eckhard Jesse (2012): Die Diskussion um ein neuerliches NPD-Verbotsverfahren – Verbot: kein Gebot, Gebot: kein Verbot, in: Zeitschrift für Politik, 59 (3), S. 296-313.
8 Vgl. Eckhard Jesse (2023): Der hohle Streit um ein AfD-Verbot, in: Neuer Zürcher Zeitung vom 6. September, https://www.nzz.ch/meinung/der-hohle-streit-um-ein-afd-verbot-ein-verbotsantrag-gegen-die-partei-ist-weder-geplant-noch-waere-er-aussichtsreich-ld.1753991 (abgerufen am 24. Februar 2024).
9 Tagesschau.de (2024): Ist ein Verbot der "Jungen Alternative" möglich?, 6. Februar, https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/junge-alternative-verbot-102.html#:~:text=Im%20April%202023%20stufte%20das,erkl%C3%A4rte%20damals%20Verfassungsschutzchef%20Thomas%20Haldenwang (abgerufen am 24. Februar 2024).
10 Mehr als 1,6 Millionen Unterschriften gegen Höcke, Tagesschau.de vom 1. Februar 2024, https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/petition-grundrechtsverwirkung-hoecke-100.html (abgerufen am 24. Februar 2024).
11 Maulkorb für zwei Rechtsextremisten, in: die tageszeitung vom 10. Dezember 1992, https://taz.de/Maulkorb-fuer-zwei-Rechtsextremisten/!1639798/ (abgerufen am 24. Februar 2024).
12 Vgl. Robin Alexander (2017): Merkel und die Flüchtlingspolitik. Report aus dem Innern der Macht. Siedler, München.
13 Vgl. Süddeutsche.de (2024): Ostbeauftragter: AfD-Verbot würde große Schäden bringen, 3. Januar, https://www.sueddeutsche.de/politik/extremismus-ostbeauftragter-afd-verbot-wuerde-grosse-schaeden-bringen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-240103-99-479098 (abgerufen am 24. Februar 2024).
14 Vgl. Was die AfD zur erfolgreichsten Partei auf TikTok macht, MRD vom 1. Februar 2024, https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/afd-erfolg-tiktok-100.html (abgerufen am 24. Februar 2024).