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Die Teilnehmer des vom österreichischen Innenministerium veranstalteten Katastrophenmanagement-Workshop
Foto: © Gerd Pachauer

Katastrophen als Chance?

Von Siegfried Jachs

Vertreter aus 32 Staaten erörterten bei einem Katastrophenmanagement-Workshop des österreichischen Innenministeriums im Rahmen der EU-Präsidentschaft Fragen zur Wiederherstellung nach Katastrophen.
Ist die Zeit nach der Bewältigung einer Katastrophe, die Zeit der Wiederherstellung, eine Phase im Katastrophenmanagement, die vernachlässigt wird? Blickt man in die internationale Fachliteratur, so könnte man zu dem Schluss kommen, denn oft wurde Wiederherstellung als kompliziert und schlecht geplant beschrieben. Schaut man in Katastrophenpläne in Österreich, wird man auch dort wenig über Wiederherstellung nach Katastrophen finden. Einsatzpläne beschränken sich auf die unmittelbare Gefahrenabwehr und Rettungsmaßnahmen. Was danach kommt, ist meist nicht mehr Aufgabe der Katastrophenbehörden und Einsatzorganisationen. Es kommen andere Beteiligte ins Spiel, und wenn es keinen Schuldigen oder Haftenden gibt, ist jeder Eigentümer selbst für die Wiederherstellung verantwortlich. Läuft die Wiederherstellung ungeplant und unkoordiniert ab, oder können sich Staaten vorbereiten, um Zerstörungen nach Katastrophen geplant und koordiniert wiederherzustellen?

Build-back-better-Prinzip

Auf UN-Ebene wurde in den letzten Jahren besonders betont, dass die Wiederherstellung genutzt werden sollte, um Ursachen von Katastrophen zu beseitigen und in Risikoreduktion zu investieren. Fehler in der Wiederherstellung können das Risiko erhöhen.

Das Schlagwort heißt „Build back better“. Es bedeutet, dass Ursachen, die die Katastrophe (mit)hervorgerufen haben beseitigt oder reduziert werden, etwa Gebäude aus der Überflutungszone abzusiedeln, statt sie dort wieder aufzubauen und somit noch ein höheres Schadensrisiko zu schaffen. Das „Build-back-better-Prinzip“ kann auf verschiedene Weise in die Praxis umgesetzt werden.

Rosalind Cook vom United Nations Office for Disaster Risk Reduction in Brüssel erläuterte bei dem vom österreichischen BMI veranstalteten Workshop über Katastrophenmanagement die Grundlagen dieses Prinzips und erörterte praktische Beispiele. Meist geht es um den Ausbau und die Verbesserung von Schutzeinrichtungen wie Hochwasserschutzbauten, zusätzliche Retentionsräume, das sind an Flüssen und Bächen seitlich gelegene Flächen, auf denen sich bei Hochwasser das Wasser ausbreiten und ansammeln kann, oder die Verbesserung des physischen Gebäudeschutzes.

Es können auch andere Maßnahmen, z. B. in der Raumordnung, getroffen werden oder es kann auf die Wiederherstellung zerstörter Infrastruktur verzichtet werden, wenn diese aus Risikozonen abgesiedelt wird. Absiedlungsprojekte etwa aus hochwassergefährdeten Gebieten sind schwierig aber möglich, wie die Absiedlungen im oberösterreichischen Machland zeigen. Ob das „Build-back-better-Prinzip“ in Europa Standard geworden sei, lässt sich nicht feststellen.

In einer Umfrage, die im Auftrag der Abteilung II/13 (SKKM – Staatliches Krisen- und Katastrophenmanagement und Koordination ziviler Sicherheit Österreich) des Innenministeriums unter 29 europäischen Staaten durchgeführt wurde, gaben 14 an, dass die Wiederherstellung für neue Präventionsprojekte genutzt wird.

Hilfen für die Wiederherstellung. Die Frage, ob die öffentliche Schadensregulierung oder Versicherungslösungen für die Finanzierung von Wiederaufbaumaßnahmen effizienter sind, wird auch auf europäischer Ebene diskutiert. 28 von 29 Staaten gaben in der Umfrage an, dass sie öffentliche Subventionen zur Unterstützung von Geschädigten in der Wiederherstellung haben. In Österreich werden über den staatlichen Katastrophenfonds Beihilfen an Privathaushalte, Gebietskörperschaften und Unternehmen zur Wiederherstellung nach Naturkatastrophen finanziert.

Europäische Hilfen. Schwere Katastrophen, wie zuletzt die amerikanische „Hurricane Season“ 2017, erfordern von Staaten größere Anstrengungen in der Wiederherstellung. Die Schäden nach Naturkatastrophen steigen weltweit. David Alexander, Professor am University College London, ein international renommierter Experte im Katastrophenmanagement, referierte zu dem Thema. Er zeigte, welche Kaskadeneffekte bei Katastrophen eintreten können und wie die daraus resultierenden Schäden die Wiederherstellung erschweren. Die Hochwasserkatastrophe in Bosnien-Herzegowina 2014 veranschaulichte dies plastisch. Um Staaten in der Wiederherstellungsphase nach schweren Katastrophen zu unterstützen, hat die EU 2002 den Europäischen Solidaritätsfonds ins Leben gerufen, aus dem Österreich bereits viermal eine Beihilfe erhielt. Im Fall Bosniens und Serbiens fand 2014 eine internationale Geberkonferenz in Brüssel statt, bei der 1,8 Milliarden Euro an Hilfe für den Wiederaufbau zugesagt wurden.

Rahmenkonzepte für Wiederherstellung. Inwieweit die Wiederherstellung staatlich geplant werden kann, ist eine Frage, die auch im Workshop erörtert wurde. Planung für die Wiederherstellung unterscheidet sich in vielfacher Hinsicht von einer Einsatzplanung in der Akutphase der Katastrophe, da Wiederherstellung viel länger dauert und eine Aufgabe ist, die von vielen öffentlichen und privaten Akteuren getragen wird, wobei es hierfür infolge der Komplexität keine hauptzuständigen Organisationen wie Katastrophenbehörden oder Einsatzorganisationen in der Bewältigung gibt. Dennoch herrscht international Konsens, dass Planung auch für die Wiederherstellung nach Katastrophen notwendig ist, wenngleich sie anderen Prinzipien folgt. Aus der Umfrage ging hervor, dass in 19 von 28 Staaten Pläne für die Wiederherstellung auf unterschiedlichen Ebenen bestehen, dennoch sind gesamtstaatliche Rahmenkonzepte die Ausnahme. Neuseeland oder die Vereinigten Staaten haben in den letzten Jahren solche Konzepte erstellt. Ein einheitlicher europäischer Ansatz existiert nicht. Als eines von wenigen nationalen Beispielen in der EU präsentierte Isla Hurley Brunt vom Cabinet Office in London den „UK-Recovery-Framework“, der europaweit als Praxisbeispiel dienen kann.

Europäische Zusammenarbeit. Obwohl Wiederherstellung in der europäischen Zusammenarbeit im Katastrophenschutz kaum ein Thema war, wurde die Ansicht vertreten, dass die Kooperation auf EU-Ebene ausgebaut werden sollte. Der Workshop des österreichischen BMI hat somit eine neue Diskussion angestoßen, wie auch auf europäischer Ebene ein umfassenderer Ansatz im Katastrophenmanagement verwirklicht werden könnte, der auch die Wiederherstellung miteinschließt.

Literatur:

David Alexander, Ian Davis: Recovery from Disaster. Routledge 2015.

Der Beitrag ist im Magazin des österreichischen Innenministeriums „Öffentliche Sicherheit“ erschienen. (https://www.bmi.gv.at/magazinfiles/2018/11_12/katastrophenmanagement.pdf)