Tatort Jugendstilhaus in der Singerstraße 12 in Wien: Schüsse auf den schlafenden Sekretär
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Hochadeliger Forscher und Mörder

Von Werner Sabitzer

Der berühmte Paläontologe, Geologe und Albanienforscher Franz Freiherr von Nopcsa, Anwärter auf den albanischen Königsthron, brachte 1933 in Wien seinen Sekretär um und erschoss sich selbst.
Als die Wirtschafterin am Mittwoch, 25. April 1933, gegen halb elf Uhr in die Wohnung im dritten Stock des Hauses Singerstraße 12 in der Wiener Innenstadt Franz von Nopcsa in Albanien 1915
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zurückkam, machte sie eine grauenvolle Entdeckung. Im kostbaren, alten Lehnstuhl vor dem Schreibtisch saß leblos und blutüberströmt der berühmte Paläontologe, Geologe und Albanienforscher Dr. Franz Nopcsa von Felsö-Szilvás. Die Frau lief ins Schlafzimmer, um den Sekretär des Wissenschaftlers, den 45-jährigen, aus Albanien stammenden Bajazid Elmas Doda um Hilfe zu ersuchen. Doch dieser lag mit blutigem Gesicht tot im Bett. Die Wirtschafterin war von Nopcsa gegen zehn Uhr zu einem Zoologieprofessor geschickt worden, um diesem einen Brief zuzustellen. Während ihrer Abwesenheit hatte der berühmte Forscher seinen Sekretär und sich selbst erschossen.

Einer der Abschiedsbriefe Nopcsas war an die Polizei gerichtet. Der 56-jährige Adelige beschrieb darin sein „zerrüttetes Nervensystem“ als Grund für die Bluttat. Seinen Sekretär und Lebensgefährten habe er erschossen, um ihn nicht „krank, elend und ohne Geld“ auf der Welt zurückzulassen, da er „dann zu viel gelitten“ hätte. Deshalb habe er ihm ein Schlafmittel ins Essen gemischt und den Schlafenden im Bett durch zwei Schüsse in den Kopf getötet. Als Erben setzte Nopcsa den Bruder seines Sekretärs ein. Der Mörder und Selbstmörder wünschte, dass seine Leiche verbrannt werde. Als die sterblichen Überreste drei Tage nach der Bluttat im Krematorium des Wiener Zentralfriedhofs eingeäschert wurde, schrieb Nopcsas wissenschaftlicher Kollege Lambrecht Kálmán: „Der letzte Träger des Namens Nopcsa fiel frühzeitig den Flammen zum Opfer: Sein Geist den seelischen Flammen, sein Körper den Flammen des Krematoriums.“

Franz von Nopcsa hatte in den letzten Jahren zunehmend Schulden angehäuft. Die Wirtschafterin hatte schon seit vier Monaten keinen Lohn mehr erhalten. Der Privatgelehrte hätte Teile seiner umfangreichen Sammlung und seiner wertvollen Bibliothek verkaufen müssen, um dringende Schulden zu begleichen. Zur Sammlung gehörten unter anderem Skelettteile von Dinosauriern und anderen ausgestorbenen Tieren, wertvolle orientalische Waffen, kostbare Möbel, antiker Schmuck und Alabasterbüsten. Nopcsa hatte seine Bibliothek der Sprachwissenschaftlichen Abteilung der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin zu einem niedrigen Preis angeboten, war aber von der Verantwortlichen der Universität vertröstet worden.

Einflussreiche Magnatenfamilie

Mordopfer Bajazid Elmas Doda: Sekretär und Lebensgefährte Franz von Nopcsas
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Franz von Nopcsa wurde am 3. Mai 1877 in Déva, Siebenbürgen geboren. Er stammte aus einer ehemals reichen Magnatendynastie in Siebenbürgen. Sein Vater Alexis Freiherr von Nopcsa war erbliches Mitglied des ungarischen Magnatenhauses und seine Mutter entstammte einer alten gräflichen Familie. Ein Halbbruder seines Vaters, Franz Freiherr Nopcsa von Felsö-Szilvás, war von 1868 bis 1894 Obersthofmeister der Kaiserin Elisabeth von Österreich. Er unterstützte seinen Neffen und ermöglichte ihm den Besuch des Theresianums in Wien. Nach der Matura am Theresianum studierte Franz von Nopcsa Paläontologie und Geologie an der Universität Wien, wo er 1903 die Rigorosen mit Auszeichnung ablegte und zum Doktor promoviert wurde. Er erbte ausgedehnte Güter in Siebenbürgen. Als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 Siebenbürgen zu Rumänien kam, wurde er enteignet und seine Einnahmen aus diesen Gütern fielen weg.

Vor dem Ersten Weltkrieg zog Nopcsa nach Wien, wo er im bekannten Hotel „Meißl & Schadn“ und später im Hotel „Kranz“ wohnte. 1914 zog er in die Wohnung in der Singerstraße 12, in der er 1933 die Bluttat verübte. Im Ersten Weltkrieg war er Offizier eines Husarenregiments und betätigte sich als Kundschafter der Mittelmächte in der Balkan-Region. 1925 wurde er Direktor des „Ungarischen Königlichen Geologischen Instituts“ in Budapest, trat aber 1928 nach einem Streit zurück und verzichtete auf die Ehrenmitgliedschaft. Er war Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften in Europa, darunter in der „Österreichischen Geologischen Gesellschaft“, und er verfasste mehr als 150 wissenschaftliche Publikationen. Er galt als einer der bedeutendsten Paläontologen. Schwerpunkte waren unter anderem die Erforschung von Dinosaurierskelettfunden in Siebenbürgen sowie von Bräuchen bei den Volksstämmen Nordalbaniens. Dorthin hatten sich viele Katholiken zurückgezogen, um nicht islamisiert zu werden. Nopcsa unterstützte sie und versorgte sie mit Waffen. Sein bedeutendstes Werk, eine umfangreiche Studie über Albanien, wurde nie veröffentlicht.

In Albanien lernte der Gelehrte 1906 den um 20 Jahre jüngeren, gebildeten Bajazid Elmas Doda kennen, der Nopcsa als Sekretär und Gefährte begleitete. Doda war auch Fotograf und verfasste ethnologische Werke. Als Nopcsa in Siebenbürgen überfallen wurde, gelang es Doda, die Räuber zu vertreiben. Als Folge des Überfalls litt der vielsprachige Forscher aber an chronischen Kopfschmerzen, die ihm auch nervlich zusetzten.

Verhinderter König von Albanien

In Albanien, das seit dem 15. Jahrhundert Teil des osmanischen Reichs war, rief Ismail Qemali (Kemal Bey) nach dem ersten Balkankrieg am 28. November 1912 die Unabhängigkeit aus. Bei der Botschafterkonferenz in London am 29. Juli 1913 wurde beschlossen, im neuen Staat ein Fürstentum zu errichten. Als einer der besten Kenner Albaniens und aus ungarischem Uradel stammend, bot sich Franz von Nopcsa als König von Albanien an. Die Botschafter einigten sich aber auf Prinz Wilhelm zu Wied. Der aus deutschem Uradel stammende Prinz wurde im Frühjahr 1914 als König von Albanien eingesetzt. Der deutsche Prinz konnte sich aber nicht durchsetzen und verließ nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs Anfang September 1914 das Land. Franz von Nopcsa trat aus dem Albanien-Komitee aus und betätigte sich nicht mehr politisch.

 

Quellen/Literatur:

Elsie, Robert (Hg.): Traveler, Scholar, Political Adventurer. A Transylvanian Baron at the Birth of Albanien Independence. The Memoirs of Franz Nopcsa. Central European University Press, New York, 2014.

Elsie, Robert (Hg.): Reisen in den Balkan: Die Lebenserinnerungen des Franz Baron Nopcsa. Albanian Studies, Band 11. Dukagjini Publishing House, Pristina, 2001.

Hála, Józef: Franz Baron von Nopcsa. Anmerkungen zu seiner Familie und seine Beziehungen zu Albanien. Eine Bibliographie. Geologische Bundesanstalt (Wien), Ungarische Geologische Landesanstalt (Budapest). Wien, 1993.

Robel, Gert: Franz Baron Nopcsa und Albanien. In: Albanische Forschungen. Band 5. Otto Harrassowitz, Wiesbaden, 1966.

Zapfe, H.: Nopca von Felsöszilvás Franz Frh. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950. Band 7, Lieferung 32, 1976, S. 148.

Das blutige Drama in der Singerstraße. In: Neue Freie Presse, 26. April 1933, S. 7.

Sensationelle Bluttat in der Innern Stadt. In: Kronen Zeitung, 26. April 1933, S. 4.

Um den Freund nicht im Elend zurückzulassen. In: Arbeiter-Zeitung, 26. April 1933, S. 7.

 

Über den Autor
Werner Sabitzer
Werner Sabitzer
Werner Sabitzer, MSc, 63, war 30 Jahre lang Pressereferent im österreichischen Bundesministerium für Inneres (BMI) und Chefredakteur der Fachzeitschrift „Öffentliche Sicherheit“. Er ist seit 2018 Referent für Polizeigeschichte und Traditionspflege im BMI und leitet das Polizeimuseum Wien.
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