Werbeplakat von 1899 für Buffalo Bills Wildwest-Show,
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Sheriffs und Marshals

Von Richard Benda

Den einsam durch die Prärie streifenden Sheriff gab es zwar, doch schon zur Zeit des Wilden Westens verbrachten die tollen Kerle mehr Zeit bei Schreibarbeiten und beim Eintreiben von Steuern, doch sie prägten die Justiz des Westens.

Bat Masterson 1879
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„Sheriffs sind einfache, schlichte Männer, die geradeaus schießen können und das Äußerste an Mut und Nerven haben und einen wachen Sinn für Recht und Unrecht.“ meinte einer der berühmtesten seiner Zunft, Bat Masterson (1853-1921). Der von Masterson geforderte Sinn für Recht und Unrecht war nicht bei allen stark ausgeprägt, denn so mancher hatte eine kriminelle Vergangenheit oder er hielt sie nicht davon ab, in eine zweite Karriere als praktizierender Bandit einzusteigen. Dennoch, ihre Tapferkeit und ihr außerordentliches Geschick mit John Allen Campbell
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dem Revolver umzugehen, war wohl in der Zeit der Besiedelung des Westens der USA die einzige Möglichkeit etwas Ordnung ins Land zu bringen.

Die Titel der Gesetzeshüter waren unterschiedlich, - Town Marshal, City Policeman, County Sheriff, State Ranger, Federal Marshall - die Ernennung noch einfacher. Als sich die Einwohnerschaft von Wyoming über Straßenräuber und Banditen beschwerte, nahm Governor John Campell einfach ein Blatt Papier und schrieb darauf, dass ab sofort N.K. Boswell der Sheriff von Albany County sei, denn irgendwelche Formalvorschriften gab es zu dieser Zeit, 1890, noch nicht. Die Bestellung eines Sheriffs lief meist ähnlich ab. So setzte in Ellsworth (Kansas) der Stadtrat 1871 einen Marshal „zur Wahrung der Gesetze“ ein, nur versäumten die Stadträte in der Eile auch Gesetze zu erlassen. War aber auch irgendwie egal, denn das Recht kam nicht durch Gesetze, sondern aus dem Lauf des Sechsschüssers des Sheriffs oder seiner Deputys. Apropos Deputy: Ein Abzeichen wurde angesteckt und schon war man Deputy. Nicht selten wurde damit der Bock zum Gärtner gemacht, denn so mancher Deputy stand davor auf der anderen Seite des Gesetzes. Auch nicht verwunderlich, denn nicht selten bestand die Elite der Städte aus Saloon- und Spielhöllenbesitzern mit schillernder Vergangenheit. In manchen Fällen wurde gleichzeitig das Amt des Sheriffs ausgeübt und das eines Kriminellen. In Abilene residierte Sheriff Wild Bill Hickok nicht in seinem Büro, sondern am Spieltisch. Er war notorischer Spieler und Revolverheld, sah aber keinen Grund sein Nebentätigkeit aufzugeben, nur weil er nun Sheriff geworden war. Noch ärger war es in Laramie, die Bürger hängten ihren obersten Gesetzeshüter, weil herauskam, dass er als Saloonbesitzer Kunden betäubte und ausraubte. Gleich erging es dem Sheriff von Ada County in Idaho, er wurde als Pferdedieb entlarvt und gehängt. Selbst unter den US-Marshals gab es schwarze Schafe: Der erste US-Marshal von Colorado, der 1861 ernannt wurde, als das Land noch Territorium war, wurde wegen Veruntreuung von Staatsgeldern festgenommen, der dritte wegen Diebstahl und Verbreitung von Falschgeld angeklagt.

Kriminelle unter den Ordnungshütern waren aber trotzdem die Ausnahme, obwohl der Beruf Revolverhelden anzog, denn er bot für sie einen Umstieg in den legalen Gelderwerb. Für die Städte und Countys war die Ernennung eines Mannes mit zweifelhafter Vergangenheit oft die einzige Möglichkeit Recht und Ordnung tatsächlich zum Sieg zu verhelfen. Einheimische waren meist zu schwach, um vergnügungssüchtige Cowboys in die Schranken zu verweisen, von einer Verfolgung tatsächlicher Verbrecher ganz abgesehen, deshalb bediente man sich häufig ortsfremder Personen, denen man zutraute mit Menschen ihres Schlages fertig zu werden. Die Bürger machten sich wenig Sorgen um die Rechtsbrüche ihres Sheriffs in der Vergangenheit, wenn er nur Stabilität brachte.

Instabil war die Lage in den Territorien westlich des Mississippi allemal. Der Westen war voll von Outlaws, die vor keiner Gewalt zurückschreckten um ein berühmter Revolverheld zu werden. Gefürchtet waren aber vor allem jene Männer, die als Bande ritten und Kutschen, Banken und Züge überfielen. Die Bande der James-Brüder, die Youngers, die Daltons und die Wild Bunch-Bande von Butch Cassidys sind die berühmtesten. Mit der Flucht von Cassidy nach Südamerika 1901 endete auch das Zeitalter der Wild-West-Kriminalität.

Wo gab es nun Sheriffs und wo Marshals?

Frühe Zeichnung einer Gruppe von Texas Rangers (1845)
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Auf der County-Ebene ruhte die Ordnungsmacht beim Sheriff. Ihm zur Seite stand eine Anzahl von Deputys. Im Falle des Bedarfs konnten kurzfristig Hilfssheriffs aus der Bevölkerung ernannt werden. Im städtischen Bereich nannte man die Ordnungshüter üblicherweise Marshal, sie waren Polizeichefs. Ihm standen meist ein Assistant Marshal und ein paar Polizisten zur Verfügung. Auf Bundesebene, in Distrikten und in Territorien, operierten die US-Marshals und ihre Deputys. Diese Deputys waren nicht selten gleichzeitig Stadt- oder County-Polizisten. In den wildesten Regionen des Westens war eine vierte Spezies von Gesetzeshütern unterwegs – die Ranger. Die Ranger der Staaten Texas, New Mexiko und Arizona waren fast militärisch organisiert. Als Ranger wurden nur die Besten genommen, als wesentliche Eigenschaft wurde die Fähigkeit lange reiten zu können verlangt, denn ihre Territorien waren größer als unsere Republik.

An der Spitze der Ordnungshierarchie standen die US-Marshals, denn sie wurden vom Präsidenten selbst ernannt. Bei diesem Personenkreis war weniger die Fähigkeit mit dem Colt gefragt, als politisches Talent. Die eigentliche Polizeiarbeit wurde von seinen Deputys erledigt, die er sich selbst aussuchen konnte.

Wyatt Earp um 1881
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Zwischen County-Sheriffs und Town-Marshals gab es eigentlich keinen Rangunterschied, doch besaß der Sheriff in der Regel mehr Macht und Ansehen. Der Sheriff war in vielen Gebieten auch der Chef der Verwaltung und zur Eintreibung von Steuern befugt. Letzteres war ein einträgliches Geschäft, denn häufig gab es dafür einen Prozentsatz des eingetriebenen Geldes. Sheriffs hatten dabei noch eine Vielzahl weiterer Aufgaben: Betreiben des Gefängnisses, Präriehunde ausrotten, verirrtes Vieh suchen und in Colorado waren sie gleichzeitig Feuerwehrmänner. Feuerwehrmann und Polizist zu sein, eine Praxis die in menschenarmen Gegenden noch heute praktiziert wird. Die eigentlichen polizeilichen Kernaufgaben im städtischen Bereich, also im Bereich der Marshals, waren dagegen stärker ausgeprägt. Ein Beispiel: In Tombstone, wo Virgil Earp als Marshal fungierte, wurden in einem Moderne Inszenierung der Schießerei von 1881
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Monat 48 Menschen hinter Gitter gebracht, nur in einem Fall gab es Widerstand. Übrigens, das war nicht das Monat als das legendäre Gefecht am O.K. Corral am 28. Oktober 1881 zwischen Brüdern Earp und der Clanton-Bande stattfand. Noch eine Feinheit: Zu diesem Gefecht kam es unter anderem weil sich Vigil Earp als City-Marshal und gleichzeitig Deputy US.-Marshal, mit dem Sheriff des umgebenden Landes John Behan bekriegten und sich gegenseitig die Stellvertreter festnahmen.

Zusammenarbeit der einzelnen Polizeibehörden war, wie man sieht, schon damals ein Fremdwort. Bis heute behindern sich die ca. 12.000 Polizeidienststellen in den USA, eine Situation, die wir in Österreich durch eine bundeseigene Einheitspolizei überwunden haben – oder?

Über den Autor
Richard Benda
Richard Benda
Richard Benda war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand Kriminalbeamter beim Landeskriminalamt in Wien. Bei der International Police Assoziation Österreichs bekleidete er von 1993 bis 2008 das Amt des Generalsekretärs. Er veröffentlichte seit 1974 etwa 1.500 Fachbeiträge in verschiedenen in- und ausländischen Zeitungen und Zeitschriften sowie vier Fachbücher. Er ist Herausgeber von Kripo.at. 2009 wurde er zum Präsidenten der „Vereinigung Kriminaldienst Österreich“ gewählt – eine Position, die er noch heute innehat.
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