Polizeifahrzeuge am Bataclan-Theater nach den Terroranschlägen
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Eine andere Sicht auf die Pariser Anschläge

Erhöhtes Sicherheitsrisiko durch missglückte Integrationsbemühungen von Muslimen in Europa?

Von Roswitha Kern

Die Terrorwelle im Herbst begann mit dem Absturz eines russischen Flugzeuges und dem Tod von 224 Passagieren am 31. Oktober in Ägypten über dem Sinai, es folgte das Bombenattentat in einem schiitischen und von der Hezbollah kontrolliertem Beiruter Stadtteils am 12. November, welches 40 Menschenleben forderte und schließlich starben am 13. November 130 Menschen in einer Serie von gleichzeitig ausgeführten Anschlägen in Paris. All diesen Terroranschlägen ist ihre Urheberschaft gemeinsam: Die jihadistische Bewegung Islamischer Staat (IS), die durch den Überfall Mosuls im Juni 2014 und der darauffolgenden Einnahme großer Landesteile des Iraks und Syriens auch in der westlichen Öffentlichkeit Bekanntheit erlangte, bekannte sich zu den Attentaten.

Laut der Aussage eines erfahrenen, anonymen Vertreters aus israelischen Geheimdienstkreisen besteht eine klare operationale Verbindung zwischen den Anschlägen im Libanon, Paris sowie dem russischen Flugzeugabsturz in Ägypten. Sowohl die schiitische Hezbollah Miliz als auch Russland und Frankreich haben sich aufgrund ihrer Involvierung in den seit Jahren andauernden syrischen Bürgerkrieg zu Gegnern des Islamischen Staates gemacht. Frankreich musste dabei im Jahr 2015 die Hauptlast an Vergeltungsanschlägen von Seiten jihadistischer Gruppierungen tragen: Im Januar dieses Jahres verübte eine Gruppe von Jihadisten einen Anschlag auf das französische Magazin Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt. In einem weiteren Attentat köpfte Yassin Salhi seinen Chef in Lyon, bevor er gehindert werden konnte, das Firmengebäude des Chemiekonzerns in die Luft zu sprengen. Im Juli vereitelten drei ehemalige amerikanische Soldaten nur knapp ein Attentat auf den Thalys Zug in Frankreich.

Der bislang schwerste Terroranschlag in Frankreich seit dem Zeiten Weltkrieg ereignete sich jedoch im November diesen Jahres und kostete 130 Menschen in einer Reihe von sieben koordinierten Anschlägen das Leben. Die ersten zwei Explosionen ereigneten sich im Stadium „Stade France“, wenig später eröffneten weitere Attentäter das Feuer in dem kambodschanischen Restaurant Petit Cambodge, dem Le Carillon auf Das Eckrestaurant La Casa Nostra in der Rue de la Fontaine au Roi (2013) Foto: Mbzt, derivative work Lämpel - Lizenziert unter CC BY 3.0 / Wikimedia Das Eckrestaurant La Casa Nostra in der Rue de la Fontaine au Roi (2013)
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der gegenüberliegenden Straßenseite und im Anschluss in der Pizzeria Casa Nostra sowie der La Belle Equipe Bar. Der  tödlichste Anschlag spielte sich jedoch in der Bataclan Konzertarena ab, wo 89 Konzertbesucher der amerikanischen Rockgruppe ‘Eagles of Death Metal’ von mit AK-47 ausgestatteten Terroristen methodisch erschossen wurden, bevor diese sich mit einem Bombengürtel selbst in die Luft sprengten. Eine nähere Betrachtung der Terrorwelle in Frankreich soll dabei Rückschlüsse bieten, inwiefern es einen Zusammenhang zwischen einem erhöhten Sicherheitsrisiko durch terroristische Anschläge und missglückten Integrationsbemühungen von Muslimen in europäischen Gesellschaften gibt.

 

Modus Operandi und Zielsetzung der Anschläge

Zunächst einmal stellen die Pariser Anschläge in der Geschichte des islamistischen Terrorismus eine klare Veränderung des Modus Operandi dar. Mit der scheinbar zufälligen Auswahl von Aufenthaltsorten des täglichen Lebens, wie zum Beispiel einer Konzerthalle oder eines Restaurants, anstatt prominenten Anschlagszielen wie dies zum Beispiel 2001 mit dem Angriff auf das World Trade Center in New York oder dem Pentagon der Fall war, möchte der Islamische Staat den europäischen Gesellschaften signalisieren, dass Sicherheit ein relativer Begriff ist und man jederzeit und überall zum Ziel von Terrorismus werden kann. Der Einschüchterungseffekt terroristischer Anschläge wurde damit eindeutig erhöht. Die Managerin eines Hotels in der Nähe des Stade de France berichtete in diesem Zusammenhang:

„Die Anschläge auf Charlie Hebdo im Januar waren in gewisser Weise absehbar. Jedem war die provokante Berichterstattung des Magazins in Bezug auf Muslime bekannt und so wunderte es die wenigsten warum die Attentäter ihre Anschläge auf das Magazin konzentrierten. Das Ausmaß des Terrors am 13. November stellt für die meisten von uns im Gegenzug dazu aber eine völlige andere Dimension und Bedrohungslage dar. Im Moment fällt es uns schwer, uns irgendwo sicher zu fühlen. Wir wissen nicht, was als nächstes passiert, und hätten am liebsten, dass selbst die Schulen unserer Kinder bewacht werden“.

Die Tatsache, dass auch weitgehend ungesicherte soziale Treffpunkte jederzeit zum Anschlagsziel werden können, versetzte die französische Bevölkerung zumindest zeitweise in einen Schockzustand. Jihadisten verfolgen mit terroristischen Anschlägen in Europa gerade im Hinblick auf Europas größte Flüchtlingsherausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch das Ziel, europäische Gesellschaften gegenüber Flüchtlingen und Muslimen zunehmend zu polarisieren. So steigt durch Anti-Immigrationskampagnen seitens rechtspopulistischer Parteien, die durch Terroranschläge an Nährboden gewinnen, die Stigmatisierung muslimischer Zuwanderer in Europa. Ein deutscher Sicherheitsbeamter verwies zudem darauf, dass gerade extrem ausgerichtete salafistische Gruppen mit Neigungen zum Jihad in Deutschland immer wieder versuchen würden, sich Zugang zu Flüchtlingsheimen zu verschaffen. Dabei versuchen diese bisweilen nicht nur, Flüchtlinge für ihre Zwecke in Europa zu rekrutieren, sondern sie darüber hinaus unter Androhung von Gewalt dazu zu bekehren, in ihre Heimatländer zurück zu kehren, um sich vor Ort am ‚Heiligen Krieg’ zu beteiligen. Diese Strategie verläuft bislang, laut Aussage des Sicherheitsbeamten, relativ erfolglos. Mit einer zunehmenden Polarisierung europäischer Gesellschaften in Hinblick auf die Flüchtlingskrise sowie der Stigmatisierung und Ausgrenzung von Muslimen in Folge von Terroranschlägen erhoffen sich Jihadisten jedoch ein einfacheres Spiel in der Zukunft.

 

Warum immer wieder Frankreich?

Islamistisch motivierte Terroranschläge sind für Frankreich kein Neuland. Aufgrund eines brutalen Krieges in Polizeirazzia in Saint-Denis am 18. November 2015, Rue du Corbillon, von der Rue de la République Saint-Denis aus. Foto: Lizenziert unter CC-BY-SA 4.0 /  Wikimedia Polizeirazzia in Saint-Denis am 18. November 2015, Rue du Corbillon, von der Rue de la République Saint-Denis aus.
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Algerien in den 50er und 60er Jahren, der in einen langandauernden Bürgerkrieg in den 90er Jahren in Algerien mündete,  wirkte sich bereits damals, 1995, die politische Einmischung Frankreichs im Nahen Osten und Nordafrikas auf das eigene Land in Form terroristischer Anschläge aus. Die auch heute noch tragende außenpolitische und militärische Rolle Frankreichs im Nahen Osten und Nordafrikas, wie beispielsweise die militärischen Operationen gegen Islamisten in Mali oder die Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Syrien und im Irak, trug dazu bei, dass Frankreich in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder ins Anschlagsvisier jihadistischer Gruppierungen geriet. Daher gehören die Verfolgung, Neutralisierung und Aufklärung von terroristischen Netzwerken schon seit langem zum Alltagsgeschäft französischer Sicherheitsbehörden.

Es ist jedoch vor allem der von politischen und intellektuellen Eliten auf Prinzipien des Laizismus – eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion –  forcierte öffentliche Diskurs in Bezug auf Migration in Frankreich, der in der Vergangenheit immer wieder zur Entfremdung französischer Muslime führte. Frankreich erlebte mit dem Zuzug von Gastarbeitern aus dem vorwiegend nordafrikanischen Raum in den 60er Jahren eine erste Welle muslimischer Einwanderer. Diesen wurde in den 70-er Jahren das Bleiberecht erteilt, sowie der Nachzug ihrer Familien gewährt. Trotz eines mehrheitlich weitverbreiteten Integrationswillens unter französischen Muslimen sind es aber vor allem politische Eliten, die sich bisher als unfähig oder unwillig erwiesen, dabei Hilfe zu leisten. Die Stigmatisierung und Ausgrenzung von Muslimen Jean-Marie Le Pen (1972) Foto: lizensiert uner CC BY-SA 4.0/ wikimediavia Jean-Marie Le Pen (1972)
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seitens Frankreichs politischer Eliten ist dabei kein Novum. Bereits 1870 unter einem zweistufigen System in der damaligen algerischen Kolonie konnten sich nur Katholiken und Juden um die französische Staatsangehörigkeit bemühen, während dieses Privileg Muslimen vorenthalten wurde. Heutzutage hingegen sind es vor allem die stark rechtsgerichteten Parteien Frankreichs wie zum Beispiel die Front National, gegründet von Jean-Marie Le Pen, heute geführt von seiner Tochter Marine Le Pen, die keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um mit anti-muslimischen und anti-Immigrationskampagnen auf Wählerstimmenfang zu gehen. Des Weiteren sind es die Unterrepräsentation von Muslime in Staatsorganen oder auch die Reaktion des damaligen Innenministers Nikolas Sarkozy auf die Ausschreitungen in den Banlieus im Herbst 2005, die ihr übriges  dazu Nicolas Sarkozy Foto: Lizenziert unter CC-BY-SA 4.0 / Wikimedia  Nicolas Sarkozy
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beitragen. So berief Sarkozy damals als Reaktion auf die Ausschreitung führende Imame für Beratungen ein und bat sie, ihre Gläubigen von weiteren Ausschreitung abhalten. Mit dieser Reaktion vermittelte die französische politische Elite der Gesellschaft einmal mehr, dass die Probleme überwiegend als muslimisch anstatt als sozioökonomische –zum Beispiel  hohe Arbeitslosigkeit und städtische Verwahrlosung – wahrgenommen wurden. Folglich ist es keine Seltenheit, dass Themen wie Sicherheit und Immigration mit muslimischer Integration gleich gesetzt werden. Auch ist in der Thematisierung muslimischer Immigranten auffällig, dass diese auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene selten als Franzosen bezeichnet werden. Während sie in den 60-er und 70-er Jahren als Gastarbeiter bezeichnet wurden, galten sie ab Mitte der 80-er vor allem als Araber und werden heutzutage vorwiegend als Muslime klassifiziert.

Obwohl sich die Regierung vornehmlich in den 80er darum bemühte, dem Islam und den Muslimen einen Platz in der französischen Gesellschaft zu gewähren – das Tragen von Kopftüchern wurde erlaubt und eine Institution für muslimische Angelegenheit wie den Moscheebau oder die Ausbildung von Imamen  wurde geschaffen – währte der Frieden nicht lange. Im Zusammenhang mit den Terroranschlägen von 1995 sowie dem Anstieg anti-semitischer Vorfälle wurden Muslime einmal mehr mit Unsicherheit assoziiert und folglich an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Dies kulminierte schließlich mit dem seitens des  damaligen Jacques Chirac Foto: Lizenziert unter CC BY 3.0 br / Wikimedia Jacques Chirac
Foto: Wilson Dias/ABr (Agência Brasil [1]), Wikimedia Commons | Lizenz: CreativeCommons by-sa-3.0-br
Präsidenten Jacques Chirac forcierten Gesetzeserlasses zum Verbot religiöser Symbole und damit dem Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen. Dies, sowie die Ausweitung dieses Gesetzes auf das Tragen der Niqab – Gesichtsverhüllung muslimischer Frauen – in der Öffentlichkeit 2011, wurde von vielen in Frankreich lebenden Muslimen als direkter Angriff auf ihre Religion und Identität gewertet.

Die gesellschaftliche Entfremdung eines Teiles der muslimischen Gesellschaft in Frankreich verbunden mit der Frustration, Perspektivlosigkeit und wirtschaftlichen Benachteiligung – vor allem in Pariser Vororten mit einem hohen Anteil an erster und zweiter Generation arabischsprachiger Einwanderer liegt die Arbeitslosenquote oft über 50 Prozent - bereitete in den letzten Jahren einen fruchtbaren Nährboden für die Propaganda und Rekrutierungszwecke jihadistischer Gruppen. In der Tat können Zwei Frauen in Burkas Foto: - Flickr. Lizenziert unter CC BY 2.0 / Wikimedia Zwei Frauen in Burkas
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islamophobische Erfahrungen im sozialen Umfeld eine Rolle bei der Radikalisierung junger Muslime spielen. Elsa Ray zufolge, der Sprecherin der Organisation „Collective Against Islamophobia“ werden junge Muslime täglich Opfer von Diskriminierung in der Schule oder im Arbeitsleben. Ray betont dabei: „Wie bereits Juden vor 50 Jahren, so werden heute Muslime in Frankreich und Europa zu den Sündenböcken der Gesellschaft erklärt. Die Regierung sowie auch die Medien  lassen kaum eine Gelegenheit aus, um zu betonen, dass der Islam das große Problem ist und Muslime die Republik und ihre Werte nicht respektieren würden“.

Diese Tendenz hat sich seit dem 11. September 2001 zusehends verschärft. Viele Muslime sahen sich plötzlich öffentlich unter Beschuss und besannen sich gerade deswegen zurück auf ihre religiöse Identität. Eine französische Anwältin mit muslimischen Wurzeln berichtete diesbezüglich, dass sich aufgrund des öffentlichen Diskurs nach den Anschlägen viele Muslime in ihrer Identität angegriffen fühlten, daher Schutz in ihren eigenen Kreisen suchten und sich somit wieder intensiver mit ihrer Religion auseinandersetzten.

Im Zusammenhang mit der andauernden Hoffnungslosigkeit und einem Mangel an Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt stellt sich nach Jahren der gesellschaftlichen Marginalisierung unter Muslimen oft ein Gefühl des “nicht dazu Gehörens“ ein. Bereits im Juni definierte ein parlamentarischer Bericht in Frankreich, wenig überraschend, die existenzielle Suche nach einer klar definierten Identität und Zugehörigkeit gerade bei Menschen, die unter einem psychologischen und sozialen Unbehagen leiden, als einen Motivationsfaktor, sich einer jihadistischen Gruppen anzuschließen.

Vor allem in jihadistischen Kreisen greifen Anwerber Gefühle der gesellschaftlichen Entfremdung bei der Rekrutierung und Verbreitung ihrer Ideologie auf, während sie gleichzeitig für die Verteidigung des Islams eintreten und ihren ‚Zöglingen’ wieder ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Selbstwerts suggerieren. Zusammenfassend bieten die starke außenpolitische Präsenz Frankreichs im Nahen Osten und Nordafrikas als auch die zunehmende Radikalisierung französischer Muslime aufgrund gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Marginalisierung durchaus einen Erklärungsansatz für die fortwährende Terrorwelle in Frankreich an. Im Vergleich zu anderen europäischen Nationen ist vor allem der Anteil von französischen Kämpfern innerhalb der Ränge jihadistischer Gruppen in Syrien und im Irak daher sehr hoch.

 

Die Problematik der europäischen Jihadisten

Die Thematik der Rückkehrer unter den westlichen Kämpfern in Syrien und Irak stellt europäische Sicherheitsbehörden immer wieder vor besondere Herausforderungen. Dabei scheinen die Pariser Anschläge sowie das Attentat gegen Charlie Hebdo’s Magazin oder den jüdischen Supermarkt im Januar die Befürchtungen vor einem erhöhten Anschlagsrisiko durch Rückkehrer zu bestätigen. Bei allen Attentätern Einwanderer aus 41 Nationen leben im Pariser Arbeitervorort Aubervilliers Foto: Steven Strehl Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 / Wikimedia Einwanderer aus 41 Nationen leben im Pariser Arbeitervorort Aubervilliers
Foto: Steven Strehl (Shot by myself with Canon EOS 300V.), Wikimedia Commons | Lizenz: CreativeCommons by-sa-3.0
handelte es sich außerdem um Angehöriger der  französischen oder belgischen Staatsbürgerschaft mit nordafrikanischen Wurzeln, die sich zum Teil bereits in der Vergangenheit in Syrien oder im Jemen aufhielten, um sich dort jihadistischen Gruppen anzuschließen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass gemäß einer Studie von Thomas Hegghammer vom norwegischen ‘Defense Research Establishment’ aus dem Jahr 2013 die Anwesenheit von zurückgekehrten ‚Foreign Fighters’ aus Kriegsgebieten wie zum Beispiel dem Irak oder Syrien die Effektivität eines terroristischen Anschlags um ein vielfaches erhöht. 46 Prozent aller untersuchten Fälle von geplanten terroristischen Anschlägen involvierten einen „jihadistischen Kriegsveteran“, der aufgrund der im Kriegsgebiet erworbenen verbesserten militärischen Fähigkeiten sowie der beschleunigten Radikalisierung die Effektivität des Anschlags in aller Regel entscheidend erhöhte.

Es ist des Weiteren auffällig, dass die meisten Täter der französischen Terroranschläge 2015 den französischen und belgischen Sicherheitsbehörden nicht nur bereits einschlägig bekannt waren, sondern diese darüber hinaus ähnliche Profile aufweisen. In vielen Fällen handelt es sich um Männer zwischen 20 und 30, die in problembehafteten Stadtvierteln aufwuchsen und zum Teil bereits Einträge im Vorstrafenregister besaßen oder sozial auffällig waren.

 

Ausblick für die deutsche Sicherheitslage

Dass es zumindest teilweise einen Zusammenhang zwischen einem erhöhten Sicherheitsrisiko und missglückten Integrationsbemühungen in Bezug auf europäische Muslime gibt, wurde abschließend geklärt. Doch welche Lehren können deutsche Behörden und politische Entscheidungsträger aus dem Beispiel Frankreichs ziehen? Frankreich beherbergt derzeit mit ca. 5 bis 6 Millionen die größte muslimische Gesellschaft Europas, doch Deutschland könnte dieser Zahl durch die hohe Anzahl an muslimischen Flüchtlingen in absehbarer Zukunft näher kommen. Entscheiden wird dabei sein, ob es Deutschland gelingt, den eigenen demokratischen Prinzipien gerecht zu werden und Muslime in allen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens erfolgreich zu integrieren. Die Erfahrung mit der überwiegend libanesischen Flüchtlingswelle der 70er und 80er Jahre ist dabei leider wenig vielversprechend. Genau wie in Frankreich wurde damals auch in Deutschland der Fehler begangen, Flüchtlinge in bestimmten Stadteilen zu konzentrieren. Integrationsbemühungen gab es damals kaum und in vielen Fällen mussten Flüchtlinge mehr als zehn Jahre auf eine Arbeitsgenehmigung warten. Dies ermöglichte erst die Entstehung einer stark ausgeprägten Parallelgesellschaft in Großstädten wie Berlin. Gerade aufgrund dieser bereits vorliegenden Erfahrungswerte ist es umso wichtiger, einer politischen und gesellschaftlichen Marginalisierung der neu ankommenden Flüchtlinge in Form von Investitions- und Integrationsprogrammen frühzeitig vorzubeugen.

Um dabei auch den Sicherheitsbedürfnissen Deutschlands gerecht zu werden und der Rekrutierung von Deutschen für jihadistische Zwecke und terroristische Anschläge vorzugreifen, ist es zudem unerlässlich, deutschen Sicherheitsbehörden spezielle Trainings und interkulturelle Schulungen zukommen zu lassen, so dass diese sich den mit der Flüchtlingswelle einhergehenden Herausforderungen adäquat stellen können.

Gerade in Bezug auf die Aufforderung zu so genannten „Lone Wolf Attentaten“ – Attentate, die oftmals im Alleingang und ohne große Koordination mit der Führungsriege von jihadistischen Gruppen ausgeführt werden – stellt sich zu Recht die Frage, was Europa, und in diesem Sinne Deutschland, tatsächlich leisten kann, um weitere Anschläge zu vermeiden. „Lone Wolf Attentäter“ stellen für Sicherheitsbehörden insofern eine akute Herausforderung dar, als dass sie aufgrund ihres geringen logistischen Aufwands schlechter vorhersehbar und somit schwieriger zu unterbinden sind. Es ist dabei unmöglich abzusehen, wie hoch die Anzahl unbekannter radikalisierter Muslime mit der Bereitschaft zu  Attentaten derzeit ist. Die Überwachung all jener bekannter Radikalisierter, die sich irgendwann als „Lone Wolf Attentäter“ entpuppen könnten, ist zudem schlichtweg unmöglich.

Da Deradikalisierungsprogramme für radikalisierte Muslime in Europa bislang eher zu zweifelhaften Ergebnissen führten, ist es für die Sicherheit des Staates umso wichtiger, eine weitere Verbreitung radikaler islamistischer Ideologien zu verhindern. Vor allem der Förderung der Arbeit moderater Imame käme dabei eine tragende Rolle zu. Laut dem Migrations - und Anthrophologieforscher  Johan Lehman ist es außerdem von zentraler Bedeutung, dass alle europäischen Regierungen und allen voran Deutschland, die Imam-Ausbildung künftig selbst übernehmen, anstatt diese radikal geprägten Organisationen aus Saudi Arabien oder anderen Golfstaaten zu überlassen. Indem man Imame über Jahre hinweg aus den Golfstaaten importierte, anstatt deren Ausbildung selbst in die Hand zu nehmen, konnten sich Islamisten immer weiter radikalisieren und verbreiten. Sie haben sich dabei zunehmend europäischen Einflüssen entzogen, so Lehman. Die Effekte dieser fehlerhaften Politik ging unter anderem bereits mit der Konsequenz einher, dass gerade moderaten Imamen oftmals, aus Angst vor der Konfrontation mit ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft, der Mut fehlt, sich in ihren Predigten offen gegen Gewalt auszusprechen.

Entsprechend der Einschätzung eines ehemaligen Sicherheitsbeamten einer deutschen Sondereinheit sind Terroranschläge in Deutschland lediglich eine Frage der Zeit: „Der Islamische Staat ist schon längst durch Schläferzellen in Deutschland anwesend. Einzig und allein der bisher passiven deutschen Rolle in nahöstlichen Kriegsschauplätzen sowie den öffentlich wenig offensichtlichen Rüstungsexporten in die Region ist es zu verdanken, dass Deutschland bislang verschont geblieben ist. Ich gehe davon aus, dass wir spätestens in der ersten Jahreshälfte von 2016 Opfer von zumindest versuchten Terroranschlägen werden.“ Mit dem Beschluss vom 26. November zur Entsendung von deutschen Aufklärungsjets nach Syrien nimmt Deutschland nun aktiver am nahöstlichen Kriegsgeschehen teil, und folglich wird sich vermutlich auch das Anschlagsrisiko erhöhen.

Bemühungen die darauf abzielen, der zunehmenden Polarisierung der deutschen Gesellschaft in Bezug auf die Flüchtlingskrise und in diesem Sinne der Angst vor muslimische Zuwanderung entgegenzuwirken, sind daher umso wichtiger. Ein in Anbetracht der bereits zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung Deutschlands ehrlicher und aufklärender Dialog staatlicher Stellen mit der Bevölkerung wäre dabei ein erster wichtiger Schritt. Denn durch die vorurteilsbehafteten Einstellungen oder Berührungsängste von Teilen der deutschen Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen, verbreiten sich zunehmend diskriminierende Verhaltensweisen gegenüber Muslimen oder im schlimmsten Fall gar gewalttätige Übergriffe. Durch eine unzureichende Antwort auf derartige Gefahren könnte sich langfristig eine defensive Identitätspolitik seitens der Flüchtlinge einstellen, die im schlimmsten Fall zur Entstehung von weiteren Parallelgesellschaften mit jihadistischen Tendenzen führt.

 

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