Verbrecher, Opfer, Heilige.

Eine Geschichte des Tötens.

416 Seiten. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2015. ISBN 978-3-608-94845-5. Ladenverkaufspreis 26,95 €.

Weltweit sorgte der Islamische Staat (IS) für Abscheu, als er Videoaufnahmen von Enthauptungen ins Internet stellte. Das Entsetzen war insbesondere in Europa groß, wo in fast allen Staaten die Todesstrafe abgeschafft ist. Die Hinrichtungen in Syrien warfen aber auch gerade in Europa zahlreiche Fragen auf und rückten das Thema Todesurteile und Hinrichtungen in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.

 

Peter Schuster befasst sich somit in seinem Buch mit einem durchaus aktuellen Thema. Er unterstreicht dies, indem er als roten Faden seiner Darstellung die Bedeutung der Religion für die Geschichte der Todesstrafe wählt. Da Peter Schuster als Professor für mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte an der Universität Bielefeld lehrt, legt er den zeitlichen Schwerpunkt seines Buches auf die Zeit zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert.

Als Einstieg in das Thema beschreibt der Autor drei spektakuläre Hinrichtungen. Sodann geht er auf die Rahmenbedingungen der Todesstrafe ein, schildert dabei die Ursachen und Beweggründe, die von Beginn der Zeit an der Todesstrafe einen festen Platz unter den Sanktionen der Gesellschaft einräumten. Schon in diesen Überlegungen nimmt die Religion eine zentrale Bedeutung ein. Noch deutlicher wird der Zusammenhang in dem folgenden Kapitel, in dem der Autor der Frage nachgeht, wie „Hinrichtungen zu einem religiösen Ritual wurden“. Hierin schildert der Autor eindrucksvoll den Übergang von der mittelalterlichen Todesstrafe als Fürstenrache zu einem von der Kirche dominierten Hinrichtungsritual. Im Mittelalter wurden vergleichsweise selten Todesurteile gesprochen. In der Regel ahndeten die Richter Gesetzesverstöße mit der Verhängung einer Geldbuße. Die Todesstrafe war die große Ausnahme, die von der Bevölkerung durchaus ambivalent gesehen wurde: mitunter als die gerechte Strafe für eine schwerwiegende Tat, häufig stand aber das Mitleid mit dem Verurteilten im Vordergrund. In diesen Fällen hofften die Zuschauer auf ein „Galgenwunder“, dass der Strick riss, oder der zum Tod durch Ertränken Verurteilte sich aus den Fluten retten konnte. Bis zum Ende des Mittelalters wurde ein solches Wunder als göttlicher Eingriff in die Verurteilung gewertet, wodurch dem Verurteilten das Leben geschenkt wurde. 

Im folgenden Kapitel beschreibt der Autor detailreich die einzelnen Stationen von der Straftat bis zur Hinrichtung, wobei Schuster eine Vielzahl von Beispielen anführt. Er spannt einen weiten Bogen über die Lebensbedingungen in einem mittelalterlichen Gefängnis und das Wachpersonal; er beschreibt die unterschiedlichen Arten von Verhören und schildert die grausamen Foltermethoden, um die Verdächtigen dazu zu bringen, ihre Schuld zu gestehen. Im Anschluss daran schildert der Autor die unterschiedlichen Hinrichtungsarten: Das Hängen, Enthaupten, Ertränken, Rädern, Verbrennen und Vierteilen, wobei sich in den Tötungsarten das jeweilige Verbrechen beziehungsweise die Schwere der Tat widerspiegelt.

Einen deutlichen Wandel brachte für die Strafjustiz und die Hinrichtungen die Reformation. Im 16. Jahrhundert kamen zahlreiche neue Delikte hinzu auf die die Todesstrafe stand. So wurden jetzt Verstöße gegen die sittlich-moralische Ordnung – wie etwa der Ehebruch von Männern –, die im Spätmittelalter noch recht lax gehandhabt worden waren, sehr hart bestraft. Schuster spricht davon, dass sich die Rolle Gottes in den Strafverfahren von Grund auf änderte. Während er zuvor der barmherzige Gott war – dies erklärt auch die Schonung des Verurteilten bei einer fehlgeschlagenen Hinrichtung –, wird er jetzt zum strafenden Gott. Entsprechend nahm die Zahl der Todesurteile deutlich zu. Eindrucksvoll zeigt sich dies in den Aufzeichnungen des Nürnberger Scharfrichters „Meister Franz“ aus dem 16./17. Jahrhundert. Auch für die Herrschenden brachte die Zeit nach der Reformation einen Wandel. Seither stellte die Vollstreckung der Todesurteile auch eine Demonstration ihrer Macht und ihres Herrschaftsanspruches dar. Nicht selten wurden daher Gebietsansprüche mit der Ausübung der Hochgerichtsbarkeit – unter die auch die Verhängung von Todesurteilen fiel – begründet.

Schuster hebt hervor, dass die weit überwiegende Zahl der in der Zeit vom 14. bis zum 17. Jahrhundert zum Tode Verurteilten aus der Gegenwart betrachtet nur geringfügige Straftaten begangen hatte. Überwiegend wurden meist junge Diebe verurteilt, die die Armut zum Diebstahl getrieben hatte. Deren Hinrichtung war, so Schuster, „eine gesellschaftliche Kapitulationserklärung.“ Der Autor stellt die Forderung auf, die Geschichtswissenschaft müsse „verstärkt auch die Todesstrafe als einen wichtigen Bestandteil vormoderner Armenpolitik analysieren.“

Wie aktuell das Thema „Todesstrafe“ nach wie vor ist, stellt Schuster nicht nur an den Anfang seines Buches, indem er dort auf die Hinrichtungen durch den IS verweist. Zum Abschluss stellt er heraus: „Die Todesstrafe wird weiterhin verhängt. Nach amnesty international sind 2013 die Hinrichtungszahlen gegenüber dem Vorjahr weltweit sogar gestiegen. Daher endet hier nur das Buch, nicht jedoch die Geschichte, die es erzählt hat.“

Dr. Reinhard Scholzen

 

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