Die neuen Dschihadisten.

IS, Europa und die nächste Welle des Terrorismus.

256 Seiten. Econ Verlag, Berlin, 2015. ISBN 3-430-20203-9. Ladenverkaufspreis 16,99 €.

Vordergründig betrachtet, scheint an Darstellungen über den Islamischen Staat IS kein Mangel zu bestehen. Unlängst stellten wir auf veko-online zwei Bücher vor, die dieses Thema behandeln. Dennoch ist es gerechtfertigt, hierzu einen weiteren Band zu besprechen; denn Peter Neumann geht das weitverzweigte Thema aus einer neuen Perspektive an.

 

Peter Neumann gilt als einer der wenigen Forscher, denen man mit Fug und Recht das Etikett „Terrorismus-Experte“ anheften kann. Seit Jahren lehrt er als Professor am Londoner „King’s College“ und leitet zudem das „International Centre for the Study of Radicalisation“. Der Autor folgt der Argumentation seines amerikanischen Kollegen David Rapoport, der den modernen Terrorismus in vier Wellen unterteilt. Diese sind: Der Anarchismus in der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert; der Antikolonialismus der in 1930er Jahren begann und in den 1950ern seinen Höhepunkt ereichte; in den 1960er Jahren entwickelte sich die Neue Linke und als vierte Welle sieht Neumann die religiöse Welle, die Ende der 1970er Jahre mit der Islamischen Revolution des Ayatollah Khomeini begann. Der Umsturz im Iran ermutigte zahlreiche extremistische und terroristische islamische Strömungen und fand einen ersten Höhepunkt im Krieg gegen die russischen Besatzer Afghanistans, der im Jahr 1980 begann. Der Dschihad wurde zu einer Massenbewegung mit wechselnden Feindbildern, an deren Spitze für lange Jahre Osama Bin Laden stand. Nach dessen Tod im Jahr 2011 erlebten die Dschihadisten einen kurzzeitigen Bedeutungsverlust, der sich besonders deutlich im Arabischen Frühling – der zunächst zum Teil friedlichen Revolution in mehreren Staaten Nordafrikas zeigte.

Der Islamische Staat hat seine Wurzeln in den beschriebenen Entwicklungen. Er ist nach Neumann eine Bewegung, die eine jüngere Generation mobilisiert, weitreichende ideologische Ziele verfolgt, neue Institutionen schafft und dabei „noch extremere Methoden verwendet.“ Detailliert beschreibt der Autor sodann die Entwicklungsschritte des IS und stellt deren Führer vor: Abu Musab al-Zarqawi und Abu Bakr al-Baghdadi. Neumann teilt ausdrücklich nicht die Auffassung Jürgen Todenhöfers, der nach seinen Recherchen zum Ergebnis kam, der IS sei „clever“ und „gefährlich“ und besitze eine „rauschartige Begeisterung und Siegeszuversicht“. Für Neumann hingegen ist der IS – abgesehen von seinen Anführern – weitgehend ungeeint und damit wenig stabil, dennoch militärisch schlagkräftig, wie die Einnahme Mossuls im Jahr 2014 unterstrich. Eindrucksvoll beschreibt der Autor den Aufstieg des IS, die Art und Weise, wie er Städte infiltriert und dort zunächst eine Schreckensherrschaft und im zweiten Schritt seinen „Staat“ errichtet. Schwächen offenbart der IS im Bereich der Ökonomie. Es gelingt zwar immer noch, neue Gebiete zu erobern, aber es fehlt an einem Regierungs- und Wirtschaftsmodell. Es mangelt in nahezu allen Bereichen an Führungskräften, da diese zum größten Teil geflohen sind. Besondere Beachtung schenkt der Autor den „Auslandskämpfern“. Er konzentriert sich auf die rund 4000 Personen, die aus Westeuropa stammen, davon etwa 600 aus Deutschland. Er stellt fest, dass sich seit wenigen Jahren der Frauenanteil deutlich erhöht und gegenwärtig bei rund 15 Prozent liegt. Wie für viele andere Beobachter stellen auch für Neumann die Rückkehrer ein Problem dar. Zwar stellt er heraus, dass nicht alle, die aus den Kämpfen zurückkehren, zu Terroristen werden, jedoch rechnet er aufgrund früherer Auswertungen damit, dass mindestens jeder neunte von ihnen terroristisch aktiv werden wird. Andere Forschungen ergeben eine Terrorismusquote von 26 Prozent. Das heißt, von vier Rückkehrern wird einer terroristische Aktionen in Deutschland durchführen. Überblicksartig beschreibt der Autor die weltweite Vernetzung der dschihadistischen Gruppierungen und betont die Professionalität ihrer Internetauftritte, besonders in den sozialen Netzwerken. Für die Zukunft kann Neumann keine günstige Prognose stellen. Im Bereich der Prävention – hier besonders der Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte – sieht er gravierende Mängel. Auch in Deutschland.

Dr. Reinhard Scholzen

 

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