Susanne Thelen

Wahlkampf gleich Schlammschlacht?

Eine Analyse des Negative Campaigning der Parteien zur Bundestagswahl 2017

Susanne Thelen, Baden-Baden 2020,
356 Seiten.
ISBN 3-8487-6631-4.
74,00 €.
Wahlkämpfe gelten in den Augen nicht weniger Beobachter als schmutzig. Dies mag darin begründet sein, dass der Begriff Macht und das Ringen um sie bei vielen Deutschen negativ konnotiert ist.

Susanne Thelen wirft in ihrer Dissertation, mit der sie an der TU Chemnitz promovierte, „einen ganzheitlichen Blick auf die Strategien der Parteien zur Bundestagswahl 2017.“ Dabei stellt sie in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung die Frage, inwieweit das „Negative Campaigning in den unterschiedlichen Kommunikationskanälen der Parteien eine Rolle gespielt hat.“ Mit diesem Ansatz verlässt die Autorin den Pfad gesicherter Erkenntnis; denn dieses Thema wurde bisher in Deutschland – anders in den USA – nicht untersucht. Negative Campaigning definiert sie „als die gezielte Verbreitung von wahren und unwahren Informationen über einen politischen Widersacher mit dem Zweck, dessen Schwächen in den Vordergrund zu rücken.“

In ihre Betrachtung fließen die unterschiedlichen Herangehensweisen ein, wie mit dem politischen Gegner umgegangen wird. Sie unterscheidet diese in inhaltliche und charakterbezogene Angriffe und – das ist ein Novum ihrer Arbeit – eine „value-Dimension“. Darunter versteht sie im Wesentlichen die Gruppenzugehörigkeit des Bewerbers, seine Werteorientierung, sein Verhältnis zu Recht und Gesetz sowie die soziale Herkunft.

In einem Überblick betrachtet die Verfasserin die Bundestagswahlkämpfe zwischen 1949 und 1987, in denen für sie „polarisierende Persönlichkeiten“ im Mittelpunkt standen, und sodann die Bundestagswahlkämpfe seit der Wiedervereinigung, für die sie das Rubrum „Einheitsgedanke statt Negativität“ wählt. Sie stellt fest, dass der Angriffswahlkampf von Beginn an ein Teil der Wahlkampfkultur war. Als thematisches Widerlager stellt sie sodann Kernelemente des US-Wahlkampfs von 2016 vor, den sie als die Blaupause einer negativen Kampagne bewertet. Es gelang Trump – das war der Schlüssel, mit dem er die Tür zum Weißen Haus öffnete –, sich als Kandidat des Anti-Establishments darzustellen, als „Sprachrohr für die abgehängten, durchschnittlichen, weißen Amerikaner.“ Obwohl „seine Vita, sein Reichtum und sein Prominentenstatus dem widersprechen.“

Der analytische Schwerpunkt der Dissertation liegt auf der Betrachtung des Bundestagswahlkampfs von 2017. Die Untersuchung basiert unter anderem auf der Auswertung der Wahlprogramme und Wahlplakate, zweier TV-Duelle und mehr als 2.300 Tweets und 1.800 Facebook-Nachrichten. Für die CDU stellt Thelen heraus, dass deren Wahlkampf von Selbstbewusstsein geprägt war und als „staatstragend“ bezeichnet werden kann. Damit ging einher, dass eine „Abgrenzung zum politischen Gegner“ ausblieb. Dass somit das „Negative Campaigning“ im Wahlkampf der CDU eine zu vernachlässigende Rolle spielte, führt die Autorin auf den Grundton des Wahlkampfes zurück, in dem durch den Satz „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ bei den Wählern eine Wohlfühlatmosphäre geschaffen werden sollte. In der Summe sei der Wahlkampf der CDU eine „Merkel zentrierte Personalisierungsoffensive“ gewesen, den positive Botschaften geprägt hätten. Die Schwesterpartei CSU schuf im Wahlkampf einen Kontrast zur CDU, indem sie ihre Eigenständigkeit hervorhob. Mit einer Betonung des Heimatbegriffs und dem eigenen Bayernplan fuhr sie jedoch „keine nennenswerten Attacken der Value-Dimensionen.“

Für die SPD hingegen findet Thelen zahlreiche Belege, dass sie im Wahlkampf auf „klare Kante“ gegen die Bundeskanzlerin setzte. Im TV-Duell mit Angela Merkel sei Martin Schulz in die Rolle des Angreifers geschlüpft, gleichermaßen die SPD in den sozialen Netzwerken. Als „Provokation pur“ bewertet sie die Plakatkampagne der AfD, für die das negative Campaigning „Teil ihrer Identität“ sei. Dies sei in sich stimmig, da sich die AfD selbst als Protestpartei bezeichne, zugleich sei dies „ihr bester Wahlkampfhelfer“. Belege für diese These bringt die Autorin jedoch nicht. Nach ihrer Auffassung ging die FDP „liberal statt negativ“ an den Bundestagswahlkampf 2017 heran, dabei stets bemüht, einen Neuanfang zu erreichen, da die Liberalen vier Jahre zuvor den Einzug ins Parlament verpasst hatten. Im Wahlkampf der Partei Die Linke sieht Thelen ein hohes Maß an Konstanz: Sie wolle Oppositionspartei sein und greife daher „die Mächtigen“ an, wobei sie in den Mittelpunkt ihrer Eigenwerbung die vermeintliche soziale Ungerechtigkeit in Deutschland stellt. Bei Bündnis 90/Die Grünen konstatiert die Verfasserin durchweg Fairness, die jedoch regelmäßig bei den Themen Umwelt und Klima endet. Da jedoch das Ziel der Partei eine Regierungsbeteiligung war, fielen die Angriffe auf CDU und SPD maßvoll aus.

Die Autorin fasst zusammen: „Negative Campaigning war im Wahljahr 2017 eine Strategie der ‚Herausforderer.“ Das Ziel des Buches war es nicht, eine Handreichung für Wahlkampfstrategen zu schaffen, wie man eine Wahl gewinnt. Was letztlich zu Sieg oder Niederlage in einer demokratischen Wahl führt, bleibt ex ante unbeantwortet und auch ex post ein Mysterium.

Thelen beendet ihre Betrachtung mit einem Blick in die Zukunft. Sie fordert unter anderem, Wahlkämpfe sollten „mehr ‚sozial‘, weniger ‚Netzwerk‘ sein.“ Man möchte der Verfasserin uneingeschränkt zustimmen, jedoch wird das Schaffen von Nähe zwischen Bürgern und Politikern schwierig in Zeiten der Corona-Pandemie. Sollte dieses Kernproblem bis zum Herbst 2021 nicht gelöst sein – wofür einiges spricht –, könnte das manchen Wahlkampfstrategen zu einer noch stärkeren Digitalisierung des Wahlkampfes verführen – und gerade in den sozialen Medien nehmen seit Jahren die Schlammschlachten zu.

Dr. Reinhard Scholzen

 

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
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