Ausbildung und Erziehung in der Frühzeit des Bundesgrenzschutzes
Von Dr. Reinhard Scholzen
Die Ausbildung im Bundesgrenzschutz (BGS) war in den 1950er und 1960er Jahren durch viele Neuerungen gekennzeichnet, da man sich ganz bewusst von der Vergangenheit unterscheiden wollte.
Als im Dezember 1954 die Pläne für die aufzustellende Bundeswehr Gestalt annahmen, rückten die Männer des Bundesgrenzschutzes in den Mittelpunkt des Interesses. Man war sich im Amt Blank – der Vorläuferorganisation des Bundesministeriums der Verteidigung – einig, dass die Grenzschützer zu einem großen Teil, wenn nicht sogar komplett, in die Bundeswehr übertreten sollten. Die Bundesregierung kannte die Stärken des BGS, weil sie Gerhard Graf Schwerin, einen ehemaligen General der Panzertruppe, beauftragt hatte, die „Sonderpolizei des Bundes“ auf Herz und Nieren zu prüfen. Dazu hatte er auch deren kurze Zeit zuvor durchgeführte „Donau-Übung“ begleitet. Er war voll des Lobes und erteilte den Grenzschützern den Ritterschlag, indem er feststellte, selbst motorisierte Kräfte der ehemaligen Wehrmacht hätten nicht an deren Leistung herangereicht.
Befähigte Führer
Graf Schwerin erkannte als Geheimnis des Erfolgs die hervorragend befähigte Führungsebene des BGS. Dafür gab es einen einfachen Grund: Als dieser im Jahr 1951 aufgebaut wurde, konnte das Ministerium aus dem Vollen schöpfen, da bis zu diesem Zeitpunkt viele der für polizeiliche Führungspositionen geeigneten Männer noch keine adäquate Anstellung gefunden hatten. Viele BGS-Offiziere der ersten Stunde, von denen 245 aus der Polizei kamen und 64 zuvor der Wehrmacht angehört hatten, waren daher formell deutlich überqualifiziert. So stand Mitte der 1950er Jahre an der Spitze der Grenzschutzabteilung in Goslar Major im BGS Willy Langkeit. Im Krieg war er mit höchsten Orden ausgezeichnet worden und hatte im Range eines Generalmajors die Panzergrenadier-Division „Kurmark“ geführt. In einem anderen BGS-Standort befehligte ein ehemaliger Kommandeur einer vormaligen Panzerdivision eine Grenzschutzabteilung und der Kommandeur eines früheren Grenadier-Regimentes eine Hundertschaft. Auch in den darunterliegenden hierarchischen Ebenen konnte der BGS überzeugen. Journalisten lobten daher den „reichlich vorhandenen guten Offizier-
und Unteroffiziernachwuchs“, der in der Führer- bzw. Unterführerschule des BGS ausgebildet wurde. Des Weiteren beeindruckte Pressevertreter der „aufgeschlossene, gute Geist der Truppe“ und ebenso das „vertrauensvolle, gute Verhältnis zwischen Führern und Geführten“.Die Ausbilder standen vor der Doppelaufgabe, die Eleven auszubilden und zu erziehen. Was man konkret darunter verstand, erklärte im Herbst 1957 der damalige Kommandeur in Coburg, Oberst im BGS Leopold Baumeister, in der von ihm verfassten „Grenzjäger-Fibel“. Der universell gebildete Oberst, der sieben Sprachen beherrschte, hob darin hervor: „Neben der fachlichen, das heißt geistigen und körperlichen Ausbildung sind es die seelischen und sittlichen Kräfte, die den Wert des einzelnen Menschen sowie einer Truppe ausmachen ... Diese Kräfte zu entfalten ist die Aufgabe der Erziehung.“ Führer im BGS könne daher nur sein, „wer durch Gesinnung, Haltung und Können hervorragt und seine Truppe zur Anerkennung zwingt. Denken und Fühlen mit der Truppe sowie Fürsorge für sie befestigen das Band zwischen Führer und Geführten. Entbehrungen und Gefahren, Freud und Leid gemeinsam getragen stärken das gegenseitige Vertrauen. Die Freiheit des Führers in der Art der Ausbildung der Truppe muß getragen sein von höchster Verantwortung.“
Neue Wege in der Ausbildung
Das Bundesministerium des Innern legte großen Wert darauf, dass sich der BGS insbesondere im Bereich der Ausbildung nicht an der Zeit des Nationalsozialismus orientierte. Daher hieß es in einem Erlass vom 20. Juni 1951, der Grenzschutz stelle eine neue Einrichtung dar, „die sich in Erziehung und Ausbildung bewußt nicht an frühere Vorbilder anlehnt, sondern unter Berücksichtigung der Erfahrung der Vergangenheit auf neuem Wege eine mit dem Volk aufs engste verbundene Organisation
aufzubauen versucht. Sie verfolgt das Ziel, Freiheit und Menschenwürde gegen Angriffe und Zersetzung zu schützen.”In den Ausbildungshundertschaften in Glückstadt, Dedelstorf, Braunschweig und Amberg wurde eine auf die Aufgaben des BGS zugeschnittene Ausbildungsmethode entwickelt. Zudem legte man einheitliche Mindeststandards fest, die die Männer erfüllen mussten. Man ging sowohl in der Theorie, ebenso aber auch in der Praxis davon aus, dass diejenigen, die freiwillig zum BGS kamen, etwas leisten wollten. In dem bereits erwähnten Erlass hieß es daher: „Keine Truppe kann ohne Disziplin bestehen. Die Disziplin gründet sich aber nicht auf Furcht vor Strafe. Sie entspringt der Erkenntnis jedes einzelnen, daß ihm mit der Selbstausbildung eine hohe Verantwortung übertragen ist, und daß die Aufgaben des Grenzschutzes nur durch freiwillige Einordnung in das Ganze erfüllt werden können. Wer sich freiwillig den Gesetzen einer Gemeinschaft unterwirft, muß seinen Stolz daransetzen, ohne Strafdrohung Disziplin zu halten.”
Das Ziel der Lehrzeit sollte es sein, einen einsatzbereiten, von seiner Sache überzeugten, körperlich gewandten und geübten, geistig mitdenkenden und handwerklich durchgebildeten Bundesgrenzschützer heranzubilden. Einen wesentlichen Baustein zur Erreichung dieses Ziels stellte deren zunächst zwölfwöchige, bald sechsmonatige Grundausbildung dar. In dieser Zeit erlebte der Freiwillige eine vielseitige Ausbildung mit und ohne Waffe, sowie diverse Unterrichte und Sport.
Durch Letzteres sollten die in großer Zahl festgestellten körperlichen Schwächen behoben werden. Den Hintergrund dafür bildete nicht nur die Philosophie, wonach in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist wohnt. Vielmehr ging man davon aus, der Dienst an der Grenze stelle sehr hohe Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit der Grenzjäger. Zudem meinte man, der Sport stärke das Selbstvertrauen der Auszubildenden, deren Gemeinschaftsgefühl und Kameradschaft und hebe die Lebensfreude. Nachdem eine gewisse Fitness erreicht war, nahm der Anteil des theoretischen Unterrichts und die Ausbildung mit und an der Waffe zu. Hinzu kamen der Unterricht in Erster Hilfe und die „Erörterung politischer Tagesfragen in Form von Diskussionen“. Diese politische Bildung wurde in den für die Öffentlichkeit produzierten Publikationen stets besonders betont. Man legte Wert darauf, das Neue des BGS zu betonen. Wichtige Ausbildungsinhalte waren darüber hinaus: „Unmittelbarer Zwang“, „Notwehr“ und „Notstand“. Eine intensivere Rechtsausbildung fand erst seit den 1960er Jahren statt und steigerte sich noch einmal deutlich, nachdem das neue BGS-Gesetz im Jahr 1972 beschlossen worden war.
Auch die Allgemeinbildung kam nicht zu kurz. Seit Herbst 1953 wurde ihr in der Grenzschutzfachschule jeweils ein halber Tag pro Woche gewidmet. Diese Fachschule besuchten die Auszubildenden bis zum Ende ihres dritten Dienstjahres. So sollte ganz allgemein der „Bildungsstand des Grenzschutzbeamten angehoben“ und insbesondere den Beamten auf Widerruf, die spätere (Wieder-)Eingliederung in ihren zivilen Beruf erleichtert werden. Denn ein Großteil der Männer verpflichtete sich in der Frühzeit des BGS auf sechs, dann sieben Jahre. Später wurde ihre Dienstzeit auf acht und schließlich auf maximal zwölf Jahre erhöht. Hingegen war der Beamte auf Lebenszeit in den 1950er Jahren im BGS eine große Ausnahme, in einer Jägerhundertschaft gab es nur vier solche Stellen. Als Grund wurde die Absicht genannt, das Durchschnittsalter der Truppe niedrig zu halten. Aber das Bundesinnenministerium hatte wohl auch im Blick, die Personalkosten gering zu halten.
Die Anforderungen in den Fächern Staatsbürgerkunde, allgemeine Wirtschaftskunde, Sprachpflege, Schriftverkehr, technisches Fach- und Verwaltungsrechnen und Maschinenschreiben waren hoch, daher bestanden viele Schüler die Prüfungen nicht, wie ein Beispiel aus dem Jahr 1957 belegt: Von der in Coburg stationierten Grenzschutzabteilung (GSA) III/2 nahmen 61 Prüflinge an der Abschlussprüfung im Rechnen und in der Staatsbürgerkunde teil. 43 bestanden, 14 bestanden nicht, drei Kandidaten waren zur Prüfung auf eigenen Wunsch nicht angetreten und ein Bewerber war vom Test ausgeschlossen worden.
Nach der Ausbildung wechselten die Grenzjäger in die Einsatzhundertschaften, wo sich eine Spezialausbildung anschloss. Dort wiesen die Einheitsführer den jungen Männern eine Funktion zu, die in der Regel ihren persönlichen Fähigkeiten, jedoch nicht immer ihren Interessen entsprach. Das Tätigkeitsspektrum war groß. Der
Grenzschützer konnte zum Beispiel als „Mann in der Gruppe“, Hilfsausbilder, Funksprecher, MG-Schütze, Waffenmechaniker, Kraftfahrer, Kfz-Schlosser oder Schreiber verwendet werden. In dieser Zeit wurde er am Granatwerfer ausgebildet und in Spezialzügen fanden Kradschützen genauso ihre Betätigung wie Männer, die in den leicht gepanzerten Sonderwagen ihren Dienst versahen. In der Hauszeitschrift „Parole“ wurde das Ziel formuliert: Der Grenzjäger „lernt so den harten, aber jeden jungen Menschen fesselnden Gefechtsdienst auf Übungsplätzen, bei Scharfschießen, Dauerübungen und Zeltlagern, die über mehrere Tage hinweg zu jeder Jahreszeit durchgeführt werden, kennen. Dadurch wird der Dienst in der Unterkunft und die Regelmäßigkeit der motorisierten Streifenfahrten an der Zonengrenze immer wieder abwechslungsreich unterbrochen.“ Der Parole-Autor vergaß zu erwähnen, dass es auch Grenzstreifen zu Fuß gab.Man glaubte, der junge Grenzjäger habe nach Abschluss seines ersten Dienstjahres genügend Erfahrungen gesammelt, um die ihm gestellten Aufgaben zufriedenstellend erfüllen zu können. Ob dies eine im Allgemeinen etwas geschönte Sicht der Dinge war, sei einmal dahingestellt. Unter den Praktikern der Gegenwart besteht kaum Dissens, dass die volle Verwendungsfähigkeit eines Polizisten selten nach vier, meist erst nach fünf Jahren eintritt.
Mitte der 1950er Jahre klang manches idealisiert: Durch die größeren Übungen, an denen der junge BGS-Beamte teilnahm, die Wettkämpfe, in denen er sich bewährte, Schießübungen, die sein Selbstbewusstsein hoben, Prüfungen in den technischen Spezialgebieten und Besichtigungen seiner ganzen Hundertschaft erkenne er den vollen Umfang seiner Tätigkeit. Danach wisse er, welche Aufgabe er für seinen Staat Foto übernommen habe „und daß dazu ein Staatsbürger mit guter äußerer und innerer Haltung, mit dem Bewußtsein eines Treueverhältnisses zur freiheitlichen Demokratie, mit Pflichttreue, Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft“ gehöre. Das Wunschbild beschrieb den Grenzschützer als „tolerant gegenüber den Ansichten anderer, pünktlich, diszipliniert, anständig und kameradschaftlich“. So werde er „ein brauchbares Mitglied einer guten Truppe zur Sicherung der Grenzen der Bundesrepublik sein“. Solche und andere Texte trugen der Zeitschrift unter den BGS-Beamten den Beinamen „Jubel-Parole“ ein.
Zwar kursierte damals noch nicht der flotte Spruch vom „lebenslangen Lernen“, jedoch galt, dass der Grenzschützer sich flexibel auf veränderte Gegebenheiten einstellen musste: „Durch Abgänge, Entlassungen und Aufrücken zu anderen Dienststellungen wird es immer erforderlich sein, weitere, vielseitig verwendbare und gut ausgebildete Männer mit neuen Aufgaben zu betrauen.“ Dies konnte bedeuten, dass aus dem Schützen, dessen Waffe im Jahr 1956 noch der Karabiner 98k, wenig später das in Belgien produzierte FN-Gewehr war, ein MG-Schütze wurde oder aus einem Funker ein Funktruppführer. Mechaniker konnten sich fortbilden zu Elektroschweißern oder Schirrmeistern, der einfache Kraftfahrer konnte es zum Fahrlehrer bringen ebenso wie der Ausgebildete zum Ausbilder.
Um diese Multifunktionalität zu erreichen, richtete der Bundesgrenzschutz in Lübeck St. Hubertus technische Schulen und Lehrgänge in vielen Spezialgebieten ein. Zum Beispiel dauerte dort die Ausbildung zum Fernmeldemechaniker zwölf Monate. Um seine hohe Einsatzbereitschaft aufrechterhalten zu können, strebte der BGS eine weitgehende Autarkie an. Daher schulte man für die Reparatur von Waffen eigene Mechaniker. Die Pioniere erlernten in Theorie und Praxis unter anderem den Brückenbau, das Schweißen, die Handhabung von Planierraupen sowie die Durchführung von Sprengungen. Damit erhielten sie auch das technische Rüstzeug für einen Katastropheneinsatz.
Im frühen BGS setzte man auf die Formung einer Leistungs-Elite: „Der Schulung und Erziehung dieser Auslese – also künftiger Offiziere und Unterführer – widmen sich alle Vorgesetzten, insbesondere aber die Führer- und die Unterführerschule des Bundesgrenzschutzes.“ Der in den BGS eingestellte Offizier-Bewerber durchlief in drei Jahren
zahlreiche Lehrgänge. Um den Kontakt mit der Truppe und der Praxis nicht zu verlieren, wurde er während dieser Zeit immer wieder in selbige abkommandiert. Nach dem Bestehen der Offizierprüfung wurde er feierlich in das Offizierkorps eingeführt.Die Auswahl der Unterführeranwärter erfolgte in den Einheiten. Zunächst zog man sie, um ihre Befähigung zu prüfen, zum Dienst als Hilfsausbilder heran. Ein dreimonatiger Lehrgang bei den Grenzschutzkommandos oder an der Unterführerschule vermittelte ihnen danach die Kenntnisse und Fähigkeiten, eine Gruppe zu führen und diese „mit Lehrgeschick in Praxis und Theorie auszubilden“. Nach zwei Jahren Dienstzeit und Bewährung erfolgte in der Regel die Beförderung zum Wachtmeister, was regelmäßig mit der Funktion des Gruppenführers verbunden war.
Die Sportschule des BGS bildete Sportoffiziere und Wachtmeister als Riegenführer aus. Diese intensive Förderung führte zu zahlreichen nationalen Meistertiteln in der Leichtathletik, im Boxen und Schwimmen. Im Skilanglauf, beim Fechten und Schießen stellten sich in den 1950er Jahren sogar hervorragende internationale Erfolge ein.
Ausbildungsreform
Im Jahr 1976 erfolgte eine Neuordnung des Ausbildungswesens. Seither trennte der BGS Ausbildung und Einsatz voneinander, abgesehen von der Sicherung der Unterkünfte, die nach wie vor auch eine Aufgabe der Eleven blieb. Das hervorstechendste Merkmal der großen Reform stellte der Abbau des verbandsmäßigen Charakters des BGS dar. Damit näherte er sich den Organisationsstrukturen in den Polizeien der Bundesländer an. Dieser Wandel wurde wuchtig vollzogen. So scheute sich ein Autor in der vom BMI herausgegebenen Zeitschrift des Bundesgrenzschutzes nicht, mit den Kritikern der Reform hart ins Gericht zu gehen: „Die Veränderungen in unserer politischen Landschaft und das gesteigerte Bedürfnis nach Sicherheit zwingen nachgerade auch so bewährte Schlachtrösser wie den BGS zu einer gelegentlichen Roßkur,
wie es einige der so oft zitierten Männer der ersten Stunde empfinden müssen, wenn sie sich eine Rückschau auf den BGS von 1951 leisten.“Im Zuge der Reform wurden aus den vier Einsatzabteilungen in Coburg, Alsfeld, Bodenteich und Lübeck „Ausbildungsabteilungen l“. Dort fand die Grundausbildung der Dienstanfänger statt. Eine solche GSA A l war – wie die Einsatzabteilungen – in vier Hundertschaften und einen Abteilungsstab untergliedert. Zwei der Hundertschaften bestanden aus je vier Zügen – wie zuvor die geschützten Hundertschaften und die Stabshundertschaften – und zwei Hundertschaften aus je drei Zügen. So wollte man es erreichen, jährlich rund 400 Beamte in einer GSA A l auszubilden.
Der Modellversuch war nicht fehlerlos. So reichten in den Grenzschutzkommandos Süd und Nord die eingeplanten Ausbildungsabteilungen nicht aus, um deren großen Nachwuchsbedarf zu decken. Als Notlösung führte man die Grundausbildung teilweise in den Einsatzabteilungen durch. Als Mangelware erwiesen sich die Gruppenführer. Man sorgte für Abhilfe, indem pro Hundertschaft mehrere „Springerstellen“ geschaffen wurden. Modifizierungen waren auch erforderlich, weil die personelle Ausstattung der Krankenabteilungen unzureichend war. Auch bei der Waffeninstandsetzung musste nachjustiert werden. Man war in den Planungen davon ausgegangen, in diesem Bereich lasse sich Personal einsparen, da ja in den Ausbildungseinheiten keine schweren Waffen vorhanden waren. Es zeigte sich aber rasch, dass hier der Reparaturanfall bei den Gewehren und Pistolen gegenüber den Einsatzabteilungen deutlich zunahm. Ein Umstand, den die Bundeswehr aus ihren Ausbildungseinheiten nur zu gut kannte. Als strukturelles Problem erwiesen sich die schlechten Aufstiegsmöglichkeiten der Ausbilder. Zwar maß man in Sonntagsreden der Ausbildung und besonders den Ausbildern einen hohen Stellenwert bei, jedoch sah die Wirklichkeit nicht selten anders aus. Wer sich von dort freiwillig auf ausgeschriebene höherwertige Dienstposten einer Einsatzabteilung bewarb, wurde nahezu regelmäßig mit der Begründung abgelehnt, er verfüge ja über keine Einsatzerfahrung. Die bei der Suche nach treffenden Begriffen stets eifrige Truppe fand daher für die Ausbildungsabteilungen die Bezeichnung „Elefantenfriedhöfe“.
In einigen Bereichen blieb der BGS seiner von Beginn an feststellbaren Linie treu, zwar nicht alles, aber vieles selbst machen zu wollen. Dies belegen die Unterrichte in Politischer Bildung und Psychologie. Man war sicher: „Insbesondere die Verwendung nebenamtlicher Lehrkräfte erscheint im Fach (Berufs-)Psychologie problematisch, da zur Wahrnehmung dieses Faches allgemeinpädagogische Kenntnisse nicht ausreichen, sondern ein spezifisches Wissen um die Einsatzsituation des BGS-Beamten vorhanden sein muß, das sich letztlich nur aus langjähriger Erfahrung ergibt.“ Bei dieser Einschätzung ließ man außen vor, dass die im Jahr 1972 gegründete GSG 9 bereits sehr gute Erfahrungen mit externen Psychologen gemacht hatte. Diese hatten keine Mühe, sich in die regelmäßig schwierigen Einsatzsituationen eines Anti-Terror-Spezialisten hineinzuversetzen.
Durch die Verlängerung der Ausbildungszeit auf zweieinhalb beziehungsweise drei Jahre fiel seit dem Jahr 1977 in den Aufgabenbereich der GSA A II der halbjährige Laufbahnlehrgang, der den bisherigen Beamter-auf-Lebenszeit-Lehrgang ersetzte. Da der BGS einen Bedarf von 2000 bis 2200 Dienstanfängern unterstellte, musste jede GSA A II pro Jahr 500-600 Lehrgangsteilnehmer aufnehmen; denn hierin waren auch die Fortbildungs- und Verwendungslehrgänge enthalten. Allerdings gab es auch hier große, nicht rasch zu lösende Probleme, da lediglich die Abteilungen in Bredstedt und Fuldatal die angepeilte Kapazität abdecken konnten. Während man in Deggendorf das Platzproblem durch die Anmietung entsprechender Gebäude löste, ließ sich der Mangel in Walsrode nicht so einfach aus der Welt schaffen. Dort mussten neue Unterkünfte erstellt werden, um den Anforderungen des dritten Ausbildungsteiles gerecht werden zu können.
Dieser Ausbildungsabschnitt neuen Typs dauerte jeweils ein halbes Jahr. In 1080 Stunden wurde ein Fächerkanon gelehrt, der Staats- und Verfassungsrecht, Politische Bildung, Psychologie und Soziologie, Polizeiverwendung, Dienstkunde, Kriminalistik, Verkehrsrecht, Straf- und Strafprozessrecht, Bürgerliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht und Sport umfasste.
Da die GSA A II ausschließlich der theoretischen Ausbildung diente, schienen Verbandsstrukturen wie die Untergliederung in Züge und Hundertschaften überflüssig. An
ihre Stelle traten zahlenmäßig kleine Klassen oder Unterrichtsgemeinschaften.Mit der Reform von 1976 änderte der BGS seinen Charakter. Der einfache Dienst wurde abgeschafft – Grenzjäger gab es danach nicht mehr. Ebenso fielen die militärischen Amtsbezeichnungen der Offiziere weg, es wurde eine neue, zivilere Dienstkleidung beschafft und die Karrierechancen verbessert: Polizeivollzugsbeamte auf Zeit wurden nach 1976 nicht mehr eingestellt und auch im mittleren Polizeivollzugsdienst das Lebenszeitprinzip eingeführt. Da das BMI in Sorge war, dadurch könnte das Durchschnittsalter des BGS deutlich ansteigen, traf man Vereinbarungen mit den Bundesländern, die einen reibungslosen Wechsel in eine Landespolizei ermöglichten.
Nach der Reform von 1976 war vieles anders, nicht zuletzt, weil der Einfluss der Gewerkschaften auch im BGS stärker wurde. Der Anspruch, die BGS-Beamten nicht nur auszubilden, sondern auch zu erziehen, wich einer Laisser-aller-Haltung – abgesehen von der GSG 9, in der für einige Zeit noch manches anders war. Eine legendäre Anekdote des Ministerialdirigenten Ludwig Dierske aus den 1950er Jahren wäre 20 Jahre später nicht mehr möglich gewesen. Dierske, der Personalreferent des BGS, hatte einen Grenzjäger, der sich nach Dienstschluss in der Kantine die zweite Flasche Bier bestellte, freundlich mahnend gefragt: „Na, können Sie sich das denn leisten?“