NSU. Der Terror von rechts und das Versagen des Staates

Tanjev Schultz
Droemer Verlag, München 2018. 560 Seiten, 26,99 €.
ISBN 978-3-27628-0
Tanjev Schultz lehrt Journalismus an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Der Autor beschreibt die Geschichte des „Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)“, einer rechtsextremistischen Vereinigung, die zehn Menschen ermordete, mindestens drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verübte. Die Namen der drei Haupttäter Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe stehen aber nicht nur für Verbrechen – in der Mehrzahl begangen an Ausländern –, sondern in den Augen vieler auch als Synonym für ein Versagen des Staates im Kampf gegen den Rechtsterrorismus.

Vor seiner Lehrtätigkeit war Schultz über viele Jahre hinweg für die Süddeutsche Zeitung tätig. Sein Thema war die Innere Sicherheit und daher betrachtete er über lange Zeit den Fortgang des Prozesses gegen Beate Zschäpe. Der Autor ist sich sehr wohl bewusst, dass seine Möglichkeiten, mehr Licht in das komplex und auch kompliziert gelagerte Geschehen rund um den NSU zu bringen, begrenzt sind: „Selten war es so schwierig“, schreibt Schultz, „die ganze Wahrheit zu finden oder sich ihr wenigstens anzunähern.“ Bei der Aufarbeitung der Taten und der Hintergründe gibt sich der Autor sehr viel Mühe. Es gelingt ihm, in zehn Kapiteln ein dichtes Geflecht von Informationen zusammenzustellen und zu strukturieren. Dabei versucht er, den Boden gesicherter Erkenntnis nicht zu verlassen. So wird vor dem Leser eine Vielzahl von Fakten zusammengetragen. Dabei wird deutlich, wie nah Polizei und Verfassungsschutz zu unterschiedlichen Zeitpunkten dem Täter-Trio kamen.

Durch seine sorgfältigen Recherchen erkennt Schultz zahlreiche Widersprüche. Es ist „erstaunlich, wie lange der NSU stillhielt, wie lange die Terroristen darauf verzichteten, sich zu erkennen zu geben“, stellt der Autor fest. Das Trio fertigte mit durchaus großem Aufwand Dokumentationen über seine Taten. Dabei lehnten sie sich an den bekannten Zeichentrickfilm „Der rosarote Panther“ an. Obwohl sie von diesen Filmen zahlreiche Kopien anfertigten, verbreiteten sie diese aber nicht in der Öffentlichkeit.

Anhaltspunkte für „Das Versagen des Staates“, sieht Schultz zu unterschiedlichen Zeitpunkten in tatsächlichen – oder vermeintlichen – Pannen mehrerer Verfassungsschutzbehörden. Ins Blickfeld der Dienste sei Uwe Mundlos sehr früh geraten. Bereits Mitte der 1990er Jahre sei versucht worden, ihn für den Militärischen Abschirmdienst anzuwerben. Wenig später habe sich ein Landesamt für Verfassungsschutz bemüht, ihn als Vertrauensperson zu gewinnen. Noch vor den Morden sei das Trio dann bei verschiedenen Anlässen wiederum in Kontakt mit den Diensten gekommen, wobei gleich mehrere V-Leute Kontakt mit ihnen aufgenommen hätten. Der Autor konzentriert sich in diesem Teil seiner Recherche auf das thüringische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV). Er zeichnet den zum Teil gemeinsamen Lebensweg nach, den die Spitzenquelle des LfV Thüringen, Tino Brandt, mit dem Trio des NSU ging. Im NSU-Prozess führte die Zeugenvernehmung dieses Mannes dazu, dass sich Beate Zschäpe mit ihren Pflichtverteidigern überwarf. Schultz vermutet, die Angeklagte habe von ihren Verteidigern gefordert, dem Zeugen kritische Fragen zu stellen.

Schritt für Schritt löst Schultz das verwirrende Knäuel von Informationen auf, jedoch bleiben dabei viele Fragen offen. Er fasst zusammen: „Das Besondere am NSU-Komplex ist jedoch, dass nahezu alle deutschen Sicherheitsbehörden irgendwann etwas mit der Fahndung oder mit der Suche nach den Hintergründen der Verbrechen zu tun hatten.“ Er räumt ein, dass viele Hinweise auf das NSU-Trio vom Verfassungsschutz stammten und er ist sicher, der Staat könne die Neonazis nicht ohne Beobachtung gewähren lassen. Jedoch kommt Schultz nicht auf die Idee, das Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei zumindest zu lockern.

Dr. Reinhard Scholzen

 

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
Weitere Artikel des Autoren