Der Staat rüstete auf

Die Bewaffnung in staatlichen Institutionen in den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland

Von Dr. Reinhard Scholzen

In den frühen 1950er Jahren vergrößerte sich in den staatlichen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland ständig die Zahl derer, die eine Waffe tragen durften. Da die Behörden zudem die Ausgabe von Waffenscheinen unterschiedlich handhabten, wurde im August 1955 eine einheitliche Regelung gesucht.

Auch noch fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren zahlreiche Restriktionen der Alliierten in Kraft. Der jungen Bundesrepublik war es verboten, eigene Waffen herzustellen oder ihre Staatsdiener mit altgedienten deutschen Waffen auszurüsten. So sollte eine Remilitarisierung Westdeutschlands verhindert werden. Damals Auch in den ersten Jahren nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland untersagten die Alliierten die Verwendung deutscher Waffen. Daher wurden unter anderem in Frankreich produzierte Pistolen der Firma MAB importiert.
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gab es noch nicht die Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes, zu deren Aufgaben es später gehörte, für den Schutz hochrangiger Bundespolitiker zu sorgen. Da man aber Gefährdungen für die Spitzenpolitiker sah, kam man in Bonn auf die Idee, diese sollten selbst für ihren Schutz sorgen. Dazu kaufte das Bundesministerium des Innern in den Jahren 1950 und 1951 in der Fabrique Nationale (FN) in Herstal bei Lüttich insgesamt 135 Pistolen. Die aus Belgien stammenden Waffen des Modells 1910/22 im Kaliber 7,65 mm wurden sodann an die Schutzbedürftigen verteilt. Eine bekam der Bundeskanzler, Dr. Konrad Adenauer. Des Weiteren die Bundesminister des Innern: Dr. Robert Lehr; für Arbeit und Sozialordnung: Anton Storch; für innerdeutsche Beziehungen: Jakob Kaiser; für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Dr. Wilhelm Niklas; für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder: Heinrich Hellwege; für Wirtschaft: Prof. Dr. Ludwig Erhard; für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Eberhard Wildermuth; der Finanzen: Fritz Schäffer und der Justiz: Dr. Thomas Dehler. Darüber hinaus erhielten zahlreiche Staatssekretäre, zum Beispiel Dr. Franz-Josef Strauß, Prof. Dr. Walter Hallstein und Hans Ritter von Lex eine der belgischen Pistolen. Ebenso führten die Fahrer der Minister und der Staatssekretäre Waffen aus Herstal.

Persönliche Waffen

Zunächst war diese Bewaffnung der Minister und einiger Ministerialbeamten als „geheim“ eingestuft worden. Daher lassen sich die früh erworbenen Pistolen nicht ihrem Inhaber zuordnen. Da das Bundesministerium des Innern (BMI) die Großer Beliebtheit erfreute sich in den frühen 1950er Jahren die in Belgien in der Fabrique Nationale (FN) Pistole Model 1910/22..
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Bewaffnung der Ministerien am 26. April 51 auf „streng vertraulich“ herunterstufte, kann für die Zeit danach eine Vielzahl der Pistolen ihrem Besitzer anhand der Seriennummer zugeordnet werden: Ministerialdirektor Dr. Hans Globke, die rechte Hand von Bundeskanzler Adenauer, erhielt die Pistole mit der Seriennummer 155720. Sein Kraftfahrer führte eine FN Nr. 155301. Der persönliche Referent von Bundeskanzler Konrad Adenauer, Regierungsrat Hans Kilb, bekam im April 1952 eine Waffe mit der Seriennummer 155250.

Weitere hochrangige Beamte besaßen eine belgische Pistole: Ministerialdirektor Dr. Klaiber und Ministerialrat Bott, ebenso die Referenten Krantz und Mautwitz. Staatssekretär Dr. Lenz erhielt eine Waffe mit der Seriennummer 154983. Aus den Listen geht hervor, dass diese wenig später oder vielleicht sogar zeitgleich der Fahrer des Staatssekretärs besaß, der sie im März 1952 an seinen Kraftfahrerkollegen übergab. Dafür erhielt er eine andere Waffe mit der Seriennummer 155100.

Es war durchaus nicht unüblich, dass eine Pistole von mehreren Personen benutzt wurde. So war auf den Namen des Bundestagspräsidenten, Dr. Hermann Ehlers, eine belgische Waffe mit der Fertigungsnummer 155244 eingetragen. Die gleiche wurde auch seinem Chauffeur zugeteilt. Anders lagen die Dinge beim Bundesminister für den Marschallplan: Auf Dr. Gase wurde eine Pistole mit der Seriennummer 155385 eingetragen. Sein Fahrer bekam eine eigene FN (Fertigungsnummer 154664).

Im Bundespräsidialamt führten vier Personen eine 1910/22: Der Sicherheitsbeauftragte Hans Ulrich Krantz, der Fahrdienstleiter Alfred Mantwitz, der Amtsgehilfe Robert Karl und der Kraftfahrer Heinz Schild.

Beim Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der Alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen – dem Vorgänger des Verteidigungsministeriums – bevorzugte mancher ein schweres Kaliber, das damals eigentlich nur für Polizeibeamte vorgesehen war. Dort wurden im August 1954 drei spanische Astras, Modell Auch die spanische Astra-Pistole Modell 3000 wurde in den 50er Jahren von deutschen Staatsdienern geführt. In allen Waffenfragen hatten die Alliierten bis zum Jahr 1955 das Entscheidungsrecht.
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600/43, im Kaliber 9 mm ausgegeben an: Ministerialdirigent Dr. Wilhelm Rentrop: Nr. 31771, Ministerialrat Dr. Kurt Nothnagel: Nr. 31772 und Dipl. Ing. Generalleutnant a. D. Wolfgang Vorwald: Nr. 31773. Anhand der Seriennummern lässt sich nachweisen, dass diese Waffen im Sommer 1944 von Spanien nach Deutschland geliefert werden sollten. Die Alliierten fingen den Transport in Südfrankreich ab und schickten die Pistolen zum Produzenten zurück. Im Jahr 1951 kamen die Astras mit den Seriennummern im Bereich von 10501 bis 38500 dann doch nach Deutschland. In erster Linie waren sie bestimmt für die Beamten des Bundesgrenzschutzes und der Bereitschaftspolizei der Länder.

Darüber hinaus waren in der wenig später in „Amt Blank“ umbenannten Dienststelle auch 19 FN des Modells 1910/22 ausgegeben worden, wie ein Brief an das BMI vom 14. Januar 54 belegt. Die Pistolen erhielten: Generalleutnant a. D. Adolf Heusinger; Generalmajor a. D. Alfred Weidemann; die Obersten a. D. Graf von Kielmannsegg und Kurt Fett; die Ministerialdirigenten Ernst Wirmer, Dr. Eberhard Barth und Dr. Gerhard Loosch; die Ministerialräte Dr. Wolfgang Cartellieri, Elmar Brandstetter und Dr. Heinrich Kaufmann; die Oberregierungsräte Wolfgang Zirner sowie Dr. Werner Knieper; die Regierungsräte Friedrich Albert Pannenberg und Richard Kipper. Aufgrund der Seriennummer ist ersichtlich, dass die Waffe des Letztgenannten im November 1951 auf Staatssekretär Dr. Hans-Joachim von Merkatz aus dem Ministerium für Angelegenheiten des Bundesrates eingetragen wurde. Bei seiner Pensionierung gab er sie am 8. 11. 52 an das BMI zurück. Bewaffnet waren des Weiteren Regierungsrat Eugen Hebeler; Regierungsamtmann Hermann Gram; Kriminalinspektor Karl Manthey; Kriminalobersekretär Ewald Landmann und der Angestellte Jürgen Brandt.

Seit dem 10. September 1954 durfte auch der Leiter der Dienststelle des Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen, Theodor Blank, eine Pistole führen. Sein Persönlicher Referent, Heinrich Bucksch, war ebenfalls bewaffnet.

Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Wilhelm Niklas, besaß in den frühen 1950er Jahren eine belgische Pistole mit der Seriennummer 155181. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt erhielt diese sein Nachfolger, Dr. Heinrich Lübke, der spätere Bundespräsident. Auch der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Theodor Sonnemann, führte eine Pistole, ebenso der Chauffeur, Karl-Heinz Florian.

Aus dem Bundesministerium der Finanzen erhielten am 14. August 54 drei Angestellte der Bundeshauptkasse FN-Pistolen. Und seit dem 22. 11. 54 trug für alle Fälle auch der im Auswärtigen Amt tätige Kraftfahrer eine Schusswaffe bei sich.

Bundesminister Heinrich Hellwege, der für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder zuständig war, führte seit dem 6. November 1951 eine FN. Auch seine Kraftfahrer, Erich Pilger und Johannes Wichers, durften eine Pistole besitzen.

Aus Spanien kam ebenfalls das Modell Astra 600/43, das auch beim Bundesgrenzschutz eingeführt wurde.br>Foto:© AutorUnmittelbar nach ihrer Gründung wurde die Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes (BKA), die seit dem Frühjahr 1951 unter anderem für den Schutz des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers zuständig war, mit FN-Pistolen ausgerüstet. Neue Holster wurden für Waffen nicht beschafft, sondern die Futterale stammten aus Altbeständen der Bahnpolizei.

Anfang der 1950er Jahre gingen 15 Pistolen an das Bundesamt für Verfassungsschutz. Zwar kann nicht mehr genau festgestellt werden, wer welche Waffe bekam, aber zumindest ist der Personenkreis der Bewaffneten bekannt: Allen voran der damals noch kommissarische Leiter des Amtes, Dr. Otto John, und sein Stellvertreter Albert Radke. Die Regierungsdirektoren Dr. Franz Müllenmeister und Rudolf Merz, der Abteilungsleiter Dr. Konrad Gallen sowie die Referenten Dr. Günther Nollau, Hans-Jo Pietsch, Dr. Hans-Sigismund vom Berge und Herrendorff und Dr. Heinrich Hillebrandt. Regierungsoberinspektor Heinrich Gerch erhielt eine FN, ebenso die Kraftfahrer Peter Dahm, Herbert Dannenberg, Fritz Schulte, Franz Strock und Hans Weber.

Verschiedene Regelauslegungen

Innerhalb weniger Jahre stieg in den Ministerien die Zahl der Waffenträger deutlich an. Da jede Behörde die Voraussetzungen zu deren Erhalt ein wenig unterschiedlich handhabte, war es schon bald für das BMI nicht mehr in jedem Fall nachvollziehbar, wer eine Pistole aus welchem Grund zu seinem Schutz erhalten hatte. Manche Ministerien schöpften die Möglichkeiten großzügig aus. Das Auswärtige Amt (AA) sandte am 4. Februar 1955 an das Bundesministerium des Innern eine Liste mit 17 Beamten, Pförtnern und Wächtern des Haussicherungsdienstes. Lapidar wurde „gebeten, für diesen Personenkreis Waffenberechtigungsscheine auszustellen.1“ Sechs Wochen später beantragte das AA für vier weitere Personen Waffenberechtigungsscheine.

Einmal ausgegebene Pistolen blieben in der Regel ohne weitere Prüfung im Besitz der Berechtigten. Im Bundesministerium für Verkehr führten im Januar 1953 neun Personen – alles höhere Dienstgrade – eine italienische Pistole des Herstellers Beretta im Kaliber 7,65 mm. Zwei Jahre später bat das Ministerium, die mittlerweile abgelaufenen Genehmigungen zu erneuern. Da der im Jahr 1892 geborene Ministerialrat Fritz Schumann zwischenzeitlich aus dem Dienst geschieden war, wurde dessen Waffenberechtigungsschein an das BMI zurückgeschickt und gleichzeitig acht Verlängerungen beantragt. Am 29. März sandte aus dem selben Grund der Bundesminister für Verkehr den Berechtigungsschein für den Schifffahrtsmeister Rudolf Fenske zurück und bat, eine solche Bescheinigung dem Schifffahrtsangestellten Franz Watzata auszustellen. Das erbetene Papier wurde am 16. April an den Bundesminister für Verkehr geschickt. Da in die Zuständigkeit dieser Behörde auch die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung fiel, wurden hier sehr viele Waffenscheine beantragt. Im April 1955 verlängerte das BMI allein für dieses Ministerium insgesamt 250 Papiere für zwei weitere Jahre.

Während manche Behörden Pistolen recht großzügig an ihre Mitarbeiter verteilten, legte man bei anderen weitaus strengere Maßstäbe an. So waren nicht alle Bundesgrenzschutzangehörigen berechtigt, eine Waffe zu führen. In den BGS-Ausweisen der Mitarbeiter der Beschaffungsstelle war der Passus: „Er ist berechtigt, im Dienst Waffen zu führen“ durch eine Weisung des BMI vom Juni 1951 gestrichen worden. Jedoch gab es Ausnahmen von der Regel: Der für Waffen und Gerät (WuG) zuständige Dezernatsleiter Naujokat und sein Stellvertreter waren im Dienst bewaffnet, da sie „in Ausübung ihres Dienstes immer wieder zwangsläufig gezwungen sind, Waffen oder Munition mit sich zu führen, wobei es sich meist um Musterstücke, Versuchsstücke, Fertigungsproben, Verpackungsmuster oder Abnahmebeschusswaffen handelt.“ Diese Merkmale trafen zwar zumindest teilweise auch auf weitere Mitarbeiter von WuG zu, aber das BMI änderte diese Regelung erst im Jahr 1955, nachdem Erst gegen Mitte der 1950er Jahre durften wieder in Deutschland produzierte Waffen in den Ministerien verwendet werden. Das von der Firma Walther produzierte Modell PPk erfreute sich größter Beliebtheit, war aber auch vergleichsweise teuer.
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für weitere sieben BGS-Mitarbeiter beantragt worden war, in ihren Dienstausweisen die Streichung rückgängig zu machen.

Ganz anders positionierte sich das Bundeskriminalamt. Kriminalrat Griese beantragte am 25. 11. 1954 beim BMI, Waffenscheine für sieben Kraftfahrer auszustellen. Als Begründung führte er die „unverhältnismäßig hohen Zahl von nicht-beamteten Kräften beim Bundeskriminalamt (an), für die eine Ausstattung mit Dienstwaffen grundsätzlich nicht vorgesehen ist, und um den gelegentlich allein fahrenden Kraftwagenführern einen größeren persönlichen Schutz zu geben und ihnen zu ermöglichen, das ihnen anvertraute Fahrzeug zu schützen. Dienstwaffen vom Modell Walther PP stehen zur Verfügung.“ Nachdem er auch die Seriennummern der Pistolen übermittelt hatte, mit denen die gefährdeten Chauffeure ausgestattet werden sollten, hatte das BMI keine Einwände. Man bat Griese lediglich, die Anschriften der Kraftfahrer nachzureichen, da er diese in seinem Brief vergessen hatte.

 Regelungen des Bundes

Es fällt auf, dass für die Kraftfahrer des BKA Waffen aus deutscher Fertigung ausgegeben wurden und die in dieser Zeit häufigen Besitzwechsel der Pistolen für zunehmende Verwirrung sorgten. Das lag auch daran, dass immer wieder einmal die Umschreibung vergessen wurde. Abweichung zwischen Soll und Ist gab es auch, weil immer wieder einmal Waffen verloren wurden: So zeigte zum Beispiel das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit am 24. Dezember 1954 der Bonner Kriminalpolizei den Verlust der Pistole des Chefkraftfahrers an.

All diese Gründe sprachen dafür, dass sich das BMI im März 1955 einen detaillierten Überblick über die an die einzelnen Ministerien und weitere staatliche Institutionen ausgegebenen Waffen und Genehmigungen verschaffen wollte.
 
Vorhandene Waffen im Frühjahr 1955:
Bundespräsidialamt   4
Bundeskanzleramt 5
Auswärtiges Amt      12
Bundesministerium des Innern   13
 - für Justiz   4
 - für Wirtschaft 13
 - für Wohnungsbau 4
 - für besondere Aufgaben 1
 - für Landwirtschaft und Forsten 4
 - für Vertriebene   5
 - für Verkehr     14
 - für den Marschallplan   1
 - für gesamtdeutsche Fragen 4
 - der Finanzen   7
Dienststelle Blank      26
Bundesverfassungsgericht 6
Bundesgerichtshof    4
Physikalisch-technische Bundesanstalt 2
Bundesamt für den Warenverkehr der gewerblichen Wirtschaft 1
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung 246
Kraftfahrt-Bundesamt 3

                                                                     
Der Versuch blieb Stückwerk, wie am Beispiel des Auswärtigen Amtes belegt werden kann. In der Auflistung aus dem Frühjahr 1955 waren lediglich ein Dutzend Genehmigungen aufgeführt, es waren aber, wie oben bereits gezeigt, mindestens 21 Waffen im AA verteilt worden. Völlig außen vor blieben das Bundesministerium für Post und Fernmeldewesen sowie die Bundesbahn; denn beide durften unpersönliche Waffenberechtigungen ausstellen.

Um die „Ausstattung der Bundesbediensteten mit Dienstwaffen und entsprechenden Ausweisen“ einheitlich zu regeln, mussten alle Verantwortlichen an einem Strang ziehen. Zu diesem Zweck lud Hans Egidi, der die Abteilung Öffentliche Sicherheit leitete, für den 18. März 1955 Vertreter der obersten Bundesbehörden in das BMI ein. Regierungsdirektor Dr. Pioch aus dem BMI referierte zunächst die aktuelle Lage: Dem BMI war vom Militärischen Sicherheitsamt der Alliierten im Sommer 1951 die Kompetenz übertragen worden, die Bewaffnung der Bundesbediensteten federführend zu bearbeiten. Er habe unlängst festgestellt, „dass Bundesbedienstete mit Dienstwaffen nach sehr unterschiedlichen Gesichtspunkten ausgestattet werden. So seien Dienststellen vorhanden, die ohne zwingenden Grund Bedienstete mit Dienstwaffen ausstatten; andere Dienststellen dagegen lehnten es ab, Bedienstete mit einer Schusswaffe zu versehen, obwohl diese wirklich gefährdet seien.“ Wie aufs Stichwort lieferte Polizeidirektor Theuring, der im Auswärtigen Amt für Waffen zuständige Referent, einen Beleg für das Tohuwabohu. Er gestand ein, ihm sei nichts von den oben bereits erwähnten 17 Anträgen des Amtes bekannt gewesen. Die nachträglich erbetenen Waffenscheine für vier weitere Personen wird er wohl gekannt haben; denn ganz oben auf dieser Liste stand sein eigener Name.

Das BMI sah die Notwendigkeit, nicht zu warten, wie sich die Rechtslage nach dem Inkrafttreten der Pariser Verträge – mit denen Deutschland seine staatliche Souveränität erhielt – entwickelte, sondern den „nicht tragbaren Zustand einer solchen regelwidrigen Ausstattung von Bundesbediensteten mit Dienstwaffen durch das Aufstellen einheitlicher Richtlinien zu beseitigen.“ Dr. Pioch hatte vorgearbeitet und legte der Gesprächsrunde den vielseitigen Entwurf eines Erlasses vor. Dieser trat nach kleineren Änderungen am 4. August 1955 in Kraft. Seither konnte eine Pistole erhalten, wer „besonderen Angriffsgefahren ausgesetzt war: a) Kassierer und Kassenboten, die für den Schutz und die Sicherung größerer Geldbeträge und sonstiger Werte verantwortlich sind, b) Begleiter größerer Geldtransporte, c) Kuriere. Ferner können Angriffsgefahren ausgesetzt sein: a) Minister und Staatssekretäre, b) Bundesbedienstete, wenn sie aa) mit besonderen politischen Aufgaben betraut sind, bb) Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu begleiten haben, cc) allein in einsam gelegenen Dienststellen tätig sind. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind und eine Bewaffnung notwendig ist, ist sorgfältig zu prüfen.“

Als Bewaffnung waren regelmäßig Pistolen im Kaliber 6,35 mm oder 7,65 mm vorgesehen. Begleiter von Transporten großer Geldsummen und Gegenständen von erheblichem Wert hingegen „dürfen mit einer Maschinenpistole ausgerüstet werden.“ Exakt wurde festgelegt, dass jeder Berechtigte „die doppelte Patronenzahl, die ein Magazin aufnimmt“ erhalten sollte.

 Regelmäßige Waffenübungen

Im Erlass war darüber hinaus geregelt, dass zweimal jährlich Belehrungen im Umgang mit den Waffen zu erfolgen hatten, danach waren dann Pflichtübungen durchzuführen. Wer eine Maschinenpistole führte, musste mit ihr sogar dreimal im Jahr trainieren. Die mit einer Pistole ausgerüsteten Beamten mussten fünf Übungen auf eine Distanz von 25 Metern absolvieren und danach die Hülsen einsammeln: „Sie sind nach Verkauf als Altmaterial oder nach Abgabe an eine andere Bundesdienststelle zur weiteren Verwertung wieder in Abgang zu bringen.“

Jeder Berechtigte erhielt ein „Merkblatt über den Umgang mit Schusswaffen“. Die Waffe solle immer so behandelt werden, als sei sie geladen, stand da. Auch den Hinweis „Ziele nie zur Übung oder aus Scherz mit einer Schusswaffe auf einen Menschen“ vergaß man nicht. Unter Punkt 8 hatte sich ein sachlicher Fehler eingeschlichen: „Im normalen Wachdienst – auch beim Tragen der Pistole zum Selbstschutz – soll das Magazin gefüllt, die Pistole gespannt und gesichert, aber keine Patrone im Lauf sein. Diese Sicherheitsmaßnahme hemmt den raschen Gebrauch nicht. Durch Zurückziehen des Verschlusses kann die Waffe sofort schussfertig gemacht werden!“ Man hatte vergessen, dass vor dem Schießen die Waffe noch zu entsichern war.

Unterschiedliche Zuständigkeiten

Für die Ausstattung der Bediensteten des BMI und der nachgeordneten Dienststellen traf man auf der Basis des oben beschriebenen Erlasses am 27. September 1955 eine Regelung und betonte: „Der Kreis der Bediensteten, die zur Zeit eine Dienstwaffe führen, soll möglichst nicht erweitert werden.“ Das war nicht mehr als ein frommer Wunsch, den man durch die Regelung der Zuständigkeiten konterkarierte. Es wurde nämlich nicht eine zentrale Stelle im Ministerium geschaffen, sondern die Befugnisse aufgeteilt: Mitarbeiter des BMI mussten sich demnach in Waffendingen an das Referat Z 3 wenden. Für die zum Geschäftsbereich des Innenministeriums gehörenden Dienststellen war hingegen das Referat Z 9 zuständig, aber nur zum Teil; denn die Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundeskriminalamtes sollten ihre Untergebenen künftig selbst mit Waffen und den dazugehörenden Ausweisen ausstatten. Für den Bundesgrenzschutz und den Passkontrolldienst war im BMI die Abteilung VI zuständig. Deren Waffen fielen in die Zuständigkeit des Referats B 1. Alle übrigen Dienststellen sollten dem BMI zunächst ihren Waffenbedarf melden. Danach wollte man entscheiden, ob die Leiter dieser Dienststellen selbst die Befugnis über die Ausstattung ihrer Mitarbeiter mit Schusswaffen erhalten sollten, oder ob dies durch das Referat Z 9 geregelt werden sollte.

Man ging im BMI an die Arbeit. Seit dem 1. Juli 1955 ersetzte man die alten Berechtigungsscheine zum Führen einer Waffe, die als Grundlage besatzungsrechtliche Vorschriften anführten, durch neue Ausweise. Bis weit ins Jahr 1956 hinein trafen die mittlerweile ungültigen alten Dokumente im Ministerium ein.

In der Regel sollten die Waffen-Ausweise auf eine Person ausgestellt werden. In deren Dienstausweis war daher der Passus einzutragen: „Der Inhaber dieses Dienstausweises ist mit einer Pistole Fabrikat … Kaliber … und der erforderlichen Munition ausgestattet und zum Führen dieser Waffe berechtigt.“ Nur in Ausnahmefällen gestand das BMI die Möglichkeit zu, unpersönliche Waffen-Ausweise auszustellen, was insbesondere für Maschinenpistolen gelten sollte: „Da Bundesbedienstete Maschinenpistolen nur in besonderen Fällen mit sich führen, empfehle ich, für solche Fälle unpersönliche Waffen-Ausweise auszustellen, die mit der Waffe ausgegeben und wieder eingezogen werden.“

Ausnahmen von den Regeln

Bei den vielen beteiligten Akteuren und dem zumindest in der damaligen Zeit nicht zu unterschätzenden Reiz, eine eigene Waffe besitzen zu dürfen, konnten unterschiedliche Entscheidungen in dem weit gesteckten Handlungsrahmen nicht ausbleiben. Am 14. November 1955 beschloss das BGS-Referat VI A 1 des BMI – zuständig für Polizeiverwaltung – Verwaltungsbeamten des BGS, zu denen auch die BGS-Ärzte zählten, das Führen einer Waffe zu gestatten. Man traf diese Regelung, obwohl sogar in der Begründung der Zweifel erkennbar ist: „Wenn auch die Fälle, in denen diese Beamten mit Vollzugsaufgaben betraut werden, Ausnahmen bleiben werden, so wird man sie dennoch nicht außer Acht lassen dürfen.“ Bei dieser Sonderregelung dachte man an Staatsdiener, die „erhebliche Geld- und Wertsachen verwalten oder durch ihre Tätigkeit besonderen Angriffsgefahren ausgesetzt sind“. Aber das BMI öffnete die Tür zum Waffenbesitz noch weiter: „Soweit diese Voraussetzungen jedoch jetzt nicht vorliegen, ist darauf hinzuweisen, dass die Eigenart der Aufgaben eines Verwaltungsbeamten des BGS diesen plötzlich in eine Lage versetzen kann, in der er besonderen Gefahren ausgesetzt wird, z. B. durch einen plötzlichen Einsatz.“ Dieser Ukas eröffnete nahezu grenzenlose Spielräume für die Erteilung von Waffengenehmigungen. Das BMI hängte diese Regelung nicht an die große Glocke; denn andere Mitarbeiter, die objektiv betrachtet weitaus gefährdeter waren als zum Beispiel die BGS-Ärzte, blieben unbewaffnet. Um das Problem so gering wie möglich zu halten, entschied man sich, zu schweigen. Am 22. März 1956 legte Ministerialrat Dr. Pioch aus dem BMI fest: „Da die Beamten des Passkontrolldienstes nicht mit Schusswaffen ausgerüstet sind, sah das Referat VI B 1 ferner davon ab, dem Passkontrolldienst die Richtlinien vom 4. 8. 55 bekanntzugeben.“ Keine Frage, im BMI wurde in Fragen der Bewaffnung nicht immer sachgerecht entschieden.

Offensichtlich hatten die in der Bundesdienststelle für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Beschäftigten bessere Fürsprecher als die Männer im Passkontrolldienst. Da es in den Aufnahmelagern regelmäßig zu schweren Straftaten kam, erhielten die dort tätigen Beamten Waffen zu ihrer Selbstverteidigung, allerdings nicht die beantragten drei Pistolen und zwei Maschinenpistolen. Das BMI erachtete es als ausreichend, sie mit zwei Pistolen auszurüsten.

Der Sonderfall Berlin

Trotz – oder vielleicht gerade wegen dieses Regelungsmarathons blieben Fehler nicht aus. Hans Egidi war nach seiner Zeit im Bundesinnenministerium zum Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin-Charlottenburg ernannt worden. Dort hatte er erkannt, die Bestimmungen des BMI vom 27. September 1955 seien in den in Berlin ansässigen Bundesdienststellen nicht anwendbar, da sie „in Widerspruch zu dem Kontrollratsbefehl Nr. 2 vom 7. Januar 1946, der noch heute Geltung hat, stehen.“ Dies war keineswegs eine Marginalie; denn unerlaubter Waffenbesitz wurde in Berlin von den Alliierten hart bestraft. Als Höchststrafe war sogar die Verhängung der Todesstrafe möglich.

Der zuständige Mann im BMI, Ministerialrat Walter Bargatzky, informierte umgehend alle Obersten Bundesbehörden, über die besonderen Regelungen für Berlin. Er wolle sich aber bemühen, bei den westlichen Siegermächten eine sinnvolle Regelung zu erreichen, versprach er. Wie problematisch die Bewaffnung von Bundesbediensteten in Berliner Gedenktafel in Berlin-Mitte, Parochialstraße 1–3
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Berlin war, hatte sich bereits ein halbes Jahr zuvor bei der Lieferung von 600 Pistolen an die Zollbehörden gezeigt. Als einer der gerade eben bewaffneten Zöllner seinem britischen Kollegen stolz seine neue Waffe zeigte, löste dies bei den Alliierten einen Sturm der Entrüstung aus. Diese forderten umgehend von Otto Suhr, dem Regierenden Bürgermeister Berlins, die Einziehung der neuen Waffen, was nur mit großer Mühe verhindert werden konnte.

Waffenberechtigungen im Bundesgrenzschutz

Durch die seit Mitte 1955 geltenden Regelungen war ein großer Personenkreis berechtigt, die für das Führen einer Schusswaffe erforderlichen Ausweise auszustellen. Nirgendwo war die Kompetenzvielfalt größer als im BGS. Dort durften folgende Beamte Waffenberechtigungen ausstellen: Der Inspekteur des BGS beim BMI; die Kommandeure der Grenzschutzkommandos; der Kommandeur der Grenzschutzschulen; die Leiter der Grenzschutzverwaltungen; der Leiter der Passkontrolldirektion und der Leiter der Beschaffungsstelle des BMI. In ihrer Macht lag es, die unter ihrer Dienstaufsicht stehenden Beamten und Angestellten zu bewaffnen. Jedoch wurde betont: „Bei der Prüfung der Anträge ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Ausstellung der Bescheinigungen ist auf Ausnahmefälle zu beschränken.“ Es fällt auf, dass jetzt auch die Angestellten und Beamten des Passkontrolldienstes bewaffnet werden konnten. Dafür hatte man zehn Monate zuvor noch keine Notwendigkeit gesehen.

Sonderregelungen für die Bundeswehr

Trotz aller anderslautenden Absichtserklärungen erhöhte sich nach 1955 nicht nur im Bundesgrenzschutz die Zahl der zum Führen einer Schusswaffe berechtigten Personen deutlich. Dies stieß nicht überall auf Begeisterung. Der hessische Minister des Innern brachte das Problem bei der Sitzung des Arbeitskreises II (AK II) „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ auf die Tagesordnung. Ein Dorn im Auge war ihm, wie die Ausstellung von Waffengenehmigungen bei der Bundeswehr gehandhabt wurde: „Nach dem Runderlass des Bundesministers für Verteidigung vom 7. Juli 1956 können die Bataillonskommandeure Waffenscheine und Waffenerwerbscheine zum Führen und Erwerb von Faustfeuerwaffen ausstellen

  1. an Soldaten vom Feldwebel an aufwärts, wenn es zu ihrem persönlichen Schutz erforderlich ist;
  2. an Offiziere vom Hauptmann an aufwärts ohne Einschränkung. Diese Regelung wird den Bestrebungen der inneren Verwaltungen der Länder, die Zahl der im Verkehr befindlichen Faustfeuerwaffen so gering wie möglich zu halten, nicht gerecht.“

Der hessische Innenminister wollte erreichen, dass für die Unteroffiziere mit Portepee „engere Voraussetzungen“ und auch für die Offiziere eine Bedürfnisprüfung vorgesehen werden sollte. Alternativ schlug er vor, den Kreis der berechtigten Offiziere einzuschränken: Nur für Soldaten vom „Stabsoffizier an aufwärts“ sollten diese Genehmigungen erteilt werden können. Somit wären auch die Hauptleute waffenlos geblieben.

Hessen hatte in ein Hornissennest gestochen. Am 27. April 1957 informierte das BMI den Bundesminister der Verteidigung über die Einwände aus Wiesbaden, die es zum Teil teilte: Die Regelung, bei Offizieren vom Hauptmann an aufwärts auf eine Bedürfnisprüfung bei der Ausstellung eines Waffenscheins und Waffenerwerbscheins zu verzichten, „erscheint mir rechtlich bedenklich“. Zudem kannte man im BMI nur zu gut die für den BGS getroffenen restriktiven Regelungen vom 24. Januar 1957.

Im Mai 1957 trug Ministerialrat Dr. Pioch aus dem BMI den Sachverhalt in der Sitzung des AK II vor. Alle Vertreter der Länder waren sich von Beginn an einig, das im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) angewandte Verfahren sei mit den rechtlichen Vorschriften nicht vereinbar. Diese Bewertung brachte Oberregierungsrat Hans von Lex (2.v.r.), anlässlich des zehnjährigen Bestehens des BGS, 1961
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Frahm, der für das BMVg am Tisch saß in Wallung. Er beklagte, bei den Beratungen werde nicht genügend beachtet „dass früher in der Wehrmacht jeder Soldat eine Waffe zu tragen gehabt habe, und dass nicht übersehen werden sollte, dass die Verhältnisse auch sonst bei einem Soldaten anders liegen wie bei einem anderen Bürger.“ Für ihn war Soldat jedoch nicht nur ein Beruf sui generis. Es kam dem in der Grammatik nicht ganz sattelfesten, aber immerhin selbstbewussten Beamten noch ein weiteres Argument in den Sinn: „Letzten Endes koste eine Pistole so viel Geld, dass keine Gefahr bestehe, dass viele Offiziere sich eine solche beschaffen.“ Es kann nicht verwundern, dass diese Äußerungen Widerspruch erzeugten und ihn zur Widerrede anstachelten. Insbesondere durch Dr. Piochs Erwiderungen fühlte sich Oberregierungsrat Frahm beleidigt. Zwar forderte er nicht Satisfaktion, wollte den Vorfall aber seinem Staatssekretär melden. Mit Süffisanz schrieb Dr. Pioch dazu in einem Aktenvermerk, dadurch wolle Frahm erreichen, dass sich der Verteidigungs-Staatssekretär „bei Herrn Staatssekretär Ritter v. Lex (seinem Vorgesetzten, d. Verf.) über meine rechtlichen Ausführungen“ beschwere.

Der AK II beschloss salomonisch, für die Bundeswehr und den Bundesgrenzschutz die gleichen Regelungen anzuwenden. In diesem Sinne wurde am 15. 9. 1957 der 15 Monate zuvor ergangene Erlass über Waffenerwerb und Waffenführen modifiziert und insbesondere darauf hingewiesen: „Bei der Prüfung der Anträge ist ein strenger Maßstab anzulegen.“ In der Presse wurde dies zum Teil ganz anders bewertet. So meldete „Die Welt“ am 30. September: „Schusswaffen – Offiziere und Feldwebel der Bundeswehr dürfen künftig private Schusswaffen erwerben und tragen, wenn das in Ausübung ihres Dienstes erforderlich ist.“ Dass die Vorschriften für die Soldaten deutlich verschärft worden waren, war der Zeitung entgangen.

Notstand?

Im März 1959 kam wieder der Verdacht auf, die geltenden Regelungen würden im BMVg recht lax gehandhabt. Den Anlass dazu gaben die tödlichen Schüsse „eines Stabsarztes der Luftwaffe, der mit der Dienstpistole einen Mann erschoss, der seine Tochter beleidigt hatte.“ Weiter berichtete die Bonner Rundschau am 27. Februar: „Der Exhibitionist hatte versucht, sich der Festnahme durch den Stabsarzt und einen von diesem zur Mithilfe aufgeforderten 17jährigen Lehrling zu entziehen. Der Stabsarzt seinerseits gab, als der Unhold eine Mauer erkletterte, zwei Warnschüsse ab. Als sie nicht halfen, zerriss der dritte, gezielte Schuss die Leber des Flüchtenden und hatte seinen Tod zur Folge.“ Die Reaktionen in der Öffentlichkeit waren unterschiedlich. Sie reichten von völliger Zustimmung – ein Mann der angab, selbst Stabsarzt gewesen zu sein, äußerte sich in der Bonner Rundschau: „Ich hätte den Unhold sofort erschossen, ohne je Reue zu spüren“ – bis zu völliger Ablehnung. Ein Leserbriefschreiber hoffte, dem Stabsarzt werde ein gerechter Prozess gemacht. Im BMVg sah man „keinen Anlass, anzunehmen, dass die geltenden Vorschriften bei der Bundeswehr missachtet würden.“ Immerhin vertrat Ministerialrat Dr. Jess die Ansicht, der Stabsarzt habe „die Grenzen des Notwehrrechts überschritten.“

Am 20. Januar 1960 fragte das BMI bei allen Obersten Behörden und Ministerien nach, ob die seit dem 4. August 1955 geltenden Bestimmungen über die Ausstattung von Bundesbediensteten mit Dienstwaffen und entsprechenden Ausweisen noch beachtet würden. Als repräsentativ für die meisten Ministerien kann die Antwort des Bundesministers für Gesamtdeutsche Fragen gelten. Lakonisch teilte er dem BMI mit: „Es wird hier nach den Gemeinsamen Richtlinien verfahren.“ Für die Ministerien für Familien- und Jugendfragen sowie für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder und das Bundespräsidialamt stellte sich das Problem nicht, da sie niemandem eine Waffenberechtigung ausgestellt hatten. Für das Bundesministerium für Post- und Fernmeldewesen galten eigene Richtlinien ebenso für Heer, Luftwaffe und Marine sowie die Bundeswehrverwaltung, für die die Richtlinien über die Ausstattung von Kassenbeamten mit Dienstwaffen angewandt wurden.

In der Presse wurden die Dinge vereinfacht. In einem Beitrag in der Illustrierten „Stern“ vom Juli 1963 stellte der Redakteur die These auf, vor dem Waffengesetz seien nicht alle Bürger gleich, denn die „politische Prominenz in deutschen Landen kann sich Faustfeuerwaffen in die Tasche stecken, ohne den gesetzlich vorgeschriebenen Prozeduren unterworfen zu sein.“

Quelle:

[1]  Dieses und die folgenden Zitate stammen aus dem Bundesarchiv Koblenz, Bestand B/106, Archivsignatur: 36914.

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Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
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