Feuerwehrleute beim Bergen einer Person aus dem Unfallwagen
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Polizeiliche Bekämpfung von Geschwindigkeitsunfällen

Von Stefan Pfeiffer

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2017 verloren bei Verkehrsunfällen auf deutschen Straßen 1.536 Menschen ihr Leben. Das waren 90 Personen oder 6,2 % mehr als im ersten Halbjahr 2016. Insgesamt nahm die Polizei in dieser Zeit mehr Unfälle auf als im Vergleichszeitraum 2016: Die Anzahl stieg um 2,7 % auf rund 1,28 Millionen. Davon gab es bei 1,14 Millionen Unfällen ausschließlich Sachschaden (+ 3,0 %), bei 142.800 Unfällen (+ 0,1 %) kamen Personen zu Schaden1.

Erfreulicherweise hat sich die Zahl der Geschwindigkeitsunfälle seit 1991 deutlich reduziert. Unfälle mit Personenschaden, die durch zu schnelles Fahren verursacht wurden, gingen bis 2016 um mehr als die Hälfte zurück. Im gleichen Zeitraum reduzierte sich die Zahl der Verkehrstoten durch die Verkehrsunfallursache Geschwindigkeit sogar um rund 75 %. Das ist ein sehr großer Erfolg. Dennoch sind nicht angepasste oder überhöhte Geschwindigkeit nach wie vor die häufigste Ursache für einen tödlichen Verkehrsunfall: 34 % aller in Deutschland im Straßenverkehr Getöteten starben beispielsweise 2015 und 2016 bei Unfällen aufgrund der Unfallursache Geschwindigkeit.2;3 Diese Ursache wurde bei den 2016 aufgenommenen Unfällen mit Personenschäden 47.023 Mal registriert. Das entspricht einem prozentualen Anteil von 12,74 %4. Diese Zahlen machen deutlich, dass hier nach wie vor dringender Handlungsbedarf besteht, zumal die Bundesregierung mit ihrem Verkehrssicherheitsprogramm 2011 eine bundesweite Reduzierung der Verkehrstoten bis 2020 um 40 % anstrebt5, einschließlich 2016 aber erst eine Verringerung um 12 % erreicht wurde. Der Polizei, als wesentlicher Akteur im Bereich der Verkehrssicherheitsarbeit, insbesondere im Interventionsfeld Enforcement, kommt dabei eine herausragende Rolle zu. Sie hat, zusammen mit den Kommunen, durch Überwachungsmaßnahmen eine möglichst hohe Kontrolldichte zu gewährleisten, um die Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzungen durchzusetzen.

Sie ist auf die Unterstützung der politisch Verantwortlichen angewiesen. Leider ist das offensichtlich nicht allen Entscheidungsträgern bewusst. So berichtete im Juli 2017 Spiegel Online, dass sich Nordrhein-Westfalen nach dem politischen Wechsel von einer SPD-geführten zu einer CDU-geführten Landesregierung vom sogenannten Blitzmarathon verabschiedet. Die Initiative für den Aktionstag gegen Raser war einst von Nordrhein-Westfalen ausgegangen – die SPD-geführte Herbert Reul
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Landesregierung war also sozusagen der Erfinder des Blitzmarathons, einer Idee, die von anderen Bundesländern und sogar europaweit übernommen wurde. „Das Thema ist durch“, sagte der neue Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) der Westdeutschen Zeitung. „Ich sehe da keine Handlungsnotwendigkeit“. Anders sieht dies die Bundestagsabgeordnete und verkehrspolitische Sprecherin der SPD, Kirsten Lühmann. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 wurde vom DVR-Report unter anderem nachgefragt, wie sie die polizeiliche Kontrolldichte im Zusammenhang mit Verkehrsüberwachungsmaßnahmen in Deutschland bewertet. Frau Lühmann antwortete, dass die Kontrolldichte in Deutschland zu gering ist und erhöht werden muss6.

Kirsten Lühmann
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Zuletzt hatte Nordrhein-Westfalen im April 2016 beim Blitzmarathon mitgemacht. Bei der konzertierten Tempokontrollaktion waren an einem Tag landesweit 30.000 Temposünder auf den Straßen gemessen worden7. Dass solche Kontrolltage nachhaltig und flächendeckend wirken, belegt eine Studie des Instituts für Straßenwesen der Rheinisch-Westfälischen-Technischen Hochschule Aachen. Noch zwei Wochen nach dem Blitzmarathon halte der „Brems-Effekt“ an. Die Wissenschaftler untersuchten das Verkehrsverhalten in Köln, während und nach dem ersten europaweiten Blitzmarathon im April 2015. Nach dem Kontrolltag sank die Durchschnittsgeschwindigkeit um zwei bis drei km/h. Experten gehen davon aus, dass eine solche Entwicklung langfristig zu einem Rückgang der Verkehrsunfälle mit Toten und Verletzten um 15 % führen kann8.

Aber es gibt noch einige andere Ansätze, um die Polizei bei der Bekämpfung von Geschwindigkeitsunfällen zu unterstützen und dadurch letztendlich Menschenleben zu retten:

Halterhaftung für den fließenden Verkehr

Seit Beginn der 70er Jahre wird beobachtet, dass Halter von Kraftfahrzeugen in zunehmenden Maße ihre Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers versagen. Entweder lehnen sie jede Aufklärung - oftmals mit dem Hinweis auf das Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechtes - darüber ab, wer ihr Fahrzeug zum in Frage stehenden Zeitpunkt gefahren hat oder sie geben an, sich nicht mehr erinnern zu können, wem sie das Fahrzeug überlassen hatten. Die Folge ist, dass täglich deutschlandweit Hunderte von Polizei- und Verwaltungskräften damit beschäftigt sind, Fahrerermittlungen durchzuführen, um so, insbesondere nach festgestellten Geschwindigkeitsverstößen, den zum Tatzeitpunkt verantwortlichen Fahrzeugführer zu ermitteln. Während dieser Zeit stehen sie für andere polizeiliche Aufgaben nicht zur Verfügung. Nicht selten verlaufen diese aufwendigen Fahrerermittlungen erfolglos, was im Ergebnis zu einer Einstellung der Verfahren führt.

Für Halt- bzw. Parkverstöße, also Beanstandungen im ruhenden Verkehr, hat der Gesetzgeber auf diese Entwicklung 1987 mit der Einführung der „Kostentragungspflicht des Halters eines Kraftfahrzeugs“ gem. § 25a StVG reagiert. Fälschlicherweise wird in diesem Zusammenhang immer wieder von einer Falschparkender Smart
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Halterhaftung für den ruhenden Verkehr gesprochen. Der Fahrzeughalter wird aber nicht für den mit seinem Fahrzeug begangenen Parkverstoß belangt, sondern muss die Verfahrenskosten tragen. Vereinfacht ausgedrückt regelt § 25a StVG, dass wenn der Betroffene im Bußgeldverfahren trotz Ermittlungsbemühungen der Verfolgungsbehörde nicht ermittelt werden kann, der Fahrzeughalter nach Einstellung des Bußgeldverfahrens für die Kosten des Verwaltungsverfahrens aufkommen muss. Für die mögliche Höhe der festzusetzenden Gebühr ergibt sich derzeit nach der einschlägigen Regelung des § 107 Abs. 2 OWiG ein Betrag von 20 Euro. Hinzu kommen bei der obligatorischen Zustellung des Leistungsbescheides noch die Auslagen für die Zustellung von derzeit 3,50 Euro. Somit ergibt sich im Regelfall ein Betrag von 23,50 Euro. Wenn man die etwas höhere Gebühr für den Erlass eines Bußgeldbescheides gem. § 107 Abs. 1 OWiG mit derzeit 25 Euro ansetzt, kommt man zu einem Gesamtbetrag von 28,50 Euro für einen Leistungsbescheid zur Verfahrenseinstellung9. Dieser Betrag entspricht in etwa den Verwarnungsgeldvorschlägen des bundeseinheitlichen Tatbestandskataloges Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten für einfach gelagerte Halt- bzw. Parkverstöße und erscheint somit sinnvoll und zielführend.

Anders sieht es für den fließenden Verkehr aus. Hier gibt der Bußgeldkatalog regelmäßig Verwarnungs- bzw. Bußgeldsätze vor, die deutlich über 28,50 Euro liegen, die im Übrigen auch hier als Verfahrenskosten zusätzlich anfallen. Bei gravierenden Geschwindigkeitsverstößen gehen die Verfolgungsbehörden grundsätzlich von einer vorsätzlichen Begehung aus, was eine Verdoppelung der Sanktion zur Folge hat und nach derzeitigem Stand Bußgelder bis maximal 1.360 Euro nach sich ziehen kann10. Dies lässt die Übertragung des § 25a StVG auf den fließenden Verkehr als weniger sinnvoll erscheinen. Hier ist die Einführung einer Halterhaftung für den In Deutschland brauchen die Führer von Krafträdern keinen Schutzhelm zu tragen, wenn vorhandene Rückhaltesysteme angelegt sind.
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fließenden Verkehr zu favorisieren, was bedeutet, dass der Fahrzeughalter im Zweifelsfall für die mit seinem Fahrzeug begangene Verkehrsordnungswidrigkeit einstehen muss. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) hat in ihren im März 2017 erschienenen 50 Verkehrssicherheitspositionen auch das Thema Halterhaftung aufgenommen und dazu ausgeführt: „Die Halterhaftung ist Standard im europäischen Ausland – die in Deutschland zum Teil existierenden Verfassungsbedenken sind widerlegt. Ohne Halterhaftung entfaltet Verkehrsüberwachung nur unzureichend Wirkung, da eine Vielzahl von Verkehrsverstößen ungeahndet bleibt. Der (Anm. des Verfassers: polizeiliche) Personalansatz könnte optimiert werden“11. Dem ist nichts hinzuzufügen. Jetzt ist der Gesetzgeber gefordert.

Europaweite Harmonisierung der Bußgeldsätze für Verkehrsordnungswidrigkeiten und Einführung eines europäischen Punktesystems

Um ein höheres Maß an Verkehrssicherheit zu erzielen, ist es erforderlich, auf Änderungen im Verhalten der Verkehrsteilnehmer hinzuwirken12. Die entscheidenden Einflussfaktoren sind dabei das subjektive Entdeckungsrisiko, also die vom Verkehrsteilnehmer wahrgenommene Wahrscheinlichkeit, bei einem Regelverstoß entdeckt und sanktioniert zu werden, und die Höhe der zu erwartenden Sanktion. Experten gehen davon aus, dass jeder dieser Einflussfaktoren für sich allein gesehen nur eingeschränkt Wirkung entfaltet. Wird die subjektive Entdeckungswahrscheinlichkeit vom Verkehrsteilnehmer als gering bewertet, hat eine hohe Sanktionsmöglichkeit keinen nennenswerten Einfluss auf dessen Verhaltensweise. Umgekehrt gilt das Gleiche. Eine hohe subjektive Entdeckungswahrscheinlichkeit bleibt ohne Wirkung, wenn die zu erwartende Sanktion nur gering ist oder nicht erfolgt, insbesondere bei Verkehrsteilnehmer, die vorsätzliche Verkehrsverstöße begehen13. Für die Erhöhung der subjektiven Entdeckungswahrscheinlichkeit müssen die Länderpolizeien und die Kommunen Sorge tragen. Für die Festlegung der Sanktionshöhen ist der Verordnungsgeber verantwortlich.

Deutschland gilt im europaweiten Vergleich der Sanktionshöhen für Verkehrsverstöße nach wie vor als „Billigland“, auch bei der Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen. Nicht ohne Grund zeigen sich ausländische Verkehrsteilnehmer bei polizeilichen Beanstandungen nach Geschwindigkeitsüberschreitungen regelmäßig erstaunt, wie niedrig die damit zusammenhängenden Verwarnungen und Sicherheitsleistungen ausfallen. Es ist unbestritten, dass eine zielführende Sanktionierung von Verkehrsverstößen auch eine erhebliche präventive Wirkung entfaltet, die die Verkehrssicherheit erhöht und dazu beiträgt, Unfälle zu verhindern. Die deutschen Ahndungssätze sind dafür zu niedrig und wirken nicht abschreckend. Idealerweise sollten diese europaweit harmonisiert werden. Die positiven Effekte eines Verkehrspunktesystems für die Verkehrssicherheit sind in vielen europäischen Ländern belegt. Dem sollte Rechnung getragen und ein einheitliches europäisches Punktesystem eingeführt werden.

Konsequente Umsetzung der Enforcement-Richtlinie und des EU-Geldsanktionsgesetzes zur Sanktionierung von durch ausländische Verkehrsteilnehmer begangener Geschwindigkeitsverstöße ohne direkt nachfolgender polizeilicher Anhaltung14

Die EU-Enforcement-Richtlinie zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdender Verkehrsdelikte (RL 2011/82 EU)15 soll den Mitgliedsstaaten die Verfolgung von Verkehrsverstößen erleichtern, die von einem Verkehrsteilnehmer mit einem ausländischen Fahrzeug begangen worden sind. Die Richtlinie nennt ausdrücklich auch Geschwindigkeitsverstöße. Voraussetzung ist, dass die betroffenen Mitgliedsstaaten am elektronisch, automatisierten Datenaustausch der nationalen Fahrzeugregister (European Car and Driving Licence Information System = EUCARIS) teilnehmen. Das sind mit Stand 1. Dezember 2016 insgesamt 19 Mitgliedstaaten. Kurz gefasst haben die Mitgliedstaaten dann die Möglichkeit den Fahrzeughalter anzuschreiben und über den begangenen Verkehrsverstoß und die damit einhergehende Sanktionierung zu unterrichten. Wird das Verwarnungs- oder Bußgeld bezahlt, ist der Vorgang erledigt. Wenn nicht und es kommt zum Erlass eines vollstreckbaren Bußgeldbescheides, findet das Europäische Geldsanktionsgesetz16 Anwendung.

Die §§ 86 ff. des Gesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) enthalten Vorschriften zur erleichterten Vollstreckung von Geldsanktionen ab 70 Euro (inklusive Auslagen und Gebühren). Ziel ist die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen innerhalb der Europäischen Union. Europaweit wenden zwischenzeitlich 25 Mitgliedstaaten den Rahmenbeschluss an. Wenn also der Fahrzeughalter bzw. der Betroffene aufgrund des oben erwähnten Schreibens der Verfolgungsbehörde nicht reagiert bzw. nicht zahlt und ein vollstreckbarer Bußgeldbescheid ab 70 Euro vorliegt, kann das Bundesamt für Justiz auf Antrag der Verfolgungsbehörde die Vorgangsunterlagen an die zuständige Stelle in dem Mitgliedstaat, in dem die Sanktion vollstreckt werden soll, übersenden. Kommt es in dem angefragten EU-Land zur Vollstreckung, fließt der Erlös in den Staatshaushalt des vollstreckenden Staates.

Soviel zur Theorie. Leider sieht die Praxis in Deutschland anders aus. Zum einen wird die EU-Enforcement-Richtlinie von Bundesland zu Bundesland und von Verfolgungsbehörde zu Verfolgungsbehörde völlig unterschiedlich angewendet. Im schlechtesten Fall, und leider gibt es den, wird die Richtlinie überhaupt nicht umgesetzt, Verfahren wegen festgestellter Geschwindigkeitsverstöße erst gar nicht eingeleitet und die Beweisfotos ohne jegliche Ermittlungsversuche gelöscht. Noch schlechter sieht es bei der Umsetzung des EU-Geldsanktionsgesetzes aus. Hier muss festgestellt werden, dass diese rechtliche Möglichkeit, zumindest im Bereich der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten, derzeit bundesweit wohl kaum bis gar nicht zur Anwendung kommt. Seit Inkrafttreten des Gesetzes Ende 2010 sind lediglich 42.000 eingehende und 23.000 ausgehende Ersuchen vom Bonner Bundesamt für Justiz bearbeitet worden. Diese Zahlen entsprechen nicht einmal dem jährlichen Aufkommen an Bußgeldverfahren einer beliebigen deutschen Kleinstadt, die Geschwindigkeitsüberwachung betreibt. Letztendlich muss festgestellt werden, dass Betroffene, die in Deutschland mit einem im Ausland zugelassenen Fahrzeug einen Geschwindigkeitsverstoß begehen und nicht gleich von der Polizei angehalten werden können, sehr gute Chancen haben, auch im Nachgang zu keinem Zeitpunkt mit ihrem Fehlverhalten konfrontiert bzw. dafür sanktioniert zu werden. Das muss zeitnah im Sinne der Verkehrssicherheit geändert werden17.

Einführung einer Vorschrift zum Einbau von Unfalldatenspeicher (UDS) in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen

Die polizeiliche Verkehrsunfallaufnahme dient der Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie der örtlichen Unfalluntersuchung als Grundlage für das Erkennen von Schwachstellen im Straßenraum und für die polizeiliche Verkehrsüberwachung. Die in diesem Zusammenhang erhobenen Daten dienen außerdem den Zwecken der Statistik17. Unabdingbar für eine zielführende polizeiliche Verkehrsunfallaufnahme ist das Zusammentragen aller Fakten und Daten die das Unfallgeschehen rekonstruierbar macht. Hierzu dient auch ein UDS, der bei anderen Verkehrsträgern längst verbindlich vorgeschrieben und dessen präventive Wirkung unbestritten ist.

Zu diesem Thema hat die DPolG mit einer der 50 Verkehrssicherheitspositionen deutlich Stellung bezogen: „Unfalldatenschreiber (UDS) nehmen ständig Daten des Fahrzeugs auf, die für eine Unfallrekonstruktion von Bedeutung sind. Derzeit werden UDS nur auf freiwilliger Basis in Fahrzeuge eingebaut. Erkenntnisse aus dem Einsatz von UDS in Fahrzeugflotten belegen einen signifikanten Rückgang der Verkehrsunfallzahlen. Aufgrund fehlender verbindlicher Vorgaben sind UDS derzeit nicht in allen Fahrzeugen verbaut. Dadurch wird die Ermittlung von Unfallursachen erschwert. Zudem können sie ihre anerkannte unfallreduzierende Wirkung nicht entfalten. Die DPolG fordert deswegen zur Verbesserung der Unfallrekonstruktion sowie zur Steigerung der Verkehrssicherheit, UDS verbindlich vorzuschreiben“18.

Weitere Professionalisierung der polizeilichen Unfallaufnahme

Martin Schulz
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Immer wieder wird die Frage diskutiert, ob sonstige Sachschadensunfälle der Kategorie 5 („Bagatellunfälle“) nicht mehr polizeilich aufgenommen werden müssen. Aus der Politik wird gelegentlich gefordert, auf die Aufnahme zu verzichten. Zum Beispiel im Fernsehduell der Kanzlerkandidaten am 03. September 2017. Dort äußerte der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz: „Ich stelle mir zum Beispiel immer wieder die Frage, warum wir unsere Polizei mit Alltagsdingen belasten. Muss eigentlich die Polizei zu jedem Blechschaden ausrücken? Oder kann das nicht auch ein Ordnungsamt kommunal machen, den Schaden aufnehmen und dann der Versicherung melden?“19 Unabhängig davon, dass es fraglich ist, wie dieser Vorschlag mit den Ressourcen und Befugnissen eines Ordnungsamtes umsetzbar wäre, ist in der Bevölkerung wenig Verständnis dafür zu erwarten, dass die Polizei folgenlose Verkehrsverstöße regelmäßig verfolgt, Verkehrsverstöße, die mit einer Sachschadensfolge (Unfall) einhergehen, jedoch nicht (Wertewiderspruch). Erhält die Polizei Kenntnis von einem Verkehrsunfall, hat sie zu prüfen, ob Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und/oder zum Schutz privater Rechte zu treffen sind. Bei Verkehrsunfällen liegt regelmäßig der Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit oder gar einer Straftat vor. Darüber hinaus führt die polizeiliche Unfallaufnahme häufig zur Feststellung weiterer Delikte. Bei einer Nichtaufnahme „sonstiger Sachschadensunfälle“ stünden Daten (ca. 80 %) zur Entschärfung von Gefahrenstellen nicht mehr zur Verfügung. Die polizeiliche Aufnahme aller Verkehrsunfälle ist als hoheitliche Aufgabe unerlässlich. Darüber hinaus entfaltet sie eine „friedensstiftende Wirkung“ und gehört zu den von der Bevölkerung am meisten nachgefragten polizeilichen Dienstleistungen20.

Diese ebenfalls den 50 Verkehrspositionen der DPolG entnommenen Aussagen machen deutlich, wie hoch diesbezüglich die Erwartungshaltung der Bevölkerung gegenüber der Polizei ist. Darüber hinaus gewährleistet eine qualifizierte Verkehrsunfallaufnahme die zielführende Bekämpfung von Unfallursachen. In der Einsatzlehre spricht man in diesem Zusammenhang vom „vor die Lage kommen“. Umso unbefriedigender ist es, dass die polizeiliche Verkehrsunfallaufnahme in Art und Qualität deutschlandweit sehr unterschiedlich ist. Dies insbesondere im Bereich des Einsatzes von technischen Hilfsmitteln. Während an der einen Stelle noch mit Maßband, Messtisch oder nur dem Fotoapparat gearbeitet wird, kommen an der anderen Unfallstelle 3D-Laserscanner und Tachymeter zum Einsatz.

Ein herausragendes Beispiel hoch qualifizierter und professioneller Verkehrsunfallaufnahme ist die Arbeit des VU-Teams Köln. Hier geht man seit Jahren insgesamt einen anderen Weg. Neben einer hochmodernen technischen Ausrüstung wurde ein Spezialisten-Team geschaffen, das in der Lage ist, komplexe Unfälle schnell und gerichtsverwertbar aufzunehmen und bis zur Abgabe an die Staatsanwaltschaft zu bearbeiten. Die hoch motivierten Beamtinnen und Beamten agieren so erfolgreich, dass sie nicht nur im Bereich des Polizeipräsidiums Köln, sondern mit Anfahrtswegen bis zu 100 Kilometern auch in anderen Präsidialbereichen eingesetzt werden. Das führt zu einer deutlichen Entlastung der eigentlich örtlich für die Unfallstellen zuständigen Polizeidienststellen, die letztendlich nur noch die Verkehrsmaßnahmen übernehmen müssen, damit das VU-Team an der Unfallstelle sicher arbeiten kann. Auch die Kriminalpolizei greift zur Tatortrekonstruktion gerne auf die Technik und das Fachwissen der Kölner VU-Aufnahme-Experten zurück. Die Arbeitsergebnisse sind so gut, dass die Hinzuziehung von gerichtlich bestellten Gutachtern an die Unfallstellen, die vom VU-Team Köln bearbeitet werden, oftmals nicht mehr erforderlich ist. Alleine dieser Umstand ermöglicht ein schnelleres Räumen der Fahrbahn, mit allen damit einhergehenden Vorteilen. In Nordrhein-Westfalen plant man weitere derartige VU-Teams aufzustellen, um diese landesweit einzusetzen.

Die Erwartungen der Politik an die deutsche Polizei sind eindeutig und verlangen eine drastische Reduzierung der Unfallzahlen und der Verkehrstoten. Von der o. a. Zielerreichung sind wir in Deutschland leider noch weit entfernt und es wird immer wahrscheinlicher, dass wir diese bis 2020 auch nicht mehr erreichen können. Um dem entgegen zu wirken bedarf es zum Teil längst überfälliger Maßnahmen, die nicht in allen Teilen der Bevölkerung auf ungeteilte Zustimmung stoßen werden. Das erfordert von den Verantwortlichen Mut und die Überzeugung das Richtige zu tun. Das Ziel ist letztendlich Menschenleben zu retten, was braucht es mehr, um überzeugt zu werden?

 

Quellen:

1  www.auto-motor-und-sport.de/news/unfallstatistik-2017-zahl-der-10629857.html
2  Statistisches Bundesamt, Unfallentwicklung auf Deutschen Straßen 2015, Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 12.07.2016 in Berlin, 9.2. Seiten 30 ff.
3  Statistisches Bundesamt, Verkehr, Verkehrsunfälle 2016, Fachserie 8, Reihe 7, Seite 44 und Seite 308
4  www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereich/TransportVerkehr/Verkehrsunfaelle/Tabellen/Fehlver-haltenFahrzeugfuehrer.html
5  Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Verkehrssicherheitsprogramm 2011, Seite 5
6  www.dvr.de/presse/dvr_report/2017-02_blickpunkt.htm
7  www.spiegel.de/auto/aktuell/blitzmarathon-nordrhein-westfalen-will-keine-mammut-kontrollen-mehr-a-1157956.html
8  www.dvr.de/site.aspx?url=/html/aktuelles/sonst/blitz-marathon-studie-belegt-wirkung_id-4343.htm
9  Prof. Dr. Müller, Ausdehnung der Kostentragungspflicht des § 25a StVG auf den fließenden Verkehr, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 250, Ziffer 1.2.3.
10  Tatbestandskatalog, Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten des Freistaates Bayern, Kurzfassung auf Grundlage der bundeseinheitlichen Fassung, Tabellen 1 und 1a, Stand 17.10.2016
11  DPolG im DBB, 50 Verkehrssicherheitspositionen, 1. Auflage Marz 2017, Ziffer 8, Seite 10
12  Konzeptionelle Verkehrssicherheitsarbeit; Ausgewählte Aspekte wirkungsorientierter Verkehrsunfallbekämpfung; Ministerium des Innern Brandenburg, Abt. IV, Referat IV/4, Verkehrspolizeiliche Einsatzangelegenheiten Seite 4, Stand: Januar 2006
13  Konzeptionelle Verkehrssicherheitsarbeit; Ausgewählte Aspekte wirkungsorientierter Verkehrsunfallbekämpfung; Ministerium des Innern Brandenburg, Abt. IV, Referat IV/4, Verkehrspolizeiliche Einsatzangelegenheiten Seite 23, Stand: Januar 2006
14  Näheres dazu und Quellenangaben: Pfeiffer/Müller, Verfolgung von Verkehrsverstößen von Nichtinländern –Ungleichbehandlung schadet der Verkehrssicherheit-, DPolG, Polizeispiegel, Ausgabe Mai 2017, Seiten 18 ff.
15  ABl. L 288 vom 05.11.2011, Seite 1
16  Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/214/Jl des Rates vom 24.02.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen
17  Richtlinie für die polizeiliche Verkehrsunfallaufnahme, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren vom 30.04.1997, Az. IC4-3607.21-1-Krä (AllMBl. Seite 355)
18  DPolG im DBB, 50 Verkehrssicherheitspositionen, 1. Auflage Marz 2017, Ziffer 8, Seite 31
19  http://www.ardmediathek.de/tv/ARD-Sondersendung/Das-TV-Duell-Merkel-gegen-Schulz/Das Erste/Video?bcastId=3304234&documentId=45652922
20  DPolG im dbb, 50 Verkehrssicherheitspositionen, 1. Auflage Marz 2017, Ziffer 8, Seite 30


Über den Autor
Stefan Pfeiffer
Stefan Pfeiffer
Polizeidirektor Stefan Pfeiffer, Einstellungsjahr 1985 im mittleren Dienst, ist seit 2008 Leiter der Verkehrspolizeiinspektion Feucht und Mitglied der Fachkommission Verkehr der Deutschen Polizeigewerkschaft.
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