Skip to main content

 Dienst-Habichte des Ornithologischen Dienstes: Krähen- und Rabenabwehr im Kreml.

Kremls gefiederte „Abfangjäger“

Von Dr. Tatjana Schukowa

Goldene Kuppeln: Gefahr der Beschädigung durch Krähenkrallen beim „Hochzeitstanz“.Im Kreml in Moskau gibt es einzigartige „Abfangjäger“: Zehn Habichte und ein Uhu sichern die Lufthoheit über dem Kreml und schützen die goldenen Kuppeln der Kathedralen vor Krähen und Raben.

Der Kreml in Moskau, Amtssitz des Präsidenten der Russischen Föderation, wird von einem besonderen Feind aus der Luft bedroht: Krähen und Raben verschmutzen und beschädigen die Denkmäler, goldenen Kuppeln der Kathedralen und anderer historischer Gebäude. Sie verschmutzen die Bekleidung der Besucher und der Mitarbeiter des Kremls. Sie jagen Nachtigallen und andere Singvögel, die im Tajnitzkij-Garten im Kreml nisten. Besonders schädlich für die historische Bausubstanz ist ihr Balzverhalten: Die Krähen und Raben setzen sich auf die goldenen Kuppeln, rutschen nach unten und bremsen mit den Krallen. Dabei wird das Blattgold in Mitleidenschaft gezogen.

Früher wurden die lästigen Vögel über dem Kreml abgeschossen. Man hat auch versucht, die Raben mit Lärm- und Lichtanlagen zu verscheuchen. Der gewünschte Erfolg blieb aus. Deshalb entschieden die Kreml-Verantwortlichen, im Kampf gegen die Raben deren natürlichen Feinde einzusetzen – Habichte und Uhus. 1973 wurde der „Ornithologische Dienst“ des Kremls eingerichtet. Ursprünglich wurden auch Falken eingesetzt. Diese waren aber nicht sehr erfolgreich.

Jäger in der Stadt

Habichte eignen sich für das Leben und die Jagd im Zentrum Moskaus besser, weil sie „Sprinter“ sind. Sie erreichen schnell ihre Höchstgeschwindigkeit und jagen auf kurzen Strecken. Die Habichte verfolgen ihre Beute ca. 100 Meter weit. Erwischen sie sie nicht, beenden die Habichte die Verfolgung. Die Falken haben eine andere Strategie der Jagd, sie brauchen große Jagdterritorien – Felder und Wiesen, über die sie zum Beispiel einen Taubenschwarm auch kilometerweit verfolgen.

Ornithologischer Dienst

Der „Ornithologische Dienst“ ist eine Organisationseinheit des 1996 gegründeten föderalen Schutzdienstes der Russischen Föderation. Kernaufgaben des Schutzdienstes sind der Personenschutz für den Präsidenten und den Regierungschef, sowie der Schutz für ihre Gebäude und Anlagen. Der „Ornithologische Dienst“ besteht aus Vogelexperten, zehn Hühnerhabichten und einem Uhu.

Die geflügelten Mitarbeiter sind im Tajnitzkij-Garten im Kreml untergebracht, wo sie ständig Übungen haben. Die Vögel müssen den Befehlen nachkommen und danach In der Nacht fliegt Dienst-Uhu „Filja“ Streife über den Kreml.zu ihrem „Herrn“ auf den Handschuh zurückfliegen. Die Handschuhe sind aus Ochsenleder, damit die Vogelhalter durch die scharfen Krallen nicht verletzt werden. Die Vögel sind „gechipt“. Fliegt ein Habicht zu weit, kann seine genaue Lage mithilfe des Telemetriesystems und dem eingepflanzten Chip geortet werden.

Der wichtigste Teil des Dienstes ist die Jagd. Die Diensthabichte arbeiten in der Früh, wenn sich noch keine Touristen im Kreml aufhalten. Sie patrouillieren über dem Territorium des großen Gartens und suchen die Bäume ab. Entdeckt ein Habicht eine Krähe oder einen Raben, attackiert er ihn. Alle anderen Raben in der Nähe flüchten und halten sich vom Kreml fern – zumindest für einige Stunden.

Der Uhu „Filja“ sichert in der Nacht die Lufthoheit über dem Kreml. „Filja“ ist sechs Jahre alt. Die Flügelspannweite beträgt mehr als ein Meter. „Filja“ verfügt über ein sehr gutes Sehvermögen. Auch in totaler Finsternis „sieht“ er scharf. Der Uhu „sieht“ die Wärmestrahlung. Er kann sogar eine Maus unter dem Schnee orten oder einen Raben auf einem Ast.

Schnabelpolitur

Keine Krallenmaniküre nötig, die Vögel springen ausreichend auf der Erde herum und sitzen oft auf dem Handschuh und schleifen sich so ihre Krallen ab.Die gefiederten „Abfangjäger“ des Kremls brauchen wenig „Treibstoff“ und sind nicht reparaturanfällig. Die Vögel erhalten hauptsächlich weiches Futter und haben deshalb nicht die Möglichkeit, ihren Schnabel wie in der Natur abzuwetzen. Deshalb muss der Schnabel ab und zu „bearbeitet“ werden. Dafür verwenden die Mitarbeiter eine Juwelier-Poliermaschine. Um den Stress für den Vogel zu minimieren, führen die Mitarbeiter diese Prozedur möglichst schnell und zu dritt durch – einer hält den Habicht, der zweite schleift den Schnabel ab und der dritte leuchtet mit der Taschenlampe. Eine Krallenmaniküre brauchen die Vögel nicht – sie springen ausreichend auf der Erde herum und sitzen oft auf dem Handschuh und schleifen sich so ihre Krallen ab.

Repräsentative Aufgaben

Zusätzlich zur Bewahrung der „Lufthoheit“ über dem Kreml erfüllen die Dienst-Habichte und der Dienst-Uhu auch repräsentative Funktionen. Die Vögel nehmen an der Gardezeremonie auf dem Ssobornaja-Platz im Kreml teil. Diese Zeremonie wird von April bis Oktober jeden Samstag, um 11 Uhr, abgehalten. Im April beginnt die Mauser der Vögel, das Abwerfen und Nachwachsen der Federn. Die Dauer der Mauser ist von Vogel zu Vogel unterschiedlich. Deshalb wählen die Mitarbeiter der ornithologischen Gruppe jeweils den schönsten Habicht für die Gardezeremonie aus.

„Gruppenbild“ mit unserer Autorin.
Fotos (5) © Dr. Tanja Schukowa
Die Mitarbeiter des „Ornithologischen Dienstes“ tragen eine Felduniform und bei der Gardezeremonie die Paradeuniform, an die sich die Habichte erst gewöhnen müssen. Vor der Zeremonie setzt der Mitarbeiter den Habicht auf den Handschuh und geht mit ihm etwa eine Stunde spazieren. Danach zieht der Mitarbeiter seine Paradeuniform an und unternimmt mit dem Vogel einen weiteren, 15- bis 20-minütigen Spaziergang. Der Vogel muss ruhig bleiben und darf keine Reaktion auf nahekommenden Touristen zeigen.

Vor der Zeremonie werden die Vögel gewöhnlich nicht gefüttert, aber danach erhalten sie einen „Fleisch-Imbiss“ – Hühner und Mäuse. Beim jährlichen Militärmusikfest „Spasskaja Tower“ Ende August/Anfang September auf dem Roten Platz werden die Dienst-Habichte ebenfalls vorgeführt und oft auch der Dienst-Uhu „Filja“.

Über den Autor
Dr. Tatjana Shukowa
Dr. Tatjana Shukowa
Frau Oberst (a.D.) Dr. M.M. Tatjana Shukowa hat mehr als 20 Jahre in der Russischen Polizei gearbeitet, davon die letzten 13 Jahre als Dozentin am Lehrstuhl für Strafprozessrecht an der Universität des Innenministeriums der Russischen Föderation in Moskau. Sie beschäftigt sich mit Problemen der Kriminalitätsbekämpfung und Drogenbekämpfung in Russland und in anderen Staaten. Seit 2005 steht sie in ständigem Kontakt mit der österreichischen Polizei. Tatjana Shukowa ist die Autorin zahlreicher Artikel über Kriminalitätsbekämpfung. Ihre Fremdsprachenkenntnisse helfen bei der Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Kriminalitätsbekämpfung in anderen Staaten. Bücher: „Drogenbekämpfung in Österreich“ (2009), „Polizei in Russland: Geschichte und Gegenwart“ (2014).
Weitere Artikel des Autoren