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 Erinnerung an die Schlacht bei Morgarten im Jahre 1315

Der Schweizer Nachrichtendienst

Von Dr. Reinhard Scholzen

Der Nachrichtendienst der Schweiz kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Mit der vor einigen Jahren vollzogenen Fusion scheint der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) gut gerüstet für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft.

Anfänge im Mittelalter

Erinnerung an die Schlacht bei Sempach im Jahre 1386 Den Geheimdienst haben die Schweizer nicht erfunden, jedoch setzten sie bereits im Spätmittelalter Agenten ein [1]. In den Schlachten von Morgarten (1315) und bei Sempach (1386) war deren gute Kenntnis des Gegners mitentscheidend für den militärischen Erfolg. Einen deutlich höheren Organisationsgrad wies der Auskunfts- und Spionagedienst der Schweizer im Schwabenkrieg von 1499 auf, jedoch entwickelte sich daraus nicht ein ständig aktiver Nachrichtendienst, nur bei Bedarf stellte man in der Folgezeit Agenten ein. Daran änderte sich bis nach dem Ende der Alten Eidgenossenschaft im Jahr 1798 nichts.
Internierung der geschlagenen französischen Bourbaki-Armee, Schweizer Grenze bei VerrièresImmer noch vage fielen die Formulierungen über den Nachrichtendienst in der im Jahr 1847 verfassten Anleitung für den Generalstab aus: Auf der Ebene des Eidgenössischen Stabes und der Divisionen sollte es möglich sein, bei Bedarf Agenten einzustellen, wozu ein Haushaltsbudget geschaffen wurde. Ein Jahr später – vor dem Hintergrund der revolutionären Aktivitäten in Baden, Venetien und der Lombardei – appellierte der Bundesrat unter anderem an die diplomatischen Vertretungen im Ausland, an die Grenzpolizei und den Zoll, Informationen über die innenpolitischen Entwicklungen bei den nördlichen und südlichen Nachbarn zu beschaffen.
Während des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 zeigte sich die Schwäche der Schweizer im Bereich der Nachrichtendienste überdeutlich. Der Bundesrat erfuhr über den Waffenstillstand aus der Presse, hochrangige Schweizer Offiziere hingegen waren über den Kriegsverlauf und auch über dessen Ende bestens informiert.

Im Ersten Weltkrieg

Grundlegende Verbesserungen im Bereich des Nachrichtendienstes erfolgten jedoch auch in den Jahren bis zum Ausbruch des Ersten Herbstmanövers des III. Armeekorps der Schweizerischen Armee im September 1912Weltkriegs nicht. Zu Beginn des Aktivdienstes – des vereidigten Dienstes unter Waffen – im August 1914 bestand die 6. Sektion der Schweizerischen Armee, die für den Nachrichtendienst zuständig war, aus lediglich zwei Obersten, denen fallweise weitere Offiziere unterstellt wurden. Immer noch fehlte ein systematisch aufgebautes Informationsnetz. Die Erkenntnisse ergaben sich eher zufällig, aufgrund persönlicher Beziehungen von Schweizer Offizieren zu Kameraden in Frankreich und Deutschland. Bei diesen engen persönlichen Verflechtungen war es nur eine Frage der Zeit, bis es zu Problemen kommen musste. Die Öffentlichkeit erfuhr Ende des Jahres 1915, dass ein Mitarbeiter der Schweizer Dechiffrierabteilung russische Depeschen entschlüsselt und sodann den Inhalt an Busso von Bismarck, den deutschen Militärattaché in Bern, übermittelt hatte. Die beiden höchstrangigsten Nachrichtenoffiziere, die Obersten Dr. Friedrich Moritz von Wattenwyl und Karl Egli, wurden daraufhin entlassen und ihre Stellen neu besetzt.

Geheimdienst ist auch privat

Nach dem Ende des Krieges fuhr die Schweiz ihre Armee sowohl personell als auch materiell deutlich herunter, wovon auch der Nachrichtendienst nicht verschont blieb. Bis zum Jahr 1937 begnügte sich Helvetia mit einem Chef des Nachrichtendienstes, dem ein Sekretär unterstellt war, und einigen wenigen Offizieren, die wie in den Kampf im Gebirge, Schweizerische Armee im Ersten WeltkriegJahrzehnten zuvor bei Bedarf zum Nachrichtendienst kommandiert wurden. Was jedoch florierte, waren private Initiativen, die sich nicht nur auf den militärischen Bereich beschränkten. In den 1930er Jahren entwickelte sich das von dem Miliz-Hauptmann Hans Hausamann [2] geleitete „Büro Ha“ zum zweiten Standbein des schweizerischen Nachrichtendienstes.
Im Februar 1938 erließ der Generalstabschef eine „Weisung für den Neuaufbau des Nachrichtendienstes“. Unter anderem wurde dadurch die engere Zusammenarbeit zwischen Zoll, Polizei und Bundesanwaltschaft festgelegt; Militärattachés nach Berlin, Paris und Rom entsandt; das unmittelbare Grenzgebiet erkundet und nach militärischen Gesichtspunkten kartographisch erfasst; in einem Bereich von 30 bis 100 Kilometern von der Grenze – mit dem Schwerpunkt im süddeutschen Raum – ein enges Netz schweizerischer Vertrauensleute geknüpft, die insbesondere Aktivdienst der Schweizerischen ArmeeTruppenverschiebungen erfassen und melden sollten; ein eigenes Nachrichtenwesen innerhalb der Schweizerischen Armee aufgebaut, darüber hinaus eine Heerespolizei geschaffen und für die Chiffrier- und Dekryptierungsbüros sowie das Pressebüro eine eigene Leitungsebene installiert. Gleichzeitig wurde der Brieftaubendienst abgeschafft. [3]
Die Schweizerische Armee verfügte in den späten 1930er Jahren nur über sehr geringe Präsenztruppen, ihr Großteil bestand aus Milizionären, deren Mobilmachung einige Zeit in Anspruch nahm. Daher wäre eine möglichst perfekte militärische Aufklärung die conditio sine qua non gewesen. Die Eidgenossen behandelten diesen Bereich jedoch stiefmütterlich, was man als Indiz werten kann, dass sie die Bedrohung ihres Landes als nicht sehr hoch einschätzten. Der Militärhistoriker Walter Schaufelberger sieht hingegen den Grund für die Zurückhaltung beim Nachrichtendienst in einem „politischen Misstrauen gegenüber der unheimlichen Macht, die jeder Geheimdienst repräsentiert.“ [4]
Diese These widerlegen die im Verlauf des Krieges vollzogenen Veränderungen in der Organisationsstruktur des Nachrichtendienstes nicht. Die Schaffung der beiden Sektionen „Achse“ und „Alliierte“ und einige Beförderungen von Mitarbeitern brachten nicht den großen Sargans, Festung im GebirgeSchritt nach vorn. Wie schon Jahrhunderte zuvor, setzte man auf einen wenig koordinierten Einsatz von Agenten und Vertrauensleuten, wobei sich deren Tätigkeitsschwerpunkt immer mehr auf Deutschland bzw. die Achsenmächte verschob.
Während des Krieges erhöhte sich die Zahl der Mitarbeiter von zunächst zehn auf 120 – nicht eingerechnet mehrere hundert Agenten und Vertrauensleute –, jedoch stieg das Jahresbudget lediglich von 320.000 auf 750.000 Franken an. Der Nachrichtendienst war untergliedert in die Bureaus Deutschland, Frankreich und Italien und die in Luzern arbeitende Nachrichtensammelstelle 1 (Deckname „Rigi“), wo auch das mittlerweile offiziell in den Schweizer Nachrichtendienst integrierte „Büro Ha“ – Kodename „Pilatus“ – seine Hauptstelle hatte.
Die neutrale Schweiz entwickelte sich seit dem Ende der 1930er Jahre zu einer Drehscheibe für Informationen aller Art, die Agenten der Achse und der Alliierten mit stupendem Fleiß besorgten. In den Mittelpunkt der Agententätigkeit rückten bald nach Kriegsbeginn helvetische Unternehmen – nicht nur solche, die in der Waffenfertigung tätig waren – und auch die Banken in Basel, Bern, Genf und Zürich, die für alle Seiten von größtem Interesse waren. Oberst Roger Masson hatte mit Weitblick im Frühjahr 1939 klandestin die militärische Spionageabwehr aufgebaut. Erst rund ein halbes Jahr später gab die Landesregierung dazu ihr Einverständnis. Allein dieser zeitliche Verzug lässt schon erahnen, dass im Verlauf des Krieges im Bereich der Spionageabwehr das Verhältnis zwischen Politik und Militär nicht immer harmonisch war. Zwischen Soldaten und Diplomaten, der Legislative und Exekutive kam es immer wieder zu Streitigkeiten über die Kompetenzen. Darüber hinaus galt es, durch feinfühlige Justierungen die neutrale Position zwischen den Kriegführenden zu bewahren und die unterschiedlichen Präferenzen für das eine und das andere Lager zu harmonisieren.
Die Schweizer Geheimdienste hatten frühzeitig ein klares Bild über die Machtverhältnisse im Deutschen Reich. Deshalb wurden nicht nur die innigen Beziehungen zum OKW – die sogenannte „Wiking“-Linie [5] – gepflegt, sondern bald nach Kriegsbeginn auch der Kontakt zur Führungsspitze der SS geknüpft. Roger Masson selbst baute wahrscheinlich seit dem Spätsommer 1942 die Beziehungen zu Walter Schellenberg, dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes auf. [6] All dies führte dazu, dass Bern über die Absichten der deutschen Führung bestens informiert war. Angebliche Drohungen von deutscher Seite, die Eidgenossen im März 1943 – also unmittelbar nach der verlorenen Schlacht von Stalingrad – anzugreifen, verloren auch dadurch frühzeitig ihren Schrecken. Trotz alledem kam es während des Krieges mehrmals zu Fehlalarmen der Schweizerischen Armee, die in der Nachkriegszeit zum Teil scharf kritisiert wurden.
Weder die schriftliche Überlieferung noch persönliche Aussagen von Spitzenpolitikern und -militärs nach Kriegsende bringen vollends Licht ins geheime Dunkel. Räumt man all das Für und Wider, die persönlichen Eitelkeiten der Hauptakteure, die grundsätzlichen Differenzen zwischen Politik und Militär, die unterschiedlichen Einstellungen zu Frankreich und dem Deutschen Reich beiseite, so bleibt am Ende übrig, dass die Schweiz auch während des Zweiten Weltkriegs ihre Neutralität wahren konnte und von Kriegshandlungen weitgehend verschont blieb. Über die Qualität der Schweizer Nachrichtendienste im Zweiten Weltkrieg und ihren Beitrag zum Leistungsfähige einheimische WaffenindustrieFriedenserhalt wurde viel spekuliert. Als besonders hoch bewerteten die Autoren Pierre Accoce und Pierre Quet den Stellenwert der Eidgenössischen Agenten und gaben daher ihrem im Jahr 1966 veröffentlichten Buch den Titel: La guerra fu vinta in Svizzera – Der Krieg wurde in der Schweiz gewonnen.

Im Kalten Krieg

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wuchsen sehr rasch die Spannungen zwischen den Alliierten. Spätestens seit der Berlin-Blockade 1948 war Europa und wenig später nahezu die gesamte Welt in zwei antagonistische Machtblöcke geteilt. Im Kalten Krieg versuchte jede Seite, durch Spionage vermeintliche oder tatsächlich bestehende Stärken des Gegners auszugleichen und sich eigene Vorteile zu sichern. Den neutralen Staaten Österreich und ebenso der Schweiz kam in dieser Konstellation eine besondere Bedeutung zu. Dennoch beließ man es die Regierung in Bern zunächst bei der althergebrachten Organisation des Nachrichtendienstes.
Seit Mitte der 1960er Jahre beklagte Militär immer lauter die unzureichenden Möglichkeiten der Nachrichtendienste. Gleichwohl konnte man sich nicht zu mehr als Umstrukturierungen durchringen: 1969 wurde die „Lagekonferenz“ geschaffen, die bereits sechs Jahre später in den größeren Rahmen des „Sonderstabes Bundesrat“ eingegliedert wurde.
Wie bei allen Geheimdiensten erstreckte sich deren Tätigkeit sowohl auf einen möglichen Feind als auch auf die befreundeten Nationen. Im Jahr 1979 kam es zu einer Panne, von der die Öffentlichkeit erfuhr: Der Agent Kurt Schilling, ein Oberleutnant der Schweizer Miliz, wurde in Österreich festgenommen. Er hatte versucht, während einer Großübung Informationen über die Kampfkraft des österreichischen Bundesheeres zu sammeln. Nicht nur der Presse erschien das Vorgehen des Agenten wenig professionell. In die Kritik geriet auch sein Chef, Oberst Albert Bachmann, der bereits zehn Jahre zuvor für Aufsehen gesorgt hatte, als er an alle Schweizer Haushalte das „Zivilverteidigungsbüchlein“ hatte schicken lassen. Darin zeigte er die Gefahren auf, die von einem „Adolf Wühler“ ausgingen und gab Handreichungen, wie sich der brave „Wilhelm Eiferli“ gegen derartige subversive Tätigkeiten wappnen konnte. Hinter dieser skurrilen Fassade gestaltete Bachmann den Nachrichtendienst um. Neben dem bereits erwähnten „Büro Ha“, das nach 1945 nichts von seiner Bedeutung verlor – bis heute ungeklärt ist seine Rolle zum Beispiel bei der Bewaffnung des deutschen Bundesgrenzschutzes in den frühen 1950er Jahren –, unterstand ihm der „Spezialdienst“ (Spez D) und der „Ausserordentliche Nachrichtendienst“. Die Mitarbeiter des SpezD wurden für den Kampf gegen eine Besatzungsmacht geschult, hingegen deckte der „Ausserordentliche Nachrichtendienst“ die klassischen Agenten-Tätigkeiten ab: chiffrieren und dechiffrieren, die Aufklärung und diverse subversive Maßnahmen.
Nach der Affäre wurde, wen wundert es, der Nachrichtendienst wiederum umstrukturiert und der „Ausserordentliche Nachrichtendienst“ in eine private Organisation überführt. Unklare Zuständigkeiten, die Vermischung staatlicher und privater Institutionen, Konkurrenzdenken zwischen militärischer und politischer Ebene und der stets kritische Blick von Teilen der Presse und der Intellektuellen brachten den Nachrichtendienst immer wieder in die Schlagzeilen. Der Höhepunkt wurde im Jahr 1989 mit der „Fichenaffäre“ erreicht. Ausgelöst wurde sie durch die erste Bundesrätin der Schweiz, Elisabeth Kopp. Sie hatte ihren Ehemann vor laufenden Ermittlungen gewarnt und damit ein Amtsgeheimnis verraten. Eine deshalb eingesetzte Untersuchungskommission des Parlaments fand quasi als Beifang heraus, dass die Bundespolizei über verdächtige Bürger Dossiers angefertigt hatte. Am Ende kamen rund eine Million Fichen (Karteikarten) ans Tageslicht. In den Akten fanden sich gesammelte Erkenntnisse über Politiker und Demonstranten, Kernkraftgegner und Gewerkschafter, Linke und Rechte, Schriftsteller und Künstler. Die Kritiker sprachen vom gläsernen Bürger, dessen Vertrauen in den Staat beschädigt sei. Dieser wehrte sich zaghaft, man habe die Eidgenossenschaft doch gegen subversive Tätigkeiten aller Art schützen müssen.

Die letzten Schritte zum NDB

In der Organisationsstruktur wies der zivile Schweizer Nachrichtendienst am Ende des vergangenen Jahrhunderts im Bereich Inland und Ausland immer noch eine Doppelgleisigkeit auf. Die sich daraus ergebenden Probleme wurden zwar gesehen, aber mit der Schaffung eines Nachrichtenkoordinators im Jahr 1999 nur halbherzig angegangen. Es dauerte nur sechs Jahre bis der Bundesrat diese Funktion durch drei Auswerteplattformen ersetzte. Diese sollten die Lagebilder in den wichtigsten Feldern – Terrorismus, Proliferation von Massenvernichtungsmitteln und Organisierte Kriminalität – aufeinander abstimmen. Dass mehr Koordination nicht automatisch mehr Kooperation ergibt, erkannten die Parlamentarier. Es wurde eine Planungsgruppe eingerichtet, deren erklärtes Ziel es im Jahr 2007 war, die beiden Nachrichtendienste unter die Aufsicht eines Departements zu stellen. Nach einigen weiteren Schritten schuf das Parlament am 1. Januar 2010 aus dem primär für das Ausland zuständigen „Strategischen Nachrichtendienst“ und dem im Innern wirkenden „Dienst für Analyse und Prävention“ den „Nachrichtendienst des Bundes“.
Dr. Markus Sailer Chef NDB seit 2010An der Spitze des NDB steht Dr. Markus Seiler, ein ausgewiesener Fachmann für Verwaltung. Er wurde 1968 in Zürich geboren, studierte Staatswissenschaften an der Universität St. Gallen und promovierte dort mit 26 Jahren mit einer Arbeit über die Kleinstaaten im Europarat. Sein beruflicher Weg begann im Sekretariat der Schweizer Liberalen der FDP, daran schloss sich eine Tätigkeit als Referent im Finanzministerium an, danach übernahm er die Funktion des Generalsekretärs im Departement für Verteidigung. Im Jahr 2010 wurde er zum Direktor des NDB ernannt. Seiler wohnt in Spiez – dabei denken deutsche Fußballfreunde an den selbigen Geist und das Wunder von Bern.
Im November 2010 nahm der Chef des Geheimdienstes an der Herbsttagung der renommierten Schweizerischen Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften (SGVW) teil. In einem Podiumsgespräch ging es um die Frage: „Sind Krisen und der Umgang mit Krisen kommunizierbar?“ Dahinter steckt für einen Nachrichtendienst in einem demokratischen Staat letztlich die Gretchenfrage: Wie viel darf über das Geheime an die Öffentlichkeit gelangen. Seiler stellte heraus, der NDB kommuniziere generell und prinzipiell nicht öffentlich, sondern nur gegenüber den Partnern und Auftraggebern. Es sei an diesen, darüber zu entscheiden, ob, wann und in welcher Intensität zum Beispiel über Lageanalysen oder gar über die Handlungsempfehlungen eine öffentliche Kommunikation stattfinden solle. Er hob seine bisherigen positiven Erfahrungen – zu diesem Zeitpunkt war er noch kein Jahr im Amt – hervor. Zu seinen Grundsätzen zähle es, offen und ehrlich aufzutreten und zu der eigenen Verantwortung zu stehen; denn dies schaffe Glaubwürdigkeit. Seiler sprach sich für eine an der Lösung orientierte Kommunikation aus, wobei dies sogar Krisen einschließen könne, „wenn Fakten, Ursachen, Gründe bekannt sind und wenn andere Beteiligte oder die Auslöser der Krise die Verantwortlichen vollumfänglich aufdatiert (auf den aktuellen Stand gebracht, R. S.) haben.“ Eine Kommunikation innerhalb einer Krise sei jedoch nicht möglich, wenn „hinter der vordergründigen Krise ein grundlegendes Problem steckt.“ Schließlich unterstrich er, „durch Aussitzen und Schweigen ist eine Krise nicht aus der Welt zu schaffen. Im Gegenteil: es gibt Futter für Spekulationen.“ [7]

Sicherheit jährlich

Bundesrat Guy Parmelin - Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS)Die aktuelle Darstellung „Sicherheit Schweiz. Lagebericht 2016 des Nachrichtendienstes des Bundes“ beginnt mit einem Paukenschlag: „Mit der Verflüchtigung der ‚Schönwetterlage‘ ist die Sicherheitspolitik gefordert, Orientierung zu bieten.“ [8] Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, schrieb das Vorwort, nachdem Terroristen des Islamischen Staates (IS) die Anschläge in Frankreich und Belgien verübt hatten. Dennoch ist es für Politiker ungewöhnlich, schwierige Lagen als solche zu bezeichnen. Das gilt zum Beispiel auch für Deutschland. So wollte Bundesinnenminister Thomas de Maizière nach der Absage eines Fußball-Länderspiels in Hannover die Bevölkerung nicht beunruhigen und daher drängende Fragen nicht beantworten; denn „… ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“ Nach weiteren vielen, aber wenig sagenden Worten bat er die deutsche Öffentlichkeit um einen „Vertrauensvorschuss“.
Der NDB legt die wesentlichen Erkenntnisse in einem Lageradar vor. In einer vereinfachten Form – ohne vertrauliche Daten – wird dies auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diese abgespeckte Version enthält die fünf Tätigkeitsschwerpunkte: Terrorismus, Extremismus, Verbotener Nachrichtendienst, Proliferation und Politik-Wirtschaft-Militär und zeigt die Intensität von außen (latente Themen) bis zur Mitte, wo sich die gegenwärtigen Brennpunkte befinden. Die größte Gefahr droht der Schweiz von „Dschihadreisenden“, die als Einzeltäter oder Kleingruppen auftreten. Das Lageradar ist eine modellhafte Reduzierung der vom NDB gesammelten Erkenntnisse. Würde man daraus ablesen, dass Linksextremisten grundsätzlich für die Eidgenossenschaft gefährlicher sind als Rechtsextremisten und die nukleare Bedrohung im Allgemeinen als deutlich geringer eingestuft wird als die Anstrengungen des Iran im weiten Feld der Nukleartechnologien, so wäre diese Schlussfolgerung nicht korrekt.
Der NDB setzt auf Fakten, statt auf Mutmaßungen. Sachlich und kühl werden die Themen dargestellt, wie sie sind, nicht so, wie man sie – aus welchen Gründen auch immer – gern sehen möchte. Das führt zu einer klaren Sprache: „Es wird sich erst noch weisen, ob die eskalierten Migrationsbewegungen jene 90 Securitas Schweiz 2016 600x400 Company ASDFam VekoOnlineKrise darstellen, die die europäische Integration zum Stillstand bringt oder sogar den gesamten historischen Prozess seit dem Zweiten Weltkrieg in seinem Bestand gefährden wird.“[9]
Der NDB sieht Europa am Beginn einer neuen Konfliktlage mit Russland: „Die Ausdehnung des russischen Einflusses ist deutlich zu erkennen. Russland hat begonnen, den post-sowjetischen Status quo in Europa herauszufordern – auch militärisch.“ Damit sei – so die Schweizer – eine 25 Jahre dauernde Ära beendet worden, in der sich „auf dem alten Kontinent zwischenstaatliche Konflikte zurückbildeten.“ [10] Der NDB sieht wachsende Drohungen: „Ein Krisenfall in diesem Raum zwischen Ost und West – ob oberhalb oder unterhalb der Kriegsschwelle – würde möglicherweise ohne große Vorwarnzeiten zu einer Herausforderung der politischen Ordnung Europas werden…“ [11]

Zukunft des NDB

Am 25. September 2016 stimmten zwei Drittel der Schweizer für das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) ab, das im National- und Ständerat bereits im September 2015 jeweils mit einer deutlichen Mehrheit verabschiedet wurde. Das Gesetz sieht vor, den NDB auf eine den modernen Herausforderungen Rechnung tragende rechtliche Grundlage zu stellen. Dazu sollen auch die Kompetenzen und die technischen Möglichkeiten des NDB ausgeweitet werden. Dies soll zu besseren Lagebeurteilungen und damit zu mehr Sicherheit für die Bürger führen. Zukünftig kann der Bundesrat den NDB zum Schutz der verfassungsrechtlichen Grundordnung, der Außenpolitik und auch des Wirtschafts- und Finanzplatzes Schweiz einsetzen. Angesichts der Bedrohungslage erscheint eine Zustimmung zu diesem Gesetz sicher. Bereits im Frühjahr 2016 stellte der NDB in einer Broschüre heraus: „Die Akteure, die die innere und äußere Sicherheit der Schweiz bedrohen, sind zunehmend aggressiver, und die Bedrohungsformen für unser Land und unsere Bevölkerung werden immer komplexer.“ Manche Kritiker, die in dem neuen Gesetz zu viel geheime Macht entdecken, dürfte beschwichtigen, dass es vorsieht, den Nachrichtendienst durch das Bundesverwaltungsgericht, den Sicherheitsausschuss des Bundesrates und den für die Verteidigung und den Bevölkerungsschutz zuständigen Bundesrat zu kontrollieren.
Die Schweiz scheint mit ihrem, vor wenigen Jahren geschaffenen NDB und dem Ende September 2016 vom Volk abgesegneten neuen Gesetz über den Nachrichtendienst gut gerüstet für die Herausforderungen, die eine deutlich komplexer und auch komplizierter gewordene Welt mit sich bringt. Die Zukunft Helvetiens hängt jedoch ganz wesentlich davon ab, ob auch die anderen Staaten Europas den Wandel, der sich anbahnt, erkennen und daraus die richtigen Konsequenzen ziehen. Ansonsten könnte es den Europäern trotz der weitsichtigen Schweizer so ergehen, wie es der Däne Søren Kierkegaard beschrieben hat: „In einem Theater brach hinter den Kulissen Feuer aus. Der Pierrot trat an die Rampe, um das Publikum davon zu unterrichten. Man glaubte, es sei ein Witz und applaudierte. Er wiederholte seine Mitteilung, man jubelte noch mehr. So, denke ich mir, wird die Welt eines Tages untergehen.“

(© Alle Fotos: Zentrum elektronische Medien (ZEM),Schweiz)

Quellen:

[1] Vgl. zur Geschichte: Roland Haudenschild: Der Nachrichtendienst in der Schweiz. In: Armee-Logistik 8, 2002, S. 3-4; 9, 2002, S. 3-5.
[2] Vgl.: Gerhart Schürch, Georg Thürer, Konrad Widmer: Hans Hausamann 1897-1974. Gedenkschrift zum 10. Todestag. 1984, o. O.
[3] Es sei lediglich erwähnt, dass später immer wieder die Möglichkeiten des Einsatzes von Brieftauben geprüft wurden. Mitte der 1970er Jahre wurden sie bei den legendären „17ern“, den Fallschirmaufklärern der Schweizerischen Armee, erprobt, allerdings mit geringem Erfolg. Vgl.: Kaj-Gunnar Sievert: Die 17er – Die Fallschirmaufklärer der Schweizer Armee. Stuttgart 2010. S. 63.
[4] Walter Schaufelberger: Sorgenkind Nachrichtendienst. In: Allgemeine schweizerische Militärzeitschrift 6, 1990, S. 337-341; 7/8, 1990, S. 414-420. Hier S. 338.
[5] Vgl. grundlegend: Pierre-Th. Braunschweig: Geheimer Draht nach Berlin. Die Nachrichtenlinie Masson-Schellenberg und der schweizerische Nachrichtendienst im Zweiten Weltkrieg. Zürich 1990. 
[6] Siehe dazu: Erwin Bucher: Zur Linie Masson-Schellenberg. In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 38, 1988, Nr. 3, S. 276-302. Siehe darüber hinaus: Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungscorps des Reichssicherheitshauptamtes. Hamburg 2002, S. 718.
[7] Zitiert nach: www.sgvw.ch/wp-content/uploads/Dossier_31_Seiler.pdf
[8] Sicherheit Schweiz. Lagebericht 2016 des Nachrichtendienstes des Bundes. S. 5
[9] Sicherheit Schweiz. Lagebericht 2016. S. 13.
[10] Sicherheit Schweiz. Lagebericht 2016. S. 16.
[11] Sicherheit Schweiz. Lagebericht 2016. S. 17.

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
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