Skip to main content

„Beten und morden“, das ist die Devise der IS-Terrorkrieger © Foto Archiv G

Der Islamische Staat

Versuch einer Darstellung

Von Klaus Henning Glitza

Sie schien aus dem Nichts zu kommen: die mächtigste, gefährlichste und finanzstärkste Terrororganisation der Welt, die sich selbst „Islamischer Staat“ (IS) nennt. Doch war es wirklich so? Veko-online recherchierte, dass die „Pol-Pot-Islamisten“ keinesfalls einem Nirwana entstiegen. Geheimdienstler, taktierende Politiker, Ölprinzen und entmachtete Eliten trugen über längere Zeiträume direkt oder indirekt, gewollt oder ungewollt, dazu bei, dass die radikalsten und brutalsten Jihadisten aus eher bescheidenen Anfängen zu einer ernst zu nehmenden Militärmacht mutieren konnten.

Der sogenannte „Islamische Staat“ stellt längst eine „größere Herausforderung für die westliche Staatengemeinschaft dar“ als Al-Qaida, wie der Bundesnachrichtendienst analysiert. Denn der IS bedroht heute den Nahen Osten, aber auch Europa. Nur 400 Kilometer von Sizilien entfernt und direkt an der syrisch-türkischen Grenze, also an den Außengrenzen der NATO, wütet eine erbarmungslose Guerilla, tobt der Jihad, der so genannte Heilige Krieg. Im Visier steht letztlich die gesamte Welt, denn -ebenso wie die Muslimbrüder oder Al-Qaida - beansprucht der IS die globale Herrschaft.

Und: Der IS will den „Heiligen Krieg“ mit der westlichen Staatengemeinschaft mit allen Mitteln. Die an den Tag gelegte extreme Brutalität sei nicht zuletzt ein Instrument, den darüber entsetzten Westen in einen Krieg zu locken, wissen Insider. Es wirkt wie eine Generalprobe für einen neuen Weltenbrand. Denn alle Nationen, die widerstreitende Interessen haben und sich gegeneinander befehden könnten, von den USA und Europa, über China und die Russische Föderation, bis hin zu Israel, Palästina, Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten, sind in unterschiedlichem Maße in die Kampfhandlungen involviert. Der IS - eine Gefahr für die gesamte Welt.

Die Kriegsflagge der IS – Schwarz  und mit der Schahada, dem islamischen Glaubensbekenntnis versehen: „Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist der Prophet Gottes.“ Foto: Archiv GDieses Gefahrenpotenzial ist Anlass genug, einmal genauer hinzusehen. Wo liegen die Wurzeln des IS, woran glauben die Terrorkrieger, wer hat die entfesselte islamistische Terrortruppe protegiert, was bedeutet der sogenannte „Islamische Staat“ für die globale und nationale Sicherheit? Das sind nur einige der brennenden Fragen, die in diesem Beitrag beantwortet werden sollen.

 

Welche  Entstehungsgeschichte hat die Terrortruppe?

IS ging als Tochtergeschwür aus dem bisherigen Nonplusultra des Terrors Al-Qaida hervor. Die Ursprünge liegen im Jahre 2000, als in Afghanistan die Gruppe Al-Tawhid Wal-Jihad (Glaubenseinheit und Heiliger Krieg) gegründet wird. Zwei Jahre, nach dem Sturz des Taliban-Regimes, werden ihre Anhänger vertrieben. Viele flüchten in den Irak, wo ihnen der Widerstand gegen die US-Besatzungstruppen und die inneren bürgerkriegsähnlichen Konflikte Auftrieb verleihen. Neben internationalen Jihadisten aus Jordanien, Syrien, Palästina und dem Libanon, darunter überwiegend Al-Qaida-Anhänger, schließen sich ihnen einheimische Seine einstigen Eliten sind in den IS integriert. Iraks Ex-Diktator, der inzwischen hingerichtete Saddam Hussein. Foto. Archiv G Ex-Soldaten an, die von den Siegern nicht nur sprichwörtlich in die Wüste geschickt worden waren. Auch einstige Eliten des Saddam-Regimes und sunnitische Stammesführer entdecken das Potenzial der Terrortruppe. Anführer war seinerzeit Abu Musab az-Zarqawi, ein gebürtiger Jordanier, der eigentlich Ahmad Fadhil Nazzal al-Chalaila hieß. Ende 2003/Anfang 2004 wird die Terrortruppe in „Al-Qaida im Irak“ umbenannt. Doch schon bald zeigte Zarqawi, dass er ganz eigene Vorstellungen hat. Im Visier seiner Terroristentruppe standen  vordergründig US-Soldaten, aber mehr noch Schiiten, Christen und Jesiden. Az-Zarqawi erklärte die Schiiten gar zum Hauptfeind - noch vor den US-Truppen. Das war selbst dem wenig zimperlichen Bin Laden zu viel. Der Terrorfürst hatte sich für eine Versöhnung mit den Schiiten ausgesprochen, um mit ihnen gemeinsam gegen den Westen zu kämpfen. Doch das bekümmerte den jordanischen Hardliner, auch „Schlächter des Islam“ genannt, nicht im Geringsten. Am 7. Juni 2006 wird Zarqawi selbst zum Opfer, er stirbt bei einem gezielten Luftschlag der U.S. Air Force.

Nach seinem Tod wurde ein No-Name-Terrorist, der nur wenigen Mitstreitern bekannte Ägypter Abu Ayyub al-Masri, eigentlich Abu Hamza al-Muhajir, Chef der Terrortruppe. Sein Stellvertreter war ein gewisser Abu Umar al-Baghdadi (ursprünglich Ibrahim Awad al-Badri), ein aus dem irakischen Samarra stammender promovierter islamischer Rechtswissenschaftler. Nach dem Tod von al-Masri im April 2010 wurde der Iraker mit dem Doktortitel zum Emir (Anführer) des IS.

Seit 2011 bot der syrische Bürgerkrieg ein weiteres Betätigungsfeld. Die Terrortruppe, nunmehr unter der Führung von Abu Bakr al-Baghdadi, benannte sich abermals um. Diesmal in „Islamischer Staat im Irak und in der Levante“ beziehungsweise „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“. Dadurch wurden auch die letzten Bande mit Al-Qaida gelöst. Denn das Netzwerk um den Bin Laden-Erben Aman az-Zawahiri hatte die Al-Nusra-Front als „Al-Qaida in Syrien“ zum alleinigen jihadistischen Außenposten des Terrornetzwerkes auserwählt.

Die Anhänger des „Islamischen Staat im Irak und Syrien“ scherten sich aber nicht darum und bekämpften War am Aufschwung des IS nicht unbeteiligt: Syriens Diktator Assad. Foto: Archiv Gstattdessen Al Nusra, indem sie (siehe auch den Abschnitt  Geheimdienst) deren Kommandeure töteten. Stellung um Stellung der Al-Nusra-Front wurde so eingenommen. Der IS wirkte zunächst wie ein alles vernichtendes Virus im Betriebssystem der Anti-Assad-Milizen. Während Gefechte mit den syrischen Regierungstruppen vermieden wurden, galten die „Kampfhandlungen“ vor allem den konkurrierenden Gruppen. Neben anderen kleineren islamistischen Guerillatruppen wurden die Freie Syrische Armee und die Milizen der kurdischen Minderheit attackiert. Dem IS ging es in Syrien um nichts anderes als Machtausweitung. Das hat Methode, denn schon im Irak ging es in erster Linie darum, alle rivalisierenden Organisationen auszuschalten. So wurde der „Islamische Staat im Irak und Syrien“ innerhalb von zwei Jahren zur bei weitem größten Jihadistengruppe in Syrien.

Seit dem 20. Juni 2014 gibt es eine „neue Qualität“. Unmittelbar nach der Ausrufung des Kalifats im Irak und Syrien, trägt al-Baghdadi, den höchsten Titel des Islam: Kalif. Seitdem nennt sich die Terrortruppe „Islamischer Staat“, denn mit dem Kalifat entstand ein Staatswesen, wie es schon der Prophet vorlebte. Weltliche und geistliche Führerschaft sind eins. Ein diktatorisches Regime, denn Demokratie war für Propheten ebenso ein Fremdwort, wie es dies für seine modernen Nacheiferer ebenfalls ist.

 

Wer war az- Zarqawi?

Familienmitglieder sagen über ihn: „Er ist kein Mensch, er ist ein Monster. Krank, verrückt“. Der Jordanier Einst das Gesicht der IS-Vorläuferorganisation: Abu Musab az-Zarqawi, der „Schlächter des Islam“. Foto: U.S. Armygehörte zu den Mudschajeddin, die in Afghanistan gegen die  sowjetischen Besatzer kämpften. In den frühen 1990er Jahren lernt er Osama Bin Laden persönlich kennen. Zurückgekehrt in seine Heimat, plante er unter anderem einen Anschlag auf die Geheimdienstzentrale. Als seine finsteren Vorhaben  auffliegen, muss Zarqawi fliehen und wird in Abwesenheit zum Tode verurteilt. In der Diaspora erkennt er: Nur mit Hilfe des damals mächtigsten Finanzierungs- und Rekrutierungsnetzwerkes Al-Qaida würde er etwas erreichen können. Es kam zu einem Deal. Zarqawi gelobte, Al-Qaida zu unterstützen und sich der Befehlsgewalt des Terrorfürsten zu unterwerfen, der Milliardär Bin Laden sagte umfangreiche finanzielle Unterstützung zu.

Kuriosum: Es war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Als die Schiiten, gleich nach dem Ende der US-Administration im Irak an die Macht kamen und damit der Iran an Einfluss gewann, war Zarqawi sogar in der Lage, die Al-Qaida zu unterstützen. Die Nahost-Kennerin Rosi Kern erläutert die Hintergründe: „In den Golfstaaten wurde wegen dieser Machtverschiebung so viel Panik geschoben, dass Zarqawi innerhalb von 18 Monaten etwa 25 Millionen Euro an Spenden erhielt. Er hatte jetzt mehr Geld als notwendig war und erinnerte sich an die Al-Qaida-Unterstützung in den Anfangsjahren. Al-Qaida lag nach dem Krieg in Afghanistan am Boden und konnte den Überschuss dieser Gelder gut gebrauchen.“

 

Und wer ist Abu Umar al-Baghdadi?

Er kommt aus Samarra, 125 Kilometer nördlich von Bagdad gelegen. Der vermutlich 1971 Geborene machte ein leidliches Abitur. Wegen des schlechten Notendurchschnitts waren seine Studienmöglichkeiten begrenzt. Die zwei Gesichter des al-Baghdadi: in der Pose des Kalifen und auf einem Fahndungsfoto. Foto: XPressEs bedurfte der Protektion seiner Familie, die eng mit den Sicherheitskräften des Sadam-Regimes verwoben war, damit er Religionswissenschaft und islamisches Recht studieren konnte. In dieser Zeit sind extremistische Neigungen nicht aufgefallen. Das änderte sich schlagartig im Februar 2004, als al-Baghdadi aus nicht bekannten Gründen von den US-Besatzungstruppen festgenommen und vier Jahre lang, andere Quellen sprechen von zehn Monaten, in das berüchtigte Camp Bucca im Süden des Landes gesperrt wurde. Das Camp war ein Sonderlager für ehemalige Eliten des Saddam-Regimes und Extrem-Islamisten, in dem zeitweise 26.000 Irakis einsaßen. Erst dort, in der „Kaderschmiede des IS“, wurde er radikalisiert. al-Baghdadi, der von sich behauptet, vom Propheten Mohammed abzustammen, habe dort „eine Menge Training bekommen“, ist aus irakischen Regierungskreisen zu hören. Seine Lagergenossen waren unter anderem seine heutigen Stellvertreter, zwei hohe Offiziere der Saddam-Armee. Ein IS-Führer, der gewissermaßen unter den Augen der US-Besatzungsmacht das Laufen lernte.

 

Was ist ein Kalif?

Ein Kalif, wie al-Baghdadi, ist nicht etwa nur ein politischer und zugleich religiöser Führer von regionaler Bedeutung. Wäre al-Baghdadi Christ, fühlte er sich nicht als Bischof, sondern als Papst. Er versteht sich als Eines der westlichen Opfer des IS: die aus den USA stammende Entwicklungshelferin Kayla Mueller. Kalif Ibrahim soll sich mehrfach der 26-Jährigen unsittlich genähert haben. Nach 18-monatiger Geiselhaft und diversen Folterungen starb die junge Frau am 27. August 2014 in einem IS-Kerker in Syrien. Foto: FBIStellvertreter Allahs auf Erden und erhebt den Anspruch auf die Führung der gesamten islamischen Gemeinschaft. Andere salafistisch-jihadistische Organisationen des Nahen Ostens, Afrikas (so die ähnlich wie die IS wütende Boko Haram), Indiens, Nord- und Mittelamerikas und der Arabischen Halbinsel sehen das ebenso und haben – ebenso wie irakische Stammesfürsten – Kalif Ibrahim ihre Ergebenheit und Gefolgschaft versichert. Das Kalifat des IS wird also von seinen Anhängern als Nukleus eines größeren Kalifats verstanden, das sich über die gesamte Welt erstreckt.

 

Wer steht an der Spitze des IS?

An der Spitze des IS steht bekanntlich Abu Bakr al-Baghdadi, der sich inzwischen Kalif Ibrahim nennt. Er hat zwei Stellvertreter. Adnan al-Sweidadi, Kampfname Abu Ali al-Anbari, ist für Syrien zuständig und hat fünf Gouverneure unter sich. Fadel al-Hayali, der sich heute Abu Muslim al-Turkmani nennt, ist für den Irak und sieben Gouverneure zuständig. Die Gouverneure (Emire) sind oftmals hohe Offiziere der ehemaligen Saddam-Hussein-Streitkräfte. 

Auch die beiden Stellvertreter des selbsternannten Kalifen stammen aus der Armee des alten Irak. Al-Hayali war Offizier der irakischen Spezialkräfte unter Hussein; al-Sweidali hatte in der ehemaligen Armee des Irak den Rang eines Generalmajors.

Zum „Inner Circle“ gehörte auch der Deutsch-Ägypter Reda Seyam, ein von den Behörden als Gefährder eingestufter Mathematiker, der vor seiner Reise den Jihad in Ulm und Berlin-Charlottenburg lebte. Im Mai 2012 nahm Seyam zusammen mit seinem Freund Dennis Cuspert, besser bekannt als Gangster-Rapper „Deso Dogg“, in Bonn an einer salafistischen Demonstration teil. Die Extremisten gingen dabei mit unglaublicher Gewalt gegen die eingesetzten Polizeibeamten vor, von denen 29 zum Teil schwer verletzt wurden.

Seyam, der sich inzwischen Dhul Qaranain nannte, avancierte im IS-besetzten Mossul zum Bildungsminister. Eine seiner ersten Verfügungen war die Abschaffung der Fächer Philosophie, Kunst, Musik und christliche Theologie an Schulen und Universitäten, weil sie, wie er meinte, mit dem Koran nicht vereinbar sind. Die Amtszeit des Reda Seyam währte nur kurz. Im Dezember 2014 wurde er bei einem Gefecht in der Nähe Mossuls zum Märtyrer.

 

Wie stark ist der IS? Und weshalb sind die Terrorkrieger so gefährliche Gegner?

Aus der einstigen Guerillatruppe mit maximal 8.000 Mitgliedern ist längst eine Armee geworden, die nach CIA-Angaben gut 32.000 Mann umfasst. Nahöstliche Dienste gehen sogar von einer Truppenstärke von 50.000 bis 100.000 aus. Der Zuwachs ist nicht nur dem weltweiten Werben um neue Rekruten zuzuschreiben, sondern auch der Einführung der Wehrpflicht in den eroberten Provinzen. Experten bilanzieren, dass in der islamistischen Armee der Anteil der „Ideologen“ lediglich 30 Prozent beträgt. Doch diese Extrem-Islamisten sind die treibende Kraft der „Armee Allahs“. Sie und die teilweise ebenso radikalisierten „Wehrpflichtigen“ mit Bodentruppen zu besiegen, würde nicht einfach sein. Westlichen Soldaten, die überleben wollen, ständen zum Teil fanatisierte Kämpfer gegenüber, die den Tod lieben. Die USA als mit Abstand stärkste Militärmacht gehen von einem Krieg aus, der sich über 20 Jahre erstrecken könnte. Der Irak zeigt: Militärische Siege zu erringen reicht allein nicht aus, weil sie nicht geeignet sind, das Land auch tatsächlich zu befrieden.

Zudem kann die Terrortruppe – im Gegensatz zu allen ihren Gegnern – auf ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an „Menschenmaterial“ zurückgreifen. Die Anzahl der aus aller Welt in die Kampfgebiete eilenden Freiwilligen wächst ständig. Gut ein Viertel dieser Terrorkämpfer in spe kommt aus Europa. Experten nehmen an, dass –falls es zu einem Landkrieg kommt – der Strom der Freiwilligen explosionsartig anstiege. Auch Niederlagen würden sie nicht abschrecken. Denn der „Krieg gegen die Ungläubigen“ in der „Armee Allahs“ ist ihr höchstes Ziel.

Selbst ein Zurückdrängen der IS aus ihrem so genannten Kalifat wäre nicht die große Lösung. Die Strategen des „Heiligen Krieges“ haben für solche Fälle längst Indien als neuen Kriegsschauplatz auserkoren.

 

Wie steht es mit der militärischen Ausbildung des IS?

Es gibt keinen Zweifel: Die militärische Ausbildung des IS ist exzellent. Dafür sorgen nach Insiderberichten ehemalige Unteroffiziere und Offiziere der Saddam-Armee.Viele von ihnen stammen aus Eliteverbänden wie den „Republikanischen Garden“ oder auch aus Diensteinheiten des Geheimdienstes. Es ist nicht zu vergessen: Die Armee Saddams war eine der modernsten, effektivsten und besten ausgebildeten der Welt.

 

Über welche Waffen verfügt der IS?

War früher die Ausrüstung mit Sturmgewehren und Pick-ups mit aufmontierten Maschinengewehren umfassend beschrieben, steht heute ein eindrucksvolles Arsenal zur Verfügung. Die Herkunft ist vielfältig. So sehen sich die Terrorkrieger gern. Ein romantisierendes Foto aus einer IS-Werbebotschaft. Repro: khgZum einen fielen die vor allem aus dem Westen stammenden Waffen der konkurrierenden Gruppen in Syrien, unter ihnen die der Freien Syrischen Armee, in die Hände des IS, zum anderen machten die radikal-islamistischen Jihadisten in den eroberten Gebieten reiche Beute. In Syrien sind Panzer und Waffen russischer und chinesischer Herkunft erbeutet worden. Doch auch auf anderem Wege gelangten Waffen und Waffensysteme in die Hände der IS-Terroristen. Korrupte syrische Militärs betreiben nach zuverlässigen Angaben einen schwunghaften Handel.

Auch im Irak hat die IS ihre Gewährsleute in hohen Positionen. Die damals wie heute herrschende Grundstimmung im Irak bringt den Terroristen unschätzbare Sympathieeffekte in der Bevölkerung und in sunnitisch geprägten Regierungs- und Verwaltungskreisen. Die fast ausschließlich aus Schiiten bestehende, Iran-freundliche und zudem extrem korrupte Regierung ist den Sunniten, immerhin rund 34 Prozent, verhasst. Alles, was gegen die Administration gerichtet ist, wird deshalb von ihnen unterstützt, selbst wenn es sich um ein Terrorsystem wie das des IS handelt.

Diese Grundstimmung wirkt sich gravierend auf die Kampfmoral der regulären irakischen Truppen aus. Niemand hat übermäßige Lust, für eine Regierung zu fallen, die selbst unter Schiiten als käuflich und inkompetent gilt. Insbesondere sunnitische Soldaten heben deshalb beschleunigt die Hände, wenn es zum kriegerischen Showdown kommt. Zum Teil gehen der Kapitulation noch nicht einmal Kampfhandlungen voraus. Der IS setzt gezielt ehemalige Soldaten des Saddam-Regimes oder Stammesangehörige ein, die die regulären Truppen zum Aufgeben überreden.

Dadurch und wegen ihrer unbändigen Kampfeslust konnten sich die IS-Terroristen insbesondere bei ihren Offensiven im Nordirak modernes Kriegsgerät aus US-Beständen einverleiben. Zum Hintergrund: Die Vereinigten Staaten hatten die reguläre irakische Armee seit 2005 mit Panzern, Artilleriegeschützen, gepanzerten Geländewagen (Humvees) und sondergeschützten Truppentransportern sowie Hubschraubern im Gesamtwert von 25 Milliarden Dollar versorgt. Von einem nicht unerheblichen Teil davon haben die IS-Terroristen Besitz ergriffen. Samt Bedienpersonal und Piloten, die in vielen Fällen übergelaufen sind.

Ein dänischer NATO-Soldat mit einem MANPAD (in diesem Fall „Stinger“). Auch der IS verfügt über diese tragbaren Luftabwehrwaffen, die einst den Mudschaheddin entscheidend dabei halfen, die sowjetische Besatzungsarmee aus Afghanistan zu vertreiben. Foto: Archiv G Und manchmal kommen die US-Waffen sogar vom Himmel geflogen. Es passierte gleich mehrere Male, dass Waffen aus den Vereinigten Staaten irrtümlich nicht über kurdischen Stellungen abgeworfen wurden, sondern direkt bei der IS landeten.

Außerdem verfügen die IS-Terroristen über „Man Portable Air Defence Systems“, sprich tragbare Luftabwehrraketen. Diese Lenkwaffen mussten sie aber nicht erbeuten, denn sie wurden ihnen laut SPIEGEL „aus Saudi-Arabien“ geliefert. Wer die sympathisierenden Saudis waren, lässt das Hamburger Nachrichtenmagazin offen. Nach Recherchen von Veko-online ist aber davon auszugehen, dass es sich um millionenschwere Gönner von der Arabischen Halbinsel handelt, wobei eine Nähe zum weitverzweigten Königshaus nicht ausgeschlossen werden kann.

Inzwischen ist der IS aber so finanzstark, dass beliebig Waffen und Waffensysteme  jeder Art auf den florierenden internationalen Schwarzmärkten gekauft werden können. Ein nagelneues amerikanisches M4-Sturmgewehr ist im illegalen Waffenhandel bereits für etwas über 8.000 US-Dollar zu haben. Nicht viel für finanzstarke Jihadisten.

 

Stimmt es, dass die IS einen eigenen Geheimdienst unterhält?

Ja. Als einen der neun Räte (Ministerien) des „Islamischen Staates“ gibt es den Geheimdienst. Dieser Spionageapparat spielt sogar eine entscheidende Rolle. Ohne dessen Aktivitäten sind viele militärische Erfolge der IS nicht erklärbar. So ging dem offiziellen „Engagement“ in Syrien eine intensive Wühlarbeit voraus. IS-Agenten, die unter anderem als Prediger oder Mitarbeiter von „Missionsbüros“ getarnt waren, spähten syrische Regierungstruppen und regionale Administrationen, aber auch Widerstandsgruppen aus. Die Anti-Assad-Organisation wurde außerdem unterwandert. So bleibt festzustellen, dass selbst oppositionelle Milizen wie die Freie Syrische Armee plötzlich Methoden anwandten, die der des IS frappierend ähnelten.

Doch die IS-Spionage ging noch wesentlich weiter. Auf der Grundlage der Agentenmeldungen traten IS-Kommandoeinheiten in Aktion, die besonders charismatische Führer der Widerstandsgruppen ermordeten und die Bluttat dann dem Assad-Regime in die Schuhe schoben. IS-Maulwürfe übernahmen danach das Kommando. Dem Fußvolk wurde bedeutet: Mach´ mit oder stirb´.  

Ferner schufen die IS-Spione ein Netz von Informanten in Ministerien und örtlichen Verwaltungen. Die Ein Bild des Vormarsches. IS-Terrorkämpfer nehmen eine syrische Stadt ein. Foto: XPressStimmung war günstig. Viele Amtsträger des Assad-Regimes wollten sich angesichts der zunehmenden Macht- und Bodenverluste ihres obersten Chefs rückversichern - und Korruption ist ein verbreitetes Phänomen.

Ein weiterer Schwerpunkt der IS-Agenten war die Schaffung einer „günstigen Infrastruktur“. So wurden in den künftigen Provinzen Schläferzellen geschaffen, die den IS-Terrorkrieg aus dem Untergrund unterstützten. Eine Art „Gladio“ des Islamismus. Als die IS-Terrorkrieger mit ihren Kampfverbänden anrückten, „mussten sie nur noch einen Baum fällen, der morsch und von innen schon ausgehöhlt war“, kommentiert ein Insider.

Im Irak hat die IS-Spionagezentrale ebenfalls Gewährsleute in hohen Positionen. Auch dort ist das Klima günstig. Die fast ausschließlich aus Schiiten bestehende, Iran-freundliche und zudem heillos korrupte Regierung hat wenig Rückhalt in der Bevölkerung. Nicht nur den Sunniten, immerhin rund 34 Prozent des Volkes ist diese Administration verhasst, sondern auch vielen Schiiten. Auch im Irak gibt es so etwas wie eine Endzeitstimmung. Viele möchten auf der richtigen Seite stehen, wenn der Vorhang fällt.

Die geheimdienstliche Strategie hat ein Profi entwickelt, der in der Sowjetunion und in der DDR seinen letzten Schliff erhielt. Samir Abed al-Mohammed al-Khleifawi, einst Oberst i. G. des Saddam-Geheimdienstes, der unter dem Kampfnamen Haji Bakr al-Iraqi auftrat. Seit Ende 2012 koordinierte er höchstpersönlich und vor Ort die geheimdienstlichen IS-Operationen in Syrien. Der „hochintelligente analytische Kopf“, der sich bereits 2004 dem az-Zaqawi-Netzwerk angeschlossen hatte, ist im Januar 2014 bei einem Gefecht in Syrien getötet worden.

 

Welche Einzelpersonen, Organisationen oder Länder förderten beziehungsweise fördern den IS?

Die so genannten Ölprinzen, überwiegend aus Saudi-Arabien und Katar, stehen schon länger in dringendem Verdacht, Salafisten und IS-Terroristen massiv zu fördern. Ihre Ambition ist es, zwei Systeme zu beseitigen, die nach der Staatsreligion Saudi-Arabiens, dem salafistischen Wahhabismus, als Todfeinde gelten: das allzu weltliche Regime des Baschar al-Assad und die schiitische Regierung des Iraks. Auch diverse, größtenteils gut getarnte islamistische „Wohltätigkeitsorganisationen“ setzen sich in aller Welt für den IS ein.

Nicht zuletzt die Türkei gehört zu den Verdächtigen. Über die vitalen Interessen der Osmanen herrscht kein Zweifel: der IS bekämpft praktischerweise zwei Feinde, die auch Gegner der Türkei sind. Das sind der syrische Machthaber Assad und die kurdischen Milizen. Besonders gegen die Kurden gehen die IS-Terrortruppen mit äußerster Härte vor - entschlossener noch als gegen den Autokraten Assad.  

Die Aussage ist zulässig, dass ohne die allzu laxe Haltung der Türkei die Ausweitung des IS in der heutigen Form gar nicht möglich gewesen wäre. Türkische Grenzkontrolleure lassen die IS-Terroristen ungehindert nach Syrien ausreisen. Unter deutschen IS-Rekruten in spe heißt es „Du fliegst nach Istanbul. Dort wirst Du in Empfang genommen. Dann geht es zur türkisch-syrischen Grenze. Du zeigst Deinen Pass, und kannst passieren. Wenn es da wider Erwarten Probleme gibt, nimmst Du die grüne Grenze. Die ist 900 Kilometer lang und so gut wie unbewacht.“ 

Es liegen sogar Fotodokumente mit Verbrüderungsszenen zwischen Grenzern oder lokalen Amtsträgern mit IS-Angehörigen vor. Unter IS-Terrorkämpfern ist die Türkei als Rückzugs- und Ruheraum beliebt. Erst kürzlich wurde bekannt, dass sich eine ganze Reihe von IS-Leuten unbehelligt in einem türkischen Hotel von den Strapazen des Jihads erholen konnte. 

Schwarz gewandet und gnadenlos: IS-Terrorkrieger, Kämpfer der Apokalypse. Screenshot: khgDer Staat am Bosporus ließ es auch zu, dass Tankwagen mit erbeutetem Öl oder Gas von Syrien aus ungehindert die Grenze passieren konnten. Ebenso wurde anderes Raubgut „ohne große Formalitäten“ ins Land gelassen.

Aber auch Assad selbst ist am Wachsen des IS offensichtlich nicht unbeteiligt. Seine in Russland ausgebildeten Geheimdienstler hatten ihm die „taktische Variante“ eingeflüstert, den IS zu stärken, weil dieser gegen die rund 1.200 anderen Gruppen der Anti-Assad-Front vorgeht, so Insider. In dieser Hoffnung sind auf Geheiß des syrischen Machthabers viele inhaftierte Islamisten im Zuge einer Generalamnestie aus den Gefängnissen entlassen worden. In der Tat sind viele dieser ehemaligen Häftlinge an die Spitze der IS-Terrortruppen gerückt.

Assad, das kann getrost gesagt werden, hat somit zum Erfolg der IS beigetragen. Auffällig ist, dass auch heute noch die reguläre syrische Armee ihre Angriffe vor allem gegen Widerstandsgruppen richtet, die mit dem IS rivalisieren. Diese gerieten dadurch in einen Zweifrontenkrieg.

 

Wie viel Geld ist in der Kriegskasse des IS?

Das Vermögen der Terrortruppe wird von Experten auf mehr als zwei Milliarden US-Dollar geschätzt. Einen erheblichen Zugewinn erzielte der IS beim Sturm auf Mosul, der zweitgrößten irakischen Stadt. Aus den Beständen der dortigen Staatsbank fielen den Extrem-Islamisten im Juni 2014 430 Millionen Dollar in die Hände.

Für die Anschubfinanzierung sorgten vermögende Kreise in Saudi-Arabien und Katar sowie die bereits genannten „Wohltätigkeitsorganisationen“. Doch diese Spenden spielen inzwischen eine untergeordnete Rolle. Getreu der Wallensteinschen Devise „Der Krieg ernährt den Krieg“ hat der IS in den eroberten Provinzen, die mit insgesamt 210.000 Quadratkilometern so groß sind wie Großbritannien, eine florierende Kriegswirtschaft aufgebaut.

Alles, was den IS-Terrorkriegern in die Hände fällt, wird zu Geld gemacht. Ein Devisenbringer erster Güte ist der Handel mit erbeuteten fossilen Brennstoffen. Selbst der syrischen Regierung werden Öl und Gas verkauft. Der Erlös: Mehrere Millionen US-Dollar pro Woche. Im Jahr soll fast eine Milliarde zusammenkommen. Auch anderes Raubgut, abmontierte industrielle Maschinen und Anlagen, in Museen oder andernorts gestohlene  Antiquitäten, Fundstücke aus Raubgrabungen und selbst Reliquien, werden mit Höchstgewinnen verkauft. Inzwischen gibt es auch einen florierenden Handel mit geschützten Tieren und Pflanzen.

In den eroberten Provinzen sprießen die Sklavenmärkte nur so aus dem Boden. Sklaverei ist nach den Buchstaben des Koran erlaubt. Selbst Kinder, „Marktwert“ mindestens 172 US-Dollar, werden gehandelt. Bei Mädchen und Frauen, die unverblümt als Sexsklavinnen offeriert werden, schwankt der „Kaufpreis“ zwischen 43 und 129 US-Dollar - je nach Alter.

Gehandelt wird aber auch mit Gefangenen und Geiseln. Allein durch Kidnapping wurden 2014 nach seriösen Schätzungen mehr als 30 Millionen US-Dollar in die Kassen der Extrem-Islamisten gespült. Makabererweise hat der IS inzwischen sogar eine Art Preisliste im Internet veröffentlicht.

Weitere Geldquellen werden durch allgemeine Abgaben, Sondersteuern und Schutzgelder in den eroberten Gebieten erschlossen. Schiiten und andere Minderheiten zahlen besonders hohe Steuern - der Preis dafür, dass sie am Leben bleiben.

Ob es stimmt, dass selbst vor einem organisierten Organhandel nicht halt gemacht wird (getöteten Gegnern wurden angeblich operativ die Nieren entfernt) ist dagegen nicht sicher. Es würde aber keinen Experten verwundern, wenn es tatsächlich so wäre.

 

Was ist die ideologische Grundlage der IS-Terrorkrieger?

Ideologische Grundlage des so genannten Islamischen Staats ist die engstmögliche Auslegung des Koran. Jener achtbaren Heiligen Schrift des Islam, die aber mit Verlaub gesagt vor knapp 1.400 Jahren in der Ära eines Hirtenvolkes entstand. Geboren aus dem vormodernen Wertekanon jener Zeit werden in der Ur-Schrift Sklaverei, Steinigungen, Todesstrafe bei Ehebruch, Handabhacken bei Diebstählen  sowie Kreuzigungen und Verbrennungen gut geheißen. 

Schon früh wurde der Koran deshalb vorsichtig angepasst. Dies geschah auch aus dem Grund, dass viele Suren (Abschnitte)  für die damalige Zeit geschrieben wurden und nur aus den damaligen historischen  Zusammenhängen verständlich sind, sprich kryptisch erscheinen. Erklärungsbedarf bestand auch deshalb, weil der Koran, der elf Jahre nach dem Tod des Propheten zum Buch wurde, wie andere frühgeschichtliche Werke auch ein Buch der Widersprüche ist. Beispielsweise wird der Jihad, der Heilige Krieg, einmal als defensiv, einmal als offensiv beschrieben, wobei aber die Appelle, Frieden zu schließen und Vergebung walten zu lassen, überwiegen.

Vor dem Hintergrund der Uneinheitlichkeit und stellenweise Unverständlichkeit der Koran-Suren bildete sich die Exegese, die religionswissenschaftliche Auslegung, Erklärung, aber auch zeitgemäße Anpassung der Ur-Schrift, heraus. Kommentare zum Koran, die zum Teil mehrere Dutzende Bände umfassen, wurden veröffentlicht.

Dies alles sei Teufelswerk und habe den modernen Islam zu einem Muster ohne Wert gemacht, so die Sicht Selbst das höchste Heiligtum des Islams, die Kaaba in Mekka, ist vor der Zerstörungswut der Extrem-Islamisten nicht sicher. Foto: Archiv G der IS-Terroristen. Ausschließlich die ursprünglichen Texte der Heiligen Schrift der Muslime besäßen Gültigkeit. Denn sie verkörpern nach radikal-islamistischem Verständnis Gottes Wort, wie es dem Propheten Mohammed vom Erzengel Gabriel in einer Höhle offenbart wurde. Alles andere sei von Menschen hinzugefügt worden und somit eine „Verfälschung des göttlichen Wortes“. Nur wer den ursprünglichen Offenbarungen, dem „wahren Islam“, Wort für Wort folge, sei ein wirklicher Muslim. Alle anderen sind „Ungläubige“, des Todes würdig.

Der Absolutheitsanspruch geht soweit, dass in IS-Kreisen selbst über die Zerstörung der Kaaba, dem zentralen Heiligtum der Muslime in Mekka, nachgedacht wird. Der Grund: das quaderförmige Haus Allahs stammt aus vorislamischer Zeit. Die Gläubigen, die zur Kaaba pilgerten, also an der Haddsch teilnehmen, beteten zudem Steine an und nicht Gott.

Zerstörungen haben in Mekka durchaus Tradition. Schon der Prophet Mohammed persönlich ging gewissermaßen mit seinem Beispiel voran, als er in der Kaaba wütend die Statuen der vorher verehrten nicht-islamischen Götter zerschlug. Die saudi-arabischen Wahhabiten, die mit ihrem Absolutheitsanspruch, die einzigen Muslime zu sein, sowohl die Taliban wie auch die IS inspiriert haben, richteten bei der Eroberung der heiligen Stätten von Mekka und Medina zwischen 1804 und 1806 ebenfalls massive Zerstörungen an. Grabmäler und Mausoleen vieler geachteter islamischer Persönlichkeiten wurden geschliffen. Allein vor dem Grab des Propheten machten die Glaubenseiferer Halt.

 

Was fasziniert Muslime in aller Welt an diesem Pol-Pot-Islamismus?

Eine modische Art, Burka und Schleier zu tragen. Derlei moderne Varianten würden im IS-Kalifat mit dem Tode bestraft. Foto: KhadiraDie Rückkehr zu den vormodernen Wurzeln, die Renaissance einer idealisierten islamischen Frühzeit, übt eine starke Faszination aus. In Deutschland und Europa fühlen sich insbesondere junge Muslime, die am Rande der Gesellschaft stehen, aber auch ethnische Deutsche, die nach starken Werten suchen, in besonderem Maße angesprochen. Sie empfinden die dutzende Bände füllenden Interpretationen als abstoßend und haarspalterisch und lieben – wie andere Extremisten auch – die einfachen, klaren Botschaften.

Ebenso fasziniert sie die Vorstellung, im „Auftrage Gottes“ zu handeln. Sie scheuen weder Kampf noch Tod, denn als Märtyrer können sie endgültig dem tristen Erdendasein entfliehen. In der Sahih Bukhari, einer Sammlung von Aussagen und Taten des Propheten, ist der oberste Garten des Paradieses, der Siebte Himmel, den „mujahidun“, den Gotteskriegern vorbehalten. Je heldenhafter der Einsatz im Heiligen Krieg, desto näher rückt der im Heiligen Krieg Gefallene an den Thron Allahs heran. Die besondere Verheißung: 72 züchtig blickende Jungfrauen mit großen Augen, schwellenden Brüsten und anderen „köstlichen Verlockungen“ werden Jene umsorgen, die im Krieg gegen die Ungläubigen ihr Leben gaben.

Doch der IS kann schon zu Lebzeiten mehr bieten als den puren Kampf und das Leben in Höhlen und Feldlagern. Nämlich einen tatsächlichen Staat, in dem Islamisten unter Islamisten leben und es keine störenden Kufar (Ungläubige) gibt. In solchen staatlichen Strukturen, die der IS in der Tat in den eroberten Gebieten aufbaut, gibt es auch Bedarf an Angestellten und Amtsträgern. „Soldaten in der Armee Allahs“ werden zudem bezahlt. Je nach Rang mindestens 300 Dollar plus Sonderprämien, Verpflegung und Quartier frei. Das ist mehr und überdies ehrenhafter als „Hartz IV“ in Deutschland.

Und noch ein weiterer wichtiger Punkt ist es, der die jungen Männer und inzwischen auch Frauen in die Kampfgebiete lockt. Es ist die Macht der Prophezeiungen. Dem Propheten. Mohammed wird die Offenbarung zugeschrieben, dass eine Armee des Westens beim Angriff auf Muslime nahe der nordsyrischem Stadt Dabiq der Vernichtung anheimfalle. Anschließend werde Ost-Rom (Europa) erobert und danach die ganze Welt. Auch diese apokalyptischen Visionen einer letzten Schlacht zwischen Gut und Böse entnehmen die IS-Terroristen dem ursprünglichen Koran, der voller Hinweise auf die herannahende Endzeit ist.

Der IS nutzt gezielt die Faszination dieser Botschaft. Seine Theoretiker erklären, dass der „final countdown“ bereits begonnen habe. Die Kämpfe im Irak und in Syrien seien bereits die Vorzeichen der kommenden Apokalypse. Der Vorabend der letzten Schlacht zwischen Gut und Böse sei bereits angebrochen. Bei diesem „letzten Gefecht“, das zur Weltherrschaft des Islam führt, wollen insbesondere schlichtere Gemüter und/oder Verzweifelte natürlich dabei sein. So eine Chance, zum Helden respektive zum Märtyrer zu werden, gibt es aus dieser Sicht schließlich kein zweites Mal.

 

Befinden sich IS-Kämpfer unter jenen Flüchtlingen, die derzeit die Schlagzeilen beherrschen?

Die dazu vorliegenden Stellungnahmen sind uneinheitlich. James R. Clapper, der Nationale Geheimdienstdirektor der Vereinigten Staaten, schließt eine Infiltration der Flüchtlingsströme nicht aus. Wie andere Nachrichtendienstler auch glaubt der Ex-General, dass der hochorganisierte IS es sich kaum entgehen lassen werde, die Flüchtlingsströme für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Irakische Geheimdienstkreise werden konkreter und sprechen von 20 anschlagsbereiten IS-Aktivisten, die sich bis dato unter die Flüchtlinge gemischt hätten, sowie 100 IS-Deserteuren, deren Motive unklar seien. Laut Bundesnachrichtendienst, dessen traditionelle Stärken im Nahen und Mittleren Osten liegen, gibt es indessen keine Anzeichen für eine derartige Infiltration.

In der Tat ist die Flüchtlings-Variante nur eine der Optionen, über die der IS verfügt, und vielleicht noch nicht einmal die beste. Denn längst vor den aktuellen Flüchtlingswellen hat die Terrortruppe „Ho-Chi-Min-Pfade“ nach Europa und speziell nach Deutschland aufgebaut. Die Benutzer dieser Schleichwege sind mit total gefälschten Ausweisdokumenten ausgestattet, die in den Meldeämtern der eingenommenen irakischen und syrischen Provinzen fabriziert wurden und deshalb selbst von Experten nicht erkannt werden können. In Syrien dienen diese Totalfälschungen, die für 1.200 Euro auf den Schwarzmärkten angeboten werden, auch zur Finanzierung des IS.

Einer dieser „Ho-Chi-Min-Pfade“ führt von Syrien über den Bosporus zur Zwischenstation Griechenland. Von dort aus geht es direkt nach Deutschland oder andere Länder, oder es wird ein weiterer Zwischenstopp in den Nachbarländern Mazedonien oder Bulgarien eingelegt. Das Rastermerkmal „Person reist aus der Türkei (einem Anrainerland Syriens) ein“ wird dadurch vermieden.

Mazedonien ist wie auch andere ehemalige jugoslawische Republiken ein beliebtes Transitland. Über die nördlichen und nordwestlichen Grenzgebiete dieses Staates haben die Behörden allenfalls eine höchst eingeschränkte Kontrolle. Ideale Voraussetzungen für Grenzgänger der besonderen Art.

Bulgarien hat auf den Ho-Chi-Min-Pfaden des islamistischen Terrors eine besonders brisante Bedeutung.. Denn in diesem Land, das zu den ärmsten und korruptesten Europas zählt, können aus IS-Kämpfern Europäer gemacht werden. Für 20.000 bis 30.000 Euro bieten mafiöse Kreise einen bulgarischen Reisepass an, der seinen Inhaber zum EU-Bürger macht. Das Dokument ist „echt“, da die allmächtige bulgarische Mafia es von einem korrupten Beamten einer Meldebehörde fabrizieren lässt. Behördliche Gegenmaßnahmen sind nicht zu erwarten, da in Bulgarien die Korruption bis in die höchsten Führungskreise reicht und die mit russischen, serbischen und italienischen OK-Strukturen eng vernetzte Mafia als oberste Instanz gilt. Ein Insider urteilt: „Der IS ist schon längst mit Schläferzellen unter uns. Die brauchen die Flüchtlingswellen allenfalls für die Fußkranken, die es bisher nicht geschafft haben, über die üblichen Pfade nach Europa zu kommen.“

 

 

Wie viele junge Muslime wurden bislang in Deutschland rekrutiert?

Bei deutschen Islamisten verfingen die Botschaften des IS nach aktuellen Angaben viele hundert Male. Wie das Bundeskriminalamt (BKA) mitteilte, lagen bei Redaktionsschluss Erkenntnisse zu mehr als 730 deutschen Islamisten beziehungsweise Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist sind, „um dort auf Seiten des Islamischen Staates und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen“. Eine Pressesprecherin des BKA ergänzte: „Aufgrund der dynamischen Lageentwicklung vor Ort unterliegt die Gesamtzahl der gereisten Personen tagesaktuellen Veränderungen mit weiterhin steigender Tendenz. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien/Irak aufhalten oder aufgehalten haben.“

Sorgen machen auch die Rückkehrer aus den Kampfgebieten. „Etwa ein Drittel dieser gereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu der Mehrzahl dieser Rückkehrer liegen keine belastbaren Informationen vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen in Syrien/Irak beteiligt haben. Als Ergebnis der kontinuierlichen Aus- und Bewertung der Erkenntnislage zu zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden aktuell zu über 70 Personen Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben.

Ferner liegen zu ca. 110 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind“, so die Sprecherin.

Wie verhalten sich diese „Expatriats“ des Terrors in Deutschland? Dazu das BKA: „Die Rückkehrer aus Syrien, die sich dort jihadistischen Gruppen angeschlossen haben, sind gut vernetzt, radikalisiert, zum Teil kampferprobt und traumatisiert. Unsere Sicherheitsbehörden stehen in intensivem Austausch mit wem?? und ergreifen alle rechtlich und tatsächlich möglichen Maßnahmen, um dieser Gefahr zu begegnen.“

Die vorangegangenen Zeilen mögen verdeutlichen, dass der IS keinesfalls ein Phänomen ist, das uns nicht betrifft, da das Geschehen (noch) außerhalb Europas liegt. Fehler, beispielsweise in der realistischen Einschätzung dieser Terrortruppe, hat den Aufstieg des IS erst ermöglicht. Jetzt geht es darum, solche Fehler zu vermeiden. Im Interesse der Sicherheit Deutschlands, Europas und der Welt.

 

nach oben