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Tod durch den Strang 1815: Johann Georg Grasel, Jakob Fähding und Ignatz Stangel (Lithographie von Adolph Friedrich Kunike).


Die Karriere des Räuberhauptmannes Grasel

Von Werner Sabitzer

Vor 200 Jahren wurde im Waldviertel in Niederösterreich Johann Georg Grasel festgenommen. Der berüchtigte „Räuberhauptmann“ und seine Komplizen hatten ein Jahrzehnt lang die Bewohner in Niederösterreich und im südlichen böhmisch-mährischen Raum mit Diebstählen und Raubüberfällen in Atem gehalten.

„Gesucht wird: Johann Georg Grasel, mit falschem Namen auch Haller, Frey, Schönau, Eigner und Kohl, aber auch der große Georg oder der große Hansjörg genannt, 25 Jahre alt, über 5 Schuh 6 Zoll groß (ungefähr 170 cm), von schlanker Statur, mit blassem, blatternarbigem Gesicht, mit dunkelbraunen Haaren und grauen Augen. Wer ihn fängt und bei der Polizei abliefert, der erhält als Belohnung 4.000 Gulden!“ Er sei „sehr kühn, unternehmend, stark und gewandt“, stand im Steckbrief. „Sein Betragen unter fremden Leuten ist aufgeweckt und fröhlich; er liebt insbesondere die Frauenzimmer und den Tanz; unter seinen Raubgenossen ist er äußerst streng, und bei Einbrüchen durch Mauern, Türen, Schlösser aller Art sehr geschickt; er hat sehr viel Mut und obschon er weder lesen noch schreiben kann, so hat er doch einen sehr guten Kopf und vergisst nicht leicht etwas. Er trägt gewöhnlich Pistolen, Terzerole, Messer, und ein Stilett bei sich, und hält sich meistens in Wäldern und abgelegenen Wasenmeistereien auf.“
Diese Personsbeschreibung wurde am 7. November 1815 in Niederösterreich veröffentlicht, um den berüchtigsten „Räuberhauptmann“ des Waldviertels und Südböhmens zu ergreifen. Die hohe Räuberhauptmann Johann Georg Grasel.Ergreiferprämie von 4.000 Gulden (Wiener Währung) und eine List führten zur Verhaftung Grasels. Im Februar 1815 hatte das Kreisamt Krems eine Belohnung von 1.000 Gulden ausgesetzt, die „kraft kaiserlicher Entschließung“ auf 4.000 Gulden erhöht worden war. Der Schwerverbrecher wollte über Mähren nach Schlesien flüchten, aber vorher eine seiner Freundinnen mitnehmen – Resi Hamberger, die im Gefängnis in Drosendorf saß. Der Drosendorfer Justiziar Franz Joseph Schopf und der Polizeispitzel David Mayer wollten Hamberger als Lockvogel benutzen und sperrten eine zwielichte Frau namens Therese Penkhart zu ihr in die Zelle. Hamberger erzählte ihrer Zellengenossin, dass Grasel sie befreien und mit ihr flüchten werde. Einige Nächte später kam aber Mayer und holte die beiden Frauen in einer inszenierten „Befreiung“ aus dem Gefängnis. Grasel erfuhr von der Freilassung und traf sich mit dem vermeintlichen Komplizen Mayer und den Frauen in einer Wasenmeisterei bei Horn. Grasel, Penkhart und Mayer kamen in der Nacht zum 20. November 1815 in das Gasthaus in Mörtersdorf, um dort zu übernachten. Dort sollte der Räuber, wie mit Mayer abgesprochen, verhaftet werden. Mayer traf aber den Gerichtsverwalter Schopf dort nicht wie vereinbart an. Der Polizeispitzel ersuchte daraufhin den Wirt der Dorfschenke Mörtersdorf und einige Gäste, ihm bei der Festnahme zu helfen. Als der Polizeispitzel mit Grasel ins Gastzimmer kam, hatte aber niemand den Mut, den Räuberhauptmann zu überwältigen. Schließlich sprang Mayer den Verbrecher von hinten an und riss ihn zu Boden. Jetzt erst halfen ihm die Gäste, darunter zwei Soldaten, den Räuberhauptmann zu überwältigen.

Grasel hatte seine Festnahme im Gasthaus geahnt. In den Gerichtsprotokollen ist unter anderem folgende Aussage vermerkt: „Gleich beym Eintritte ... merkte ich, daß ich hier verraten sey, denn es saßen nicht nur mehrere Bauernburschen, sondern auch 2 Kanoniers an einem Tische und tranken und spielten, welches „Graselwirtin“ in Mörtersdorf bei Horn: In der Nacht auf den 20. November 1815 wurde hier der Räuberhauptmann Johann Georg Grasel festgenommen.mir um so mehr auffiel, weil es schon gegen 1 Uhr nach Mitternacht war. Ungeachtet dessen zog ich meinen Mantel aus und legte ihn auf den Tisch, ging im Zimmer auf und ab, und als ich bey der Thüre hinaus ... gehen wollte, wurde ich plötzlich rückwerts ergriffen, auf den Kopf mit dem Gesichte gegen die Erde gestürzt, bey welcher Gelegenheit mir auch mein Stillette aus der Hosentasche fiel, ich hob solches auf und wollte es wieder einstecken, allein sie nahmen es mir gleich weg, banden mir Hände und Füsse.“
David Mayer erhielt die Ergreiferprämie in der Höhe von 4.000 Gulden und Therese Penkhart wurden 400 Gulden als Belohnung zugesprochen. Für etwa 800 Gulden konnte man damals im Waldviertel ein Haus kaufen.

Der „große Hansjörgel“

Johann Georg Grasel, von seinen Komplizen „großer Hansjörgel“ genannt, wurde am 4. April 1790 in Neu-Serowitz (Nové Syrovice) in der Nähe von Znaim (Znojmo) in Mähren geboren. Sein Vater Thomas Grasel war Abdeckergehilfe („Schinderknecht“), gewalttätig und oft betrunken, besserte seinen Lohn durch Diebstähle und andere Straftaten auf und wurde mehrmals eingekerkert. Seine Mutter Regina stammte ebenfalls aus eine Abdeckerfamilie und war wegen Diebstahls im Gefängnis. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit galt die Tätigkeit der Abdecker wie jene als unehrenhaft, als „unehrliches Gewerbe“. Die Abdecker heirateten meist nur innerhalb des Standes und mussten außerhalb eines Ortes wohnen, obwohl sie eine wichtige Funktion erfüllten, denn durch die Tierkörperverwertung wurde auch Krankheiten und Seuchen vorgebeugt. Auch später wurden die Abdecker an den Rand der Gesellschaft gedrängt.

Als Johann Georg zwei Jahre alt war, wurde sein Vater wegen Eigentums- und Gewaltdelikten zu einer zehnjährigen Kerkerstrafe verurteilt und wurde 1809 vorzeitig aus der Haft im berüchtigten Gefängnis Spielberg in Brünn entlassen. Während seiner Haft musste seine Frau allein für Johann Georg und seine jüngere Schwester Anna Maria („Annamirl“) sorgen. Die Familie hielt sich hauptsächlich mit Betteln über Wasser. Bei einer Betteltour wurde sie in Mautern in den Arrest gesteckt und ihr kleiner Sohn in den Heimatort Neu-Serowitz zu Verwandten gebracht.

Beginn der kriminellen Karriere

Johann Georg Grasel besuchte keine Schule und konnte weder lesen noch schreiben. Er wurde als Neunjähriger wegen kleinerer Diebstähle und Herumtreiberei festgenommen und in das Schlossgefängnis Drosendorf gebracht. 1803 zog die Familie nach Ungarn, wo Thomas Grasel in Veszprém eine Wasenmasterei betrieb. Zwei Jahre später kam die Familie wieder nach Niederösterreich zurück. 1806 wurde Thomas Grasel wieder verhaftet und auf den „Spielberg“ gebracht; die Familie zog daraufhin wieder bettelnd durch die Region. Im März 1806 wurde Johann Georg von seiner Mutter bedrängt, bei einem Einbruch in Raabs an der Thaya Schmiere zu stehen. Der Einbruch wurde vom „Klampfererwastl“ verübt. Von der Beute erhielt Grasel Bettzeug, aus dem die Mutter Kleider für die Kinder nähnte. Der „Klampfererwastl“ war ein gesuchter Ganove und hatte schon mit Grasels Vater Einbruchstouren unternommen. „Klampferer“ nannte man die Pfannenflicker.

Nach der Freilassung seines Vaters begleitete Johann Georg ihn bei Diebstählen und Einbrüchen. Unter anderem überfielen sie einen Baumwollhändler in Wiesmaden im Bezirk Waidhofen an der Thaya und schlugen dessen Tochter mit Schlägen, sodass sie das Gehör verlor. Die Raubbeute bestand aus Kupfer- und Silbermünzen sowie Kleidungsstücken.

Als junger Erwachsener arbeitete Johann Georg Grasel kurz als „Schinderknecht“ in der Wasenmeisterei seines Onkels in Zwerkowitz (Zvěrkovice), verübte aber bald wieder Eigentumsdelikte.
Da er das „Diebshandwerk“ gründlich bei seinem Vater gelernt hatte, ging Grasel bald ohne ihn auf Diebs- und Einbruchstouren – meist mit einigen Komplizen. Er versteckte sich vorwiegend in den Höfen und Häusern von Abdeckern. Zwei seiner Freundinnen und einige seiner Komplizen stammten ebenfalls aus Abdeckerfamilien. Im Laufe der Jahre gesellten sich immer mehr Kriminelle um Grasel, der als „brutaler und gefühlloser Mensch“ beschrieben wurde und trank. Die bald gefürchtete Räuberbande soll aus mehreren Dutzend Mitgliedern bestanden haben, darunter der einarmige Martin Fuchs, der „Klampfererwastl“, Paul Heidinger und die Brüder Zach. Die Diebstähle und Raubzüge wurden in unterschiedlicher Besetzung unternommen. Johann Georg Grasels Großvater war zwar Gerichtsdiener, er wurde aber wegen Diebstahls verurteilt. Auch Gerichtsdiener hatten damals einen schlechten Ruf.

Grasel und seine Komplizen überfielen unter anderem Bauernhöfe, fesselten die Bewohner und misshandelten sie, bis sie die Verstecke für Wertsachen verrieten. Die Beute bestand meist nur aus Lebensmitteln, Kleidung und Bettwäsche, selten wurden Geld, Uhren und Schmuck erbeutet.

Im Jänner 1810 überfielen Grasel, sein Vater und sein Cousin sowie fünf weitere Komplizen in Budkau (Budkov) den Kaplan Ignaz Heintzel. Zunächst schlugen und fesselten sie die Wirtschafterin, danach misshandelten sie den Kaplan, bis er das Wertsachenversteck verriet. Die Beute bestand aus einer silbernen Uhr, Essbesteck und Sachen von geringem Wert. Im Juni 1810 überfiel der junge Grasel den Wundarzt von Pernegg und raubte ihm Silbergegenstände und Leinwand. Im Jänner 1811 lernte Grasel Ignatz Stangel kennen, genannt der „schöne Nazl“. Er war vom Militärdienst desertiert. Im Dezember 1811 stach Grasel nach einem Streit einen Tabakhändler nieder, der fünf Monate später an den Folgen der Verletzungen starb. 1811 erstach Grasel einen Wirt aus Obergrünbach, der ihn verfolgt hatte.  


Flucht aus dem Gefängnis

Im Jänner 1812 erlitt Grasel Erfrierungen an den Beinen und war längere Zeit krank. Im gleichen Jahr wurde Grasel festgenommen, nachdem er in der Nähe von Horn schwer betrunken randaliert hatte. Er gab sich als „Johann Georg Frey“ aus, bestach den Amtsschreiber und konnte aus dem Gefängnis in Horn entkommen.
Anfang 1813 nahm Grasels Geliebte Resi Hamberger aus Autendorf an zwei Einbrüchen in Kautzen teil. Grasel hatte weitere Geliebte. Sie stammten wie Hamberger aus Abdeckerfamilien, darunter Nandl Ehgartner aus Horn, Thekla Swoboda aus Stallek und Rosalia „Salerl“ Eigner aus Stallek (Stálkov), mit der Grasel zwei Söhne hatte.

Nachdem der Räuberhauptmann und sein Komplize Ignatz Stangl am 3. April 1813 ein Raub verübt hatten, wurden sie am nächsten Tag in einem Gasthaus in Mallebarn trotz heftiger Gegenwehr überwältigt. Die beiden Männer behaupteten, Deserteure zu sein, da sie hofften, aus einem Militärgefängnis leichter ausbrechen zu können. Grasel gab sich als Bilderhändler Franz Schönauer aus Neusiedl am See aus. Die Festgenommenen wurden in ein Militärgefängnis nach Wien gebracht. In der Nacht auf den 7. Juli 1813 gelang es Grasel, aus der Rennwegkaserne, wo er verhört hätte werden sollen, zu flüchten. Auf der Flucht lernte er Jakob Fähding kennen, genannt „Gams“, der neben Stangl zu einem der wichtigsten Komplizen Grasels wurde.

Im August 1814 erbeutete Grasel bei einem Kaufmann in Groß-Siegharts Seidenbänder, Tücher und Stoffe im Wert von über 5.000 Gulden, wurde aber beim Verkauf der Beute von einem Hehler betrogen.

Fahndung mit Soldaten

Anfang 1815 wurde der Fahndungsdruck auf Grasel stärker. Im Jänner 1815 wurden in Autendorf Mitglieder der Abdeckerfamilie Hamberger festgenommen, darunter Grasels Geliebte Resi. Der Räuberhauptmann hielt sich zu dieser Zeit bei der Abdeckerfamilie Eigner in Stallek auf. Im April 1815 meldete er sich unter dem Namen Franz Eigner in Prag zum Militärdienst, desertierte nach sechs Wochen und kehrte in das Waldviertel zurück. Die letzte dokumentierte Straftat beging Grasel am 10. November 1815: Er stahl einem Fleischhauer in Riegers ein Schaf, das er einem Viehhalter in Ganz gab, der ihn verköstigt hatte. Diesen Diebstahl verübte er ohne Komplizen.

„Graselhöhle“ in Dreieichen in Niederösterreich: Eines der angeblichen Verstecke des Räuberhauptmannes.Das k. k. niederösterreichische Appellationsgericht betraute am 9. Oktober 1815 das Wiener Kriminalgericht mit der „ausschließlichen Untersuchung“ Grasels und seiner „Verflochtenen“. Bis zu 800 Soldaten fahndeten nach dem Gewohnheitsverbrecher. Eine Reihe seiner Komplizen und Hehler wurden festgenommen, einige bei Fluchtversuchen erschossen. Grasel entkam aber immer wieder. Er fand wegen der Fahndungsaktionen keine Komplizen mehr, die ihn bei Diebstählen und Einbrüchen begleiteten. Grasel beabsichtigte, nach Ungarn oder Bayern zu flüchten und besorgte sich dafür einen gefälschten Pass. Die Kreishauptleute von Krems, Brünn und Znaim starteten eine gemeinsame Aktion zur Festnahme Grasels, die schließlich am 20. November 1815 im Gasthaus im Mörtersdorf durch eine List des Polizeispitzels Mayer gelang.


U-Haft und Verhöre

Nach seiner Verhaftung wurde Johann Georg Grasel zunächst nach Horn und am 21. November 1815 nach Wien gebracht, wo er im Kriminalgericht und später im Kriegsgericht verhört wurde. Nach und nach wurden viele weitere Komplizen und Unterstützer Grasels festgenommen. Grasel wurde wie die anderen Schwerverbrecher, die die Todesstrafe oder lebenslangen Kerker zu erwarten hatten, in Ketten gelegt – Eisen an den Füßen und in der Nacht Handfesseln („Handbrezen“) und ein Leibring, der Grasel kaum schlafen ließ und zu gesundheitlichen Problemen führte. Nach zwei Eingaben Grasels wurde er von Regimentsärzten untersucht und am 16. März 1816 ordnete des k. k. Appellationsgericht an, Grasel den Leibring und die „Handbrezen“ nicht mehr anzulegen. Fünf Monate später wurden auch die Fußeisen gelockert, da Grasel auch an den Füßen gesundheitliche Probleme bekam.
Magistratsrat Franz Xaver Lowack war im Wiener Kriminalgericht für den Fall Grasel zuständig und verhörte den Festgenommenen. Bei den Verhören waren ein beeideter Gerichtsschreiber und zwei Beisitzer aus dem Volk.

Da Grasel als Deserteur betrachtet wurde, auch wenn er den Fahneneid mit falschen Namen geschworen hatte, war er als Angehöriger eines Militärkörpers der Militärgerichtsbarkeit unterworfen. Nach dem zehnten Verhör wurde der Fall daher vom Kriminalgericht dem Militär übertragen und anstelle der beiden Beisitzer aus dem Volk traten Offiziere. Ein Verteidiger war nicht vorgesehen; nach dem Strafgesetz war die „Vertheidigung der Schuldlosigkeit“ Pflicht des Kriminalgerichts. In den vielen Einvernahmen berichtete Grasel von seiner kriminellen Karriere, insgesamt gestand er 205 Straftaten. In den längeren Pausen ließ Magistratsrat Lowack umfangreich Ermittlungen anstellen und Beweismittel sammeln. Den vielen Einvernahmesitzungen folgte schließlich das „ordentliche Verhör“, um die Delikte zu konkretisieren. Im ordentlichen Verhör waren auch Zwangsmaßnahmen vorgesehen, wie „Wasser und Brot“ und Prügelstrafe. Im Fall Grasel wurde darauf verzichtet, auch wenn der Beschuldigte seinen Beitrag zu bestimmten Straftaten beschönigte oder verschwieg. Nach 141 Sitzungen endeten die Verhöre am 30. Oktober 1816.
Grasel wurde von einem „Stabsauditoriat“ zwischen 18. März und 9. April 1817 neuerlich verhört – insgesamt 15-mal. Der Stabsauditor beschränkte sich auf die schwersten Straftaten.

Grasel und seinen Komplizen wurden 205 Straftaten von 1806 bis 1815 im Waldviertel und Weinviertel, in Südböhmen und Südmähren sowie in der Umgebung von Wien zur Last gelegt. Allein im Jahr 1814 wurden der Grasel-Bande 71 Straftaten zugeordnet; darunter ein Raubmord an Anna Marie Schindler in der Nacht auf den 19. Mai 1814 in Zwettl. Diese Tat befand das Gericht als das schwerste Verbrechen Grasels und seiner Komplizen Fähding, Fuchs und Haidinger. Das 66-jährige Opfer war mit einer Eisenstange erschlagen worden.


Tod durch den Strang

Das Militärgericht, eine Kommission mit 14 Mitgliedern, verurteilte „Räuberhauptmann“ Grasel und seine Komplizen Jakob Fähding und Ignatz Stangel am 28. Jänner 1818 zum Tod durch Erhängen. Auch sechs Mitangeklagte – Soldaten und Deserteure – unterlagen der Militärgerichtsbarkeit. Die anderen Bandenmitglieder erhielten langjährige Kerkerstrafen. Da Grasel die schwersten Straftaten begangen hatte, Räuberhauptmann Johann Georg Grasel als Schaustück im Keller der „Graselwirtin“bevor er (unter falschem Namen) in den Militärdienst trat, wurde er nach dem zivilen Strafgesetz abgeurteilt.

Zur Verantwortung Grasels hieß es in einem Gerichtsprotokoll: „Inquisit sehe wohl ein, dass er sich äußerst sträflich machte und müsste frey gestehen, und zu seiner Entschuldigung anführen, dass an seinem gegenwärtigen Unglücke und an allem was von ihm geschah, seine Eltern besonders sein Vater hieran Schuld sey, er ihm es auch ins Gesicht behaupten wolle, welcher ihm nicht nur keine gute Erziehung gab, sondern ihn von seiner Kindheit an zum Stehlen und Rauben angeeifert, ja ihn sogar mit Schlägen behandelt, wenn er nicht reich that wie solcher es verlangte oder nicht zur bestimmten Zeit in dem zu bestehlenden Orte war, als ihm selber anbefahl. Inquisit hat noch eine sichtbare Maser oder Narbe am linken Arm von einem durch den Vater erhaltenen Stich – das diesfällige böse Benehmen dessen Vater sind die Verführung seiner schlechten Cameraden seyen Ursache von Inquisitens villen Verbrechen; hätte er eine ordentliche Erziehung erhalten und wäre er nicht so üble Gesellschaft gerathen, so würde er gewis auch ein andrer Mensch seyn und itzt nicht in gegenwärtiger trauriger Lage sich befinden, übrigens könne er sonst zu seiner Entschuldigung nichts anführen.“


Hinrichtung vor der Stadtmauer

Drei Tage nach der Urteilsverkündung wurden Grasel, Fähding und Stangel am 31. Jänner 1818 auf dem Glacis vor dem Neutor in Wien hingerichtet. Bevor er den Galgen bestieg, küsste Grasel das Kruzifix, den Geistlichen und den Henker. Dann soll er erstaunt zu den vielen Menschen geschaut haben, die zu seiner Hinrichtung gekommen waren. Seine letzten Worte sollen der Überlieferung nach gewesen sein: „Jessas, so vül Leit!“
Grasels Vater starb im Kerker auf dem Spielberg und seine Mutter im Gefängnisspital. Seine Schwester wurde bald aus dem Kerker entlassen.

Im Waldviertel erinnern die Namen von Gasthäusern an den Räuberhauptmann: „Graslstuben“, „Räuberhauptmann Grasl“ und die „Graselwirtin“ in Mörtersdorf. Außerdem gibt es „Graselhöhlen“, in denen sich der Gewohnheitsverbrecher versteckt haben soll. Über Grasel wurden Bücher, Gedichte und Theaterstücke geschrieben. 1968 wurde ein Spielfilm über das kriminelle Leben des Hingerichteten gedreht, mit Peter Vogel in der Hauptrolle. Es gibt mehrere TV-Dokumentationen, die sich mit dem kriminellen Leben Grasels befassen. In manchen Volksstücken und Überlieferungen wird Grasel als „Held“, als „edler Räuber“ verklärt. Tatsächlich waren Grasel und seine Komplizen brutale Gewohnheitskriminelle, die rücksichtslos Menschen überfielen und misshandelten und einige auch totschlugen.

Ironie des Schicksals: Gegen den Häscher Grasels, den Drosendorfer Justiziär Franz Josef Schopf, wurde später ein Steckbrief erlassen. Er hatte die Waisenkasse seines Gerichts und eingezogene Güter unterschlagen.

 
Johann Georg Grasel und seine Zeit

Vor 200 Jahren war die Kriminalität in Österreich hoch. Es gab viele Diebe, Einbrecher und Räuber, darunter Deserteure und Herumtreiber. Es war die Zeit der Koalitionskriege. Frankreich verlangte nach dem Frieden von Schönbrunn 1809 hohe Reparationszahlungen; Teile Österreichs gingen verloren. Die Monarchie schlitterte 1811 in den Bankrott und erholte sich finanziell nur langsam.

Viele Kleinkriminelle waren auf Diebs-, Einbruchs- und Raubtouren, meist in Kleingruppen. Auch Vergewaltigungen von Frauen und Kindern kamen vielfach vor, wurden aber kaum geahndet, da die Opfer oft schwiegen – aus Scham und aus Angst, von Kirche und Gesellschaft stigmatisiert zu werden. Bekannte kriminelle Zeitgenossen Grasels waren Johannes Bückler in Deutschland, genannt „Schinderhannes“, dem mehr als 200 Bluttaten, (Vieh-)Diebstähle, Raubüberfälle, Erpressungen und andere Straftaten angelastet wurden, der „Räuberhauptmann“ Simon Kramer in Kärnten, genannt „Krapfenbäck-Simale“ und die „Stradafüssler“ (auch „Stradafisel“), eine Räuberbande, die in den 1820er-Jahren die Bevölkerung im Grenzraum Niederösterreich, Steiermark und Burgenland (damals Westungarn) terrorisierte. Der Anführer der Bande, Nikolaus Schmidhofer, genannt „Holzknecht Seppl“, wurde im November 1828 in Pinkafeld hingerichtet. Den „Stradafüsslern“ wurden 14 Morde, 54 Raubüberfälle, 48 Diebstähle, vier Vergewaltigungen und viele weitere Straftaten nachgewiesen. Auch weitere Bandenmitglieder wurden hingerichtet. Der „Schinderhannes“ wurde 1803 geköpft und Simon Kramer wurde 1809 bei seiner Festnahme erschossen. Kramers „Spezialität“ waren Einbrüche und Überfälle in der Nacht. Er und seine Komplizen besuchten Bauernhöfe auch am Sonntagvormittag, wenn die Bauersleute in der Kirche waren. Meist waren es Dienstmägde, die am Hof angetroffen und überfallen wurden. Wie Grasel wurde Kramer Literatur über Johann Georg Grasel im Höbarth-Museum, Horn.nachträglich heroisiert. Beide Räuber waren aber eigennützige Kriminelle, die die Diebsbeute nur mit Leuten teilten, von denen sie Unterstützung erwarteten. Die Überfallenen und Bestohlenen waren selten reich. Die Beute bestand meist aus wenig Bargeld, Gegenständen von geringem Wert, Nahrungsmittel, Wäsche und Kleidung.

Politisch war Österreich in Gubernien (Landesbehörden) eingeteilt, darunter gab es die Kreisämter, die Vorläufer der Bezirksverwaltungsbehörden. Die „lokalen Behörden“ waren die Grundherrschaften. Offiziell gab es auch Landtage, sie hatten aber kaum Bedeutung, ihre Aufgaben wurden von der Landesvertretung und vom Gubernium übernommen. Kaiser Josef II. hatte das Beamtentum gestärkt und ihre Ausbildung, Stellung und Tätigkeit mit Verordnungen institutionalisiert.

Die Grundherrschaften waren auch für die „niedere Gerichtsbarkeit“ auf dem Lande zuständig. In den Märkten und Städten urteilten die Markt- und Stadtrichter (Bürgermeister). Die von ihnen geahndeten Straftaten waren meist Diebstähle, Raufereien und Unzuchtsdelikte. Die Gerichtsdiener waren für die Verwahrung, Versorgung und Überstellung von Festgenommen zuständig, aber auch für die Unterstützung bei einfachen Ermittlungen. Die Anhaltung erfolgte oft in „Gemeindekottern“, aus denen das Ausbrechen meist nicht sehr schwer war. Zudem waren Gerichtsdiener mitunter korrupt. Die hohe Gerichtsbarkeit („Blutgerichtsbarkeit“) lag beim Landesfürsten. Der Wiener Stadtrichter hatte – im Namen des Landesfürsten – auch die Befugnis, Todes- und schwere Leibesstrafen zu verhängen.

Der für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit zuständige Wachkörper in Wien war die 1775 unter Erzherzogin Maria Theresia aufgestellte Militär-Polizeiwache. Sie war der Statthalterei und später der Polizeibehörde unterstellt. Die Wache hatte für Ruhe und Ordnung auf den Straßen zu sorgen, Gesetzesübertretungen anzuzeigen und Festnahmen vorzunehmen. In jedem Stadtbezirk gab es einen Bezirksaufseher, der für die Polizei verantwortlich war. Dieses Reglement wurde im Großen und Ganzen 1786 für die Grazer Polizeiwache übernommen. Die Militär-Polizeiwache wurde nach der Gründung der k. k. Sicherheitswache im Jahr 1869 aufgelöst.

Johann Georg Grasel wartete in der „Schranne“ auf dem Hohen Markt in Wien auf seine Gerichtsverhandlung. Die Schranne hatte vier Stockwerke und einem Uhrtürmchen mit der Inschrift: „Diese Uhr schlägt keinem Glücklichen“. In der Schranne gab es Zellen für Schwerverbrecher, da das seit 1608 bestehende „Malefiz-Spitzbubenhaus“ in der Rauhensteingasse 1785 aufgelassen wurde.

 
Strafrecht und Todesstrafe

1803 trat das „Strafgesetz über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen“ (StG 1803) in Kraft, es ersetzte das Josephinische Strafgesetzbuch von 1787. Mord wurde in § 117 unter Strafe gestellt: „Wer gegen einen Menschen,

 

 

mit dem Entschlusse ihn zu tödten, auf eine solche Art handelt, daß dessen Tod daraus nothwendig erfolgt, macht sich des Verbrechens des Mordes schuldig.“ Unterschieden wurde nach § 118 in vier Arten: Meuchelmord, Raubmord, Auftragsmord und minderschwerer gemeiner Mord. Auf Mord stand nach § 119 die Todesstrafe durch den Strang. Blieb es beim Versuch, drohte eine Kerkerstrafe von einem Jahr bis lebenslang. Totschlag wurde nach § 123 StG 1803 folgendermaßen definiert: „Wird die Handlung, wodurch ein Mensch um das Leben kommt, zwar nicht mit dem Entschlusse ihn zu tödten; aber doch in anderer feindseliger Absicht ausgeübt; so ist das Verbrechen ein Todtschlag.“ Bei räuberischem Totschlag drohte ebenfalls die Todesstrafe. Das galt aber nicht für Tatbeteiligte. Auf „gemeinem Totschlag“ stand eine fünf- bis zehnjährige Kerkerstrafe, in besonderen Fällen erhöhte sich die Strafdrohung auf zehn bis zwanzig Jahre.

Kaiser Josef II. hatte 1787 die Todesstrafe in der Monarchie abgeschafft. Sein Neffe Kaiser Franz II. (I.) ließ sie 1795 für Hoch- und Landesverrat wieder einführen und das Strafgesetz von 1803 sah die Todesstrafe auch für schwere Verbrechen wie Mord, räuberischer Totschlag, Brandstiftung und Geldfälschung vor.

Die Hinrichtungen in Wien erfolgten an mehreren Plätzen. Ab 1747 stand ein Galgen bei der Spinnerin am Kreuz auf dem Wienerberg, danach in der Rossau. Von 1804 bis 1839 war am Wienerberg wieder ein Galgen aufgestellt. Der Hohe Markt war bis 1706 traditionelle Stätte für Enthauptungen. Danach wurde die Hinrichtungsstätte vor das Schottentor verlegt, wo auch Grasel und seine zwei Komplizen gehenkt wurden. Die letzte öffentliche Hinrichtung in Wien während der Monarchie gab es am 28. Mai 1868 bei der Spinnerin am Kreuz. Damals wurde der Tischlergehilfe Georg Ratkay wegen Raubmords gehenkt. Aufgrund von Raufereien unter den vielen Schaulustigen verlegte die Justizverwaltung die Exekutionen in den kleinen Lichthof des Landesgerichts für Strafsachen.
Soldaten und Deserteure unterstanden der Militärgerichtsbarkeit. Das betraf auch Grasel und sechs seiner Komplizen.

 

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Quellen/Literatur:


Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedict: Das deutsche Gaunerthum in seiner social-politischen, literarischen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Bestande. Vierter Theil. Brockhaus, Leipzig, 1862.

Bartsch, Robert, Altmann, Ludwig (Hg.): Johann Georg Grasel und seine Kameraden. Verlg Rikola, Wien, 1924.

Bletschacher, Richard: Der Grasel: Chronik eines Räuberlebens. Deuticke, Wien, 1995.

Brandstetter, Wolfgang; Platzgummer, Winfried: Grasels Raubüberfälle und Bluttaten im Spiegel der Verhörprotokolle des Wiener Kriminalgerichtes und des Stabsauditoriats zu Wien. Eigenverlag, Wien, 2004.

Breier, Eduard: Die beiden Grasel. Pressvereinsdruckerei Eggenburg, Wien, 1924.

Glenzdorf, Johann Caspar; Treichel, Fritz: Henker, Schinder und arme Sünder. Band 1. Bad Münder am Deister, Rost, 1970.

Hitz, Harald: Johann Georg Grasel – Räuber ohne Grenzen. Waldviertler Heimatbund, Horn, Waidhofen an der Thaya, 1999.

Platzgummer, Winfried; Zolles, Christian: J. G. Grasel vor Gericht. Die Verhörsprotokolle des Wiener Kriminalgerichts und des Kriegsgerichts in Wien. Waldviertler Heimatbund, Horn, Waidhofen an der Thaya, 2013.

Wurian, Rebecca: Stigma und Charisma des Schinders. Eine soziologische Betrachtung des unehrlichen Berufes des Abdeckers dargestellt anhand der Familie Wohlmut. Diplomarbeit an der Universität Wien, Wien, 2010.