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  Auf Sicherheit gibt es kein copyright. Vielerorts bestehen Partnerschaften zwischen Polizei und Privater Sicherheit wie hier in Hamburg. (Foto: Polizei Hamburg)

Freiheit versus Sicherheit – die falsche Alternative

Die nationale Sicherheitsarchitektur – Anmerkungen zu einigen Konstruktionsmängeln

Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a.D., Berlin

Auch im Bereich der Inneren Sicherheit haben politische Heilsbotschaften eine immer kürzere Halbwertszeit. Nach dem überstürzten Abzug aller Sicherheitskräfte aus Afghanistan und dem Auftauchen der neuen Gesichter des Terrors weltweit ist keiner mehr davon überzeugt, dass die deutsche Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird. Spätestens nach den Ergebnissen des NSU-Untersuchungsausschusses wissen wir, dass die nahezu rituelle Behauptung, dass sich die deutsche Sicherheitsarchitektur bewährt habe, cum grano salis zu bewerten ist.

 

Die nahezu vernichtenden Urteile der Vorsitzenden und Fraktionsobleute reichten von „multiplen systemischen Versagen der Behörden“ über „Ermittlungs-GAU“ bis zu „Versäumnissen und Fehlern auf allen Ebenen“ und führten letztendlich zu der Feststellung, dass „die föderalen Sicherheitsstrukturen bei länderübergreifenden Maßnahmen schnell an Grenzen stoßen.“ Bei der bis dato als effizient bewerteten Sicherheitsarchitektur entdeckte man erste Konstruktions- und Statikmängel. Und nachdem der Bundesinnenminister bei der diesjährigen Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht nur indirekt den Bankrott der Ermittlungsbehörden bei Einbruchsdiebstählen signalisierte, sondern sogar zurückkehrend Dschihadisten als konkrete, sogar tödlich Gefahr bezeichnete, muss wohl auch die Auffassung revidiert werden, dass Deutschland eines der sichersten Länder der Welt ist.

Einen bescheidenen Nebeneffekt hat diese Entwicklung allerdings auch. Der bisherige unergiebige Streit, ob sich Freiheit und Sicherheit gegenseitig ausschließen, wird zunehmend entideologisiert. Die Gewährleistung von äußerer und innerer Sicherheit als staatliche Handlungspflicht und damit letztlich ein subjektiv-rechtliches Grundrecht auf Sicherheit und eine damit verbundene Handlungspflicht des Staates werden zunehmend anerkannt, zumal nach Art.3 Abs. 2 EU-Vertrag der „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ ausdrücklich zu den Zielbestimmungen der Europäischen Union zählt. Die drei ausdrücklich genannten Faktoren bedingen sich gegenseitig. Niederschlag hat diese Verpflichtung in den Mehrjahresprogrammen von Tampere (1999 bis 2003), Hagen (2004 bis 2009) und aktuell Stockholm (2010 bis 2014) gefunden und wird seit 2010  durch die EU-Strategie der inneren Sicherheit nach definierten Grundsätzen und Leitlinien umgesetzt.

 

Die Büchse der Pandora

Mit Beendigung des Kalten Krieges und der Implosion des kommunistischen Weltblocks trat keine neue Weltordnung in Kraft, vielmehr wurde die Büchse der Pandora erst geöffnet. Die nunmehrigen Risiken haben neue qualitative Dimensionen: Gefahr der unerlaubten oder unkontrollierten Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, erhöhte Verwundbarkeit der Infrastruktur durch terroristische Angriffe, der unautorisierte Zugriff auf moderne Informations- und Kommunikationsnetze, lokale und regionale Destabilisierungsprozesse, Störung des inneren Friedens und der Inneren Sicherheit in den Wohlstandsinseln ( zu denen auch Deutschland gehört) durch Kriminalitätsimport und illegale Migration, neuartige symbiotische Verbindungen von Terrorismus und Organisierter Kriminalität, immer neue Deliktsfelder als Folge neuer Technologien. Die Dialektik dieses Prozesses stellt die internationale Gemeinschaft, aber auch die Nationalstaaten vor einer Reihe insbesondere sicherheitspolitischer Herausforderungen, die diese bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit strapazieren, da keine andere Instanz in Sicht ist, die den neuen sicherheitspolitischen Belastungen und Aufgaben gewachsen ist.

Trümmer des eingestürzten World Trade Centers in New York. (Foto: wikipedia)Den Anschlag auf das World Trade Center interpretierten europäische Sicherheitspolitiker noch souverän als genuines Problem der USA. Umso tiefer war die Schockwirkung nach den Sprengstoffanschlägen vom 11. März 2004 in Madrid, vom 7. Juli 2005 in London und nach der Entdeckung der Kofferbomber-Attentäter in Köln im Jahre 2006. Und spätestens bei der Verhinderung der beabsichtigten Bombenattentate auf amerikanische Einrichtungen durch drei Mitglieder einer deutschen Zelle des internationalen Terrornetzes Dschihad-Union durch einen Großeinsatz deutscher Sicherheitskräfte Anfang September 2007 wurde deutlich, dass die internationale Bedrohung auch in der deutschen Provinz angekommen war. Dabei dräut in Europa das größte Unheil von den so genannten „home grown“ Netzwerken, in denen sich wie weiland bei der RAF ideologische, diesmal aber religiös orientierte Wirrköpfe zusammenfinden, die dem Migrationsmilieu entstammen, aber auch Konvertiten sind.

Auch wenn es im Bereich der Sicherheitspolitik schwer fällt, politische, gesellschaftliche und technologische Entwicklungen zu prognostizieren und ihre Tendenzen und wechselseitigen Abhängigkeiten zuverlässig zu beurteilen, zeichnen sich im internationalen Krisenmanagement einige wesentliche Übereinstimmungskriterien ab. So identifizierte das amerikanische Department of Homeland Security folgende Handlungsfelder:

  • Aufklärung und Frühwarnung,
  • Sicherheit der Grenzen und Transportwege,
  • Abwehr von Terrorismus,
  • Schutz der kritischen Infrastruktur
  • sowie Zivil- und Katastrophenschutz.

Die EU-Strategie der inneren Sicherheit aus dem Jahre 2010 enthält Vorschläge für Maßnahmen gegen schwere und organisierte Kriminalität, Terrorismus und Cyberkriminalität, zur besseren Sicherung der Außengrenzen und zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit gegenüber natürlichen und von  Menschen verursachten Katastrophen. Ähnlich positionierten sich die Innenminister in der aktuellen Fortschreibung des Programms Innere Sicherheit 2008/2009. Als wesentliche Handlungsfelder für die nächsten Jahre erkannten sie die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus und Extremismus, die Zunahme der Gewalttaten im extremistischen Bereich, die Globalisierung der Organisierten Kriminalität und Wirtschaftskriminalität und die Zunahme von Naturkatastrophen.

Mehr als erstaunlich ist, dass das kommende Weltordnungsproblem Nr. 1, die irreguläre Migration, erstaunlich ambivalent abgehandelt wird. Zum einen wird festgestellt, dass Migration – sei es temporär, sei es dauerhaft in einer globalisierten Welt – Normalität sei. An anderer Stelle wird jedoch vorsorglich nachgeschoben, dass unkontrollierte Zuwanderung die gesellschaftliche Stabilität, insbesondere in den Bereichen Arbeitsmärkte, Sozialsystem und Innere Sicherheit beeinträchtigen kann. Zwischenzeitlich mehren sich jedoch die Flammenzeichen. An den Südgrenzen der USA wurden rund 50.000 geschleuste Minderjährige aus Mittel- und Südamerika registriert. Die Regierung reagiert hilflos und erwägt die Aufstockung des dortigen Grenzschutzes um 20.000 Mann, der zuständige Gouverneur fordert den Einsatz der Nationalgarde. Aber auch an den Südgrenzen des Schengenraumes wird die Lage immer virulenter. Spanien, Italien und Griechenland sind nicht in der Lage, den Exodus der Hoffnungslosen aus den zerfallenden Staaten Afrikas zu stoppen, die anschließend weitgehend unkontrolliert in den kontrollfreien Binnengrenzraum weiterziehen. Hauptziel Deutschland, wo allein im ersten Halbjahr die Asylbewerberzahlen um 60 Prozent gestiegen sind. Die Lage ist so angespannt, dass selbst der eher zurückhaltende Präsident des Bundespolizeipräsidiums Dieter Romann deutliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Außengrenzkontrollen äußert.

Dr. Dieter Romann, Präsident des Bundespolizeipräsidiums. (Foto: Bundespolizei)Künftige Sicherheitspolitik kann sich daher unter diesen Vorzeichen künftig nicht mehr allein auf die Exekution des tradierten Sicherheitsverständnisses beschränken, sondern muss sich unter dem übergreifenden Aspekt der Risikovorsorge auf eine reiche Palette von Diskontinuitäten, Unsicherheiten und destabilisierenden Ereignissen einstellen, wobei die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit immer mehr erodieren.

Die neuen Dimensionen des Bösen scheinen das Vorstellungsvermögen von jenen Politikern und Staatsrechtslehrern zu überfordern, die unverdrossen die klassische Dichotomie von innerer und äußerer Sicherheit beschwören und unter Berufung auf längst obsolet gewordene verfassungsrechtliche Vorgaben das Unheil von morgen mit dem rechtsstaatlichen Arsenal von gestern zu bekämpfen versuchen. Zwischenzeitlich sind nämlich die Logik des Krieges und die Logik der polizeilichen Sicherheitsgewährleistung nicht mehr auseinanderzuhalten. Die Einsätze auf dem Balkan und in Afghanistan signalisieren schon seit Langem die Auflösung und Vermischung der klassischen Friedenseinsätze der Polizei und der kriegerischen Konfliktlösungseinsätze des Militärs.

Die bisherigen Machtmittel des Rechtsstaates hatten den Individualtäter im Visier, der sich an bestimmten Rechtsgütern vergriff, jedoch nicht jene Mächte des Bösen, die sich anschicken, den Staat in seinen Grundfesten zu erschüttern. Die Sicherheitsrisiken der Jetztzeit sind transnational sowie asymmetrisch und resultieren aus unterschiedlichen politischen, ethnischen, fundamental-religiösen, wirtschaftlichen, technologischen und ökologischen Entwicklungen. Nicht die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Staaten und Regierungen, sondern die Konfrontationen von Regierungen mit Terrororganisationen bestimmen die sicherheitspolitische Agenda. Der moderne Terrorismus, die Waffe der Schwachen gegenüber den hochgerüsteten Industriestaaten, lässt sich nicht mehr von dem klassischen sozialrevolutionären oder ethnoseparatistischen Impetus leiten, sondern nutzt die Schwachstellen der verletzlichen Infrastruktur der Industriestaaten für seine kriminellen Machenschaften aus.

Am Horn von Afrika ließen somalische Kleinkriminelle mit Speedbooten im Auftrag potenter Hintergrundorganisationen das längst als obsolet empfundene Delikt der Piraterie wieder aufleben und führen die Weltgemeinschaft an der Nase herum,

Auf der Mikroebene sieht es ebenfalls düster aus. Ansteigende Massenkriminalität und wachsende Gewaltbereitschaft sind Indikatoren für den Rückgang der klassischen Mechanismen der sozialen Kontrolle. Die Atomisierung des sozialen Milieus, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, die Desintegration vieler Jugendlicher und die Bildung von Subkulturen führen zum sozialen Zerfall und zu einer zunehmenden Missachtung der kodifizierten Ordnung. Die zunehmenden Übergriffe auf Polizeibeamte selbst bei nichtigen Anlässen sind ein beredter Beleg für diese Entwicklung.

 

Die Polizei und das Big Mac-Syndrom

In den angewandten Sozialwissenschaften bezeichnet das Big Mac-Syndrom jenes Phänomen, bei dem auf einen Akteur Druck von oben und unten ausgeübt wird. Just in dieser Situation befindet sich die Polizei. Obwohl aufgrund anhaltender Mangelverwaltung in öffentlichen Haushalten immer mehr Personal abgeschmolzen wird, wächst einerseits die Aufgabenflut von oben, steigen andererseits die Ansprüche des Bürgers nach mehr polizeilicher Präsenz im sozialen Nahraum von unten.

Die Polizeien der Länder verfügen über rund 240. 000 Polizeivollzugsbeamte, die Bundespolizei über rund 32. 000. Die Zahl der Bereitschaftspolizisten wird mit 16.300 angegeben. Die Polizeidichte in der Bundesrepublik ist aufgrund der föderalen Gliederung höchst unterschiedlich. Bei einer durchschnittlichen Polizeidichte von rund 1 zu 350 haben die Stadtstaaten und die neuen Bundesländer die höchste Polizeidichte, wobei Berlin als Bundeshauptstadt mit einer Polizeidichte von 1 zu 183 die Spitzenposition einnimmt. Nach Angaben der Gewerkschaften wurden bei den Polizeien in den letzten zehn Jahren 10.000 Planstellen abgebaut, bis 2030 sollen weitere 10.000 folgen. Selbst die Politik konstatiert ernüchtert, dass weite Teile der Sicherheitsbehörden im Gegensatz zur Ausweitung ihrer rechtlichen Befugnisse praktisch immer weniger in der Lage sind, ihre Aufgaben effektiv wahrzunehmen. Andererseits muss aufgrund der gigantischen Überschuldung der öffentlichen Haushalte bei den Polizeien eher mit einem weiteren Personalabbau als mit einer Planstellenvermehrung gerechnet werden.

Die personellen Rosskuren bei den Polizeien blieben nicht ohne Folgen auf an sich erforderliche Einsatzmaßnahmen. Bei den Veranstaltungen der letzten Jahre und Demonstrationen zum 1. Mai in vielen Städten, darunter Großeinsätze in Berlin, Rostock und Leipzig, wurden nach Ansicht der Gewerkschaft der Polizei die Grenzen der personellen Kapazitäten der Polizei erreicht. Es konnten nicht mehr so viele Kräfte eingesetzt werden, wie angefordert wurden. Eine weitere Großlage wäre nicht zu verkraften gewesen, denn die Zahl der für Unterstützungseinsätze vorgesehen Bereitschaftspolizeien reicht schon lange nicht mehr aus, alle Anforderungen zu erfüllen. Sie stoßen bereits jetzt bei personalintensiven Einsätzen an ihre personellen Grenzen. Das Land Hamburg z.B. musste seine gesamten Polizeireserven aufbieten, um den Schutz eines Bundeswehrkrankenhaus in einer besonderen Lage zu gewährleisten. Die Forderung deutscher Reeder zum Schutz deutscher Handelsschiffe durch uniformierte Vollzugskräfte gegen die ausufernde Seepiraterie wies die Bundesregierung kurzerhand wegen logistischer und personeller Engpässe zurück. Vielmehr wurde den Reedern empfohlen, auf private Sicherheitsunternehmen zurückzugreifen. Die Bundespolizei beantragte die Verlegung von Fußballspielen an bestimmten Wochenenden, da die erforderlichen Einsatzkräfte bei Großeinsätzen gebunden waren.

Zunehmend ist auch die Tendenz zu beobachten, dass Bundesländer ihre Bereitschaftspolizeikapazitäten reduzieren, um im Bedarfsfall auf die Hilfe der Bundespolizei zurückzugreifen. Dafür muss das anfordernde Land zwar auch finanziell aufkommen, steht sich aber immer noch besser, als wenn es eigenes Personal mit den entsprechenden Folgekosten unterhalten müsste.

Kritisch ist auch die Entwicklung zu betrachten, dass die Bereitschaftspolizeien des Bundes und der Länder ebenfalls nicht vom Rotstift verschont bleiben, obwohl für sie unverändert eine Forderung im vormaligen Programm Innere Sicherheit gilt, dass für die Bewältigung zahlreicher polizeilicher Aufgaben in den Ländern und für länderübergreifende Unterstützungseinsätze es erforderlich ist, eigenständige, starke, präsente, gut ausgebildete und qualifiziert geführte Einheiten der Bereitschaftspolizei bereitzuhalten. Sie sind in Ausnahmelagen aufgrund ihrer klaren Führungs- und Organisationsstrukturen, den übersichtlichen Unterstellungsverhältnissen, der Beherrschung besonderer Einsatztaktiken und den geringen Führungsspannen Garant für den polizeilichen Erfolg auch in krisenhaften Lagen.

Bereits die reinen Soll-Zahlen können Realisten nicht davon überzeugen, dass dieses Kräftepotenzial in Ausnahmelagen ausreicht. Noch stehen in 16 Bundesländern nach dem Verwaltungsabkommen rund 108 Hundertschaften und 31 Abteilungsführungsstäbe zur Verfügung. Die Sollzahlen sind aller Erfahrung um 30 % Prozent aufgrund von Fehlzeiten, Urlaub, Freistellungen, Abordnungen u.ä. zu kürzen. Zunehmend werden die Einheiten für länderübergreifende Unterstützungseinsätze personell aufgefüllt oder zusammengestoppelt. Ihr Hauptvorzug, nämlich eingespielte Führungsstrukturen und eintrainierte Kooperation, werden damit ad absurdum geführt.

Moderner Wasserwerfer, der von einem Demonstranten blockiert wird. (Foto: wikipedia)Auch für die Bundespolizei hielt das vormalige Programm Innere Sicherheit ähnlich wuchtige Forderungen parat wie für die Bereitschaftspolizeien der Länder: „Für die Bewältigung besonderer polizeilicher Lagen mit hohem Störpotential ist die Unterstützung der Landespolizei durch Polizeiverbände und Spezialkräfte des Bundesgrenzschutzes mit seinen besonderen Führungs- und Einsatzmitteln unverzichtbar. Voraussetzung für ihren wirkungsvollen Einsatz ist deshalb die Beibehaltung der Verbandsstrukturen und das Vorhalten von gut ausgebildeten, qualifiziert  geführten und präsenten Einsatzeinheiten in ausreichendem Umfang.“ Nahm der BGS, nunmehr Bundespolizei, vor der Umorganisation in den neunziger Jahren noch die Funktion einer „stets abrufbereiten Sicherheitsreserve“ wahr, ist diese Funktion nach Umwandlung in eine überwiegend einzeldienstlich organisierte Bundespolizei verbraucht. Die verbleibenden 10 Einsatzabteilungen mit 6.000 Bereitschaftspolizisten müssen sowohl den Unterstützungsbedarf des Einzeldienstes der Bundespolizei als auch der Länderpolizeien und vieler sonstiger Bedarfsträger decken und sind somit personell voll ausgelastet.

Der Vollständigkeit halber muss in diesem Zusammenhang auch die personalstärkste Sicherheitseinrichtung des Bundes erwähnt werden, deren Einsatz im Innern unverändert Gegenstand ideologischer Auseinandersetzungen ist: die Bundeswehr. Allerdings zeichnet sich in der aktuellen Fortschreibung des Programms Innere Sicherheit 2008/2009 eine interessante Kehrtwendung ab. Das Programm stellt ohne schmückende Beiworte fest, dass im Zusammenhang mit der asymmetrischen Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus Szenarien denkbar sind, die von den Sicherheitsbehörden aufgrund der vorhandenen Ausstattung und Fähigkeiten nicht allein bewältigt werden können und dass derartige Defizite im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr nicht hingenommen werden können. Und weiter: Die Polizei bedarf im Falle einer terroristischen Bedrohungslage im Luft- und Seeraum der Bereithaltung und gegebenenfalls Anwendung militärischer Fähigkeiten und Mittel durch die Bundeswehr. Und letztlich: Aus polizeilicher Sicht ist eine verfassungsrechtliche Grundlage zum Einsatz mit militärischen Fähigkeiten und Mitteln für diese Fälle zu schaffen. Unabhängig davon hat das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich in einem Plenarbeschluss im Zusammenhang mit dem Luftsicherheitsgesetz den Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Bewältigung von Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes auch mit militärischen Einsatzmitteln für zulässig erklärt.

 

 

Im Übrigen wird allenfalls peripher die Überlegung diskutiert, dass der Staat grundsätzlich die Verpflichtung hat, die zur Beseitigung besonderer Gefahrenlagen erforderlichen personellen und materiellen Mittel bereitzustellen. Will man den Einsatz der Bundeswehr zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben selbst im Notfall nicht zulassen, muss man notwendiger Maßen die Ausrüstung der Polizei mit entsprechenden (militärischen) Einsatzmitteln für die Bewältigung extremer Notsituationen fordern. Die Ausrüstung der Polizei mit Düsenflugzeugen und hochseefähigen Schnellbooten – ein absurder Gedanke. Insbesondere beim Objektschutz wird Deutschland in Hinblick auf seine besonders fragile Infrastruktur in Ausnahmelagen gar nicht auf die Personalreserven der Bundeswehr verzichten können, zumal es gerade in diesem Bereich angezeigt ist, mit spitzer Feder die Kosten zu berechnen. So wurden z.B. in Nordrhein-Westfalen nach einem terroristischen Anschlag rund 400 Polizeibeamte ausschließlich für Objektschutzmaßnahmen eingesetzt, was bei einer Einsatzdauer von einem Jahr rund 40 Millionen DM an Personalkosten bedeutete.

 

Das Gewaltmonopol – ein Schild mit Rostflecken

Unverändert assoziiert die Bevölkerung die Polizei mit dem Gewaltmonopol des Staates und erwartet von ihr, dass sie für seine Sicherheit sorgt. Das staatliche Gewaltmonopol gilt als konstituierend für unsere Rechtsordnung und den inneren Frieden, allerdings ist der Staat, der einseitig physische Gewalt durch Private auf Ausnahmesituationen beschränkt, im Gegenzug verpflichtet, das Prinzip uneingeschränkt durchzusetzen. Insbesondere darf er nicht das Opportunitätsprinzip bemühen, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Wenn er das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Rechtsordnung nicht seinem Gewicht gemäß berücksichtigt, so handelt er missbräuchlich.

Misstrauisch beobachtet daher der Bürger, dass sich die Polizei zunehmend aus dem Bereich der Alltags- und Massenkriminalität zurückzieht. Auch wenn die Polizei bei Umfragen neben dem Bundesverfassungsgericht und der Ärzteschaft stets Spitzenwerte bei der Beurteilung des Sozialprestiges erzielt, sieht das Bild bei der Beurteilung der polizeilichen Effizienz schon weniger erfreulich aus: zu viel Befassung mit Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr, zu wenig Ermittlungserfolge.

Forsa hat 2009 im Auftrag des Deutschen Beamtenbundes eine Erhebung zur Sicherheit in Deutschland vorgenommen und Empfindungen und Einschätzungen der Bürger ermittelt. Danach ist die Mehrheit der Bürger nicht davon überzeugt, dass die Polizei gegenwärtig der Kriminalität im Lande wirklich Herr wird. Zwei Drittel der Bundesbürger glauben gar, dass der Staat nicht genug zur Bekämpfung der Kriminalität tue. Nur 22 Prozent sind der Meinung, dass durch Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit Freiheitsrechte der einzelnen Menschen zu sehr eingeschränkt werden. 75 Prozent halten es zumutbar, dass Aspekte des Datenschutzes außer Kraft gesetzt werden, um dadurch Missbrauch des Internets z. B. bei Kinderpornografie zu verhindern. Und 73 Prozent aller Bürger plädieren für eine vollständige Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen, Bahnhöfen, Stadien und Einkaufszentren.

Allein die immer wieder aufflammende Diskussion um die sogenannten No -Go-Areas, die selbst von den Sicherheitskräften gemieden werden, sind ein nicht zu überhörendes Warnsignal. Derartige Zonen werden - wie die Beispiele in europäischen Nachbarstaaten zeigen - zu Brutstätten extremistischer Gewalttaten aller Couleur. Ein Staat, der auch nur ansatzweise derartige Entwicklungen duldet, hat seinen Anspruch verspielt, alleiniger Verwalter des Gewaltmonopols zu sein. Ein weiteres Warnzeichen für soziale Verwerfungen ist der rapide Anstieg der Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte. Berlin registrierte 2012 einen Anstieg von über 100 Prozent gegenüber dem Vorjahr, nach Angaben der Gewerkschaften wurden 90 Prozent aller Polizisten in Deutschland schon einmal angegriffen oder beleidigt. Es ist nahezu ein Menetekel, dass bei nahezu allen Demonstrationseinsätzen die Polizei trotz der in der Verfassung geforderten Friedfertigkeit mit vollständiger Schutzausstattung ausrücken muss. Wenn bei deren Beschaffung die Faktoren „säurefest, flammhemmend, chemikalienresistent sowie schlag- und stichgeschützt“ gefordert werden, ist alles über die Demokratiereife der heutigen Politkrawallmacher gesagt. Nach den brutalen Ausschreitungen Linksradikaler beim sogenannten Schanzenfest in der Vorweihnachtszeit 2013 in Hamburg reagierte ein Vertreter einer Polizeigewerkschaft mit der Feststellung, dass die inzwischen erreichten Dimensionen einen Schusswaffengebrauch situationsbedingt wahrscheinlich machen könne.“ Reaktion der Gegenseite: „Schießt ihr scharf, besuchen wir euch zu Hause.“

Der Staat beansprucht das friedensstiftende Gewaltmonopol und erhebt einen Anspruch auf Rechtsgeltung. Selbsthilferechte werden Privaten, z.B. im Falle der Notwehr, nur dann zugebilligt, wenn der Staat nicht zeitgerecht einschreiten kann. Allerdings ist die Diskussion um die Geltung des staatlichen Gewaltmonopols häufig nur akademischer Natur, da dieses Konstrukt normativ nicht verankert ist. Eine ausdrückliche Erwähnung findet sich im Grundgesetz nicht. Es wird mit viel juristischer Auslegungskunst aus Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG abgeleitet. Allerdings gibt es keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz dergestalt, dass die Polizei alleiniger Generalunternehmer für alle Fragen der inneren Sicherheit ist. Vielmehr ist der Verfassung nur eine allgemeine Schutzpflicht gegenüber dem Einzelnen und der Gemeinschaft zu entnehmen, die der Staat bei seinen Maßnahmen zu berücksichtigen hat. Wie sich der Staat dieser Verpflichtung entledigt, hat er in eigener Verantwortung zu entscheiden. Festlegungen auf bestimmte Mittel scheiden daher aus. Gewaltmonopol bedeutet nicht exklusives Sicherheitsmonopol, zumal die Ausübung hoheitlicher Befugnisse nicht immer mit Zwangsmitteleinsatz verbunden sein muss. Weder europäisches Gemeinschaftsrecht noch nationales Recht steht einer Teilprivatisierung von Sicherheitsaufgaben und damit einer Einbeziehung der gewerblichen Wach- und Sicherheitsunternehmen sowie dem Rückgriff auf Beliehene mit Sicherheits- und Ordnungsaufgaben entgegen.

Nach Art. 33 Abs. 4 GG ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis stehen. Vorrangige Ratio dieser Regelung ist die verfassungsrechtliche Garantie des Berufsbeamtentums, dem allerdings nur ein Mindesteinsatzbereich institutionell gesichert wird. Die Formulierung („in der Regel“) lässt Ausnahmen zu. Dabei ist dem Gesetzgeber ein weiter Entscheidungsspielraum eingeräumt, in dessen Rahmen er z.B. nach qualitativen Gesichtspunkten entscheiden kann, welche Aufgaben zwingend von Beamten wahrgenommen werden müssen. Auch Staatsaufgaben unterliegen einem Wandel und dem politischen Gestaltungsspielraum des Parlaments.

Neuerdings ist zunehmend festzustellen, dass die Wahrnehmung des staatlichen Gewaltmonopols durch die Polizei infolge Aufgabenüberlastung und Abschmelzen der Haushaltsmittel ständig mehr ausfranst und zunehmend mehr Sicherheitsleistungen an Private ausgelagert werden. Die thüringische Kleinstadt Hermsdorf ist wohl die erste Kommune, die zumindest zeitweise die (fehlende) Polizei durch einen privaten Sicherheitsdienst ersetzt hat. An sieben Tagen in der Woche gehen nach Dienstschluss der beiden dort tätigen Polizisten von 18.00 bis 01.00 Uhr zwei von insgesamt sechs Mitarbeitern einer Sicherheitsfirma in besonders gefährdeten Stadtvierteln Streife. Brandenburg will nun in einigen Gemeinden nachziehen, was in Hinblick auf die bevorstehende Polizeireform mit kräftigen Personalreduzierungen sogleich zu Unkenrufen Anlass gab.

Obwohl die monopolisierte Ausübung von Zwang durch den Staat staatstheoretisch fest verankert und geradezu zum Kennzeichen des modernen Staates geworden ist, ist im Bereich der Inneren Sicherheit durch die zunehmende Finanznot der öffentlichen Hand und einer dadurch bedingten Aufgabenerweiterung der privaten Sicherheitsdienstleister eine sich zunehmend verstärkende oligopolistische Entwicklung zu verzeichnen. Kritiker befürchten, dass dadurch die Gewährleistung von innerer Sicherheit als vorrangige Aufgabe des Staates zunehmend zum Spielball ökonomischer Interessen und dadurch zu einer Dienstleistung wird, die sich nur noch nach den Mechanismen des Marktes richtet, auf dem sich nur die Wohlhabenden Sicherheit leisten können.

Auch wird zunehmend deutlicher, dass die Polizeien mit ihren aktuellen personellen und rationellen Ressourcen die ihr zugedachten Aufgaben überhaupt nicht mehr bewältigen können. Die Möglichkeiten, den gewachsenen Anforderungen der Kriminal- und Sicherheitspolitik Herr zu werden, sind jedoch überschaubar: Synergienbildung bei gleichzeitiger Abschaffung redundanter Doppelstrukturen, Schaffung gemeinsamer Sicherheitseinrichtungen, Schaffung von „Polizei light“ (Wachpolizei, freiwilliger Polizeidienst) und Privatisierung bisheriger staatlicher Sicherheitsaufgaben.

Ein gewisser Paradigmenwechsel hat durch Public-Private-Partnership bzw. Police-Private Partnership eingesetzt. Dabei werden öffentliche Dienstleistungen zwischen Staat und Markt aufgeteilt. Bereits vor 25 Jahren in den USA entwickelt, ist diese Entwicklung durch die Idee vom kooperativen Verwaltungsstaat nunmehr auch in Deutschland angekommen, wobei unterschiedlich strukturierte Kooperationsmodelle zu beobachten sind. Police-Private Partnership z.B. ist eine Kooperationsform zwischen Polizei, Justiz und anderen Sicherheitsbehörden mit privaten Dienstleistern.

Allein die Tatsache, dass Versorgungsketten, die Energieversorgung, die Verteilernetze und die Verkehrswege sich überwiegend in privater Hand befinden und terroristische Anschläge zu Katastrophen apokalyptischen Ausmaßes führen können, zwingt zur Entwicklung von Schutzkonzepten, in dem alle wesentlichen Sicherheitspartner eingebunden sin. Bedarfsträger von Zwei Personenschützer zum Schutz des türkischen Premierministers. (Foto: Kuebi wiki)Sicherheitspersonal sind heute die Bundesbahn, die Bundeswehr, die Stationierungsstreitkräfte, Behörden, Rundfunk- und Fernsehanstalten, Kernkraftwerke, Produktionsstätten aller Art, Banken, Kaufhäuser, Supermärkte, Schlösser und Museen, Messe- und Sportveranstalter sowie Einzelpersonen. Dieser Bedarf kann nicht von der Polizei abgedeckt werden und wird damit zur Domäne privater Dienstleister. Ihre differenzierte Palette von Dienstleistungen umfasst Transportbewachung, Personenbegleitschutz, Schutz von Industrieanlagen, Bewachung militärischer Anlagen, Fluggastkontrollen, Baubewachung, Objektschutz, Veranstaltungsschutz und mit Raumschutz mit elektronischen und sonstigen Sicherheitsgeräten. Auch unabhängig von der Wiedervereinigung wäre das Sicherheitsgewerbe heute eine Wachstumsbranche. Es bietet mehr Arbeitsplätze als Bergbau oder Stahlindustrie zusammen und weist hohe Zuwachsraten aus

Polizei ist quantitativ und qualitativ an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit angekommen. Man muss nicht Prophet sein, um in Hinblick auf die rückläufigen Personalzahlen bei den Polizeien von Bund und Ländern den privaten Sicherheitsdienstleistern eine ständig zunehmende Bedeutung in der derzeitigen Sicherheitsarchitektur zuzuweisen. Wer die Kommerzialisierung der Sicherheitsproduktion beklagt oder als Fehlentwicklung kritisiert, muss entweder mehr Steuern für mehr Polizisten aufbringen oder geeignete Alternativen anbieten. Wenn der Staat sich aus seinen klassischen Aufgabenfeldern zurückzieht, muss Sicherheit auf andere Weise sichergestellt werden. Solange keine besseren Lösungen in Sicht sind, muss nüchtern festgestellt werden, dass das Sicherheitsgewerbe einen unverzichtbaren Beitrag zur Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit leistet. Diese Erkenntnis hat nunmehr auch die handelnden Akteure erreicht. War die Bewertung der Tätigkeit der privaten Sicherheitsproduzenten früher insbesondere unter gewerkschaftlichem Einfluss von grundsätzlicher Ablehnung bestimmt, ist zunehmend der Übergang bis zu einem kollegialen und problemlosen Miteinander zu beobachten.

 

Neues Denken braucht das Land

Blick in das gemeinsame Melde- und Lagezentrum (GMLZ) von Bund und Ländern. (Foto: Bata/BBK)Strategien und Überlegungen, die sich mit der Neujustierung eines umfassenden komplexen und kohärenten Gefahrenmanagements beschäftigen, sind in Deutschland Mangelware. Es fehlen sowohl eine eindeutige Definition der Inneren Sicherheit als auch ein integriertes Gesamtkonzept der staatlichen Sicherheitsvorsorge, in dem insbesondere zu präzisieren wäre, was die föderativ gegliederten Gefahrenabwehrorgane in Deutschland auf Dauer überhaupt leisten können. Allgemein wird das Fehlen einer Einrichtung zur umfassenden und ressortübergreifenden Analyse neuer Bedrohungen beklagt. Deutschland verfügtEinsatzzentrale einer Bundespolizeidirektion. (Foto: wikipedia) zwar in den Bundesministerien und in den Bundesländern über eine Vielzahl von Lagezentren mit zum Teil ausgezeichneten Fachleuten, aber über kein ressortübergreifendes Analyse-, Koordinierungs- und Entscheidungszentrum mit den erforderlichen Führungs- und Kommunikationsmitteln, um auf eine internationale Krise angemessen reagieren zu können. Forderungen in diese Richtung gibt es zwar zuhauf, getan hat sich nichts. Der immer wieder geforderte Nationale Sicherheitsrat, der koordiniert und ressortübergreifend die Gefährdungslagen analysieren und einheitliche politische Führung bei herausragenden Gefährdungslagen gewährleisten soll, wurde entgegen vormaliger Forderungen der CDU/CSU-Fraktion von der Agenda abgesetzt. Er sollte aus einerDas NSU-Trio wohnte in diesem durch eine Explosion beschädigten Haus. (Foto: wikipedia) Umwandlung des Bundessicherheitsrates hervorgehen, wobei sich die Unionspolitiker an dem amerikanischen National Security Council orientierten, dem wichtigsten Gremium der US-amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik. Wegen der Einbindung der Streitkräfte und aufgrund parteipolitischer Fundamentalopposition in Fragen der inneren Sicherheit war unter den großen Parteien kein Konsens herzustellen.

Insbesondere wenn es um die Veränderungen von Kompetenzen oder die Neujustierung der Sicherheitsarchitektur in Deutschland geht, herrscht allgemeine Windstille. Dabei hat die Mordserie des NSU-Trios gleich in doppelter Weise die Dilemmata der deutschen Sicherheitspolitik deutlich werden lassen. Zum einen lassen die bereits vorliegenden Berichte der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse erschreckende handwerkliche, personelle, strukturelle und organisatorische Defizite der beteiligten Organe der Strafverfolgung offenbar werden. Zum anderen wurde erneut offenbar, dass die nationale Sicherheitsarchitektur sich eben nicht bewährt hat.

  • 16 Länderpolizeien,
  • 16 Landeskriminalämter,
  • 16 Landesämter für Verfassungsschutz,
  • das Bundeskriminalamt,
  • die Bundespolizei,
  • der Bundesnachrichtendienst,
  • der Militärische Abschirmdienst,
  • das Zollkriminalamt,
  • das Bundesamt für Verfassungsschutz und
  • der Generalbundesanwalt

suchen krampfhaft nach dem Ariadnefaden, der sie aus diesem in der Welt einmaligen Labyrinth teils kooperierender, teils konkurrierender Sicherheitsorganisationen führt. Unverändert ist der Informationsfluss zwischen den Sicherheitsbehörden verbesserungsbedürftig, werden die Erkenntnisse nicht gebündelt, personelle und materielle Ressourcen vergeudet. Die Tatsache, dass auf Bund- und Länderebene mehrere NSU-Untersuchungsausschüsse mit Parallelaufträgen eingesetzt wurden, beweist letztlich, dass man selbst bei diesem Worst Case nicht gewillt war, sich auf eine einheitliche Strategie festzulegen.

Unverändert sehen die Länder in der Straffung der Sicherheitsstrukturen einen Verstoß gegen das Föderalismusprinzip, obgleich im Sicherheitsbereich immer wieder Organisations- Kommunikations-, Verfahrens- und Kompetenzdefizite festgestellt werden. Sowohl bei der Einführung von Inpol neu als auch bei dem Gefeilsche um den Digitalfunk offenbarten sich erschreckende Struktur- und Koordinationsmängel im bisherigen System. Übrigens sind andere Länder im Prozess der Problemlösung bedeutend weiter. Die sicher des Zentralismus unverdächtige österreichische Bundesregierung hat zwischenzeitlich mit einem wegweisenden Gesetz (Sicherheitspolizeigesetz) Polizei und Gendarmerie zusammengelegt und einheitliche und schlanke Strukturen gebildet. In Der ehem. Bundesinnenminister Otto Schily bei einer Wahlkampfkundgebung. (Foto: André Zahn/wiki)Deutschland sind hingegen die Dissonanzen zwischen Föderalismus und Innerer Sicherheit unverändert ein Tabuthema, obgleich die Entmachtung des Bundes in Sicherheitsfragen keineswegs rationalen verfassungspolitischen Überlegungen entsprang, sondern durch ein Oktroi der damaligen Besatzungsmächte vorgegeben wurde. So scheitert die vom damaligen Bundesinnenminister Schily beabsichtigte und sicherheitspolitisch sinnvolle Konzentrierung der Bundessicherheitsbehörden in Berlin an den stereotypen Einwänden der Länder, dadurch werde das föderale Prinzip verletzt und die bisherige Sicherheitsarchitektur habe sich bewährt. Was nachgewiesener Maßen eben allzu häufig nicht der Fall ist.

Und selbst bei der Einrichtung gemeinsamer Lage- und Analysezentren achtet man peinlich unter permanentem Hinweis auf das angebliche Trennungsgebot darauf, dass Polizei und Verfassungsschutz in getrennten Gebäuden untergebracht wurden. Unverändert existieren auch Schranken beim Informationsaustausch, eine einheitliche Antiterror-Datei ist überfällig. Wenn bei Lagebesprechungen in bestimmten Gremien mittlerweile bis zu 40 Landes- und Bundesbehörden mitwirken, darf aufgrund bisheriger Erfahrungen bezweifelt werden, dass hierdurch der Grundsatz der Synergie, dass nämlich das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist, zur vollen Blüte entfaltet wird. Eher ist wohl an die alte deutsche Volksweisheit zu denken, dass viele Köche den Brei verderben. „Absurd“, „staatlich verordneter Leerlauf“ und „fachlich unzureichend“ sind noch die mildesten Urteile von Sicherheitsexperten zu den bisherigen Verfahren.

Als Dauerargumente für die diversifizierte deutsche Sicherheitslandschaft führen Landespolitiker immer die gleichen Argumente heran. Zum einen wird behauptet, dass Großorganisationen im Sicherheitsbereich ineffizient seien. Zum anderen wird der alte kriminalpolitische Grundsatz strapaziert, dass Kriminalitätsbekämpfung regional erfolgen muss. Die Tatsache, dass Gefahrenabwehr und Kriminalitätsbekämpfung nach Rechtseinheit förmlich schreien, wird mit dem Argument unter den parteipolitischen Teppich gekehrt, dass es zur erfolgreichen Straftäterverfolgung lokaler Kenntnisse bedarf. Dabei müssen die Zentralisierung von Polizeiaufgaben und regionale Subsidiarität überhaupt kein Gegensatz sein, es sei denn, man konstruiert ihn. Örtlich und regional agierenden Kleinkriminellen kann insbesondere bei Massendelikten regional das Handwerk gelegt werden. Um gegen osteuropäische Diebes- und Einbrecherbanden, die mit modernsten Verkehrsmitteln EU-weit operieren, erfolgreich vorgehen zu können, bedarf es jedoch einer breiteren Plattform. Eine Binsenweisheit der Organisationslehre besagt, dass effiziente Arbeit nur in einer einheitlichen Organisation unter einheitlicher Führung gewährleistet ist.

 

Fazit: Die Rezepturen überprüfen

Mit den Rezepturen von gestern lassen sich die Probleme von heute, geschweige die von morgen nicht lösen. Die Gewährleistung der Inneren Sicherheit kann in der Zukunft angesichts der globalen Herausforderungen nur durch eine ressortübergreifende, interdisziplinäre und multinational vernetzte Sicherheitsstrategie geleistet werden. Zu den drängenden Zukunftsfragen gehört auch die Erarbeitung eines effizienten nationalen Gesamtsicherheitskonzepts, in dem sinnvoll die Zusammenarbeit von Bund und Ländern sowie aller Sicherheitsorganisationen einschließlich Bundeswehr verbindlich geregelt wird. Die Parteien bleiben in ihren Programmen bei diesem Problem, sofern sie es überhaupt erwähnen, diffus und unverbindlich. Die föderalen Leistungspotenziale von Bund und Ländern müssen stringenter als bisher gebündelt werden und dürfen nicht weiterhin Spielball parteipolitischer Interessen sein. Auch sollte an dem Tabu gerüttelt werden, dass die bisherige Sicherheitsarchitektur sich bewährt habe und Kompetenzverschiebungen jedweder Art nicht erforderlich seien, denn nach Meinung von Fachleuten ist Sicherheitsarbeit in Deutschland unverändert von Redundanzen, Doppelarbeit und Unübersichtlichkeit gekennzeichnet.

Noch ist grundsätzlich die Exklusivität der Polizei als legitimer Wahrer des Gewaltmonopols des Staates nicht gefährdet. Gleichwohl muss der Tatsache ins Auge gesehen werden, dass die öffentlichen Haushalte eine flächendeckende personelle Aufstockung der Sicherheitskräfte nicht zulassen und bei der Analyse der Sicherheitslage neben den taktischen und strategischen Aspekten auch ständig der Umfang und die Zusammensetzung der bereitgestellten Ressourcen überprüft werden müssen. Die Polizei wird sich zunehmend auf ihre Kernaufgaben konzentrieren müssen, zumal in Einzelfällen nicht nur eine Stagnation, sondern sogar ein Rückschritt bei den Personal- und Sachhaushalten festzustellen ist. Die Politik wird nicht umhin können, in Hinblick auf die zunehmende Verknappung der Haushaltsmittel bestimmte Bereiche aus dem klassischen Aufgabenkanon der Polizei herauszunehmen und anderen Einrichtungen zu übertragen. Hierzu zählen insbesondere Routineaufgaben mit geringer Eingriffsintensität. Wachpolizeien und ähnliche Einrichtungen reichen für deren Erledigung vollkommen aus. Überdies wird im Rahmen der Public-Private-Partnership die Bedeutung des kommerziellen Sicherheitsgewerbes zunehmen.

Selbst die tragischen Dilemmata unkoordiniert arbeitender Sicherheitsbehörden bei der jahrelangen vergeblichen Fahndung nach dem Terrornetzwerk aus Zwickau scheint noch kein Umdenken bewirkt zu haben, obwohl die Untersuchungsergebnisse zum Teil vernichtend sind. Aber selbst diese scheinen immer noch nicht auszureichen, die eigentlichen tiefer sitzenden Ursachen näher in den Fokus zu nehmen. Hierzu gehört zuvörderst die Überprüfung der überkommenen Sicherheitsarchitektur jenseits aller politischen Interessen und Vorbehalte im Bund-Länder-Verhältnis.

Immerhin bleibt ein Trost: Wo eine Angelegenheit aufhört, Gegenstand einer Kontroverse zu sein, hört sie auf, Gegenstand des Interesses zu sein.