Die „Gräfin“ und ihre Liebhaber
Von Werner Sabitzer
Im Jahr 1790 entzückte die attraktive „Gräfin Henkel von Kramschütz“ die Männerwelt in Salzburg und Tirol. Es handelte sich aber nicht um eine Hochadelige, sondern um ein diebisches Dienstmädchen aus Brünn.
Johann Aloys Brugger, fürsterzbischöflicher Buchhalter in Salzburg, war hingerissen von der attraktiven Gräfin, die im Dezember 1790 im Haus des bekannten Uhrmachers Bentele in der Kaigasse in Salzburg eingezogen war. Brugger arbeitete und wohnte gegenüber in der Neuen Residenz. Er stammte aus dem Zillertal und hatte im Tiroler Feldjägerkorps gedient, bevor er nach Salzburg kam. Sein Dienstmädchen hatte ihm von der Ankunft der „Gräfin“ erzählt.
Die „Gräfin“ war hübsch, witzig und sprachgewandt – und sie benötigte als „verunglückte Comtesse“, als die sie sich ausgab, offenbar Unterstützung. Sie sei mit einem Innsbrucker namens Wörsach „durchgegangen“. Ihr Freund habe ihr aber in Luxemburg alle Sachen geraubt und sie im Stich gelassen. Buchhalter Brugger erwies sich als großzügiger Verehrer. Innerhalb weniger Tagen gab er ihr viel Geld und ermöglichte ihr einen aufwendigen Lebensstil.
Viele Verehrer
Johann Aloys Brugger war nicht der einzige Verehrer der geheimnisvollen Frau, die sich als „Gräfin Henkel von Kramschütz“ ausgab. Sie erhielt unter anderem Geld vom Salzburger Zeitungsfaktor Anton Hengel und vom Stadtsyndikus Hofrat Benedict Edler von Loeß.
Als die attraktive „Gräfin“ nach zwei Wochen Aufenthalt in Salzburg den Wunsch äußerte, nach Innsbruck zu reisen, finanzierte ihr Brugger die Fahrt und gab ihr sein Dienstmädchen mit. In Innsbruck quartierte sich die Gräfin bei einem bürgerlichen Friseurmeister ein, einem Cousin von Bruggers Dienstmädchen. Sie hielt sich nur kurze Zeit in Innsbruck auf und zog nach Hall weiter. Dort wurde sie ebenfalls von Verehrern großzügig unterstützt, unter anderem von Graf Arco, Dr. Scala sowie einem Schwazer Kreisoffizier und einem Akzessisten. Gräfin Königsfeld nahm die Besucherin in ihr Haus auf, gab ihr Kleidung und nahm sie zu Theatervorstellungen mit.
Die attraktive „Hochadelige“ lernte in Tirol weitere Männer kennen. Der Mauteinnehmer Haindl nahm sie am Silvestertag 1790 in ein Gasthaus am Pass Strub mit, wo sie unter anderem auf Mathe Lorenz traf, dem Akzessisten des Pfleggerichts Lofer. Lorenz wollte die Frau unbedingt kennen lernen, weil sie eine „Personn von schönen Wuchse, und Gestalt, ausserordentlicher Beredsamket und viler Weltkenntniß seyn sollte“, wie er später bei seiner Einvernahme angab. Der Silvesterabend im Dorfwirtshaus sollte der gesprächigen „Gräfin“ zum Verhängnis werden. Offenbar hatte sie zu viel getrunken und sie widersprach sich. Lorenz und dem Mauteinnehmer Haindl kamen Zweifel an der Identität der Frau, die keine Identitätspapiere hatte. Haindl nahm die junge Frau in seiner behördlichen Funktion in Verwahrung und berichtete davon dem Kreisamt, das ein Gerichtsverfahren einleitete. Die „Gräfin“ wurde am 3. Jänner 1791 in das Stadt- und Landgericht Kitzbühel überstellt. Mauteinnehmer Haindl vermutete, dass es sich bei der „Gräfin“ um die steckbrieflich gesuchte Johanna Engelhärtin handelt. Dieser Verdacht erwies sich als falsch, denn die „schöne Grätzen-Hannerl“ war inzwischen in Triest verhaftet worden.
Diebstahl und Betrug
Einen Tag nach ihrer Einlieferung wurde die schöne „Gräfin“ wegen des Verdachts des Diebstahls und Betrugs erstmals einvernommen. Die Beschuldigte blieb in den folgenden Wochen bei ihrer Darstellung: Sie sei die Tochter des Generals Graf von Henkel auf Kramschütz. Nachdem diese Version widerlegt worden war, gab sie sich als Mitglied der Familie Khevenhüller von Augenthal in Brünn aus, danach als Tochter des reichen Brünner Bürgers Opfermann von Pflichtentreu und schließlich als Tochter des Prager Gubernialrats von Leisser. Als vermeintliche Adelige musste sie in Haft „standesgemäß“ verpflegt werden. Bei der Einvernahme am 6. Juni 1791 folgte eine neue Version: Sie heiße Brunno und sei eine Schauspielerin.
Befragt nach ihren Männerbekanntschaften in Salzburg und Tirol, erwies sie sich als weniger gesprächig. Auch ihre Verehrer und Förderer blieben in ihren Aussagen sehr zurückhaltend. Da sich die „Gräfin“ als verheiratet ausgegeben hatte und auch die meisten ihrer Verehrer verheiratet waren, wäre eine sexuelle Beziehung strafrechtlich als „Ehebruch“ gewertet worden. Auch Johann Aloys Brugger wies in seiner Einvernahme sexuelles Verlangen von sich; die Liebeserklärungen habe er nur zur „Unterhaltung“ der „Gräfin“ geschrieben, zu ihrer „Zerstreuung und Befriedigung“. Der Kriminalkommissär vermerkte aber in seinen Bericht: „Doch wiederstrebt es aller Wahrscheinlichkeit, daß Hr. Brugger bey ganz mittelmäßigen Einkünften eine so beträchtliche Summe blos der Liebe aufgeopfert hätte.“
Als „Gräfin“ verehrt
Ein halbes Jahr brauchte man in Tirol, die erfundenen Legenden der „Gräfin“ zu widerlegen. In einem Bericht wird auf die „erstaunende Fertigkeit ihres Witzes zu Erdichtungen und Lügen mit einer fasst eben so zu bewundernden Schamlosigkeit und Keckheit“ hingewiesen. Schließlich enthüllte die „Gräfin“ ihre wahre Identität: Sie heiße Johanna Drackin und sei die Tochter eines Seifensieders in Brünn. Sie sei in einem Brünner Waisenhaus aufgewachsen und dann, wie viele andere Mädchen, nach Wien gegangen, wo sie als Dienstmädchen in einem Haus in der Kahlenberggasse gearbeitet habe. Nach kurzer Zeit sei sie von dort abgehauen und mit gestohlenem Geld nach Prag gefahren, wo sie eine Anstellung im Haushalt des Gubernialrats von Leiner gefunden habe. Dort habe sie sich fortgebildet und sich bessere Umgangsformen angeeignet. Nach zwei Jahren habe man sie beschuldigt, einen Diebstahl begangen zu haben, deshalb habe sie ihre Anstellung verloren. Sie sei aus Prag weggezogen und schließlich nach Salzburg gekommen, wo sie als attraktive „Gräfin“ verehrt und unterstützt worden sei.
Betrug aus „Armut“
Johanna Drackin vulgo Lindwurmin wurde zu zwei Jahren „gelindem Gefängnis“ mit Haus- und Handarbeitspflicht im Innsbrucker Zuchthaus verurteilt – mit anschließender Abschiebung in ihren Heimatort Brünn. Es handelte sich um eine vergleichsweise geringe Strafe. Denn für ihre Straftaten – gewerbsmäßiger Betrug, Diebstahl, Zechprellerei und andere Delikte – hätte ihr nach dem Josephinischen Strafgesetz von 1787 eine Strafe „zweyten Grades“ gedroht – zwischen fünf und acht Jahren Gefängnis und öffentliche Arbeit. Offenbar war es der attraktiven Angeklagten gelungen, auch bei Gericht Sympathien zu erwerben. Als Milderungsgründe wurden unter anderem ihre Jugend und ihr „feuriges Temperament“ gewertet. Zudem hatten viele Betrogene auf einen Regress verzichtet. Auf die Frage des Richters, warum sie sich als „Gräfin“ ausgegeben habe, antwortete Johanna Drackin: „Aus Armut.“
„Unfähig und korrupt“
Interessant ist auch der weitere Lebensweg von Johann Aloys Brugger: Kurz nach Auffliegen der Affäre wurde er nach Lofer versetzt, wo er Maut- und Brauschreiber war. Nach einem Streit mit dem Brauamtsinspektor wurde Brugger in die Brauerei Kaltenhausen versetzt – degradiert zum zweiten Brauschreiber. Auch dort blieb er nicht lange. Wegen „unerträglichen Hochmuts“ wurde er aus dem Salzburger Dienst entlassen. Er zog nach Innsbruck und arbeitete als Buchhalter. Einige Jahre später wurde er wegen des Vorwurfs „französischer Gesinnung“ festgenommen und verbrachte eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft.
Nach seiner Entlassung zog er nach Wien, wo er eine Anstellung am Hof erhielt. 1802 verfasste er eine 64 Seiten starke Schmähschrift, in der er Salzburger Bedienstete, mit denen er zu tun gehabt hatte, als willkürlich arbeitend, „unfähig und korrupt“ bezeichnete. Das Werk schickte er an den Salzburger Hofrat, dessen Direktor die „Lästerschrift“ einzog und vernichten ließ.
Quellen/Literatur:
Ammerer, Gerhard: Gräfin Henkel aus Kramschütz auf Reisen oder: Wie eine attraktive Aventurière 1790 die Männerwelt betörte. Superbia und die Sieben Todsünden der Quelle; in: Frühneuzeit-Info, Jg. 21, H. 1-2, 2010, Tagungsthemenheft: Die Sieben Todsünden in der Frühen Neuzeit, S. 90-106.
Ammerer, Gerhard: Lug und Trug. Eine Hochstaplerin in der Stadt Salzburg zu Jahresende 1790; in: Kramml Peter F. (Hrsg. im Auftrag der „Freunde der Salzburger Geschichte): Stadt, Land und Kirche. Salzburg im Mittelalter und in der Neuzeit. Beiträge der Tagung zur Emeritierung von Heinz Dopsch in Salzburg vom 23. bis 24. September 2011, Salzburg, 2012; S. 183-196.