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Deutsche Polizisten bei der Ausbildung Afghanischer Sicherheitskräfte
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Auslandsmissionen der deutschen Polizeien – nur noch bedingt ein Exportschlager

Von Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a.D.

Auslandseinsätze der deutschen Polizeien gelten gemeinhin als Erfolgsgeschichte. Allerdings werden ihre tatsächlich Anzahl und der Umfang des eingesetzten Personals häufig überschätzt.
Aktuell sind lediglich etwa 200 Einsatzkräfte der Bundespolizei, der Polizeien der Länder, des Bundeskriminalamtes und der Zollverwaltung in Missionen der EU, der UN, der OSZE, des bilateralen Polizeiprojekts in Afghanistan und der europäischen Grenzschutzagentur Frontex im Einsatz. Die Zahlen der Bundeswehr lesen sich anders. Im Januar 2020 waren weltweit 3.200 Soldaten im Auslandseinsatz, davon allein rund 1.300 im Afghanistaneinsatz „Resolute Support.”

Meldungen von Einsätzen am Hindukusch, im Kosovo, im Südsudan, in Mali und an anderen Hot Spots dieser Welt sind gleichwohl allemal für eine Schlagzeile gut. Vor Nachstellungen durch Abgeordnete und Journalisten sind die Einsatzkräfte in der Fremde keineswegs gefeit. Selbst Hinterbänkler des Deutschen Bundestages finden auf diese Weise Eingang in die Abendnachrichten der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Mit Splitterschutzweste, Staubschutzbrille und Schutzhelm medienwirksam kostümiert, zeugen sie von deutschem Mannes- bzw. Frauenmut, auch wenn die Sicherheitslage in den aufgesuchten Gebieten in der Regel weitgehend entspannt und die Camouflage damit entbehrlich ist. Andererseits handelt es sich aber auch um die einzige Möglichkeit, parlamentarische Kontrollrechte durchzusetzen, da für die Auslandsverwendung deutscher Polizeibeamter im Gegensatz zur Bundeswehr nur eingeschränkte parlamentarische Beteiligungsrechte existieren. Ein Rückholrecht gibt es überhaupt nicht. Dies führte in der Vergangenheit immer wieder zu Forderungen der Opposition nach einem Entsendegesetz für Bundespolizisten, wobei vordergründig auf das Wohl der Beamten in etwaigen Krisengebieten abgehoben wurde, unterschwellig jedoch latentes Misstrauen der Opposition an den lauteren Absichten der Regierung die Federführung bestimmte. So nachzulesen im Gesetzentwurf der Grünen in der Bundestagsdrucksache 17/12710.

Die eigentliche Erfolgsgeschichte der zahlreichen internationalen Polizeimissionen, bei denen die Bundespolizei ein Drittel, die Länder zwei Drittel der Kontingente stellen, wurde zunächst durch den Bundesgrenzschutz als Ahnherr der Bundespolizei geschrieben. Lange vor den quälenden verfassungsrechtlichen Diskussionen um den Auslandseinsatz der Bundeswehr und vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 über die Möglichkeiten von Einsätzen der Bundeswehr im Rahmen von Systemen der kollektiven Sicherheit war der BGS bereits im Ausland tätig.

War der Einsatz der GSG 9 zur Geiselbefreiung in Mogadischu im Jahre 1977 noch ein singulärer Akt klassischer Staatsnotwehr, wurde der BGS mit Kabinettsbeschluss vom 13. September 1989 am 14.9.1989 mit 50 Beamten für fast zwei Jahre zusammen mit 600 Polizisten aus 21 weiteren Staaten nach Namibia entsandt, um beim Übergang zur Unabhängigkeit eingesetzt zu werden.

Geschützter Sonderwagen SW 3 des BGS für den UN-Einsatz im Panzermuseum Munster
© Banznerfahrer - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1 0862032

Damit waren die BGS-Beamten die ersten deutschen Uniformierten, die das blaue Barett der UN im Ausland trugen. In schneller Reihenfolge folgten Einsätze in Kambodscha, in der Westsahara und auf dem Balkan. Zwischenzeitlich sind die Auslandseinsätze nicht nur Markenzeichen deutscher ziviler Krisenprävention und Konfliktbewältigung geworden, sondern haben Deutschlands Ansehen in der Welt gemehrt. Die erzielten Erfolge und die Sinnhaftigkeit der Auslandseinsätze sind jedoch nach wie vor umstritten. Desungeachtet mehren sich die Stimmen in der Politik nach einem verstärkten Engagement Deutschlands.

Mit der Internationalisierung von Polizeiarbeit nunmehrigen Regelung wurde schon seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erstmalig der Boden der klassischen innerstaatlichen Aufgabenverteilung verlassen, wonach Hauptaufgabe der Polizei die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit hauptsächlich im Innern ist. Die Gründe für diese Entwicklung waren unterschiedlich und reichen von den Folgen der zunehmenden Verwischung der Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit über eine in der Diskussion umstrittene weltpolitische Verantwortung Deutschlands zur Schaffung humanitärer Lebensbedingungen bis hin zur Mithilfe beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in Krisengebieten.

Zwischenzeitlich wurde die Beteiligung der Bundespolizei an internationalen Polizeimissionen sowie als Instrument der zivilen Krisenprävention im Koalitionsvertrag der 17. Legislaturperiode gar als Kernkompetenz bewertet. Noch deutlicher wurde der Koalitionsvertrag der folgenden Regierungskoalition: „Die Koalition bekennt sich zur Stärkung einer ressortübergreifenden Zusammenarbeit im Verständnis einer effektiven Außen- und Sicherheitspolitik, für deren Erfolg sich zivile und militärische Instrumente ergänzen müssen. In der Außen- und Sicherheitspolitik denken und handeln wir vernetzt. Eine besondere Bedeutung kommt der zivilen Krisenprävention zu, deren Strukturen wir stärken und weiterentwickeln.” Im Übrigen kamen selbst die Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 27. Mai 2011 zu einer ähnlichen Ergebnissen: „Sicherheit für unser Land zu gewährleisten, bedeutet heute insbesondere, Auswirkungen von Krisen und Konflikten auf Distanz zu halten und sich aktiv an deren Vorbeugung und Einhegung zu beteiligen. Die Wahrnehmung unserer Interessen ist heute nur ressortgemeinsam möglich. Deshalb ist eine gesamtstaatliche, umfassende und abgestimmte Sicherheitspolitik erforderlich, die politische und diplomatische Initiativen genauso umfasst wie wirtschaftliche, entwicklungspolitische, polizeiliche, humanitäre, soziale und militärische Maßnahmen.“

Wie jede Erfolgsgeschichte, hat auch die Auslandsverwendung zwei Sei­ten. Zum einen stehen Qualifikation und Professionalität der entsandten Polizisten in aller Regel außer Frage. Mancher Beamter des mittle­ren Polizeivollzugsdienstes hat Ausnahmelagen auf dem Balkan gemeistert, an denen hochmögende Polizisten aus anderen Ländern trotz akademischen Rüstzeugs gescheitert waren. Die deutschen Kontingente werden zu Recht anerkannt. Auf der ande­ren Seite sind die letztlich erzielten Erfolge zum Teil, auch wegen fehlen­der seriöser Evaluierungen, umstritten. Was besagt eine mehrstellige Zahl mit großem Aufwand ausgebildeter Polizisten in Afghanistan, wenn die Mehrzahl von ihnen Analphabeten ist, Korruption in afghanischen Polizei­dienststellen eine Konstante des täglichen Dienstbetriebes ist und die Mehrzahl der Bewerber nach abgeschlossener Ausbildung wegen besserer Verdienstmöglichkeiten bei einem Rauschgiftclan untertaucht oder sich einem Warlord anschließt? Ohnehin hat Deutschland mit seiner bekannten Konfliktvermeidungs- und Scheckbuchstrategie mehr auf finanzielle Zuwendungen und auf die gemeinhin gefahrlose Ausbildungshilfe gesetzt, statt tatkräftig mit Exekutivmaßnahmen an der Stabilisierung der jeweiligen Sicherheitslage mitzuwirken.

Dort sehen nämlich die Vordenker der Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) mittelfristig die Herausforderungen des internationalen Krisenmanagements. Wenn in den kommenden Jahren im Gleichschritt mit der Bundeswehr nahezu sämtliche deutsche Polizisten Afghanistan den Rücken gekehrt haben werden, hat Deutschland über 500 Millionen Euro Ausbildungshilfe investiert. Da auch diese Maßnahme wie andere deutsche Auslandsinvestitionen nicht evaluiert werden, wird niemand erfahren, ob die afghanische Nationalpolizei tatsächlich in die Lage versetzt wurde, „rechtsstaatliche Prinzipien” mit Leben zu erfüllen und was aus jenen 30 Hundeführern mit der gleichen Anzahl belgischer Schäferhunde geworden ist, die für rund 186.000 Euro ausgebildet wurden, um ausgerechnet im Mutterland der Opiumproduktion auf Flughäfen nach Drogen zu schnüffeln.

Das bereits im Spätsommer 2012 vom Bundesnachrichtendienst herausgegebene Dossier „Afghanistan bis zum Jahre 2014 - ein Prognose” jedenfalls zeichnete ein derart düsteres Bild der Ergebnisse der vorangegangenen Sicherheitsbemühungen, dass es vorsorglich als vertrauliche Verschlusssache eingestuft wurde.

Afghanische Polizeiausbildung durch deutsche Beamte
© dpa

Angeblich wünschten sich einige der hochrangigen Adressaten in den Ministerien nach dem Studium der schonungslosen Analyse, sie hätte dieses Papier gar nicht erst in die Hände bekommen. So wurde auch dieses Papier wie andere Verlautbarungen willkommene Munition für die Oppositionsparteien, die insbesondere in Gestalt der Fraktion DIE LINKE immer wieder die Bundesregierung mit insistierenden Kleinen Anfragen nach Defiziten im Zusammenhang mit dem deutschen Polizeieinsatz in Afghanistan malträtierten.1

Die Brisanz der Anfragen besteht darin, dass sie grundsätzlich einen Kern Wahrheit enthalten und damit alle Versuche konterkarieren, in denen versucht wird, die Lage und die Entwicklung schönzureden. Ohnehin war es unter Fachleuten kein Geheimnis mehr, dass in einer religiös orientierten und tribalistisch dominierten Mehrethnien­gesellschaft nahezu unmöglich war, erfolgreich Demokratieprogramme westlicher Provenienz zu etablieren. Selbst eine anerkannte seriöse Tageszeitung musste in einem kritischen Beitrag anerkennen, dass auf deutscher Seite kaum einer die Geflechte der ethnischen Interessen, der Drogenkartelle und des religiösen Fanatismus durchblickt und dass die Missionen aufgrund der hohen Desertationsraten, der massiven Korruption und einer grundlegenden Abneigung gegen Ratschläge der Ausländer frustrierend und schwierig sind.2

Es existiert kein international abgestimmtes Konzept. Die USA kümmern sich um die Streitkräfte, Italien ist für das Justizwesen, Großbritannien für die Drogenbekämpfung verantwortlich und Deutschland soll das Polizeiwesen auf Vordermann bringen. Gerade die Bemühungen der Deutschen, die deutsche Philosophie einer Bürgerpolizei und moderne Methoden der Kriminalbekämpfung in ein von Bürgerkriegsunruhen zerrütteten failing state zu exportieren, stießen auf Vorbehalte der Amerikaner, deren Hauptanliegen es war, die afghanischen Sicherheitskräfte auch für robuste Kampfeinsätze fit zu machen. Noch klammern sich Auswärtiges Amt und Bundesinnenministerium an die Fortführung des German Police Project Teams in Afghanistan, aber nicht nur coronabedingt wird die Zahl an Ausbildern immer kleiner, die aus Angst vor Anschlägen auf Außeneinsätze verzichten und in ihren festen Quartieren verharren. Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL berichtet, dass Insider der Bundespolizei den polizeilichen Afghanistaneinsatz schon länger als nicht mehr sinnvoll bewerten und von einem „Potemkinschen Dorf“ reden.3

Der eigentliche Grund für die Schwächen und Defizite der deutschen Versuche, bei der weltweiten Sicherheitsvorsorge als Global Player aufzutreten, liegen aber tiefer. Wie in anderen Sicherheitsbereichen auch fehlen realistische und dem jeweiligen Krisengebiet angepasste und zwischen den Ressorts abgestimmte Handlungskonzepte. Die nationale Vorbehalte gegen eine synergiestiftende Kooperation zwischen Streitkräften und Polizeien werden ins Ausland projiziert, wo als besondere schmerzliche Konsequenz einer fehlenden „stategic culture” die defizitäre Kooperation zwischen militärischen und zivilen Akteuren konstatiert wird.  So wird Deutschland von der internationalen Entwicklung abgekoppelt, denn Fachleute diskutieren zunehmend intensiver die Möglichkeit, an der Nahtstelle von militärischen und polizeilichen Einsätzen Spezialverbände einzusetzen, die auch bei militärisch-polizeilichen Gemengelagen zur „robusten“ Krisenintervention in der Lage sind. Bereits bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Kosovo im März 2004 traten erhebliche strukturelle Defizite bei der Bundeswehr und bei den Polizeikräften zutage.

Bundeswehrsoldaten im KFOR-Einsatz im Kosovo
© Nick Macdonald (nickmacdonald.net) - http://en.wikipedia.org/wiki/Image:KFOR_Kosovo2.jpg, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3022872

Beide Organisationen waren auf Auseinandersetzungen mit Terroristen und geschlossen geführten Aufständischen weder mental noch ausbildungsmäßig vorbereitet. Die Bundeswehr als bundeseinheitlich geführte Militärmacht zog umgehend die Konsequenzen, führte neue Führungs- und Einsatzmittel ein und stellte die Ausbildung um. Soldaten nehmen heute im Auslandseinsatz mehr polizeiliche Aufgaben wahr als Verfassungspuristen lieb ist. Nebenbei führten sie auch das Argument ad absurdum, dass die Bundeswehr zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben nicht in der Lage sei. Allerdings scheint auch dem Gesetzgeber die Gefährlichkeit von Auslandseinsätzen bewusst zu sein, denn nach § 3 Abs. 5  Soldatengleichstellungsgesetz ist das Gesetz bezogen auf die Gleichstellung von Frauen bei besonderen Auslandsverwendungen nicht oder nur eingeschränkt anwendbar, wenn dies zur Gewährleistung der Sicherheit oder Einsatzbereitschaft der eingesetzten Truppen erforderlich ist.4

In Hinblick auf die weiter zunehmende Gefährlichkeit von Auslandsverwendungen kurieren die deutschen Polizeien lediglich an den Symptomen herum, ein genereller Mentalitätswandel trat nicht ein, obwohl vormalige 1. Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Jörg van Essen, zu den an sich erforderlichen Konsequenzen ganz erstaunliche Worte fand: „Die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben im Rahmen von Auslandseinsätzen, wie die Bekämpfung organisierter Kriminalität oder die Kontrolle gewalttätiger Demonstrationen, unterscheidet sich aufgrund eines völlig anderen Umfelds von der klassischen Polizeiarbeit im Inland. Dieses Umfeld ist z.B. durch Minen, Sprengfallen und paramilitärische Strukturen geprägt. Weder herkömmliche Streitkräfte noch konventionelle Polizeikräfte sind hierfür optimal ausgebildet, ausgerüstet und gegliedert. Daher erscheinen mir als Übergangslösung zwischen militärisch dominierten und einer polizeilich geprägten Sicherheitsstruktur so genannte polizeiähnliche Fähigkeiten erforderlich. Eine Aufgabenwahrnehmung durch die Bundespolizei würde zudem den angestrebten Übergang zu zivilen Sicherheitsstrukturen erleichtern.“ Als gelernter Staatsanwalt und Oberst der Reserve wusste er, wovon er sprach.

Aber auch die Wissenschaft hat die Notwendigkeit erkannt, dass bei den Friedensmissionen (wohl eher ein Euphemismus) in Problemländern Fähigkeiten erforderlich sind, die bedeutend robuster sein müssen als bei Polizeien in pazifizierten Staaten. Allerdings ist auch in Deutschland seit den terroristischen Angriffen im Januar 2015, insbesondere auf die die Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo, ein Umdenken eingetreten. Die Ausbildung bei der Bewältigung lebensbedrohender Lagen, bisher eher verdrängt, wurde bei der Bundespolizei intensiviert, die Schutzausstattung der Einsatzkräfte einer Überprüfung unterzogen und die Beschaffung von vordem nur den Streikräften zugeordneten Waffen und geschützten Einsatzfahrzeugen wie EAGLE und ENOK in die Wege geleitet.Die weitere Entwicklung gipfelte letztlich in den Überlegungen, verbandsstruktrierte Einsatzeinheiten einzurichten, die nach kurzer Reaktionszeit ausreisefähig sein sollten. Zu diesem Zweck sollten zwei Internationalen Einsatzeinheiten bei der Bundespolizeiabteilung St. Augustin aufgestellt werden. Der bisherige Verlauf war keine Erfolgsgeschichte. Mangels eines soliden Berwerbunsaufkommenwurde die zweite Einheit Opfer des Rotstiftes. Sie wurde durch eine auf mehrere Standorte verteilte Aufrufeinheit ersetzt, die wohl kaum Gewähr für die ursprünglich geplante schnelle Einsatzbereitschaft bietet.

Für internationale Polizeieinsätze im Rahmen des Zivilen Krisenmanagements der Europäische Sicherheits- und Verteidigungs­politik ist Deutschland mithin immer noch nicht bedarfsgerecht aufgestellt. Spätestens seit den Beschlüssen des Rates von Feira im Juni 2000 sind die Anforderungsprofile für die zu entsendenden Kräfte sowie die Forderungen an das Fachwissen insbesondere unter dem Aspekt des sich ständig verändernden Einsatzspektrums weiterentwickelt worden. Auch forderten die europäischen Polizeichefs bereits bei einem Treffen im Oktober Logo European Gendarmerie Force
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2004 in den Niederlanden vertiefte Kenntnisse in der polizeilich-militärischen Zusammenarbeit, einem Gebiet, das in Deutschland noch weitgehend terra incognita und mit törichten Tabus belegt ist. Insbesondere zeichnet sich an keiner Stelle ab, dass man gewillt ist, angesichts neuer Angriffs- und Gewaltprofile die Ausbildung grundsätzlich umzustellen.

Für robuste Polizeieinsätze an der Nahtstelle zwischen klassischer Störungsbeseitigung und militärischen Kampfhandlungen sind am ehesten die Einsatzkräfte der European Gendarmerie Force (EGF) geeignet, in der Polizeieinheiten zusammengefasst sind, die auch zu militärischen Aktionen herangezogen werden können. Am 18.10.2007 schlossen Frankreich, Italien, die Niederlande, Portugal und Spanien einen Vertrag, in dem u.a. die Aufgaben für diese Einsatzkräfte sowie die Grundlagen für die Beteiligung an multilateralen Operationen definiert wurden. Das ständige Hauptquartier befindet sich in Vicenza/Italien. Einsatzkräfte der EGF nahmen bereits an der EU-Militäroperation EUFOR ALTHEA in Bosnien und Herzegowina teil. Deutschland übt sich mit Hinweis auf das selbstauferlegte und längst vom rauen Wind der globalen Herausforderungen verwehte Trennungsgebot zwischen Militär und Polizei in Enthaltsamkeit und ist damit auch von der Entwicklung in diesem Bereich abgekoppelt. Was letztendlich die deutsche Beteiligung an internationalen Stabilisierungseinsätzen betrifft, so hat die Stiftung Wissenschaft und Politik nachgewiesen, dass es hierfür im Grunde nur zwei Optionen gibt: Entweder Aufbau einer Gendarmerieienheit bei der Bundespolizei oder die Erweiterung der Feldjäger zur Gendarmerieeinheit. Beide Optionen haben keine Chance auf Realisierung, da die hierfür erforderliche Wille zur Verfassungsänderung nicht gegeben ist.

Auch wenn sich die Bundesregierung in den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern” zu einem umfassenden resssortgemeinsamen Krisenengagement und zur Förderung der zivilen und polizeilichen Komponenten bei den Vereinen Nationen und in der EU bekennt, stoßen die Absichten angesichtes der Situation der inneren Sicherheit in Deutschland an ihre Grenzen, zumal die Bundesrepublik nach dem zwischenzeitlich in Kraft gesetzten Europäischen Integrierten Bordermanagement und angesichts der angespannten Situation an den Außengrenzen der Schengenstaaten erhebliche Personalkontingente an die Europäische Grenzschutzagentur Frontex abstellen muss.

Weiterhin wächst der Zweifel der Bevölkerung an der Sinnhaftigkeit von polizeilichen Auslandsmissionen merklich, auch wenn er noch nicht die Intensität des Widerstandes gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan erreicht hat. Überdies lässt aus unterschiedlichen Motiven die Auslandsbegeisterung bei den Polizeibediensteten beim Bund und in den Ländern nach. All dies ändert nichts an der Tatsache, dass insbesondere die UN ein stärkeres Engagement Deutschlands bei der Entsendung von Polizeikontingenten fordert, was einen auf Schlagzeilen dressierten Politiker zur Forderung an die Bundespolizei inspirierte, künftig auch Pensionäre mit Zeitverträgen zur Polizeihilfe im Ausland einzusetzen, denn die tatsächliche Entwicklung ist besorgniserrgend. Während im Frühjahr 2001 noch 550 deutsche Beamten an internationalen Missionen teilnahmen, waren es 2018 nur noch 131 Einsatzkräftge, womit Deutschland im internationalen Vergleich insbesondere bei den UN-Einsaätzen im hinteren Mittelfeld der internationalen Polizeikontngente rangiert.

Die bisher negativen Erfahrungen aus polizeilichen Auslandsmissionen hielten allerdings die Politik in der kapriziösen Kostellation CDU/CSU, SPD und Die Grünen nicht davon ab, traut vereint in einem Antrag in der Bundestagdrucksache 18/9662 vom 20.9.2016 vermehrtes deutsches Engagement beim Einsatz deutscher Polizisten bei internationalen Friedesmissionen zu fordern. Mit deutlichen Worten wurde auf die originäre Zuständigkeit des Bundes für diesen Kompetenztitel nach Art. 73 GG und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Finanzierung hingewiesen und eine deutlich höhere Besetzung von Führungspositionen bei internationalen Missionen durch deutsche Polizisten reklamiert. Zutreffend wurde allerdings auch angemerkt, dass die hierfür erforderliche Ausbildung zu optimieren und zu vereinheitlichen ist und Auslandseinsätze im Personalverwendungskonzept angemessen bei Beurteilungen und Beförderungsentscheidungen zu berücksichtigen sind, um so Anreize für einen Dienst im Ausland zu schaffen und die Zahl der freiwilligen Auslandsverwendungen zu erhöhen.

Der Vorstoß verlief wie das Hornberger Schießen, sodass nunmehr die Grünen drei Jahre später in der Bundestagsdrucksache 19/9273 einen Negativkatalog besonderer Art vorlegten. Zunächst wiesen sie darauf, dass sich seit der Initiative aus dem Jahre 2016 nichts ereignet hätte, die Zahl deutscher Polizeibeamter in internationalen Friedensmissionen sich nicht signifikant erhöhte hätte, die Bewerbungen weiter zurückgegangen seien und im Jahre 2019 rund 500 Funktionen in Missionen der EU, VN, OSZE und im deutschen Polizeiprojekt in Afghanistan vakant waren. Dabei hatte die EU sich zwischenzeitlich im November 2018 darauf verständigt, im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) die zivile Komponente zu verstärken, um frühzeitig auf Krisen reagieren zu können. Für Deutschland bedeutet dies, 900 Polizeibeamte vorzuhalten, eine Absicht, deren Durchsetzung zurzeit vollkommen illusorisch ist. In der nunmehrigen Initiative fordern die Grünen die Vorlage eines schlüssigen Plans, wie die internationalen Verpflichtung zur Entsendung von Polizeikräften und die Absicht zur Etablierung des erforderlich Stellenpools realisiert werden können. Immerhin bedingen sie die Bereitstellungen zusätzlicher Planstellen.

Will man das Problem der sinkenden Attraktivität von polizeilichen Auslandsverwendungen ernsthaft angehen, bedarf es zunächst einer validen Evaluierung aller bisherigen Maßnahmen. Einen belastbaren Beitrag könnte die Deutsche Hochschule der Polizei leisten, die zwischenzeitlich einen entsprechenden Fachbereich eingerichtet hat. Dabei wäre es verdienstvoll, die Sinnhaftigkeit und erreichten Erfolge der bisherigen Missionen, auch unter dem Aspekt der aufgewandten Finanzmittel, zu überprüfen, da die Maßnahmen in aller Regel ursprünglich auf politischen Spontanentscheidungen ohne Beeiligung von Fachleuten beruhten.

Zusätzlich wäre durch eine umfassende Befragung bisheriger Missionsmitglieder zu überprüfen, ob ihre Auslandsverwendung positive oder negative Aspekte auf ihre Karriereentwicklung hatten und inwieweit sich die Aspiranten bei Vor- und Nachbereitung der Missionen ausreichend betreut fühlten. Zusätzlich harrt aber noch eine Vielzahl sozio-struktureller Probleme im Binnenbereich der Polizeien einer wissenschaftlichen Durchdringung. Dazu gehören u.A. die Fragen, wie die in der Heimat zurückgebliebenen Mitglieder einer Dienststelle die längere Abwesenheit eines Missionsteilnehmers in Hinblick auf die dadruch bedingte zusätzliche Dienstbelastung beurteilen, aber auch die Frage, dass es bereits „Dauerverwender” im Ausland gibt, die aus unterschiedlichen Motiven eine Tätigkeit in der Ferne der heimischen Dienst- und Fachaufsicht vorziehen.

Summa summarum: Unverändert fehlt ein stringenter politischer Wille, aus dem verbindliche Angaben für den Auslandseinsatz deutscher Polizeien zu entnehmen ist, von Initiativen zur Bereitstellung eines Personalpools für ad-hoc-Eisätze ganz zu schweigen. Die zahlreichen internen und externen Initiative, gegebenenfalls Ruheständler für ein nachholendes Engagement zu aktivieren, ist beredtes Beispiel dafür, dass die ursprüngliche Euphorie in der Politik, aber auch polizeiintern, deutsches polizeiliches Know how zu exportieren, der Vergangenheit angehört.

 

Quellen:

1 Z.B. BT-Drs. 17/10471.
2 Carstens, Verteidigung am Hindukusch, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.3.2020, S. 10.
3 Volle Deckung, DER SPIEGEL 24/6.6.2020, S. 33.
4 Vgl. BT-Drs. 19/18972, S.5,8.

 

Über den Autor
Bernd Walter
Bernd Walter
Bernd Walter, nach vierzigjähriger Dienstzeit in der Bundespolizei mit unterschiedlichen Verwendungen im Führungs-, Einsatz-, Ausbildungs- und Ministerialbereich als Präsident des Grenzschutzpräsidiums Ost in den Ruhestand getreten. Anschließend Vorbeitrittsberater* der EU bei unterschiedlichen Sicherheitsbehörden in Ungarn. Autor zahlreicher Fachbeiträge zu Fragen der inneren und äußeren Sicherheit.
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