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Ein VAB / Schützenpanzer der Legionäre mit einer Browning M2/HB Kaliber.50. In der Stadt tobt bereits der Bürgerkrieg.
© 2. REP / Légion étrangère

Opération Pélican (Pélican 1)

Von Thomas Gast

Ich lese viel. Erst in dem Moment jedoch, in dem ich den weiter unten erwähnten Artikel eingesehen hatte, wurde mir in vollem Maße bewusst, was meine Einheit im Juni 1997 vollbracht hatte. Unser Einsatz war Business as usual, In meinem Fall aber verhielt es sich anders. Dieser normale Dienst im Kongo hatte das von mir selbst gewählte Ende meiner Karriere eingeleitet.

Eine Evakuierung, die nie stattfand

Zu Ende aber ist alles erst am Schluss. In diesem Sinne verweise ich auf die Septemberausgabe des Magazins Képi Blanc aus dem Jahr 1997. In dieser 72-Seiten-Revue konnte der scharfsichtige Abonnent Folgendes lesen.
« A vous tous, hommes de guerre, d’honneur, de qualité et de cœur, un grand merci. Vous nous avez prouvé combien votre efficacité professionnelle n’avait d’égal que votre gentillesse, humanité et grandeur d’âme !»
„An euch alle, Männer des Krieges, der Ehre, der Güte und des Herzens, habt Dank. Ihr habt uns bewiesen, dass nur eure Freundlichkeit, eure Menschlichkeit und die Größe eurer Seele, der euch eigenen professionellen Effizienz gleichkommen.“ Brief von Frau V. C. (Quelle: Magazin Képi Blanc. Name durch die Redaktion des Magazin Képi Blanc abgekürzt)

Nous, les ressortissants de la Russie, remercions du fond de nos cœurs la Légion étrangère qui nous a sauvés à Brazzaville en risquant leurs vies!
Wir, die russischen Einwohner, danken der Fremdenlegion aus vollem Herzen. Unter Einsatz ihres Lebens haben sie uns in Brazzaville gerettet. Russische Bürger von Brazzaville. (Quelle: Magazin Képi Blanc.)

Als das Képi Blanc druckfrisch und pünktlich wie ein Uhrwerk erschien, war meine Einheit bereits wieder zurück vom Einsatz. Die Rede ist von der Operation Pélican in Kongo-Brazzaville, von Mai bis Juni 1997. Bei dem Einsatz handelte es sich um eine französische Militäroperation, die im Wesentlichen von den Paras Legion getragen wurde. Es fand eine Evakuierung „in extremis“ einiger Tausend im Lande lebender Ausländer statt. Unter ihnen befanden sich viele Europäer, hauptsächlich Belgier, Franzosen und Deutsche. Aber auch Russen, Amerikaner und Afrikaner. Die Bedrohungslage war real, der Einsatz in der zweiten Phase beinhart. Die Operation gliederte sich in drei Teile.

 Mai 1997 in Libreville, Gabun. Vor der Verlegung in den Kongo.
© Thomas Gast

Pélican-1 war die Vorbereitung eines Einsatzes in Kinshasa, Zaire. Die Phase begann für uns am 15. Mai und endete zwei Tage später, am Abend des 17. Mai. Pélican-2 begann theoretisch mit dem Überfall der Regierung Pascal Lissoubas auf die Villa des Ex-Präsidenten Denis Sassou-Nguesso am 5. Juni. Im Gelände und in der knallharten Realität aber begann Pélican-2 für uns erst am 7. Juni. Dann aber gleich mit einem Paukenschlag. Diese heikle Phase dauerte bis zum Abend des 15. Juni. Pélican-3 war der Rückzug aller französischen Truppen aus dem Hexenkessel Brazzaville. Die Operation begann am Morgen des 16. Juni und galt am 20. Juni als beendet.

Die Vorgeschichte

Im Jahr 1996 beschloss Frankreich, einen permanenten Fallschirmjäger- Führungsstab mit Hauptquartier „Zentralafrika“ ins Leben zu rufen. Die Länder, die für eine ständige Militärpräsenz in Frage kamen, waren die Zentralafrikanische Republik, Kongo-Brazzaville, Kongo-Kinshasa, Tschad, Kamerun und Gabun. Nachdem der Beschluss verabschiedet worden war, handelten die Militärs prompt. Mit sofortiger Wirkung wurden in Gabun auf Dauer zwei Fallschirmjägerkompanien, die sogenannten COM-PARAs, und ein EMT (Führungsstab) stationiert. Die Einheiten, die diese Truppe stellten, waren im Wechsel die Bérets Rouges, also französische, reguläre Fallschirmjäger, oder die Bérets Verts, Fallschirmjäger der Fremdenlegion. Gabun stellte somit eine militärische Plattform von immenser strategischer Bedeutung dar. Der Flughafen lag in unmittelbarer Nähe des Camps, und so waren die Paras, im Falle eines Alarms, in weniger als zwei Stunden in der Lage, in die Maschinen zu steigen: Mit dem Fallschirm auf dem Rücken oder der Waffe und dem Gepäck in der Hand! Eine weitere signifikante Plattform, um in aufkommende Krisenherde katapultiert zu werden, bildete der Tschad. Seit der Operation Épervier im Jahr 1986, an der das 2. REP unter dem Befehl von Oberst Wabinski (der „Mann von Zouar“) zunächst mit der dritten und der vierten Kompanie und im Laufe der Operation mit dem kompletten Regiment teilgenommen hatte, standen dort französische Soldaten bereit. Das hatte sich bis 1996 nicht geändert. Im Camp Dubut in der Hauptstadt N’Djamena wartete stets eine Kampfkompanie Gewehr bei Fuß auf potenzielle Einsätze. Immer waren es Legionäre oder Marineinfanteristen. Auch hier lag der von den Franzosen kontrollierte Militärflughafen nicht weit entfernt und es herrschte ständige Einsatzbereitschaft. Selbst die Kompanie, die sich im etwa 700 Kilometer nordöstlich gelegenen Abéché aufhielt, konnte innerhalb von wenigen Stunden herbeigerufen werden.

Im ORSTOM Camp / Brazzaville, einen Tag später.
© 2. REP / Légion étrangère
 

Sommer und Herbst 1996

Als Oberst Puga in der zweiten Augustwoche des Jahres 1996 das 2. REP übernahm, waren die Würfel also längst gefallen. Die Politiker hatten entschieden, und die Generäle diese Entscheidungen im Gelände umgesetzt. Unser Regiment sollte die Hauptlast der permanent in Afrika stationierten französischen Fallschirmjäger tragen. So wurden unsere Dritte, die Vierte, ein Teil der Stabs- und Versorgungskompanie sowie eine Equipe GCP in den Tschad (Operation Épervier) gesandt.

Dort harrten sie der Dinge, die da kommen sollten. Lange, und das sollten wir bald erfahren, mussten sie nicht warten. Die zweite Kompanie befand sich bereits als COM-PARA im Camp de Gaulle in Libreville (Gabun) und die erste, meine Kompanie, war seit dem 30. Juni 1996 im Camp Béal in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik. Frankreich hatte also ein komplettes Fallschirmjägerregiment, sprich 1250 Soldaten der besten Sorte in der Großregion Zentralafrika. Ahnten die Generäle, was geschehen würde? Sicher war es so. Zu brodeln begann es in dieser Zeit überall, besonders aber in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik.

Aber nun zurück in den Kongo beziehungsweise nach Zaire. Kabilas Umtriebe in Zaire wurden von den französischen Militärs und natürlich vom französischen Geheimdienst von Beginn an sehr genau verfolgt. Die Auswirkungen des Völkermords in Ruanda, die Flüchtlingscamps in Nord- und Süd-Kivu sowie der schwächelnde Mobutu, all das waren Indikatoren für eine sich anbahnende Krise von enormem Ausmaß. Man machte sich Sorgen. Zu Recht beunruhigt war die in Kinshasa lebende europäische Gemeinde. Auch hier reagierten Frankreichs Militärs spontan.

Klammheimlich und noch lange bevor die Operation Pélican-1 offiziell als solche benannt wurde, packten die Paras Legion, die „Roten“ (die zweite Kompanie des 2. REP), ihre Siebensachen und verlegten, von den Medien kaum beachtet, von Libreville nach Brazzaville im Kongo. Brazzaville und Kinshasa lagen sich am Kongofluss gegenüber. Eine gemeinsame Kultur sowie dieselben Sprachen, Lingala, Kikongo und Téké, verbanden nicht nur die zwei Afrika-Metropolen, sondern das gesamte Grenzgebiet beider Länder, materialisiert durch den mächtigen Kongofluss. Es war eine schöne Region. Daran erfreuen konnte sich in diesen Tagen jedoch niemand so richtig.

Frühjahr 1997

Am 17. März 1997 wurden in aller Eile weitere Truppen nach Brazzaville verlegt. Dabei handelte es sich um eine Kompanie des 8. RPIMA, eine Fallschirmjäger-Marineinfanterie-Einheit. Ihr Auftrag war es, zusammen mit unseren Jungs vor Ort eine großangelegte Evakuierung aller in Kinshasa lebenden Franzosen vorzubereiten. Bald schon standen von französischer Seite aus 1500 Elitesoldaten in und um Brazzaville bereit.

Doch nicht nur die Franzosen hatten wegen der Sicherheit ihrer knapp 1000 Bürger Bedenken. In Kinshasa lebten und arbeiteten auch Belgier, Portugiesen, Deutsche und US-Amerikaner. Portugal schickte etwa vierzig Soldaten, stellte somit das kleinste Militär-Kontingent vor Ort. Belgien hatte zu der Zeit 3000 Zivilisten in Kinshasa, die mit Masse ursprünglich aus der Shaba Provinz, also aus dem Südosten des Landes, stammten. Das Land sah sich also in der Pflicht. Angesichts dessen operierten die belgischen Militärs im Rahmen der Operation „Green Stream“. Sie entsandten Ende März ein Régiment Para-Commando.

Alles in allem waren es etwa 780 belgische Soldaten. Das Pentagon schickte Sondereinheiten der US-Armee. Bereit standen auf Abruf zirka 300 Elitesoldaten der Southern European Taskforce (SETAF), stationiert in Italien. US-Kriegsschiffe der Navy steuerten Afrikas Westküste an, lagen unweit von Pointe-Noire vor Anker. Die U.S.S. Nassau und die U.S.S. Pensacola ankerten mit 1500 Marines an Bord im Mittelmeer. Gleichzeitig zogen die Amerikaner hundertdreißig US-Marines sowie Transporthubschrauber vom Typ CH-53 (Sea Stallion) und CH-46 (Sea Knight) auf einem Flughafen nahe Brazzaville zusammen.

Zwei Kampfhubschrauber AH-1W (Super Cobras) sollten diese während des Einsatzes schützen. Die Amerikaner glaubten damals, dass, käme es zu einer Evakuierung ihrer Landsleute in Kinshasa, sie diese mit Hubschraubern herausholen könnten. Das war eine sehr gewagte These. Landen würden die Hubschrauber in Kinshasa sicherlich. Keinem einzigen aber würde es jemals gelingen, sich wieder in die Lüfte zu schwingen: Zu ausgeprägt war in diesen Tagen der afrikanische Wille, Unruhe und Unsicherheit zu verbreiten! Abgeschossene US-Hubschrauber dürfte die Armee Mobutus sogar mit einer gewissen Genugtuung begrüßen.

Auch die Briten, die über 1000 Bürger mit einem britischen Pass in Kinshasa sitzen hatten, waren sehr aktiv. Knapp 350 Soldaten, Kommandos der Royal Marines, beherbergte die Stadt Brazzaville zu der Zeit. Die Kongo-Metropole war also in diesen Wochen ein enormer Schmelztiegel, bestehend aus verschiedenen Militäreinheiten, deren Bestreben es war, für die sichere Evakuierung ihrer Landsleute Gewehr bei Fuß parat zu stehen, kurz: Es tat sich was am Stanley-Pool! An Hand all dieser Truppenansammlungen konnte selbst der Laie mühelos ermessen, wie ernst man die Sache nahm.

Anfang Mai 1997

In Calvi erfuhren wir Legionäre nur wenig über den sich anbahnenden Konflikt, dafür hatte uns der Alltag zu sehr im Griff. Dennoch hörten wir im französischen Radio besorgt, dass Kabila Kikwit, die größte Stadt der Provinz Bandundu im Südwesten des Landes, eingenommen hatte und mit seinen Männern weiter Richtung Kinshasa marschierte. Und wir wussten, dass es demnächst zu einem Treffen der beiden Kontrahenten Mobutu und Kabila kommen würde. Das Treffen sollte auf der „Outeniqua“, einem südafrikanischen Eisbrecher und Kranschiff, im Beisein von Nelson Mandela stattfinden.

 Tote, überall Tote!
© 2. REP / Légion étrangère

Es war von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Mobutu „der Leopardenmann“ wollte nicht auf seine Präsidentschaft verzichten, und Kabila „der Mzee“, der es aus einem Aberglauben heraus nicht wagte, Mobutu in die Augen zu sehen, seinen Angriff auf Kinshasa nicht stoppen. Am 3. Mai 1997 wurde meine Kompanie in Marsch gesetzt. Wir stiegen an diesem Tag, es war ein regnerischer Samstag, an Bord einer von der Armee gecharterten Maschine, die uns von Bastia direkt nach Libreville in Gabun brachte.

Noch wussten wir nicht genau, was uns dort erwartete. Als wir schließlich im Camp de Gaulle ankamen, fanden wir dieses in helle Aufruhr. Man möge es mit einem Ameisenhaufen vergleichen, dem man einen kräftigen Tritt verpasst hat. Überall standen Grüppchen von Soldaten in Flecktarnuniform herum. Amerikaner, Belgier und Briten unterhielten kleine Task Forces von etwa jeweils fünfzehn bis fünfundzwanzig Mann vor Ort.

Meist waren es Spezialeinsatzkräfte, Offiziere und Spezialisten vom Nachrichtendienst, die diskret, teils in Zelten, meist aber in den neuen Unterkünften des Camps untergebracht, Tag und Nacht zu arbeiten schienen. Dazu kamen die hier stationierten französischen Marineinfanteristen und schließlich wir, die COM-PARA Legion. Einen Tag nach unserer Ankunft gab es wieder Neuigkeiten aus Zaire. Kabila hatte nun auch Kenge eingenommen!

Kaum hatten wir uns im Camp de Gaulle mehr schlecht als recht eingerichtet (es herrschte Platzmangel), erhielten wir Zugführer den Vorbefehl für das weitere Vorgehen. Dieser war knapp: Verlegung nach Brazzaville innerhalb der nächsten zwei Tage, hieß es. Das Datum wurde dann aber einige Male nach hinten verlegt, doch bald schon war es so weit. Etwa eine Woche später bekamen wir präzise Anweisungen bezüglich der mitzuführenden Ausrüstung und der Bewaffnung, und man legte uns einen genau einzuhaltenden Zeitplan vor.

In den darauffolgenden 48 Stunden fanden wir keinen oder nur wenig Schlaf, denn wieder hieß es, organisieren, umpacken und vor allem die Schäfchen zusammenzutrommeln und auch zusammenzuhalten. Libreville war eine verführerische Stadt. Als Resultat aus vorausgegangenen Aufenthalten in Gabun hatten die meisten unserer Legionäre sowie auch einige Kader bereits ihre „Liebchen“, von denen sich zu trennen kein Leichtes war. Wir teilten unsere Ausrüstung in zwei Kategorien. Dinge, die wir für einen Einsatz nicht unbedingt benötigten, blieben hier in Libreville und kamen unter Verschluss. Alles andere musste in einem Rucksack und in einigen Kisten zum Mitführen Platz finden.

Die Wahl stellte sich als schwierig heraus, denn wie lange unser Einsatz dauern würde, konnte uns noch niemand sagen. Noch war es nicht mal sicher, ob wir nach der Aktion wieder hierher nach Libreville zurückkamen. Wie üblich trennten wir uns nicht von unseren Képi Blancs. Jedem Zugführer war es gestattet, zu diesem Zweck eine Kiste zu füllen. Képis und Waffen: Beides war uns zu gleichen Teilen wichtig.

Kinshasa! Wir hatten es natürlich geahnt, doch nun war die Katze offiziell aus dem Sack. Unser Einsatz würde uns nach Kinshasa in Zaire führen. Als alles getan war, begann das Warten.

Tote, überall Tote!
© 2. REP / Légion étrangère
 

15. Mai 1997

Zwei Militärmaschinen brachten uns nach Brazzaville. Es war schwül und drückend in der Kongo-Metropole am Stanley-Pool, benannt nach dem Abenteurer Pierre Savorgnan de Brazza. Am Flughafen Maya-Maya warteten bereits Fahrzeuge des Typs VLRA mit laufenden Motoren auf uns. Alles musste schnell gehen. Bereits eine Stunde später luden wir unser Gepäck im ORSTOM Camp ab. Das ORSTOM Camp (Office de la recherche scientifique et technique outre mer) im gleichnamigen Wald im südwestlichen Teil der Stadt sollte fortan die Hochburg des 2. REP sein. Um Oberst Puga, unseren Regimentskommandeur, waren dort zwei Kampfkompanien und ein Führungsstab gruppiert.

Die ersten vierundzwanzig Stunden auf kongolesischem Boden erwiesen sich als sehr intensiv. Wir, die Zugführer, erhielten zum ersten Mal eine Lageeinweisung. Ich war erstaunt, wie mager die Informationen ausfielen. Im Großen und Ganzen erfuhren wir nur, was ohnehin schon bekannt war. Kabila stand vor den Toren Kinshasas, Mobutu wollte die Stadt verteidigen. Man erwartete ein Blutbad. Und wie in Afrika üblich, würde sich die Wut der Soldaten auch gegen wehrlose Zivilisten richten.

In Léopoldville, wie Kinshasa bis 1966 hieß, gab es viele Expatriierte: Deswegen der geplante Einsatz! Kam es zum Kampf der beiden Fraktionen, war ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert. Wir sollten uns prioritär um die etwa tausend französischen Bürger kümmern. Es folgten Bilder und Zahlen, doch ich hatte längst aufgehört, hinzusehen. Noch während der Offizier seine Ausführungen vor unseren Augen weiterspann, versuchte ich zu verstehen, warum man so lange warten wollte, bis in Kinshasa der erste Schuss fiel. Meine Überlegung in diese Richtung war möglicherweise naiv. Ich dachte, dass es besser wäre, die Aktion sofort durchzuführen. Jetzt, heute Nacht noch, wenn es sein sollte. Ohne Zweifel waren unsere Spezialkräfte auf der anderen Seite des Flusses am Werke. Auch die Vermutung, dass es geheimdienstliche Absprachen mit Mobutus Soldaten der Division spéciale présidentielle (DSP) gab, drängte sich auf.

Evakuierung der ersten Zivilisten aus dem Hexenkessel. Mehr als einen Koffer durften sie nicht mitnehmen.
© 2. REP / Légion étrangère

Zu diesem Zeitpunkt hatte die DSP die Lage womöglich noch im Griff, warum also dieses Hinauszögern? Ich stellte mir die Evakierung ungleich schwieriger vor, wenn in Kinshasa die Kämpfe erst mal im Gange waren. Mit Kabilas Militärs war erstens nicht gut Kirschen essen, und zweitens wussten wir nicht, wie diese unsere Präsenz einstufen würden: Hatte sich Frankreich militärisch hinter Mobutu gestellt? Das würde ihr erster Gedanke sein, und der schien gar nicht so abwegig.

Dann stelle man sich noch vor, sie würden auf portugiesische, amerikanische, britische und belgische Uniformen gleichzeitig stoßen. Es käme unweigerlich zur Konfusion, und aus Erfahrung wusste ich, dass sich die Fronten in einer solchen Verwirrung sehr schnell verhärten. Man schießt gegebenenfalls zuerst und stellt die Fragen zu einem späteren Zeitpunkt! Kein Problem für uns, wohl aber für die Zivilisten, für die wir die Verantwortung trugen. Man gab mir jedoch kaum die Möglichkeit, meine Überlegungen vorzutragen, dazu war ich auch ein zu kleiner Fisch. Als Zugführer hatte ich einen konkreten Auftrag, und der sollte auch genau so ausgeführt werden. Vage dargelegt sah dieser Einsatzbefehl Folgendes vor:

  • Mit meinen Männern auf Schnellbooten bei Nacht über den Kongofluss übersetzen.
  • Vorstoßen bis zu den vordefinierten Sammelpunkten, an denen die Expatriierten (Ressortissants) auf uns warten sollten.
  • Evakuieren der identifizierten Personen.
  • Mit ihnen zurück nach Brazzaville, über den Fluss übersetzen.
  • Nach der Durchführung des Auftrages für andere Verwendung bereitstehen.
  • In jeder einzelnen Phase der Operation sollte der Einsatz von Waffengewalt mit Nachdruck gestattet sein.

Technisch hieß das: Erweiterte Notwehr! Aus Erfahrungen schlau geworden, bedeutete das im Gelände gar nichts, vor allem nicht in Afrika. Hier hing das Überleben stets nur an einem dünnen Faden.

 

Über den Autor
Thomas Gast
Thomas Gast
Im Februar 1985 engagierte der Autor in der Fremdenlegion, wo er bis Anfang 2002 blieb. Nach der Legion war Thomas Gast lange Zeit in der Sicherheitsbranche tätig. Er arbeitete und lebte in Saudi Arabien (als Sicherheitsmitarbeiter – Klient: Delegation der Europäischen Kommission in Riad); Haiti (als Security- Country Manager – Klient: Delegation der Europäischen Kommission in Haiti); Israel (als stellvertretender Country Manager am ECTAO – European Commission Technical Assistance Office); Yemen (als Security- Teamleiter für Surtymar / YLNG – Yemen Liquefied Natural Gas); Rotes Meer – Golf von Aden – Arabische See (als Privately Contracted Armed Security Personnel (PCASP) bewacht der Autor seit Juni 2014 Schiffe vor Piratenangriffen. Sein Buch ´PRIVATE SECURITY` findet in der Sicherheitsbranche regen Zuspruch. Foto: Thomas Gast mit seiner Neuerscheinung PRIVATE SECURITY. © Thomas Gast
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