Antonio Vera

Von der ‚Polizei der Demokratie‘ zum ‚Glied und Werkzeug der nationalsozialistischen Gemeinschaft‘

Die Polizei als Instrument staatlicher Herrschaft im Deutschland der Zwischenkriegszeit (1918-1939).

Antonio
Vera Baden-Baden 2019.
ISBN 978-3-8487-5622-3.
114 €.
Der Autor wurde mit der hier zu besprechenden Arbeit an der Fernuniversität Hagen im Fachbereich Geschichte promoviert. Es sticht ins Auge, dass Antonio Vera weitaus mehr behandelt, als es der Titel des Buches erwarten lässt.
Zum einen geht er auf die theoretischen Grundlagen ein, wobei er sich zunächst mit der Entwicklung des Polizeibegriffes beschäftigt. Sodann beschreibt er die herrschaftssoziologischen und anschließend die polizeisoziologischen Grundlagen. In einem weiteren Kapitel untersucht er dann die historischen Grundlagen, wobei er in seiner Betrachtung bis in die Antike zurückgeht. Mit diesem zeitlichen Rahmen stellt sich Vera außerhalb des gängigen, modernen Polizeibegriffs. Dieser betrachtet nämlich in erster Linie die Polizei als ein Instrument staatlicher Herrschaft. Der Autor hingegen hält zwar die moderne Begrifflichkeit bei, überträgt sie aber auf die vormodernen Verhältnisse. Dass sich daraus Probleme ergeben, erkennt Vera, und er stellt fest: „Eine solche Übertragung einer modernen Begrifflichkeit auf vormoderne Verhältnisse ist aber nicht unproblematisch, da dies das Risiko birgt, dass auf diese Weise auch neuzeitliche Erfahrungen und Annahmen unzulässigerweise auf die früheren Verhältnisse übertragen und die Besonderheiten der betrachteten Epochen sowie die ihnen zu Grunde liegenden Rationalitäten vernachlässigt werden.“

Dieser weit ausgreifende Ansatz trägt dazu bei, dass der Autor viele Aspekte nur streift. So deutet er das komplexe Thema der mittelalterlichen Fehden lediglich an. Andere Zusammenhänge stellt er stark verkürzend dar, so etwa, wenn er annimmt, die Landesfürsten hätten im Mittelalter „nahezu willkürlich über ihre Untertanen geherrscht“ und hätten „wenig Interesse … an der Verbesserung der Sicherheitslage der Bevölkerung“ gehabt. Das ausgeprägte Geleitswesen, mit dem Kaufmannszüge im Mittelalter professionell geschützt wurden, lässt Vera außen vor, ebenso die zahlreichen Landfriedensschlüsse, mit denen versucht wurde, den Frieden zu bewahren. Dies taten die Landesfürsten keineswegs uneigennützig; denn bereits damals galt, dass Frieden eine Grundvoraussetzung für sprudelnde Steuereinnahmen ist.

Zwei Drittel des Buches widmen sich dann dem eigentlichen Thema. Als wichtige Quelle für die Zeit zwischen 1918 und 1939 wertete Vera die Zeitschrift „Die Polizei“ aus mit dem Ziel: „neue, fundierte und wertvolle Erkenntnisse über die Polizei als Instrument staatlicher Herrschaft in der deutschen Zwischenkriegszeit“ zu generieren. Auch diese Quelle bestätigt die Erkenntnis, dass die Polizei der Weimarer Republik ein Spiegel ihrer Zeit war. Es gab in ihr zwar demokratiekritische, reaktionäre Kräfte, aber auch nicht wenige „Polizeibeamte mit einer dezidiert republikanischen Gesinnung.“ Nach 1933 vollzog sich innerhalb der Polizei – so wie im Rest der Gesellschaft – rasch ein Stimmungswandel. In der Polizei wurde dieser Wandel durch deren Zentralisierung verstärkt. Eckpunkte dieser Entwicklung war die im Jahr 1935 erfolgte Übernahme aller Länderpolizeien durch das Reich und die ein Jahr später durchgeführte Verschmelzung der staatlichen Polizei mit der SS.

Abschließend geht der Autor der Frage nach, wie sich die Beziehungen zwischen Bevölkerung und Polizei in seinem Betrachtungszeitraum entwickelten: „Hier deuten die Ergebnisse der vorliegenden Dissertation darauf hin, dass dies maßgeblich darauf zurückzuführen war, dass die Beziehungen zwischen Staat, Polizei und Bürger wesentlich enger, stärker und harmonischer waren als noch in der Weimarer Republik. So gelang es dem NS-Regime offensichtlich innerhalb von sehr kurzer Zeit, nicht nur eine enorme Popularität in der Bevölkerung zu erlangen, sondern auch die Polizeibeamten zu motivieren und zu mehr oder weniger begeisterten Unterstützern des Nationalsozialismus zu entwickeln, was sich wiederum positiv auf den Rückhalt der Polizei in der Bevölkerung auswirkte.“

Dr. Reinhard Scholzen