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Martin H. W. Möllers; Robert Chr. van Ooyen

Jahrbuch öffentliche Sicherheit 2018/2019

Martin H. W. Möllers; Robert Chr. van Ooyen
Frankfurt 2019
ISBN 978-3-86676-570-2 und Nomos Verlag 978-3-8487-3825-0
59,90 €.
Das erste „Jahrbuch öffentliche Sicherheit“ erschien im Jahr 2003. Damals war es das erklärte Ziel des Sammelbandes, bedeutsamen Phänomenen und Entwicklungen im Bereich der öffentlichen Sicherheit nachzuspüren.
An dieser Absicht hat sich bis zum hier zu besprechenden aktuellen Jahrbuch nichts geändert. In 46 Beiträgen decken die Autoren auf rund 660 Seiten ein breites thematisches Feld ab, das von den beiden Herausgebern in sieben Bereiche unterteilt wurde: Die Aufsätze reichen von der „Verfassungsfeindlichkeit der AfD?“ über „Neue Polizeigesetze und Ausweitung der Befugnisse“ bis zur „Zukunft der deutschen Sicherheitsarchitektur“. Darüber hinaus werden „Extremismus und Radikalismus“ beschrieben, der „wehrhaften Demokratie“ wird nachgegangen und ein eigenes Kapitel widmet sich der „Öffentlichen Sicherheit in Deutschland insbesondere Polizei“. Im letzten Kapitel wird der Blick über die Grenze gewagt und Aspekte der „Europäischen und internationalen Sicherheit“ beleuchtet.

Innerhalb dieser Kapitel gehen die einzelnen Themen Autoren unterschiedlicher Fachrichtungen an, wobei ein Schwerpunkt auf Rechtswissenschaftlern liegt. Jens Puschke beschreibt die Sicherheitsarchitektur in der Sicherheitsgesellschaft und Tim Schlun befasst sich mit der „Strafverfolgung von polizeilicher Gewalt durch Polizei und Staatsanwaltschaften“. Der Soziologe Martin H. W. Möllers geht der Frage nach, wie der Begriff der „drohenden Gefahr“ im Bayerischen PAG nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz umgesetzt wird. Die größte geographische Distanz überwindet Daniel Burchardt, der in seinem englischsprachigen Beitrag „Corruption in Afghanistan“ beschreibt.

Die wissenschaftliche Qualifikation der Autoren reicht von wissenschaftlichen Mitarbeitern über Dozenten bis hin zu emeritierten Professoren. Offensichtlich war bei der Auswahl der Beiträge nicht der errungene wissenschaftliche Lorbeer, sondern die jeweilige Fachexpertise entscheidend. Gleichwohl ist die unterschiedliche intellektuelle Eindringtiefe der Verfasser unübersehbar. Des Weiteren fällt auf, dass wenige Autoren in ihren Beiträgen ihren individuellen Raum gesicherter Erkenntnis verlassen, etwa wenn sich lupenreine Theoretiker zu Praktikern aufschwingen und sich stupend bemühen, der Polizei „taktische Fehler während des Einsatzes“ nachzuweisen.

Es fällt jedoch angesichts der vielen gelungenen Beiträge des Sammelbandes leicht, über solche akademischen Selbstüberschätzungen hinwegzusehen. Durchaus zu loben ist auch, dass der Sammelband mehrere Dokumentationen enthält, wie etwa die Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages: „Ausweitung polizeilicher Befugnisse in Deutschland und Europa“ oder die „Leitsätze der Entscheidung des BVerfG zum zweiten NPD-Verbotsverfahren.“

Es ist ganz sicher kein Zufall, dass einige Themen von mehreren Autoren aufgegriffen wurden. So befassen sich sowohl Armin Pfahl-Traughber als auch das Autorenkollektiv Astrid Bötticher, Christoph Kopke und Alexander Lorenz mit der Frage, ob es sich bei der AfD um eine rechtsextremistische – und damit verfassungsfeindliche – Partei handelt. Zu ebenfalls deutlich unterschiedlichen Resultaten kommen Jan-Hendrik Dietrich und Ino Augsberg, die sich beide mit den Diensten in Deutschland und deren Reformen in den letzten Jahren befassen.

Aufschlussreich sind auch diejenigen Betrachtungen, die, methodisch unterschiedlich, das gleiche Thema behandeln. Das gilt für die Betrachtungen über den G-20 Gipfel in Hamburg und ebenso für die beiden Betrachtungen über „Polizei und Fremde“ bzw. das „Racial Profiling“. Thematisch liegen die Beiträge von Irina van Ooyen, die das „Community Policing in Deutschland und die politische Theorie des Kommunitarismus“ beschreibt, und Lisa Morhardt, die sich mit der Stadtpolizei in Frankfurt am Main befasst, eng beieinander. Letztere befasst sich auch mit den Ursachen der Renaissance der kommunalen Polizei. Sie beklagt grundsätzlich die Verlagerung „polizeifremder Aufgaben“ aus dem Zuständigkeitsbereich der Vollzugspolizei und kritisiert die Ausbildungsdefizite der Stadtpolizisten. Obwohl das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger durch diese Stadtpolizei gestärkt wird, warnt sie: „Es vollzieht sich ein Wandel hin zu: Stadtpolizei statt Polizei.“

Der Grundidee des Jahrbuchs Öffentliche Sicherheit sind mehrere Detailstudien besonders verpflichtet. So beispielsweise Maximilian Kreters Betrachtung: „Zwischen Ideologie, Geschäft und Subkultur – die Rechtsrockszene in Sachsen“ oder der Beitrag von Christoph Kopke: „Unpolitische Amoktat, rechtsterroristisches Attentat, Hasskriminalität? Zur Frage und Diskussion der Bewertung des mehrfachen Mordes des David S. am Münchener Olympia Einkaufszentrum im Juli 2016.“ Hier ist auch Stefan Goertz Darstellung „Eine Analyse der Phänomenbereiche Rechtsextremismus sowie ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ zu nennen.

Das Gesamtbild runden Überblicksdarstellungen ab. Hierunter fällt auch der Beitrag von Carsten Müller, der sich dem sattsam bekannten Problem widmet, Terrorismus begrifflich zu fassen. Hierzu zählt auch Stefan Briegers Betrachtung: „Vereinsverbote in den deutschen Ländern – Effizienz und Angemessenheit im Praxistest am Beispiel Brandenburgs.“

In der Summe steht das Jahrbuch Öffentliche Sicherheit seit mehr als 15 Jahren in einer kurzen Reihe von Publikationen, die für eine aktuelle Betrachtung der Themen aus dem weiten Feld der „Inneren Sicherheit“ eine wertvolle Grundlage bilden.

 Dr. Reinhard Scholzen