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Verschwörungstheorien keimen in der heutigen Zeit schnell auf

Von Klaus Henning Glitza

Es gibt eine Blutspur, die sich durch Deutschland zieht. Zehn Tote sind es, die den NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zugeschrieben werden. Zehn Verbrechen, die schrecklich genug sind. Außer den Morden an neun Menschen mit türkischen und griechischen Wurzeln geht mutmaßlich auch der Mordfall Michèle Kiesewetter auf das Konto des neonazistischen Trios.

Doch es gibt auch eine Parallelerscheinung, die ebenfalls zu Besorgnis Anlass gibt: ein Zeugensterben, das nicht allein durch das „Prinzip Zufall“ der Krankheits- beziehungsweise Altersgründe erklärbar scheint.
„Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um die vielen Toten aus dem NSU-Komplex merkwürdig zu finden“, schrieb die renommierte „Welt“ bereits 2016. Überschrift: „Warum sterben so viele NSU-Zeugen auf dubiose Art?“. Die Ermittler erklärten die Tode überraschend schnell als „natürlich“ oder „selbst gewollt“, heißt es in dem Artikel von Hannelore Crolly.

Zur Verdeckung zerstörte letzte Wohnung des NSU-Trios in Zwickau, Folgen der Explosion 2011
Foto: Von André Karwath aka Aka - Eigenes Werk, CC BY-SA 2.5
Jüngstes tragisches Beispiel ist der Kriminaltechniker Frank Dieter Stolt. Ein international geschätzter Brandsachverständiger, der die Ermittlungen im NSU-Komplex sachverständig begleitete und auch im Auftrag des baden-württembergischen Untersuchungsausschusses tätig wurde. Sein breites Wissen hatte der 62-Jährige als Autor von Standardwerken sowie Fachbeiträgen in Veko-online eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Am 15. Juni begab sich der Experte in ein Krankenhaus in Mannheim. Der sonst als völlig gesund geltende Mann fühlte sich von einer Minute zur anderen unwohl. Völlig überraschend, so Personen aus seinem Umfeld, fiel er kurz nach dem Eintreffen in der Klinik ins Koma, aus dem er nicht mehr erwachte. Die Familie hat eine Obduktion beantragt, weil die behandelnden Ärzte keine konkrete Todesursache nennen konnten.

Frank Dieter Stolt hat es an offenen Worten nie missen lassen. „Gefälligkeitsgutachten“, das war mit ihm nicht zu machen. So bezog er auch mehrfach zum NSU-Ermittlungskomplex kritisch Stellung. In der ARD-Doku „Die Akte Zschäpe“ äußerte er sein Unverständnis an dem Verhalten eines leitenden Kriminalbeamten. Der Mann, der sein Handwerk bei der „K“ der Volkspolizei erlernt hatte, war bei der „Untersuchung“ des ausgebrannten Wohnmobils in Eisenach offenbar auf „unkonventionelle Weise“, so Insider, in Erscheinung getreten.

Stolt warf dem Kripomann vor, nicht nach kriminalistischen Grundsätzen gearbeitet zu haben. Nach Aussagen des Brandermittlungsprofis ließ der leitende Kriminalbeamte die Kamera-Speicherkarte eines Feuerwehrmanns beschlagnahmen, der am Tatort Fotos geschossen hatte. Die sicherlich aufschlussreichen Bilder sind jedoch auf unerklärliche Weise verschwunden. Vermutlich wurden sie gelöscht.
Weiterer Kritikpunkt: Eigenhändiges „Durchstöbern“ des Wohnmobils- mit einer Harke. Angeblich, um Glutnester zu ersticken. „Spurenvernichtung“, so Stolt.

Ebenso kritikwürdig aus Sicht des Brandermittlers: Der leitende Kriminalbeamte ordnete an, dass das ausgebrannte Wohnmobil samt den Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos und den Waffen in eine privat betriebene und zudem unbewachte Halle in Eisenach verbracht wurde. Das sei „alternativlos“ gewesen, sagt der Beamte im NSU-Strafprozess. Doch danach habe sich nichts mehr an seinem ursprünglichen Platz befunden, konstatierte der Sachverständige Stolt. Viele Gegenstände wurden bereits beim Abschleppmanöver durcheinandergewirbelt. Was danach möglicherweise in der unbewachten Halle geschah, vermag niemand zu sagen.

Gedenktafel für die Opfer der neonazistischen Tätergruppe am Tatort in Heilbronn
Foto: © Von peter schmelzle - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0
Der Kriminalist ist es schließlich, der den entscheidenden Hinweis auf die Waffe gibt, mit der die Polizeimeisterin Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen wurde. Denkwürdiger Zufall: Der Beamte ist Onkel der in Heilbronn getöteten Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter.
Ebenso äußerte Stolt Zweifel an der gängigen Version zur Brandlegung im Haus Frühlingstraße in Zwickau, in dem das NSU-Trio gewohnt hatte. Dass Beate Zschäpe Benzin ausgegossen und dann entzündet habe, sei wenig glaubwürdig. Sie müsste sich dann zwingend verletzt haben, was aber nicht der Fall war.

Frank Dieter Stolt ermittelte aber auch im offiziellen Auftrag. 2015 betraute ihn der baden-württembergische NSU-Untersuchungsausschuss mit der Begutachtung eines ausgebrannten Autos, in dem der 21-jährige Neonazi-Aussteiger Florian Heilig starb. Der Experte stützte dabei die Version der Staatsanwaltschaft. Was Stolt indessen nicht zu ermitteln hatte, waren die besonderen Begleitumstände des Feuertodes.
Der Fall Heilig leitet über zu weiteren verwirrenden Geschehnissen, in denen es fast immer einen Bezug zum Mord an der Polizistin Kiesewetter gibt.

Der Krankenpflegeschüler Heilig hatte gegenüber seinem privaten und beruflichen Umfeld immer wieder behauptet, er wisse, wer die wahren Polizistenmörder von Heilbronn wären. Nicht Mundlos, nicht Böhnhardt, sondern „Alex, Matze, Nelly und Franchik“. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Personen real existieren, ist hoch. Mindestens zwei der Genannten wurden inzwischen identifiziert. Darunter ein Kroate und ein aus dem Hohenlohekreis stammender Bundeswehrsoldat. Letzterer, ein Mann mit dem Vornamen Matthias, belegt mit dem Tattoo „NSS“ (Neoschutzstaffel), welch Geistes Kind er ist. Der Vorsitzende des baden-württembergischen NSU-Neonazi-Demonstration am 2. April 2005 in München
Foto: © Von Rufus46 - taken by Rufus46, CC BY-SA 3.0
Untersuchungsausschusses, Wolfgang Drexler, hielt Heilig für einen glaubwürdigen Zeugen- und nicht für einen Aufschneider oder Phantasten, wie es zuweilen heißt.

Heilig hatte 2010 mit seinen ehemaligen tiefbraunen Gesinnungsgenossen gebrochen. Weil ihm nach Eigenangaben die Handlungen und Taten, die von ihm verlangt wurden, zutiefst zuwider waren. Der Ex-Nazi befand sich im Aussteigerprogramm Big Rex, das ihm aber offensichtlich nicht den erhofften Schutz bieten konnte. Ende 2011 sei er in Heilbronn mit einem Messerstich in den Bauch verletzt worden, wenige Tage vor seinem Feuertod, wird er nach zuverlässigen Angaben brutal zusammengeschlagen.

Heilig war bereits einmal vom Landeskriminalamt (LKA) vernommen worden, hatte sich dabei aber bedeckt gehalten. Am Tag seines „Suizides“, dem 16. September 2014, war eine weitere Vernehmung geplant. Heilig soll angekündigt haben, nunmehr mehr zu sagen als bei der ersten Vernehmung. Die LKA-Beamten wollten ihn deshalb an seinem Aufenthaltsort, einem Wohnheim für Auszubildende, aufsuchen.

Doch acht Stunden vor dem Termin ist der 21-Jährige tot. Als Motiv der angeblichen Selbstverbrennung wird unter anderem die Trennung von seiner Freundin Melisa Marijanovic genannt. Das Aus der Beziehung, die Umfeldpersonen als bis zuletzt glücklich bezeichnen, erklärte Heilig offenbar per „Whatsapp“. Es ist schon ein wenig sonderbar, wenn jemand, der selbst eine anscheinend ungetrübte Beziehung beendet, aus dieser Motivlage Selbstmord begeht.

Der Tod des Florian Heilig ist voller offener Fragen. Der renommierte Rechtsmediziner Prof. Dr. Heinz-Dieter Wehner kommt in seinem Sachverständigengutachten zu dem Schluss, dass Heilig zum Todeszeitpunkt möglicherweise nicht mehr handlungsfähig war und sich somit nicht selbst mit Benzin übergießen konnte. Bei der Obduktion waren große Mengen eines Giftcocktails, unter anderem Schmerzmittel, Beta-Blocker und Amphetamin, festgestellt worden. So hoch konzentriert, dass die Drogen-Medikamenten-Mixtur allein zum Tode geführt hätte. Der Rechtsmediziner sprach von einem „fragwürdigen Doppelselbstmord“,: Doppelselbstmord ist, wenn eine Person auf zwei verschiedene Arten (doppelt) Selbstmord begeht Auch er, der Doktor der Medizin und Diplom-Physiker, ist inzwischen verstorben. Er wurde 73 Jahre alt.

Professor Wehner war auch Gutachter in der Causa Kiesewetter/Arnold, den beiden Polizeibeamten, die durch gezielte Kopfschüsse getötet beziehungsweise schwerst verletzt wurden. Er kam zu dem Ergebnis, dass zwei Rechtshänder die furchtbare Tat verübt haben mussten. Einer der Hauptverdächtigen, Uwe Böhnhardt, war aber Linkshänder.

Kurz vor seiner Fahrt in den Tod habe Heilig einen Anruf bekommen, der ihn verstört habe, berichten Schwester und Mutter. Er sei „total aus dem Häuschen“ gewesen und habe erkennbar große Angst gehabt. Offenbar verabredete er sich mit einer unbekannten Person. Sein verzweifelter Kommentar: „Ich komme aus dieser Scheiße nie wieder raus.“

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Die ehemalige Freundin, eine gebürtige Kroatin, ist inzwischen auch tot- gestorben wie ihr Ex-Freund unter denkwürdigen Umständen. Sie erlitt bei einem Motocross-Training eine Prellung am Knie. Ihr Lebensgefährte findet die 20-Jährige, die sich unter Krampfanfällen windet, am 28. Februar 2015 in ihrer Wohnung vor. Der alarmierte Notarzt konnte sie nicht mehr retten. Es hieß, die Prellung habe zu einer Thrombose und diese wiederum zu einer Lungenembolie geführt. Und dies trotz zweimaliger Thromboseprophylaxe.

Die junge Frau hatte nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie sich massiv bedroht fühlte. Ausschussvorsitzender Drexler erlebt nach eigenen Worten eine junge Frau mit sehr großen, zugespitzten Ängsten. Sie war die einzige Zeugin vor dem baden-württembergischen NSU-Ausschuss, die mit dem Dienstwagen des Vorsitzenden abgeholt wurde. Alles andere erschien der gebürtigen Kroatin zu unsicher. Sie bestand auch darauf, dass sie von ihrem neuen Lebensgefährten Sascha Winter zur nichtöffentlichen Ausschusssitzung begleitet wird. Auch Winter macht Aussagen, ist zu erfahren. Was er und seine Freundin aussagten, hält das Gremium geheim.

Ein gutes Jahr danach, am 8. Februar 2016, kommt auch Sascha Winter ums Leben. Er wird erhängt in seiner Wohnung vorgefunden. Selbstmord, wird angenommen. Per Mail oder per SMS habe er einen „elektronischen Abschiedsbrief“ verschickt. Ein Echtheitsnachweis ist in solchen Fällen kaum zu erbringen. „Undenkbar, dass da jemand anderes die Finger im Spiel, sprich auf den Tasten gehabt haben soll“, schreibt Welt-Autorin Hannelore Crolly.

Ein halbes Jahr nach Heilig war auch Thomas Richter, ein V-Mann mit dem Decknamen „Corelli“, nicht mehr am Leben. Er starb, bevor ihn Beamte einer nicht genannten Behörde zum NSU-Komplex befragen konnten. Die Ermittler fanden Richter am 3. April 2014 leblos in einer „sicheren Wohnung“ im Landkreis Paderborn vor. Kreuzverbrennung durch den Ku-Klux-Klan (Symbolbild 2005): Als Anhänger der White-Supremacy-Bewegung nahm das NSU-Trio in den 1990er Jahren daran teil
Foto: © Von Confederate till Death in der Wikipedia auf Englisch - English Wikipedia, CC BY-SA 3.0
Als Todesursache wird ein Zuckerschock genannt. Richter/“Corelli“, der in einem Zeugenschutzprogramm lebte, habe an einem unentdeckten Diabetes gelitten.

„Corelli“, ein Mann in den mittleren Jahren, war ein Allrounder unter den V-Leuten. Er kannte das NSU-Trio persönlich und war im internationalen Ku-Klux-Klan-Spektrum unterwegs. Seinen Hinweisen war es zuzuschreiben, dass zwei Beamte der Einheit der Polizeimeisterin, der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) 523, einer davon ein Gruppenführer, als „Klansmen“ enttarnt werden konnten. Thomas Richter arbeitete bei der Postille „Der weiße Wolf“ mit, in der schon 2002 die seltsame Kurznachricht „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter…“. zu lesen war.

Bereits am 25. Januar 2009 kam der damals 18-jährige Arthur Christ ums Leben. Der aus Kasachstan stammende Deutsch-Russe kam in einer sehr ähnlichen Weise wie Florian Heilig zu Tode. Er floh aus seinem Auto, das plötzlich in Brand geraten war, erlitt aber so starke Verbrennungen, dass er daran verstarb. Auch in diesem Fall heißt es offiziell Selbstmord.

Möglicher Hintergrund: Der „Depp mit der Käpp“, wie er wegen seiner Vorliebe für Hip-Hop-Kleidung respektlos genannt wurde, sieht einer Person verblüffend ähnlich, die von einer Zeugin im Zusammenhang mit dem Mord an der Polizeibeamtin Kiesewetter gesehen am Tatort gesehen wurde. Auch er starb kurz vor einer weiteren Vernehmung. Ein Hinweisgeber geht davon aus, dass Christ möglicherweise Kontakt zur osteuropäisch geprägten Drogendealerszene in Heilbronn hatte, die möglicherweise am Ort des Polizistenmordes, der Theresienwiese in Heilbronn, zum Tatzeitpunkt eine BTM-Lieferung abwickelte. Möglicherweise kannte Christ Heilig, aber Neonazi war er aller Wahrscheinlichkeit nicht.

Ebenso zu Tode kam Corinna B., ein ehemaliges Mitglied der rechtsextremen Szene in Ludwigsburg. Eine Schlüsselfigur mit kürzestem Draht zu Top-Nazis, wie es heißt. In den 1990er Jahren hatte die Frau persönliche Kontakte zu den drei NSU-Terroristen und galt als Freundin von Beate Zschäpe. Sie stirbt am 2. Februar 2017 im Alter von 46 Jahren. Kurz zuvor, am 30. Januar, hatten die Mitglieder des baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschusses beschlossen, sie zur Zeugenvernehmung vorzuladen. Die Parlamentarier hatten sich wesentliche Informationen von der Frau aus Tamm bei Ludwigsburg versprochen.

Als ihr Tod bekannt wurde, schien das den Vorsitzenden des baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschusses Wolfgang Drexler (SPD) massiv zu irritieren. Laut einer Pressemitteilung in eigener Sache signalisierte er dem baden-württembergischen Justizministerium, „dass der Ausschuss großes Interesse daran hat, zu wissen, ob die Zeugin eines natürlichen Todes gestorben ist und Fremdeinwirkung oder Fremdverschulden bei ihrem Tod ausgeschlossen werden kann.“ Begründung: „Da wir leider bereits mit bedauerlichen Todesfällen zu tun hatten“.

Als Drexler erfuhr, dass die Einäscherung des Leichnams bereits fest terminiert war, regte er beim Justiz- und Innenministerium an, „dringend Maßnahmen zu erwägen, um die spätere Aufklärung nicht unmöglich zu machen bzw. zu erschweren“. Vergeblich: „Leider war, wie wir später erfahren haben, wohl die Einäscherung bereits erfolgt, bevor wir uns erstmals an die Ministerien wenden konnten.“ Aus Chronistenpflicht muss aber ausgeführt werden, dass Corinna B. eine schwerkranke Frau war, die sich in einem Pflegeheim befand und sich nur noch mit einem Rollator bewegen konnte.

Auch Lieselotte W. gehört zu den Verstorbenen. Die Frau, die 80 Jahre alt wurde, gehörte zu den wichtigsten Zeugen im Mordfall Kiesewetter. Lieselotte W. hatte gegenüber der Polizei einen blutverschmierten Mann beschrieben, der kurz nach der Tat in ein wartendes Auto sprang. Aufgrund Ihrer Schilderungen wurde ein Phantomfoto des Fahrers des Fluchtautos und seines offensichtlichen Komplizen angefertigt. Eine Ähnlichkeit mit den NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos war selbst mit größtmöglicher Phantasie nicht festzustellen. Diese Fotos wurden zum Erstaunen von Ermittlern offiziell nie veröffentlicht, sondern erst Jahre später, 2013, von Medien, denen sie offenbar zugespielt worden waren. Für damalige Ermittler gilt noch heute die Zeugin als „positiv evaluiert“.

Im Jahr 2013 verstarb darüber hinaus der Zeuge Manfred K. im Alter von 56 Jahren. Er soll an Krebs gelitten haben. Gestorben ist auch nach zuverlässigen Angaben ein weiterer Augenzeuge, dessen Name nicht bekannt gegeben wurde.

Inzwischen sind auch polizeiliche Ermittler, die im NSU-Komplex tätig waren, gestorben. Auch sie hatten zum Teil vor laufenden Kameras harte Kritik an der Art, wie die Ermittlungen abgelaufen sind, und auch an der mangelnden Kooperation der Behörden geübt. Der „Focus“ berichtete von einer mysteriösen Selbstmordwelle in der thüringischen Polizei.

Zu den Toten, die aber nicht im Zusammenhang mit dem Polizistenmord stehen, gehört auch Muzaffer T. Der in Berlin wohnende Türke war zusammen mit seinem in der Türkei lebenden Bruder Talat Zeuge des Nagelbomben-Anschlages von Köln im Juni 2004. Die beiden standen nur gut sechs Meter vom Anschlagsziel entfernt. Da Der Ort des NSU-Prozesses: Das Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße 16 in München
Foto: Von Bubo - Selbst fotografiert, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=327247
sie hinter einem Transporter standen, überlebten sie. In Köln hätte sich das Brüderpaar aufgehalten, weil Muzaffer nach Angaben eines Rechtsanwaltes seinem jüngeren Bruder Deutschland zeigen wollte.

Doch Talat war nicht ein Nobody aus der Türkei, sondern ein damals noch aktiver Oberstleutnant der Armee. Als er im Januar im NSU-Prozess aussagen sollte, verlangte er über seinen Anwalt die Entfernung des Kreuzes. Das Symbol der Christenheit stelle für ihn eine „unzumutbare innere Belastung dar“, ließ er das Gericht wissen. Sein Bruder Muzaffer hatte ganz andere Schwierigkeiten. Er litt an Kreislaufproblemen und musste deshalb überhaupt nicht aussagen. Er starb an Krebs.

Verschwörungstheorien keimen in der heutigen Zeit schnell auf. Was früher die heute außer Mode gekommenen Hausmärchen waren, sind heute oftmals abenteuerliche Theorien über den „wahren Verlauf der Weltgeschichte“. Vieles ist wichtigtuerische Phantasterei und Paranoia. Doch die vielen toten Zeugen und Sachverständigen, die den NSU-Ermittlungskomplex säumen, können aber nicht einfach mit „Zufall“ oder Verkettung unglücklicher Umstände oder dem Faktum, dass jedes Leben endlich ist, begründet werden. Das wäre zu einfach. Zumal sich zum Teil Muster erkennen lassen. „Es sind eindeutig etliche Tote zu viel und viele von ihnen starben passenderweise kurz vor ihrer Aussage“, sagt ein Insider.

Es wäre wohl falsch, dem noch etwas hinzuzufügen.

 

Über den Autor
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza, Jahrgang 1951, ist Chefreporter dieser Online-Publikation. Der Fachjournalist Sicherheit erhielt 2007 den Förderpreis Kriminalprävention; seit vielen Jahren ist er Mitarbeiter im Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Norddeutschland und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik. Vormals war er Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und dort u. a. zuständig für Polizeiangelegenheiten.
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