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Die Loveparade 2010 in Duisburg vor der Katastrophe, bei der 21 Menschen zu Tode kamen.
Foto: © Arne Müseler/Wikimedia

Schutz von Veranstaltungen wird immer wichtiger – oder doch nicht?

Zwei neue Bücher füllen eine Marktlücke.

Von Dr. Harald Olschok

Anfang September 2017 findet im rheinhessischen Bad Kreuznach das sog. Fischerstechen statt. Erwartet werden 15.000 Besucher. In der Allgemeinen Zeitung aus Mainz wurde am 8. August über das „Sicherheitskonzept“ der örtlichen Veranstalter berichtet. Dieses sei notwendig, das wisse man spätestens nach dem Unglück bei der Loveparade in Duisburg. Man könne aber nicht die von einem privaten Sicherheitsdienst geforderten 3.000 Euro für drei Tage aufbringen. Deshalb sei man dankbar, dass eine örtliche Fahrschule „spontan angeboten habe“, Mitarbeiter zu spenden, die den entsprechenden Schein haben. Gemeint ist wahrscheinlich der Unterrichtungsnachweis nach § 34a der Gewerbeordnung. Auch der Kleingärtnerverein will mit seinen Mitgliedern zur Sicherheit beitragen. Dann kann ja nichts mehr schief gehen …

Wir wollen dieses kleine Beispiel nicht überbewerten und wünschen den Veranstaltern auch ein gelungenes und sicheres Fest. Bad Kreuznach ist nicht Nizza, Berlin oder Manchester. Aber auch im fränkischen Ansbach dachte vor einem Jahr niemand an ein Attentat. Am letzten Tag des alljährlich in der mittelfränkischen Bezirkshauptstadt im Juli veranstalteten dreitägigen Musikfestivals versuchte ein Attentäter als Rucksackbomber auf den Festivalplatz zu gelangen. Die Eingangskontrollen waren als Reaktion auf den Amoklauf wenige Tage zuvor im Olympiaeinkaufszentrum in München verstärkt worden. An dem gewählten Zugang wurde er abgewiesen, weil er keine Eintrittskarte vorwies. An einer zweiten, hinter der Kartenkontrolle befindlichen Schleuse durchsuchten Ordnungskräfte die Taschen aller Besucher. Der Attentäter wandte sich ab und wenig später explodierte – möglicherweise versehentlich – sein selbstgebauter und von der Brisanz her eher schwacher Sprengsatz, wobei der Attentäter selbst schwer verletzt wurde. Geplant war offensichtlich, dass er den Rucksack in einer Menschenansammlung des Festivals abstellen und aus der Ferne zünden sollte.

Es geht nicht darum, dass irgendein Mitarbeiter einen „Sitzschein“ einer IHK vorhält, es geht um ein Gesamtkonzept zum Schutz von Veranstaltungen. Dies kann von leistungsfähigen privaten Sicherheitsdiensten erwartet werden.

Wir leben in einer immer stärker Event-geprägten Gesellschaft. Die Zahl der Veranstaltungen ist kaum mehr zu überblicken. Immer mehr davon gilt es zu schützen. Die Zahl der Besucher von Veranstaltungen in Deutschland ist allein in den letzten 10 Jahren um 100 Mio. von 291 Mio. (2006) auf 393 Mio. (2015) gestiegen Die Durchführung sichererer Veranstaltungen ist eine komplexe Aufgabe für alle Beteiligten. Die damit verbundenen Herausforderungen sind allen Beteiligten seit dem 24. Juli 2010, gegenwärtig. An diesem Tag starben in Duisburg bei der 17. Loveparade 21 Besucher, über 500 Personen wurden verletzt und leiden teilweise heute noch an den Folgen. Die Ursachen für diese Katastrophe waren kein terroristischer Angriff, sondern offensichtliche Fehler bei der Planung der Besucherströme und ein vor vorneherein völlig unzureichendes Festivalgelände. Dieses Ereignis hat zu einem nachhaltigen Umdenken bei allen Beteiligten geführt. Die Defizite wurden analysiert und in zahlreichen Bundesländern, vor allem in NRW, wurden Leitfäden mit Festlegungen und Empfehlungen zur Planung, Genehmigung und Durchführung von Großveranstaltungen entwickelt. Der BDSW hat reagiert und in seinem Fachausschuss „Veranstaltungs- und Ordnungsdienst“ konkrete Vorstellungen zum Professionellen Veranstaltungsordnungsdienst entwickelt.

Der professionelle Schutz von Veranstaltungen ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Aufgabengebiet für private Sicherheitsdienste geworden. Sie können aber offensichtlich bestehende Rechtsdefizite nicht kompensieren. Diese treffen vor allem private Sicherheitsdienste und die Ausbildung deren bei Veranstaltungen eingesetzten Sicherheitskräfte. Nach § 43 der Muster-Versammlungsstättenverordnung hat der Veranstalter ein Sicherheitskonzept aufzustellen und einen Ordnungsdienst einzurichten. Der Ordnungsdienst wird aber nicht definiert. Insbesondere bei Groß- oder Risikoveranstaltungen müssen die eingesetzten Sicherheitskräfte tatsächlich auf ihre Tätigkeit vorbereitet und die Abläufe für den Ernstfall eingeübt werden. Dies kann nicht im Gewerberecht geregelt werden. Dazu bedarf es einer spezialgesetzlichen Regelung mit einer gesetzlichen Vorgabe an die Qualifikation der Sicherheitsunternehmen und deren eingesetztes Sicherheitspersonal. Die aktuelle Bedrohungslage erfordert jedoch mehr, als nach jedem bekannt gewordenen Vorfall die Sicherheitskonzepte anzupassen. Diese politische Forderung des BDSW ist notwendig und wichtig.

Auf die aktuelle Bedrohungslage haben jedoch viele Veranstalter reagiert und gestalten den Schutz ihrer Veranstaltungen deutlich professioneller. Denjenigen, die die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt haben, sei die Lektüren zweier lesenswerten Neuerscheinungen dringend empfohlen:

  • Dr. Stephan Gundel (Hrsg.): Sicherheit für Versammlungsstätten und Veranstaltungen – Ein umfassendes Handbuch zur Sicherheitskonzeption, Richard Boorberg Verlag, Stuttgart 2017
  • Heinrich Bernhardt: Der Einsatz nichtstaatlicher Sicherheitskräfte bei Veranstaltungen – Handbuch für Veranstalter, Betreiber von Veranstaltungsstätten und Führungskräfte der Sicherheitsdienste, Beuth Verlag, Berlin 2017 

Sicherheit für Versammlungsstätten und Veranstaltungen
2017, 312 Seiten
EUR 48,-
ISBN 978-3-415-05956-6
Dr. Stephan Gundel, Chefexperte Sicherheit bei der schweizerischen Gruner Gruppe, ist es gelungen, 18 erfahrene Experten als Autoren zu gewinnen, die ihr Wissen sowie ihre berufliche Erfahrung in das Werk eingebracht haben. Die grundlegenden Zusammenhänge und Entwicklungen der Veranstaltungssicherheit werden aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Es ist ein einzigartiges Kompendium, dass eine Fülle von praxisorientierten Hilfen für alle Sicherheitsverantwortlichen liefert, die mit der Durchführung oder Begleitung von Veranstaltungen bzw. den Schutz von Versammlungsstätten befasst sind.

In vier Teilen wird die Problematik umfassend herausgearbeitet. Teil A gibt einführende Erläuterungen zur Struktur und Analyse des Veranstaltungsmarktes, informiert über aktuelle Entwicklungen in der Veranstaltungssicherheit und auch über rechtliche Sicherheitspflichten des Veranstalters. Die Grundlagen der Sicherheit für Versammlungsstätten und Veranstaltungen stehen im Mittelpunkt von Teil B. Dabei wird differenziert zwischen den unterschiedlichen Vorgaben und Maßnahmen der Veranstaltungssicherheit in den Bereichen Arbeitssicherheit, Brandschutz, Crowd Management / Besucherbetreuung, Security / Schutz. Aber auch über das Notfall- und Krisenmanagement wird informiert. Die veranstaltungsspezifischen Besonderheiten, Vorgaben und Maßnahmen werden in Teil C umfassend herausgearbeitet. Das ist besonders wichtig. Schließlich unterscheiden sich die Bedingungen bei Sportgroßveranstaltungen, Konzert- und Kulturveranstaltungen, Freizeitparks- und Frühlingsfesten, Straßenfeste und Trend-Veranstaltungen sowie auch von exklusiven und geschlossenen Gesellschaften mehr oder weniger deutlich. Inzwischen kann auch eine Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft zum einem Ziel von Aktivisten werden. Veranstaltungen können nur aus dem Zusammenspiel der Veranstalter, der zuständigen Behördenorganisation mit Sicherheitsaufgaben und natürlich den privaten Sicherheitsdienstleistern gewährt werden. Die Sicht der Behörden und Organisation mit Sicherheitsaufgaben stehen im Mittelpunkt des abschließenden Teil D. Hier wird die Sicht der Genehmigungsbehörden, der Polizei, den Feuerwehren, der Rettungsdienste und auch der öffentliche Verkehrsbetriebe dargestellt und umfassend herausgearbeitet.

Dieses Handbuch schließt eine Marktlücke und wird zu dem Nachschlagewerk für alle sicherheitsrelevanten Fragestellungen bei Veranstaltungen werden. Es zeigt auch die Grenzen rechtlicher Vorgaben auf. Alle Beteiligten sind im eigenen Interesse permanent gefordert, aus den bisherigen Erfahrungen zu lernen und für künftige Veranstaltungen einen noch besseren Schutz zu liefern. Die Autoren dieses Werks liefern dafür wichtige Grundlagen.

Der Einsatz nichtstaatlicher Sicherheitskräfte bei Veranstaltungen Taschenbuch,
2017, 184 Seiten
EUR 39,-
ISBN, 978-3-410-27658-6
Heinrich Bernhardt wendet sich in seinem Werk primär an Veranstalter, Betreiber von Veranstaltungsstätten und an Führungskräfte der Sicherheitsdienste. Auch Heinrich Bernhardt erhebt den Anspruch eines Handbuchs. Bernhardt war 47 Jahre bei der Hessischen Polizei, zum Schluss als Polizeipräsident in Offenbach tätig. Wie kaum ein zweiter hat er sich ehrenamtlich für eine permanente Verbesserung der Sicherheitskonzepte im Fußball engagiert. Er war viele Jahre für den DFB tätig und berät Unternehmen bei der Durchführung von Veranstaltungen, erstellt Stellungnahmen zu Sicherheitsfragen und erarbeitete unter anderem auch ein Gutachten zum Desaster bei der Love-Parade 2010. Mit seinem Buch will Heinrich Bernhardt Sicherheitsdienste umfassend instruieren und als Nachschlagewerk bei allen relevanten rechtlichen und praktischen Fragen ihrer sicherheitsbezogener Aufgabenwahrnehmung dienen. Das gelingt ihm durch die Verwendung praktischer Beispiele und eine klare und überzeugende Gliederung.

Bernhardt beschränkt sich aber nicht nur auf die Vermittlung praktisch-operativen Wissens. Er gibt auch zahlreiche Beispiele für die aktuelle Rechtsprechung und vermittelt juristische Zusammenhänge. Mit klaren und nachvollziehbaren Aussagen werden Problemlösungen bei Einsatz von nichtstaatlichen Sicherheitsdiensten erörtert. Seine Erfahrung beim DFB dürften Bernhardt dazu bewogen haben, sich näher mit dem Thema veranstaltungseigener, nichtgewerblicher Sicherheits- und Ordnungskräfte vs. gewerbliche Sicherheitskräfte eingehender zu beschäftigen. Es ist zunächst die Entscheidung des jeweiligen Fußballvereins, ob er zum Schutz seiner Spiele auf eines dieser beiden Modelle bzw. auf auch Mischformen zurückgreift. Dadurch ergeben sich aber nicht unerhebliche rechtliche Konsequenzen. Der vereinseigene Ordner unterliegt nicht dem Gewerberecht, muss seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern somit auch nicht dem Unterrichtungsverfahren bei einer Industrie- und Handelskammer unterziehen. Der vereinseigene Ordner unterliegt auch nicht den Tarifverträgen des BDSW. Er muss nur nach den gesetzlichen Mindestlohn entlohnen. Die damit verbunden Unterschiede und Probleme arbeitet Bernhardt gut heraus, ohne dafür die eine oder andere Variante Partei zu ergreifen.

Ein besonders wichtiger Aspekt beim Schutz von Veranstaltungen wird bei Bernhardt eher in einem Nebensatz erwähnt. Er fordert die Veranstalter auf, ausreichendes Personal einzusetzen und dabei nicht an falscher Stelle zu sparen. Wer die Personalstärke ausschließlich an monetären Gesichtspunkten orientiere, werde seiner Sicherheitsverantwortung nicht gerecht. Womit wir wieder beim Fischerstechen in Bad Kreuznach wären …

Es gibt noch viel zu tun. Gesetzliche Vorgaben sind, wie vom BDSW gefordert, dringend notwendig. Wer sich jedoch heute professionell mit dem Schutz von Veranstaltungen beschäftigt und seine Risiken minimieren will, erhält mit den beiden Handbüchern wertvolle und praxisorientierte Hilfestellungen. Veranstaltern, Behörden sowie den staatlichen und privaten Sicherheitskräften können beide Bücher uneingeschränkt empfohlen werden.

Über den Autor
Dr. Harald Olschok
Dr. Harald Olschok
Dr. Harald Olschok studierte Volkswirtschaftslehre und war nach seinem Abschluss als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Freiburg und München sowie als Referent für Wirtschafts- und Sozialpolitik bei der Landesvereinigung Rheinland-Pfälzischer Unternehmerverbände tätig. Seit 1992 ist er Hauptgeschäftsführer des BDSW Bundesverband der Sicherheitswirtschaft e.V. und der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW). Er begleitete das Amt des ersten Vizepräsidenten der Confédération Européene des Services de Sécurité (CoESS) und war Leiter des europäischen Normungsausschusses zur Erarbeitung der DIN EN 15602. Er ist seit Beginn im Beirat von Veko-online.
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