Mit Sicherheit in den Wahlkampf
Von Heinz-Werner Aping
Gefühlt vergeht kaum noch ein Tag ohne terroristischen Anschlag, der nicht einfach irgendwo auf der Welt passiert, sondern bei uns, vor unserer Haustür. Das wirft viele Fragen auf, deren Beantwortung drängt. Wir erwarten die Antworten regelmäßig von denen, die sich von Berufs wegen oder im Zusammenhang mit ihrem politischen Mandat damit beschäftigen. Diese Menschen wiederum erwarten, dass wir ihnen glauben, die richtigen Antworten zu haben, insbesondere in den nächsten Monaten des Wahlkampfes für die Bundestagswahl.
An den Anfang dieser Betrachtung stelle ich das Nachdenken über die Opfer.
Das sind zuallererst die unmittelbaren Opfer, nicht die Toten, wie es so oft unpersönlich heißt, sondern die getöteten, ermordeten Menschen und natürlich alle Verletzten, die vielleicht ihr ganzes weiteres Leben darunter leiden. Das sind aber auch deren Angehörige und Freunde, deren Leben sich zwangsläufig verändert, weil andere Probleme und Fragen ihre Gegenwart und ihre Zukunft bestimmen. Wie sehr es sich verändert, wie sehr sich ihre Zukunft verändert, Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens eingeschränkt werden oder entfallen, erfahren wir üblicherweise kaum. Können wir es empfinden?
Betrifft es auch uns, die wir das nur aus der Nachrichtenwelt erfahren?
Verändert es auch unser Leben, Gegenwart wie Zukunft, betrifft es uns tatsächlich, oder gehen wir schon morgen wieder in den gewohnten Bahnen unserem üblichen Leben nach? Erinnern wir uns tatsächlich, was alles seit Paris und Charlie Hebdo passiert ist, wie viele Opfer es allein seit diesem Anschlag gab?
Und dabei blenden wir gerne die Taten aus, die zuvor schon passierten oder weit entfernt von Europa und „unserem“ Leben begangen wurden. Afghanistan, Jemen, Ägypten...... geht uns das etwas an? Wir haben doch ganz andere Sorgen.
Kaum hatte die SPD die Wahl in Nordrhein-Westfalen verloren, ihre Mehrheit und die Möglichkeit, eine Regierung zu stellen, von der wir üblicherweise Antworten auf unsere Fragen verlangen, folgte die Partei einer von Wahlforschern und Kommentatoren verbreiteten Ansicht, dass sie auch auf dem Feld der Sicherheit verloren wurde. Keine zwei Tage nach der Wahl versandte die Parteiführung den Antragstext für das SPD-Wahlprogramm 2017 und schreibt dort: „Sicherheit ist ein zentrales Bedürfnis der Menschen“.
Die SPD bekennt sich darin zu einem starken, handlungsfähigen Staat, der Kriminalität, Extremismus und Terror entschieden entgegentritt.1 Im gleichen Atemzug greift die Berliner SPD-Abgeordnete und Fraktionsvize Eva Högl Bundesinnenminister Thomas de Maizière scharf an. Der (Berliner) Tagesspiegel zitiert sie wie folgt: „In der Flüchtlingspolitik und beim Stellenaufbau der Polizei musste de Maizière von uns zum Jagen getragen werden“. Im gleichen Artikel wird der „Innenexperte“ Burkhard Lischka zitiert, der Innenminister habe „sträflich vernachlässigt, die innere Sicherheit in Deutschland zu stärken“.
Gegendarstellungen sind meines Wissens nicht erfolgt, also dürften die genannten Personen richtig zitiert worden sein.
Veko-online ist keiner Partei verbunden und bewahrt sich seine Unabhängigkeit. Wir müssen auch keinen Bundesminister des Innern verteidigen. Aber dürfen wir solche Aussagen ungerührt passieren lassen und zum täglichen Ablauf übergehen? Es ist halt so, der Wahlkampf hat begonnen?
Es wird eine ganze Reihe von Positionen oder Entscheidungen des amtierenden Bundesministers des Innern geben, die andere Menschen nicht richtig finden. Nur: für den Stellenaufbau oder besser den Stellenabbau der deutschen Polizei in den Bundesländern trägt er keine Verantwortung. Diese Verantwortung tragen ausschließlich die Innenminister der Länder, gleich ob Nordrhein-Westfalen oder Berlin. Sie, und nur sie haben in den letzten 10 und mehr Jahren (!) die Personalstärken zurückgefahren, wobei hier nicht die Frage beleuchtet werden soll, ob das vor dem Hintergrund der jeweils aktuellen Lage richtig oder falsch war. Das wissen auch die zuvor genannten Politiker!
Der Bundesminister des Innern hat in seinem „polizeilichen Zuständigkeitsbereich“ bereits im vergangenen Jahr „geliefert“: für den Zeitraum der nächsten vier Jahre erhalten die Bundespolizei einen Zuwachs von 7.200 Stellen und das BKA einen Zuwachs von 1.200 Stellen. Beide Behörden haben Schwierigkeiten, im vorgesehenen Zeitraum gemessen am bisherigen Anforderungsprofil überhaupt genügend Bewerber zu finden. Stellen Sie sich einmal das Echo der Landesinnenminister gleich welcher parteipolitischen Coleur vor, der Bundesminister des Innern würde sie auffordern, ihre Verantwortung gleichermaßen wahrzunehmen.
Es war auch der Bundesminister des Innern, der vor dem Hintergrund der terroristischen Bedrohungslage bereits im vergangenen Jahr mit der Frage an die Öffentlichkeit trat, ob im Bereich der Inneren Sicherheit nicht zentralere Lösungen als die gegenwärtigen föderalen notwendig seien. Das Echo aus den Ländern war heftig. Die Verfassung als föderaler Staat schien bedroht. Dabei haben wir in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich im Konsens (!) mit den Ergebnissen der Föderalismuskommissionen 1 und 2 unser Verhältnis zwischen Zentrale und Dezentrale neu ausgerichtet.
Hier soll jetzt nicht die Politik des Bundesministers des Innern verteidigt oder beleuchtet, sondern die Frage aufgeworfen werden: Lassen wir es in diesem kommenden oder bereits begonnenen Wahlkampf wie oftmals in der Vergangenheit zu, dass uns auf die tatsächlich wichtigen und entscheidenden Fragen nach Sicherheit der Menschen unqualifizierte Antworten gegeben werden? Egal von welcher Partei, egal von welchem „Innenexperten“.
Es wird die eine Antwort nicht geben, und es wird keine einfachen Antworten geben.
Sie müssen aber gegeben werden, weil die Gefahr speziell des terroristischen Anschlags sich nahezu täglich irgendwo durch eine Tat konkretisiert. Das hat zur Folge, dass es nicht mehr weit weg ist, sondern uns in unserem täglichen Leben tatsächlich bewegt und auch beschäftigen muss.
Können wir noch mit Sicherheit unsere bisherigen Wege gehen, unsere bisherigen Gewohnheiten pflegen? Kann ich unbekümmert ohne einen Blick für meine Umgebung durch die Straßen gehen, durch unsere Städte, mich an Orten zusammen mit vielen anderen Menschen aufhalten? Alle Verantwortlichen für Sicherheitsmaßnahmen bei den vielen Veranstaltungen über das Pfingstwochenende waren nicht zu beneiden, vor allem die Großveranstaltungen.
Nicht ein billiger Spruch, sondern Gewissheit ist da: Die Welt, unsere Welt ist eine andere geworden.
Folgerichtig müssen nicht einfach Antworten gegeben werden, sondern andere Antworten als die bisherigen. Dazu müssen gegebenenfalls auch andere Fragen als die bisherigen gestellt werden.
Noch einmal die zentrale Feststellung: die Welt hat sich erheblich verändert.
Bewältigen wir die Sicherheitsprobleme tatsächlich, wenn wir uns verändern? Hilft es uns, wenn wir uns verändern, wir die Täter aber nicht verändern? Können wir sie verändern?
Die Gewissheit, in einiger Sicherheit sicher zu leben, ist ein Fundament des demokratischen Rechtsstaates. Es ist eine berechtigte Forderung der Menschen, diese Gewissheit zu bewahren.
Im kommenden Wahlkampf sollten wir alle selbstbewusst und sehr kritisch Fragen stellen und unqualifizierte Antworten entlarven sowie mit einer entsprechenden Wahlentscheidung beantworten. Hierbei hat aus meiner Sicht keine Partei die Nase vorn. Es gibt genügend Anlässe, tatsächliche oder selbsternannte „Innenexperten“ aller Parteien als Schwätzer zu entlarven.
Die Herausforderung für uns besteht darin, die richtigen Fragen zu stellen.
Ist der Abbau der Personalstärke bei der Polizei in direkten Zusammenhang mit fehlender Sicherheit zu bringen?
Wenn ja, welche Personalstärke ist die richtige? Betrifft das mehr die Schutzpolizei zur immer wieder geforderten Präsenz auf der Straße oder eher die Kriminalpolizei in ihrem Bemühen, den Täter vorweg durch Ermittlungen zu erfassen? Wie wird sie wann erreicht, und was machen wir, bis sie erreicht ist?
Was ist mit der Personalstärke bei den Amts- und Staatsanwaltschaften und bei den Gerichten? Gehört diese Frage nicht genauso gestellt?
Urteilen die Richter falsch oder zu lasch und verspielen so die Möglichkeiten des Rechts oder ist das billige, unqualifizierte und zu verurteilende Richterschelte?
Helfen uns Verschärfungen im Strafrecht, z.B. beim Strafrahmen? Ist tatsächlich davon auszugehen, dass beispielsweise die Anhebung des Strafrahmens beim Wohnungseinbruch den bandenmäßigen oder den Serien-Täter von seinem Tun abhält, ihn abschreckt?
Hätte die elektronische Fußfessel die letzten Anschläge verhindert? In Regensburg hat gerade ein Mann, der eine elektronische Fußfessel trug, ein fünfjähriges Kind mit einem Messer getötet.
Sind Großveranstaltungen unter Sicherheitsaspekten noch durchführbar, sind sie genehmigungsfähig? Ist das Verhältnis der öffentlichen zur privaten Sicherheit richtig aufgestellt?
Genügt uns die Qualität im privaten Sicherheitsgewerbe? Kann die „Security“, wie die privaten Sicherheitsdienstleister im allgemeinen Sprachgebrauch gerne genannt werden, tatsächlich Sicherheit gewährleisten? Die seriösen Dienstleister im Bereich privater Sicherheit fordern seit langem verbindliche tatsächliche Qualitätsstandards anstelle der Auswahl nach dem billigsten Angebot. Der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft fordert seit langem ein Gesetz zur Regelung dieses Tätigkeitsfeldes von mittlerweile weit über 200.000 Beschäftigten in Deutschland. Bisher ohne Erfolg bei den Parteien.
Dieser Artikel kann und soll nicht alle Fragen stellen.
Eine Antwort wird für alle Fragen gelten: Es wird viel kosten, wieder mehr Sicherheit herzustellen. Es wird uns viel Geld kosten, und es wird uns Änderungen des Bisherigen kosten.
Ich schließe mich Casdorff2 an, der aktuell formuliert: „In einer so schnell sich verändernden Welt kann nur bewahren, wer zu verändern bereit ist. Wer nicht verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.“
In der Vergangenheit standen die Parteien in Deutschland vielfach vor der Entscheidung, die Innere Sicherheit zu einem zentralen Wahlkampfthema mit plakativen Formulierungen und Forderungen zu machen. Das ist in nicht wenigen Fällen nicht erfolgreich gewesen. Das vermutete Interesse der Wähler erfüllte sich nicht, denn das tatsächliche Interesse galt anderen Sorgen und Nöten.
Der diesjährige Bundestagswahlkampf steht vor der gleichen Herausforderung. Wie eingangs zitiert sollte er nicht stattfinden.
Tatsächlich sollte und wird uns das Politikfeld Sicherheit in den Wahlkampf begleiten. Als Thema genau wie als tatsächlicher Wunsch nach einem möglichst sicheren täglichen Leben.
Veko-online wird in den nächsten Monaten versuchen, die richtigen Fragen zu stellen und darüber zu berichten. Wir freuen uns, wenn Sie uns dabei helfen und uns Ihre Fragen übermitteln. Wir nehmen sie gerne auf.
Mit Sicherheit in den Wahlkampf!
Quellen:
1 Der Tagesspiegel, Ausgabe 17.Mai, S. 1
2 Stephan-Andreas Casdorff, stellvertr. Herausgeber Der Tagesspiegel, Ausgabe 6.6.2017