Ein Kritiker zur Sexualstrafrechtsreform

Von Dr. Alexander Stevens

In der vorigen Ausgabe befassten wir uns mit dem Thema vor der Änderung des Strafrechts. Nach der vom Bundestag verabschiedeten Reform des Paragrafen 177 Strafgesetzbuch beurteilt unser Autor, ein Rechtsanwalt für Sexualstrafrecht in München, die neue Rechtslage sehr kritisch – anhand eines tatsächlichen Falls, der durch die Presse ging.
Red.


 „Fick dich“ rief sie stöhnend einem der drei jungen Männern zu, mit denen sie gerade gleichzeitig Sex hatte. Wir wissen nun immerhin: „Nein heißt Nein!“. Aber was genau heißt eigentlich ein „Fick Dich!“?

Die Frau war mit den drei Jungs freiwillig mit nach Hause gegangen und hatte dort mit allen Dreien einvernehmlich rumgemacht. Alle vier tranken viel Alkohol, rauchten Joints und verbrachten bis zu ihrem angeblichen Blackout eine recht frivole Zeit miteinander.

Bei der Polizei gab die junge Frau ganz offen an, sie wolle die Jungs anzeigen, weil sie ohne ihre Zustimmung Videos vom Sex mit ihr gemacht hatten (das wusste sie nämlich trotz ihres angeblichen Blackouts noch). Zwar nahm die herbeigerufene Polizei die drei jungen Männer deshalb auch sofort wegen Vergewaltigung (?) vorläufig fest, aber nachdem die Polizisten die Videos gesichtet hatten, ließen sie die drei sofort wieder frei. Einen entgegenstehenden Willen zu den sexuellen Handlungen konnten die Polizisten bei der Frau auf den Videos beim besten Willen nicht feststellen zumal das „Fick Dich“ im Zusammenhang mit recht lustvollen Stöhngeräuschen ihrerseits zu vernehmen war. Der Richter sah es aber anders und verurteilte die drei Jungs zu jeweils 6 Jahren Haft, weil es das „Fick Dich“ als ein „Nein“ und damit das Handeln der Jungs als Sexualverbrechen wertete.

Dieser so tatsächlich erlebte Fall ist kein erfundenes Horrorszenario – es ist blanke Realität (nachzulesen in meinem Buch „Sex vor Gericht“, erschienen im Knaur Verlag, 9,90 €). Wohlgemerkt: eine Verurteilung nach dem „Alten Recht“, das ja Frauen angeblich so schlecht schützt.

Und was genau ist mein Problem?

Die vielen, vielen Befürworter der Sexualstrafrechtsreform sind mein Problem. Wurde uns noch die letzten Wochen gebetsmühlenartig von den Rechtsexperten des „Team Gina-Lisa“ beigebracht, dass ein „Hör auf!“ bzw. „Fick Dich!“ bzw. „Nein!“ gerade nicht ausreicht, um einen Vergewaltiger zu verurteilen und wir deshalb diese grandiose Reform gebraucht haben?

So oft diese falsche Behauptung auch wiederholt wurde, es machte sie nicht richtig. Vielmehr stand einem Gericht hinsichtlich der Tatfrage der Freiwilligkeit des Geschlechtsverkehrs bislang jene Beweiswürdigung zu, die eben an solcherlei Äußerungen oder eines gewaltvollen Vorgehens festgemacht wurde. Der Fall Gina-Lisa ist doch das beste Beispiel:

Die (mittlerweile von einem „Shitstorm“ geplagte) Berliner Justiz war nach Sichtung aller Videos aus der vermeintlichen Tatnacht zu dem Ergebnis gelangt, der Geschlechtsverkehr sei freiwillig gewesen, das „Hör Auf!“ habe sich eben nicht auf den Sexualakt, sondern nur auf das Filmen bezogen. Fragt sich denn niemand warum man (auf ausdrückliche Anweisung von Gina-Lisas Anwälten) nur knappe 4 Sekunden eines 20-Minütigen Videos zu sehen bekommt und dabei auch noch die Handlung, auf die sich das „Hör auf“ beziehen soll, verpixelt wird?

Wer nicht für uns ist, ist für die Vergewaltiger.

Aber wozu sich mit solchen Fragen oder gar den Feinheiten des Rechts befassen? Im Zuge einer medialen Hetzkampagne wurde ja praktischerweise die Fragestellung nach der eigenen Meinung in der Sexismus-Debatte stark vereinfacht. Wenn man es letztlich darauf reduziert, ob man „für oder gegen Vergewaltiger“ ist, dann fällt die Wahl der Antwort nicht schwer.

Tanja Rest von der Süddeutschen Zeitung ist jedenfalls der Meinung, dass die Sexismus-Debatte geradezu ein Paradebeispiel dafür gewesen sei, „wie Meinungsbildung im besten Fall ablaufen kann: Alle Argumente kamen auf dem (es müsste wohl heißen „den“) Tisch, die hysterischen, die akademischen, die chauvinistischen, die hardcore-feministischen;“

Dazu kann ich nur sagen,

Nein, wenn sich im Rahmen eines laufenden Strafverfahrens Spitzenpolitiker wie Justizminister Heiko Maas und seine Amtskollegin Manuela Schwesig mal eben mit aggressivster Rhetorik im „Team Gina-Lisa“ und damit im Lager einer mutmaßlichen Falschbeschuldigerin verorten, und dabei die verfassungsrechtlich garantierten und scheinbar unantastbaren Grundsätze der Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative mal eben so „für die gute Sache“ beiseite wischen.

Nein, wenn plötzlich große (und auch weniger große) „Sternchen“ sich mit völlig unsubstanziierten Behauptungen wie „unser Gesetz schützt Eigentum besser als unsere sexuelle Selbstbestimmung“ (Maria Furtwängler) zu Wort melden und hierfür ungeprüft vorab breite Zustimmung kassieren.

Nein, wenn ich mir die Berichterstattung seit den Vorkommnissen jener Silvesternacht vergangenen Jahres ansehe und Feministinnen wie etwa Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski jegliche Kritik als männlichen Sexismus geißeln und sexistisch fordern, dass „auch Männer, die sich für komplett harmlos halten, abends besser mal die Straßenseite wechseln sollten, wenn sie einer Frau begegnen“ – (Man muss in diesem Text nur einmal „Männer“ durch „Ausländer“ ersetzen und der Text würde gut in Kampagnen ganz anderer Art passen).

Nein, wenn letzte Restzweifler von den „Befürwortern“ dann noch mit abenteuerlichen, wissenschaftlich in keinem Punkt haltbaren Statistiken, eingelullt werden, wie etwa dass nur 5 bis 15 Prozent aller Vergewaltigungen überhaupt angezeigt würden, hunderttausende aber nicht und dass die Zahlen von Falschbezichtigungen schwindend gering seien – was allesamt schlicht gelogen ist.

Nein, wenn der Begriff „Vergewaltigung“ inzwischen in den Medien derart inflationär für jegliches sexuell unerwünschte Verhalten verwendet wird, dass das Leiden von Opfern einer realen, tatsächlich mit Gewalt begangenen Vergewaltigung verharmlost wird.

Nein, wenn sachliche Kritik an der „Reform“ von selbsternannten Rechtsexperten/innen pauschal als Argumentations-Widerspruch bezeichnet wird, ohne freilich jedweden Widerspruch aufzudecken.

Nein, wenn selbst in den Leitartikeln zahlreicher Printmedien aus der untersten populistischen Schublade entgegen der Faktenlage argumentiert wird, wobei die realen Ängste von Menschen vor sexuellen Übergriffen perfide ausgenutzt werden.

Wie wahr (und zugleich zirkelschlüssig) hiergegen Tanja Rest in der Süddeutschen Zeitung argumentiert, wenn sie der Sexismus-Debatte attestiert, dass man den eigenen Standpunkt in der Debatte fast schon zwangsläufig verorten musste.

 

Geschlossen wurde jetzt auch die Schutzlücke legaler Sexualität

Nun aber ist es rum ums Eck. Die Zustimmung des Bundesrates zur Sexualstrafrechts-Reform gilt als sicher – und wenn sich Heiko Maas als Ober-Ober-Ober-Ober-Ober-Ober-Vorgesetzter der für Gina-Lisa zuständigen Richterin weiterhin so engagiert einsetzt, gilt Gina-Lisas Freispruch wohl auch als sicher.

Von dem her – liebe Frau Furtwänglers, liebe Frau Stokowskis, liebe Frau Schwesigs und wie Sie alle heißen – ich gebe mich geschlagen. Ich lasse mich von Ihnen auf das reduzieren was ich bin: ein Mann.

Ein Mann, der jetzt nur noch wenig Sex, besser gar keinen Sex mehr haben sollte, will man als Mann künftig ein straffreies Leben führen.

Denn wenngleich Ihnen bei Ihrer selbst erklärten Hexenjagd juristische Kenntnisse und Erklärungen bisher gänzlich unerwünscht waren, erlaube ich mir kurz Ihr durchgesetztes Reformpaket anhand praktischer Beispiele näher zu erläutern:

Stellen Sie sich bitte folgendes Szenario vor:
Ein adretter junger Mann (nennen wir ihn Thomas) und eine attraktive junge Frau (sagen wir: Anna) befinden sich abends in derselben Bar. Man kommt schließlich ins Gespräch. Der Mann gibt der Dame einen Drink aus. Anna fährt sich mit der Hand durchs Haar und spielt lasziv mit einer Haarlocke. Nach einer guten Stunde knisternd kommunikativer Gesprächsatmosphäre legt Thomas schließlich seinen Arm um sie und streichelt ihr den Rücken, während er ihr offen gesteht, dass er nicht nur das Gespräch sondern auch sie selbst sehr nett finde.

Nach der neuen Rechtslage hat sich Thomas bereits jetzt potenziell wegen sexueller Belästigung strafbar gemacht.

Denn wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Dabei entscheidet einzig das „Opfer“, wann es sich durch die sexuelle Handlung „belästigt“ fühlt.

Wenn Anna will, kann sie Thomas also bereits jetzt wegen „sexueller Belästigung“ anzeigen. Wobei – ob sie sich nun belästigt gefühlt hat oder nicht, das kann sie sich bis zu fünf Jahre lang überlegen. So lange ist die Verjährungsfrist.

Praxis-Tipp: Fragen Sie die angebetete Dame also stets erst höflich, ob Sie jetzt etwa Ihren Arm um sie legen dürfen. Sollte Ihnen brüsk entgegnet werden, dass Sie mit einer solchen Frage die zuvor mühsam aufgebaute Romantik gänzlich erschüttert hätten, verweisen Sie einfach auf den neuen § 184i Abs. 1 Strafgesetzbuch.

Weiter geht’s: Unsere beiden Turtel-Täubchen verstehen sich aber trotz (oder vielleicht auch gerade wegen) des liebevollen In-den-Arm-Nehmens durch Thomas immer besser. Während sie weiter miteinander über Gott und die Welt plaudern und er Anna weiter zärtlich den Rücken streichelt, treffen sich plötzlich ihre Blicke. Thomas sieht Anna tief in ihre Augen und nach einer gefühlten Ewigkeit des Innehaltens gibt er ihr einen zarten Kuss auf ihre weichen Lippen.

Erneut hat sich Thomas potenziell wegen sexueller Belästigung strafbar gemacht. Aber jetzt wird es langsam ernst. Denn diesmal geht es nicht „nur“ um sexuelle Belästigung, sondern auch um sexuelle Nötigung – je nach richterlicher Auslegung, ob bereits ein bloßer Kuss eine sog. „erhebliche sexuelle Handlung“ darstellt. Denn wer eine sexuelle Handlung an einer anderen Person vornimmt und dabei ein Überraschungsmoment ausnutzt, macht sich jetzt gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 3 Strafgesetzbuch strafbar. Für den Kuss drohen Thomas also zwischen sechs Monaten und fünf Jahre Gefängnis. Auch das darf sich Anna aber noch fünf Jahre lang überlegen.

Praxis-Tipp: Bei Küssen hört der Spaß – zumindest bei den süddeutschen Richtern – auf. Bei einem Zungenkuss sprechen manche Richter schon von Vergewaltigung, dann drohen zwischen zwei und 15 Jahren Freiheitsstrafe. Daher auch hier der gut gemeinte Rat, besser kurz bei der Angebeteten nachfragen, ob denn ein Kuss (und wenn ja welche Art von Kuss) genehm wäre. Aber aufgepasst: Bitten Sie einen umherstehenden Zeugen (zum Beispiel Barkeeper) doch kurz die Antwort auf Ihre Frage mitzuprotokollieren. Beweissicherung ist heutzutage Alles, denn die Verjährungsfrist beträgt in diesem Fall satte 20 Jahre.

Spinnen wir die Geschichte fort: Anna empfand wider Erwarten auch den Kuss als romantisch, so dass man nunmehr beschließt, zu Thomas nach Hause in dessen Wohnung zu fahren. Er wohnt nämlich allein, bei ihr zu Hause würde nur die neugierige Mitbewohnerin stören. Bei Thomas angekommen, legen sich beide relativ schnell in sein Bett. Sie ziehen sich gegenseitig aus und haben Sex. Keiner von beiden sagt „Nein“ oder etwas Vergleichbares.

Vorsicht! Auch ohne „Nein“ droht Thomas eine Anzeige und Verurteilung wegen Vergewaltigung. Denn wer mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht und dabei eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, wird mit zwei bis 15 Jahren Gefängnis bestraft. Eine solche schutzlose Lage stellt bereits die allein vom Täter bewohnte Wohnung dar, denn Voraussetzung der Schutzlosigkeit ist lediglich, dass das Opfer dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist und fremde Hilfe nicht zu erwarten ist.

Praxis-Tipp: Niemals zu sich allein in die Wohnung mit der oder dem Angebeteten fahren. Besser in eine Umgebung, wo man ohne größere Anstrengungen jederzeit hilfsbereite Dritte auf sich aufmerksam machen kann. Allerdings sollte der Ort auch nicht zu belebt sein: Sex in der Öffentlichkeit gilt als Erregung öffentlichen Ärgernisses und ist auch nach altem Recht strafbar. Ein guter Ort ist zum Beispiel eine Wohngemeinschaft oder das mit hilfsbereiten Menschen besetzte Elternhaus. Deren möglicherweise unerwünschte Neugier sollte man aus Gründen der Sicherheit (und der Beweissicherung!) hinnehmen. Wer legalen Sex hat, hat auch nichts zu verbergen.

Und weiter im Geschehen: Immer noch hat Anna Thomas (noch) nicht angezeigt. Sie möchte ein neues Treffen. Thomas hat allerdings inzwischen diesen Ratgeber gelesen und etwas Sorge bekommen. Daher hat er sich umentschieden und fährt doch lieber mit Anna ins Kinderzimmer seines Elternhauses, wo seine überaus hilfsbereiten Eltern der Dame jederzeit zur Seite stehen würden. Während er mit seiner Hand langsam ihren nackten Oberschenkel entlang streicht, weiter über ihren Venushügel fährt und sie versucht, es sich auf dem doch viel zu klein geratenen Bett irgendwie bequem zu machen, sieht sie ihn etwas ratlos und traurig an. Thomas schicke Wohnung wäre ihr schon etwas lieber gewesen, so ganz in Stimmung kommt sie in Thomas Kinderzimmer einfach nicht. Sie sagt aber nichts und kurz darauf haben die beiden Sex.

Wieder hat sich der Thomas potenziell wegen Vergewaltigung strafbar gemacht. Denn wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt, der macht sich auch ohne ein klar ausgesprochenes „Nein“ strafbar. Wann der entgegenstehende Wille erkennbar ist, definiert das Gesetz natürlich nicht. Das ist der richterlichen Auslegung überlassen und ein trauriger Blick dürfte für manch einen Richter durchaus ausreichen.

Praxis-Tipp: Vor jeder sexuellen Handlung explizit nachfragen, ob die jeweilige Handlung gewollt ist. Weil Sex ein meist zeitlich länger gestrecktes Unterfangen ist, empfiehlt es sich, alle 10 bis 20 Sekunden einmal höflich aber bestimmt nachzufragen, ob das Alles hier noch explizit gewollt ist. Ja heiß Ja – aber auch nur dann, wenn kein entgegenstehender Wille erkennbar ist. Alles klar?

Anna mag Thomas, aber ein weiterer Besuch in seinem Elternhaus ist für sie keine Option mehr. Nachdem er sich aus für sie unverständlichen Gründen beharrlich weigert, sie noch einmal mit in seine schöne Wohnung zu nehmen, lädt sie ihn schließlich in ihre WG ein. Sie sucht extra einen Abend aus, an dem ihre Mitbewohnerin nicht da ist.

Anna empfängt Thomas mit einem zärtlichen Kuss und möchte am liebsten gleich zur Sache kommen. Als Thomas realisiert, dass keine hilfsbereiten Dritten anwesend sind, bekommt er es allerdings mit der Angst zu tun und möchte gehen. Da es draußen plötzlich angefangen hat, in Strömen zu regnen, fragt er die ohnehin verwunderte Anna, ob er ihren Regenschirm für den Nachhauseweg ausleihen könne. Anna lehnt höflich ab, schließlich habe sie nur einen einzigen Regenschirm im Haus, den sie dringend selber brauche. Dabei macht sie ihm klar, dass sie heute Nacht auf jeden Fall Sex mit ihm haben möchte, und berührt ihn im Intimbereich. Thomas, der nicht ungeschützt in den Regen möchte, bleibt daraufhin über Nacht bei ihr, und sie haben Sex.

Diesmal hat sich Anna potenziell der Vergewaltigung strafbar gemacht. Denn strafbar ist es auch, wenn die Täterin den Beischlaf vollzieht und dabei eine Lage ausnutzt, in welcher dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht. Als empfindliches Übel wurde in der Rechtsprechung dabei just auch der Fall angesehen, dass man jemanden ohne Regenschirm bei Regen vor die Tür setzt. Die Täterin muss das lediglich ausnutzen und nicht damit drohen, eines aktiven Widerstandes oder eines „Nein!“ des Opfers bedarf es dabei auch nicht.

Praxis Tipp: Besser immer vorher erkundigen ob der Sexualpartner sich gerade eines empfindlichen Übels versieht – wobei das sogenannte Übel nach derzeitiger Rechtsprechung gar nicht so übel sein muss, selbst Regentropfen reichen aus. Dabei im Zweifel besser großzügig sein: lieber den Regenschirm weggeben als viele Jahre im Knast sitzen!

Thomas fand den regnerischen Abend in der WG wider Erwarten schön und folgt erneut der Einladung seiner jungen Begleitung zu ihr nach Hause. Diesmal ist die Mitbewohnerin (Karina) auch da, also scheint in Hinblick auf die Schutzlosigkeit alles im grünen Bereich.

Leider zeigt sich die Mitbewohnerin Karina als sehr trinkfest und besteht noch auf einen „Absacker“, ehe sie das Turtelpärchen alleine lassen möchte. Zügig werden einige Gläschen Bier und Wodka geleert. Währenddessen küsst, schmust und berührt sich unser Pärchen immer wieder intim. Nach einem netten Plausch und reichlich Alkohol verabschieden sich Anna und Thomas gut angetrunken in das Schlafzimmer der jungen Dame, wo sie Sex haben.

Vorsicht! Nach der neuen Gesetzeslage dürfte mangels verbaler oder konkludenter Kommunikationsfähigkeit Sex zwischen zwei Betrunkenen gänzlich ausgeschlossen sein. Diesmal drohen allen beiden bis zu 15 Jahre Haft wegen Vergewaltigung, und das nicht nur wenn – wie nach der alten Rechtslage – einer von beiden dabei einschlafen oder sich bewusstlos getrunken haben sollte.

Nein, nach der Gesetzesreform ist jetzt völlig ausreichend, dass das Opfer aufgrund seines körperlichen oder psychischen Zustandes in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist – es sei denn, der Täter hat sich der Zustimmung des Opfers „versichert“.

Und das mit dem „versichern“ sollte man sehr ernst nehmen! In der Gesetzesbegründung heißt es wörtlich, dass sich der Handelnde grundsätzlich auch dann strafbar macht, wenn der betrunkene Partner zwar im Nachhinein kundtut, dass er die sexuelle Handlung freiwillig vorgenommen habe, der Beschuldigte sich hierüber aber nicht vorab versichert hat. Der Umstand, dass im Nachhinein die Freiwilligkeit vom Opfer bekundet wird, kann aber in der Strafzumessung Berücksichtigung finden.

Es besteht also Hoffnung für Anna und Thomas. Beide sind Vergewaltiger, verdienen aber mildernde Umstände – immerhin hätten sie möglicherweise auch nüchtern dem Sex zugestimmt.

Praxis-Tipp des Gesetzgebers:
Setzen Sie die sogenannte „Nur-Ja-heißt-Ja“-Lösung um, bei der jede einzelne sexuelle Handlung – auch innerhalb ein und desselben Geschlechtsaktes (zum Beispiel: Streicheln der Brust, dann Streicheln des Intimbereiches etc.) – vorab zwischen den beteiligten Sexualpartnern konsentiert sein muss.
 
Mein Tipp:
Bei Alkohol oder zur Nachtzeit besser gänzlich von Sex Abstand nehmen.

Und was lernen wir daraus?

Wenn die Frage beim Sex jetzt lautet, „Möchtest du, dass ich aufhöre?“ dann heißt „Ja“ „Nein“ und „Nein“ „Ja“. Heißt „Nein“ also immer automatisch auch „Nein“? Die Antwort kann nur lauten: „Nein“!

Somit ist nach langer Abwesenheit des Moralstrafrechts „unmoralischer“ Sex endlich wieder strafbar.

Immerhin tröstlich ist, dass sicherlich nur ein Bruchteil der unzähligen „Vergewaltigungen“ zur Anzeige kommen wird – viele „Opfer“ werden vermutlich noch nicht einmal wissen, dass sie soeben Opfer einer schweren Straftat geworden sind.

Es wird also nicht jeden treffen. Das Pärchen aus dem Beispielfall hätte durchaus gute Chancen, eine ganze Weile nicht verurteilt zu werden. Und die unausgesprochene Drohung, bis zu 20 Jahre später die Partnerin mit der alten Geschichte mit dem Regenschirm ins Gefängnis zu bringen, könnte zu einer ganz ungeahnten neuen Welle an partnerschaftlicher Treue führen.

Insgesamt bin ich froh, in einem so sicheren Land zu leben. Und wir wissen alle: Wenn es in Deutschland ein Gesetz gibt, dann wird das auch umgesetzt. Ich freue mich also schon sehr auf das Münchner Oktoberfest. Es bleibt abzuwarten, ob die vom Gesetzgeber liebevoll ausgearbeitete „Nur-Ja-heißt-Ja“ – Lösung von allen alkoholisierten Menschen regelkonform umgesetzt werden wird. Die Staatsanwaltschaft hat hoffentlich zur Sicherheit schon einige neue Stellen ausgeschrieben.

Der Begriff des „erotischen Abenteuers“ bekommt jetzt jedenfalls eine ganz neue Bedeutung. Der Status „Fick Dich“ bleibt aber weiter ungeklärt.

Über den Autor
Dr. Alexander Stevens
Dr. Alexander Stevens
Dr. Alexander Stevens ist Fachanwalt für Strafrecht und als einer von ganz wenigen Anwälten überhaupt (wenn nicht sogar der einzige) ausschließlich auf die Sexualdelikte wie Vergewaltigung, Missbrauch, und Kinderpornographie spezialisiert. Im April 2016 erschien sein Buch „Sex vor Gericht“ (Knaur Verlag) in welchem er anhand sehr tiefgreifenden Geschichten aufzeigt, was alles schief läuft in Deutschland, wenn es um Sex geht. Stevens vertritt sowohl Täter als auch Opfer von Sexualdelikten gleichermaßen.
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